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Die Macht des Tempos: Innehalten
ОглавлениеWenn ich nur eine einzige Methode empfehlen könnte, um Präsenz zu üben, dann wäre es das Innehalten. Der Raum, der entsteht, wenn wir innehalten, kann eine gewaltige Optimierung bewirken. Einer meiner Kollegen bringt inhaftierten Jugendlichen Meditation bei. In seinen Kursen erzählt er eine Geschichte über seine Arbeit in Gefängnissen. Er fragte die männlichen Delinquenten, wie lange sie einsitzen müssen, und oft summierten sich ihre Strafen zu weit über hundert Jahren auf. Dann fragte er: »Wie lange habt ihr über das Verbrechen, das euch hierhergebracht hat, nachgedacht, bevor ihr es begangen habt?« Zusammengenommen waren es oft weniger als zwei Minuten. Angesichts dieser enormen Unverhältnismäßigkeit erklärt mein Kollege den Jugendlichen: »Achtsamkeit hilft euch, zwischen einem Impuls und eurer Reaktion innezuhalten, sodass ihr mehr Entscheidungsfreiheit habt, was ihr mit eurem Leben anfangen wollt.«
Das Innehalten ist reich an Möglichkeiten. In einem Atemzug können wir Gedanken, Gefühle und Impulse wahrnehmen und entscheiden, welchen davon wir folgen wollen. Es ist wie eine Meditation im Kleinformat, ein Tropfen Präsenz, der uns hilft, klar und ausgeglichen zu bleiben. Was im Raum des Innehaltens geschieht, ist offen. Wir können unsere Aufmerksamkeit im Körper erden oder innere Spannungen lösen, zu einer bestimmten Intention zurückkehren, mit unseren Gefühlen so umgehen, dass sie nicht auf ungünstige Weise aus uns hervorbrechen, oder uns im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Gesprächs gedanklich sammeln.
Innehalten ist sowohl eine Unterstützung für als auch ein natürlicher Ausdruck von achtsamer Präsenz. Je mehr ich meines Körpers gewahr bin, desto eher kann ich Erregung in meinem Nervensystem und die damit einhergehenden Veränderungen in meinem Sprechtempo oder meiner Lautstärke wahrnehmen. Ich kann mit dieser Welle von Energie mitgehen (und zum Beispiel Begeisterung oder Frustration ausdrücken) oder auf die Bremse treten. Ähnlich wie bei den Entscheidungspunkten geht es nicht darum, monoton, flach oder immerzu ganz ruhig zu sprechen, sondern vielmehr Geschick und Kompetenz in vielen verschiedenen Situationen zu entwickeln.
Die Pause ist flexibel, die Länge ist von der Situation abhängig. Man kann auch eine Mikropause machen: eine kaum wahrnehmbare Lücke im Sprechfluss, die einem gerade genug Zeit gibt, die Aufmerksamkeit im Körper zu erden oder sich noch einmal auf die eigene Intention auszurichten.