Читать книгу Die Verborgene Harmonie - Бхагаван Шри Раджниш (Ошо), Osho, Osho . - Страница 11

1. KAPITEL DIE VERBORGENE HARMONIE

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Die verborgene Harmonie

Ist besser

Als die offensichtliche.

Aus Zwietracht entsteht Eintracht,

Aus Missklang

Entsteht die höchste Harmonie.

Erst durch dauernden Wechsel

Kommen die Dinge zur Ruhe.

Die Menschen sehen nicht, dass alles,

Was sich widerspricht,

Dadurch mit sich in Einklang kommt.

Es liegt Harmonie im Widerstreit,

Das zeigen Bogen und Leier.

Der Name des Bogens ist Leben,

Aber sein Werk ist Tod.

Ich liebe Heraklit nicht erst in diesem Leben, sondern schon seit vielen Leben. Und Heraklit ist überhaupt der einzige Grieche, den ich je geliebt habe.

Heraklit ist wirklich großartig: Wäre er in Indien oder sonstwo in Asien geboren worden, wäre er als ein Buddha bekannt geworden. Aber in der griechischen Geschichte, in der griechischen Philosophie war er ein Fremder, ein Außenseiter. Für die Griechen war er kein Erleuchteter, sondern Heraklit der Obskure, Heraklit der Dunkle, Heraklit der Rätselhafte. Und Aristoteles sagte: „Im besten Fall ist er ein Dichter“ – aber selbst dieses Zugeständnis fiel ihm nicht leicht. So sagte er später in anderen Werken: „Heraklit muss irgendeinen Charakterfehler gehabt haben, irgendeinen biologischen Schaden; darum redet er auf so dunkle Weise, in lauter Paradoxien.“

Aristoteles glaubte, dass Heraklit etwas exzentrisch, ein bisschen verrückt sei – und Aristoteles gab für den ganzen Westen den Ton an. Hätte man Heraklit akzeptiert, dann wäre die gesamte Geschichte des Westens anders verlaufen. Aber er wurde überhaupt nicht verstanden. Er wurde mehr und mehr vom Hauptstrom des westlichen Denkens, der westlichen Weltanschauung abgedrängt. Heraklit war vom Schlag eines Gautam Buddha oder Laotse oder Basho. Der Boden Griechenlands war absolut ungeeignet für ihn. Im Osten dagegen wäre er zu einem großen Baum herangewachsen, hätte er Millionen helfen können, Millionen hätten durch ihn den Weg gefunden. Aber für die Griechen war er bloß fremdartig, exzentrisch, irgendwie ausländisch, nicht zugehörig: Er war nicht einer von ihnen. Darum wurde sein Name verschwiegen, in die Ecke geschoben; nach und nach vergaß man ihn. Als Heraklit geboren wurde, genau zu dieser Zeit, erreichte die Menschheit einen Höhepunkt, eine Zeit der Umwandlung. Es verhält sich mit der Menschheit genauso wie mit dem Individuum: Es gibt Augenblicke, wo sich alles verändert. Alle sieben Jahre verändert sich der Körper und das geht immer weiter so – wer siebzig Jahre lebt, dessen gesamtes biochemisches System verändert sich zehnmal. Und wenn man die Lücke zwischen diesen Phasen zu nutzen weiß – den Augenblick, wo sich der Körper verändert – dann ist es sehr leicht, in Meditation zu gehen.

Zum Beispiel: Mit vierzehn wird zum ersten Mal Sex bedeutsam. Der Körper erfährt eine biochemische Umwandlung und wenn man zu diesem Zeitpunkt zur Meditation hingeführt werden kann, ist es sehr leicht, den Einstieg zu finden. Der Körper ist noch nicht festgelegt, das alte Muster ist verschwunden und das neue soll erst entstehen. Es klafft eine Lücke. Im Alter von 21 Jahren ereignen sich wiederum tiefe Veränderungen, denn alle sieben Jahre erneuert sich der Körper vollständig: Alle alten Zellen werden abgestoßen und von neuen ersetzt. Dann geschieht das Gleiche im Alter von 35 Jahren und später dann wieder. Alle sieben Jahre erreicht der Körper den Punkt, wo das Alte verschwindet und das Neue fußfasst. Und es gibt jedes Mal eine Übergangszeit. Während dieser Übergangszeit gerät alles ins Schwimmen. Wenn du möchtest, dass eine neue Dimension in dein Leben eintritt, dann ist das genau die richtige Zeit.

Und ganz genau dasselbe geschieht mit der Menschheitsgeschichte im Großen. Alle fünfundzwanzig Jahrhunderte kommt es zu einem Gipfelpunkt, und wenn dieser Punkt genutzt wird, ist es leicht, zur Erleuchtung zu gelangen. Zu anderen Zeiten ist es weitaus schwieriger. Denn in jenem Gipfelmoment fließt der Strom von selbst in diese Richtung: Nichts ist fest, alles fließt.

Vor fünfundzwanzig Jahrhunderten wurden Gautama Buddha und Mahavir der Jaina in Indien geboren, in China Laotse und Tschuangtse, Zarathustra im Iran und in Griechenland Heraklit. Das sind die Höhepunkte. Nie zuvor waren solche Gipfel erreicht worden oder wenn sie erreicht wurden, dann sind sie nicht in die Geschichte eingegangen, denn die Geschichte beginnt für das Abendland mit Jesus. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was vor fünfundzwanzig Jahrhunderten geschah. Und jetzt nähert sich wieder dieser Zeitpunkt, wir befinden uns wieder in einem fließenden Zustand: Das Alte ist sinnlos geworden, die Vergangenheit hat für euch keine Bedeutung mehr, die Zukunft ist ungewiss: Die Lücke tut sich auf. Und die Menschheit wird wieder einen Höhepunkt erreichen, den gleichen Gipfel wie zur Zeit des Heraklit.

Und wenn ihr ein wenig bewusst seid, könnt ihr diesen Augenblick nutzen – ihr könnt einfach vom Rad des Lebens abspringen. Wenn die Dinge festliegen, dann ist Umwandlung schwierig. Ihr habt das große Glück, in ein Zeitalter hineingeboren worden zu sein, wo die Dinge wieder in Bewegung sind. Nichts ist mehr sicher, alle alten Verhaltensmuster und Gebote sind nutzlos geworden. Neue Muster haben sich noch nicht wieder ausgebildet, aber sie werden sich bald ausbilden; der Mensch kann nicht ewig ohne festen Halt leben, denn ohne festen Halt herrscht Unsicherheit. Die Dinge werden sich also wieder setzen; dieser Zeitraum wird nicht lange dauern, er währt nur ein paar Jahre. Wenn du ihn nutzen kannst, kannst du einen Gipfel erreichen, der zu anderen Zeiten kaum zu erreichen ist. Verfehlst du ihn, dann wird ein solcher Zeitpunkt erst in fünfundzwanzig Jahrhunderten wiederkommen.

Macht es euch klar: Das Leben bewegt sich im Kreis – alles bewegt sich im Kreis. Das Kind kommt auf die Welt, dann kommt die Zeit der Jugend, dann das Alter, dann der Tod. Es bewegt sich so wie die Jahreszeiten: Der Sommer kommt, dann die Regenzeit, dann der Winter und so weiter, im Kreis herum.

Das Gleiche gilt auch für die Dimension des Bewusstseins: Alle fünfundzwanzig Jahrhunderte rundet sich der Kreis – und bevor der neue Kreis beginnt, öffnet sich eine Lücke, durch die man schlüpfen kann; die Tür steht für ein paar Jahre offen.

Heraklit ist wirklich eine ganz seltene Hochblüte. Er ist eine von den Seelen, die am weitesten nach oben gedrungen sind, einer von denen, die zum Mount Everest werden, zum höchsten Gipfel des Himalaja. Versucht ihn zu verstehen. Es ist sehr schwer. Nicht umsonst heißt Heraklit „der Dunkle“. Er ist aber keineswegs dunkel. Ihn zu verstehen ist deshalb schwierig, weil du dich auf eine andere Seinsebene begeben musst. Das ist das Problem. Es ist leichter, ihn als dunkel abzutun und sich anderen Dingen zuzuwenden.

Es gibt zweierlei Menschen. Wer Aristoteles verstehen will, braucht sich nicht in seinem Sein zu ändern, man braucht nur Informationen zu speichern. Informationen über Logik, Philosophie usw. kann man sich in jeder Schule besorgen, dort kann man intellektuelles Verständnis anhäufen und dann Aristoteles verstehen. Man braucht sich nicht zu ändern, um ihn zu verstehen, man braucht nur ein wenig zusätzliches Wissen. Dein Sein bleibt das Gleiche, du bleibst der Gleiche. Du brauchst keine neue Dimension des Bewusstseins. Die ist nicht erforderlich.

Aristoteles ist klar. Wer ihn verstehen will, braucht dazu nur ein wenig Anstrengung: Wer durchschnittlich intelligent ist, wer einen einigermaßen durchschnittlichen Kopf hat, kann ihn begreifen. Aber wer Heraklit verstehen will, begibt sich auf steinigen Boden, und wenn man bei ihm Wissen sucht, geht man leer aus. Es nützt nichts, nur ein äußerst gescheiter Kopf zu sein. Man braucht eine andere Seinsqualität. Und das ist die Schwierigkeit – man braucht ein verändertes Sein. Und so ist es leichter, Heraklit den „Dunklen“ zu nennen.

Er ist nicht dunkel. Ihr befindet euch nur noch unterhalb der Seinsebene, auf der er verstanden werden kann. Wenn ihr diese Seinsebene erreicht habt, verschwindet plötzlich seine ganze Dunkelheit. Er gehört zu den strahlendsten Wesen überhaupt. Er ist nicht dunkel, er ist nicht undurchsichtig – ihr aber seid blind. Seid euch ganz im Klaren, dass ihr die Verantwortung auf ihn schiebt, wenn ihr sagt, er sei dunkel und dass ihr versucht, der Umwandlung zu entkommen, die durch die Begegnung mit ihm möglich wird. Sagt nicht: „Er ist dunkel“, sagt: „Wir sind blind“ oder „Unsere Augen sind geschlossen“.

Dort ist die Sonne: Du kannst dich mit geschlossenen Augen vor die Sonne hinstellen und sagen, die Sonne sei dunkel. Oder es kommt vor, dass du mit offenen Augen in die Sonne blickst, aber das Licht ist so stark, dass deine Augen vorübergehend blind werden. Das Licht ist einfach zu stark, es ist unerträglich, und plötzlich wird alles dunkel. Die Augen sind offen, die Sonne scheint dich an, aber die Sonne ist zu viel für deine Augen, und so bist du in Dunkelheit.

Und so ist es auch hier: Heraklit ist nicht dunkel. Entweder du bist blind oder deine Augen sind geschlossen oder es gibt die dritte Möglichkeit: Wenn du in Heraklit hineinblickst, ist er ein so strahlendes Wesen, dass deine Augen ganz einfach ihre Sehkraft verlieren. Er ist unerträglich, sein Licht ist zu viel für dich. Du bist so viel Licht nicht gewohnt, und so musst du ein paar Vorkehrungen treffen, bevor du Heraklit verstehen kannst. Und wenn er spricht, klingt es so, als spräche er wirr, als mache es ihm Spaß, Rätsel aufzugeben – denn er spricht in Paradoxen.

Alle, die die Wahrheit wissen, sprechen in Paradoxen. Und das hat seinen Grund. Sie sprechen nicht in Rätseln, sie drücken sich sehr klar aus – aber was bleibt ihnen übrig? Wenn das Leben selbst paradox ist – was sollen sie machen? Man kann natürlich saubere und klare Theorien schaffen, nur um die Paradoxe zu vermeiden, aber diese Theorien stimmen dann nicht, sie können nicht mit dem Leben übereinstimmen. Aristoteles ist klipp und klar; er sieht wie ein französischer Garten aus. Heraklit sieht dagegen wirr aus, wie ein wild gewachsener Wald.

Bei Aristoteles gibt es keine Schwierigkeit; er vermeidet jedes Paradox, er hat eine saubere und klare Lehre aufgestellt; das gefällt. Aber wenn man sich Heraklit aussetzt, bekommt man es mit der Angst zu tun, denn Heraklit öffnet die Tür des Lebens, und das Leben ist paradox. Buddha ist paradox, Laotse ist paradox. Alle, die die Wahrheit wissen, müssen notgedrungen in Paradoxen sprechen. Was können sie sonst tun? Wenn das Leben selbst paradox ist, müssen sie sich nach dem Leben richten.

Und das Leben ist nicht logisch. Es ist ein Logos, aber keine Logik. Es ist ein Kosmos, kein Chaos – aber auf keinen Fall ist es Logik. Das Wort Logos muss erklärt werden, denn Heraklit gebraucht es häufiger. Und der Unterschied zwischen Logos und Logik muss ebenfalls geklärt werden. Logik ist eine Lehrmeinung über das, was wahr ist; und Logos ist die Wahrheit selbst. Logos ist existenziell. Logik ist nicht existenziell; Logik ist intellektuell, theoretisch. Versucht, das zu verstehen. Wenn man das Leben sieht, sieht man auch den Tod. Wie kann man den Tod ausklammern? Wenn man das Leben anschaut, ist er darin enthalten. Jeder Augenblick des Lebens ist auch ein Augenblick des Todes; Leben und Tod lassen sich nicht trennen. Und das ist verwirrend. Leben und Tod sind nicht zwei voneinander getrennte Erscheinungen: Sie sind die zwei Seiten ein und derselben Münze, zwei Ansichten der gleichen Medaille.

Wer tief in dieses Phänomen eindringt, erkennt, dass Leben Tod und Tod Leben ist. In dem Augenblick, wo du geboren wirst, hast du zu sterben begonnen. Und daraus folgt, dass du wieder zu leben beginnst, wenn du stirbst. Wenn im Leben der Tod enthalten ist, dann muss auch im Tod das Leben enthalten sein. Sie gehören zusammen, sie ergänzen sich gegenseitig. Leben und Tod sind wie zwei Flügel oder wie zwei Beine, du kannst dich nicht nur mit dem rechten oder dem linken Bein vorwärts bewegen.

Im Leben gibt es keine Rechten oder Linken, sondern nur beide zugleich. Man kann eine Weltanschauung haben, die einen zu einem ‚Rechten‘ oder ‚Linken‘ macht. Aber Weltanschauungen stimmen nie mit dem Leben überein und können es auch nicht, denn eine Weltanschauung muss notwendigerweise sauber, klar und schlüssig sein. Aber das Leben ist nicht so, das Leben ist grenzenlos. Einer der größten Dichter der Welt, Walt Whitman, sagt irgendwo: „Ich bin widersprüchlich, denn ich bin grenzenlos.“

Durch Logik beengst du deinen Horizont und du kannst nicht mehr grenzenlos sein. Wenn du Angst hast dir zu widersprechen, kannst du nicht grenzenlos sein. Dann musst du wählen, musst du verdrängen, musst du das Gegenteil vermeiden, musst du es verstecken. Aber ist es schon dadurch aus der Welt, dass du es verdrängst? Wirst du etwa nicht sterben, nur weil du dem Tod nicht ins Auge blickst?

Du kannst den Tod vermeiden, du kannst ihm den Rücken zukehren, du kannst ihn dir ganz aus dem Kopf schlagen … Darum sprechen wir ja auch nicht vom Tod. Das gehört sich nicht. Wir sprechen nicht davon, wir scheuen uns davor. Der Tod geschieht jeden Tag, er geschieht überall, aber wir meiden ihn wo wir können. Sobald jemand stirbt, haben wir es eilig, mit ihm abzuschließen. Wir verlegen die Friedhöfe außen vor die Stadt, damit niemand hingeht. Und dort machen wir Gräber mit Marmortafeln und meißeln schöne Sprüche darauf. Wir gehen hin und legen Blumen auf das Grab. Und was bedeutet das? Ihr versucht, alles ein wenig auszuschmücken.

Der Westen hat einen Beruf daraus gemacht, den Tod zu verdrängen. Es gibt Leute, die einem berufsmäßig helfen, den Tod zu vermeiden. Sie verschönern die Leiche, sodass sie wieder lebendig aussieht. Was macht ihr da? Meint ihr, dass das irgendwie weiterhelfen kann? Den Tod gibt es. Die Reise geht zum Friedhof; wo ihr ihn hinverlegt, macht keinen Unterschied, hinkommen tut ihr doch. Du bist schon unterwegs dahin, du stehst in der Schlange und wartest auf den Augenblick des Todes, wartest in der Schlange der Sterbenden. Wohin willst du dich vor dem Tod flüchten?

Aber die Logik versucht klar zu sein; und nur um klar zu sein, klammert sie aus. Sie sagt: Leben ist Leben und Tod ist Tod, es sind zwei getrennte Erscheinungen. Aristoteles sagt: A ist A, es kann niemals B sein. Dieses Prinzip wurde zum Grundstein des gesamten westlichen Denkens: Meide den Widerspruch – Liebe ist Liebe, Hass ist Hass; und Liebe kann niemals Hass sein.

Das ist töricht, denn alle Liebe schließt Hass ein – sie muss ihn einschließen; das ist naturgegeben. Du liebst jemanden und du hasst denselben Menschen. Du musst es tun, du kannst es nicht vermeiden. Wenn du es vermeiden willst, wird alles verlogen. Aus diesem Grund ist eure Liebe zur Lüge geworden: Sie ist nicht ehrlich, sie ist nicht authentisch; sie kann nicht aufrichtig sein, sie ist nur Fassade. Warum ist sie nur Fassade? Weil ihr die Kehrseite leugnet.

Du sagst: „Du bist mein Freund, und ein Freund kann kein Feind sein. Und du bist mein Feind, du kannst nicht mein Freund sein!“ Aber das sind nur die zwei Seiten derselben Medaille. Der Feind ist ein versteckter Freund und der Freund ist ein versteckter Feind. Die andere Seite versteckt ihr, aber es gibt sie trotzdem.

Aber das wird euch zu viel. Wenn ihr beides seht, wird es unerträglich. Wenn du im Freund den Feind siehst, wirst du ihn nicht mehr lieben können. Wenn du im Feind den Freund siehst, wird es dir unmöglich, ihn zu hassen. Das ganze Leben wird zum Rätsel.

Heraklit wird „der Verwirrende“ genannt. Er ist nicht verwirrend, er entspricht dem Leben. Was immer ist, er gibt es einfach wieder. Er hat keine Lebensanschauung, er zimmert keine eigenen Systeme zurecht, er ist einfach ein Spiegel. Was auch immer das Leben vorgibt, er gibt es wieder. Einmal bist du voller Liebe und im nächsten Moment bist du voller Hass: Der Spiegel gibt es wieder. Der Spiegel kann nichts verschleiern, er ist immer nur wahr. Aristoteles ist nicht wie ein Spiegel. Er ist wie eine leblose Fotografie, die sich nicht verändert; sie geht nicht mit dem Leben mit. Und darum sagt Aristoteles, dass etwas mit diesem Heraklit nicht stimmt, dass es in seinem Charakter einen entscheidenden Mangel geben muss. Für Aristoteles muss das Denken klar sein, systematisch, rational; Logik ist für ihn der Sinn des Lebens und Gegensätze darf man nicht vermischen.

Aber wer vermischt sie denn? Heraklit ist nicht verantwortlich dafür. Und wie könnt ihr sie trennen, wenn sie im Leben selbst vermischt sind? Ja, in euren Büchern könnt ihr das versuchen, aber eure Bücher sind dann falsch. Eine logische Aussage ist von vornherein verkehrt, weil sie nicht eine Aussage des Lebens ist. Und eine lebendige Aussage ist von vornherein unlogisch, weil sich das Leben in Paradoxen äußert.

Seht euch das Leben an: Überall ist Gegensatz – aber an den Gegensätzen selbst ist nichts verkehrt: Sie sind lediglich für euren logischen Verstand unerträglich. Wenn du zu mystischer Einsicht gelangst, wird Gegensätzlichkeit schön. Ja, Schönheit ist ohne sie überhaupt nicht möglich. Wenn du denselben Menschen, den du liebst, nicht auch hassen kannst, dann fehlt deiner Liebe jede Spannung. Sie ist dann eine leblose Angelegenheit ohne Polarität und alles ist schal.

Was geschieht tatsächlich in der Liebe? Wenn du jemanden tatsächlich liebst, dann liebst du ihn am Morgen, und am Nachmittag ist daraus schon Hass geworden. Warum? Was ist der Grund dafür? Warum ist das so im Leben? Wenn man jemanden hasst, trennt man sich von ihm; der ursprüngliche Abstand ist wiedergewonnen. Bevor ihr euch verliebt habt, seid ihr zwei getrennte Individuen gewesen. Durch eure Liebe wurdet ihr zu einer Einheit, wurde aus euch eine Gemeinschaft.

Ihr müsst dieses Wort Community – Gemeinschaft – verstehen, es ist sehr schön: Es bedeutet common unity – gemeinsame Einheit. Eine Gemeinschaft zu sein ist für ein paar Augenblicke schön, aber danach kommt es einem wie Sklaverei vor. Es ist schön, gemeinsam zur Einheit zu werden, es führt zu einem Höhepunkt, einem Gipfel, aber man kann nicht ewig auf dem Gipfel leben. Wer soll dann im Tal leben? Und der Gipfel ist nur schön, weil es auch das Tal gibt. Wenn du nicht zurück ins Tal gehen kannst, verliert der Gipfel seine ganze Gipfelhaftigkeit. Nur im Vergleich zum Tal ist er ein Gipfel. Wenn du dir auf dem Gipfel ein Haus baust, wirst du vergessen, dass es ein Gipfel ist, die ganze Schönheit der Liebe geht verloren.

Am Morgen liebst du und schon am Nachmittag bist du voller Hass. Du bist ins Tal gegangen, du bist an den Anfangspunkt zurückgekehrt, genau dorthin, wo du warst, bevor die Liebe geschah, jetzt seid ihr wieder Einzelne. Einzeln zu sein ist auch schön; es gibt Freiheit. Im Tal zu sein ist auch schön; es bringt Entspannung. Im dunklen Tal zu sein tut gut, es hilft dir, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Danach bist du dann wieder bereit, zum Gipfel aufzusteigen; am Abend liebst du wieder. Es ist ein Prozess von Trennung und Wiedervereinigung; er wiederholt sich ständig. Wenn du nach einem Augenblick des Hasses wieder liebst, dann bist du wieder in den Flitterwochen.

Wo keine Abwechslung ist, wird das Leben statisch. Wenn man nicht zum Gegenteil übergehen kann, wird alles fad und langweilig. Darum sind allzu kultivierte Menschen langweilig, sie lächeln immerzu, nie werden sie böse. Du beleidigst sie und sie lächeln; du verdammst sie und sie lächeln. Sie sind unerträglich. Und ihr Lächeln ist gefährlich. Denn ihr Lächeln geht nicht tief, es bleibt nur auf den Lippen, es ist eine Maske. Sie lächeln nicht, sie folgen lediglich ihren Anstandsregeln. Und dadurch wird ihr Lächeln hässlich.

Menschen, die immerzu nur lieben und nie hassen, die nie wütend werden, entpuppen sich regelmäßig als oberflächlich. Denn woher soll die Tiefe kommen, wenn man nicht ins Gegenteil umschlagen kann? Tiefe kommt durch das Umschlagen ins Gegenteil.

Liebe ist Hass. Eigentlich sollten wir nicht die Worte Liebe und Hass gebrauchen, sondern nur ein einziges Wort: LiebesHass. Eine Liebesbeziehung ist eine Hassbeziehung und das ist gut so! Am Hass ist nichts verkehrt, denn nur durch den Hass gelangst du zur Liebe. An einem Wutanfall ist nichts verkehrt, denn nur durch Wut gelangst du zu Stille und Ruhe.

Ist euch das schon aufgefallen? Jeden Morgen fliegen hier über uns Flugzeuge hinweg – ein sehr lauter Lärm. Und wenn das Flugzeug vorbeigeflogen ist, folgt ihm eine tiefe Stille nach. Bevor das Flugzeug kam, war es nicht so still. Wenn das Flugzeug vorbei ist, ist die Stille tiefer als zuvor.

Du gehst nachts im Dunkeln eine Straße entlang; plötzlich kommt ein Wagen. Mit voller Geschwindigkeit fährt er an dir vorbei; deine Augen sind vom Licht geblendet, und wenn das Auto vorbei ist, herrscht tiefere Dunkelheit.

Alles lebt durch den Gegensatz; durch die Spannung des Gegensatzes wird alles tiefer. Entferne dich, damit du näherkommen kannst; geh zum Gegenpol, sodass du wieder näherkommen kannst. Eine Liebesbeziehung ist eine Beziehung, bei der man immer wieder in die Flitterwochen kommt. Wenn die Flitterwochen vorüber sind und alles hat sich gesetzt, dann ist die Sache bereits tot; alles, was sich gesetzt hat, ist tot. Das Leben bleibt nur dann erhalten, wenn seine Bewegung nicht zum Stillstand kommt; alles, was sicher ist, ist schon im Grab. Eure Bankkonten sind eure Friedhöfe; dort seid ihr begraben. Wer absolut sicher ist, lebt nicht mehr, denn Leben heißt nichts anderes, als sich zwischen den Gegensätzen zu bewegen.

Krankheit ist nichts Schlechtes: Durch die Krankheit gewinnt ihr die Gesundheit zurück. In der Harmonie des Ganzen hat alles seinen Platz, und weil er das erkennt, wird Heraklit „der Verwirrende“ genannt! Laotse hätte ihm aus tiefstem Herzen zugestimmt, aber Aristoteles konnte ihn nicht verstehen. Und unglücklicherweise wurde Aristoteles zur Quelle des griechischen Denkens. Und das griechische Denken – das ist die eigentliche Katastrophe – wurde zum Ausgangspunkt des gesamten westlichen Denkens. Was ist nun die Botschaft des Heraklit, der Kern seiner Botschaft? Versteht, damit ihr weiter folgen könnt. Heraklit sieht nicht Dinge. Er sieht Bewegungen. Bewegung ist für ihn Gott. Und wenn ihr genau hinschaut, werdet ihr sehen, dass es auf der Welt keine Dinge gibt, dass alles in Bewegung ist. Und deshalb ist es ein existenzieller Irrtum, überhaupt das Wort ist zu gebrauchen, weil alles wird. Nichts ist im Zustand – nichts.

Ihr sagt: „Dies ist ein Baum“. Wenn ihr das ausgesprochen habt, ist der Baum schon weitergewachsen; eure Feststellung stimmt schon nicht mehr. Der Baum ist niemals statisch, wie kann man also das Wort ist benutzen? Der Baum wird immer nur, er wird unentwegt etwas anderes. Alles wächst, alles bewegt und entwickelt sich. Leben ist Bewegung. Es ist wie ein Fluss – immer in Bewegung.

Heraklit sagt: „Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen“, denn wenn du zum zweiten Mal hineinsteigen willst, hat er sich weiterbewegt. Er ist ein Fließen. Kannst du dem gleichen Menschen zweimal begegnen? Unmöglich! Gestern Morgen wart ihr alle auch hier – aber bin ich der Gleiche? Seid ihr die Gleichen? Alle Flüsse sind heute weitergeflossen. Ihr mögt morgen wieder hier sein, aber mich werdet ihr nicht finden; ein anderer wird hier sein. Das Leben ändert sich ständig. „Nur die Veränderung ist ewig“, sagt Heraklit – nur die Veränderung ändert sich nicht. Alles andere verändert sich. Heraklit glaubt an eine permanente Revolution. Alles ist in Revolution. Nur so kann alles leben. Sein heißt Werden. Selbst wenn man bleibt, wo man ist, heißt das, dass man sich bewegt – du kannst nicht einfach bleiben, denn nichts steht still.

Selbst das Gebirge, der Himalaja, ist nicht statisch. Die Berge bewegen sich, bewegen sich schnell. Sie werden geboren und sterben. Der Himalaja ist eine der jüngsten Gebirgsketten der Erde und er wächst immer noch. Er hat noch nicht den Gipfelpunkt erreicht, er ist noch sehr jung, jedes Jahr wächst er um dreißig Zentimeter. Es gibt alte Berge, die ihren Höhepunkt schon erreicht haben; jetzt fallen sie zusammen, sie sind alt, ihre Rücken sind gebeugt.

Diese Wände, die ihr um euch her seht: Jedes Teilchen in ihnen ist in Bewegung. Man kann die Bewegung nicht sehen, denn sie ist sehr fein und sehr schnell. Die Physiker bestätigen heute, was Heraklit sagt, und nicht, was Aristoteles sagt – macht euch das klar. Jedes Mal, wenn die Wissenschaft der Wirklichkeit näher kommt, muss sie Heraklit und Laotse recht geben. Heute sagen die Physiker, dass alles in Bewegung ist. Eddington hat gesagt, Ruhe sei das einzige falsche Wort der Sprache. Nichts ist im Zustand der Ruhe, nichts kann ruhen. Ruhe ist ein irreführendes Wort, ihm entspricht keine Realität.

Ist gibt es nur in der Sprache. Im Leben, in der Schöpfung gibt es kein ist – alles wird. Wenn Heraklit vom Fluss sagt – und das Symbol des Flusses ist bei ihm ein Leitmotiv –, dass du nicht zweimal hineinsteigen kannst, sagt er damit zugleich, dass selbst du dann nicht mehr derselbe bist. Nur oberflächlich betrachtet siehst du unverändert aus. Nicht nur der Fluss hat sich also verändert, sondern auch du.

Es geschah, dass ein Mann zu Buddha kam, um ihn zu beleidigen, er spuckte ihm ins Gesicht. Buddha wischte sich das Gesicht ab und fragte den Mann: „Hast du sonst noch etwas zu sagen?“– als ob dieser Mann etwas gesagt hätte. Der Mann war verblüfft; so eine Antwort hatte er nicht erwartet. Er ging davon. Am nächsten Tag kam er wieder. Die ganze Nacht hatte er nicht schlafen können. Er spürte immer stärker, dass er einen großen Fehler gemacht hatte; er hatte ein schlechtes Gewissen.

Am Morgen kam er wieder, fiel Buddha zu Füßen und sagte: „Vergib mir!“ Und Buddha sagte: „Wer soll dir jetzt vergeben? Den Mann, auf den du gespuckt hast, gibt es nicht mehr, wer soll also wem vergeben? Vergiss das Ganze, jetzt ist daran nichts mehr zu ändern. Man kann es nicht ungeschehen machen, Schluss damit! Es gibt keine Betroffenen mehr, beide Parteien sind tot. Was können wir tun? Du bist ein neuer Mensch und ich bin ein neuer Mensch.“

Genau das ist auch die tiefste Botschaft Heraklits: Alles fließt und ändert sich; alles bewegt sich, nichts bleibt stehen. Und im Augenblick, wo du dich an etwas klammerst, gehst du an der Wirklichkeit vorbei. Und dieses Klammern wird zum Problem, denn die Wirklichkeit verändert sich, du aber klammerst dich an etwas. Zum Beispiel: Gestern hast du mich geliebt. Jetzt hasst du mich. Ich klammere mich ans Gestern und sage: „Du musst mich lieben, denn gestern warst du voller Liebe und gestern hast du gesagt, dass du mich immer lieben wirst – was ist denn inzwischen passiert?“ Aber was kannst du daran ändern? Und gestern, als du sagtest, dass du mich immer lieben würdest, war das nicht gelogen, aber ein Versprechen war es auch nicht, es war einfach aus der Stimmung heraus gesagt und ich habe dir diese Stimmung sehr geglaubt. In dem Augenblick hast du es wirklich gefühlt, dass du mich immer und ewig lieben wirst, und es war nicht die Unwahrheit. Bedenke das! Du warst dem Augenblick treu, das war eben die Stimmung, aber jetzt ist die Stimmung vorbei. Derjenige, der es sagte, ist nicht mehr. Und wenn es vorbei ist, ist es vorbei, man kann daran nichts ändern. Man kann die Liebe nicht erzwingen. Aber genau das versuchen wir alle und schaffen uns dadurch viel Elend.

Der Ehemann sagt: „Liebe mich!“ Die Ehefrau sagt: „Liebe mich, denn du hast es versprochen – hast du die Zeit vergessen, wo du mir den Hof gemacht hast?“ Aber diese Zeit ist dahin. Diese beiden Menschen gibt es nicht mehr. Ein junger Mann von zwanzig, erinnere dich – bist du noch der Gleiche von damals? Viel ist seitdem geschehen; der Ganges ist längst weitergeflossen, du bist nicht mehr da, wo du warst.

Ich habe folgende Geschichte gehört: Eines Abends sagte Mulla Nasrudins Frau: „Du liebst mich nicht mehr, du küsst mich nicht mehr, du umarmst mich nicht mehr. Weißt du noch, unsere erste Zeit – du hast mich manchmal gebissen und das hat mir immer so gefallen! Kannst du mich nicht noch einmal beißen?“

Nasrudin stieg aus dem Bett und seine Frau fragte: „Wo gehst du hin?“

Er sagte: „Ins Badezimmer, mein Gebiss holen.“

Nein, du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen. Es ist unmöglich. Klammere dich nicht fest; wenn du dich festklammerst, schaffst du dir die Hölle. Festklammern ist die Hölle und ein Bewusstsein, das sich an nichts klammert, ist immer schon im Paradies, man geht mit jeder Stimmung mit, man akzeptiert die Stimmung und man akzeptiert die Veränderung; ohne jeden Groll, ohne jede Klage; denn so ist das Leben, so sind die Dinge nun einmal. Du kannst dich wehren, aber daran ändern kannst du nichts.

Wenn man jung ist, hat man natürlich andere Stimmungen, denn die Jugend hat ihre eigenen Gesetze und Jahreszeiten. Wie sollte ein alter Mann die gleichen Stimmungen haben? Ein alter Mann macht sich lächerlich, wenn er die gleichen Anwandlungen hat. Wie kann ein alter Mann noch verliebte Sachen sagen? Alles hat sich verändert. Wenn man jung ist, ist man romantisch, unerfahren, verträumt. Wenn man alt ist, sind alle Träume fort. Daran ist nichts verkehrt, denn wenn die Träume verschwunden sind, ist man der Wirklichkeit näher, jetzt versteht man alles besser. Man ist weniger romantisch, denn man träumt nicht mehr, aber das ist gut so. Träumerei war eine Stimmung, eine Jahreszeit, so etwas verändert sich. Und man muss immer dem Zustand treu sein, in dem man sich gerade befindet. Sei deinem wandelbaren Selbst treu, denn das ist die einzige Wirklichkeit. Buddha sagt daher: „Es gibt kein Selbst. Du bist ein Fluss. Es gibt kein Selbst, denn es gibt nichts in dir, das sich nicht ändert.“ Buddha wurde aus Indien verbannt, weil es nach der indischen Vorstellung der Hindus, vor allem der der Brahmanen, ein ewiges Selbst gibt, das Atma. Sie hatten immer behauptet, dass es etwas Ewiges gibt, und Buddha behauptete nun: „Nur die Veränderung ist ewig – nichts ist ewig.“

Warum wollt ihr etwas Ewiges sein? Denn nur eine tote Sache kann von Dauer sein. Wellen kommen und gehen, darum ist das Meer lebendig. Wenn die Wellen zum Stillstand kommen, steht alles im Meer still. Das Meer wird ein totes Ding. Alles lebt durch Wechsel – und Wechsel bedeutet Wechsel zum Gegenpol. Man bewegt sich von einem Pol zum anderen und damit wird man immer wieder lebendig und frisch. Tagsüber arbeitet ihr hart und nachts schlaft ihr und entspannt euch. Morgens seid ihr wieder lebendig und frisch für die Arbeit. Ist euch diese Polarität je aufgefallen?

Arbeit ist der Gegenpol der Entspannung. Wenn du hart arbeitest, bist du hinterher abgespannt, müde, erschöpft, aber dann fällst du in das tiefe Tal der Ruhe, der tiefen Entspannung. Die Außenwelt rückt in weite Ferne, du bewegst dich der Mitte zu. Du bist nicht mehr mit dem identifiziert, der du in der Außenwelt bist, du bist nicht mehr der Name, das Ich; du nimmst nichts aus der Außenwelt mit. Du vergisst einfach, wer du bist, und am Morgen bist du frisch. Dieses Vergessen tut gut, es macht dich frisch. Versuch nur einmal drei Wochen nicht zu schlafen; du wirst verrückt, denn du hast vergessen, zum Gegenpol zurückzukehren.

Wenn Aristoteles recht hat, dann wirst du, wenn du nicht schläfst, wenn du nie zum Gegenpol überwechselst, am Ende erleuchtet. In Wirklichkeit wirst du wahnsinnig. Und Aristoteles ist schuld, wenn es im Westen so viele Wahnsinnige gibt. Wenn der Westen nicht auf den Osten hört oder auf Heraklit, dann wird früher oder später der ganze Westen wahnsinnig. Er muss es werden, denn ihr habt die Polarität aus den Augen verloren. Die Logik redet eine geradlinige Sprache. Die Logik sagt: Ruhe dich am Tag aus, übe dich tagsüber im Ausruhen, damit du nachts in tiefen Schlaf gehen kannst – das ist logisch! Übe das Ausruhen! Das ist es, was die Reichen tun; sie ruhen sich den ganzen Tag aus und dann leiden sie an Schlaflosigkeit und beklagen sich: „Wir können nicht schlafen.“ Dabei üben sie den ganzen Tag lang – und liegen auf ihren Betten, liegen in ihren Lehnstühlen, ruhend und immer nur ruhend. Und nachts dann stellen sie plötzlich fest, dass sie nicht schlafen können. Sie haben sich nach Aristoteles gerichtet, sie sind logisch.

Eines Tages suchte Mulla Nasrudin seinen Arzt auf. Hustend ging er hinein. Der Doktor meinte: „Hört sich schon besser an.“ Nasrudin sagte: „Natürlich hört es sich schon ein bisschen besser an – ich hab schließlich die ganze Nacht geübt.“

Wenn du das Ausruhen den ganzen Tag übst, wirst du in der Nacht ruhelos. Du wälzt dich hin und her: Der Körper macht Gymnastik, damit er sich anschließend ausruhen kann. Nein, es gibt niemanden, der weniger mit dem Leben übereinstimmt als Aristoteles. Gehe zum Gegenpol: Arbeite hart am Tage und du schläfst nachts umso tiefer. Je tiefer du in den Schlaf gehst, umso mehr findest du am Morgen, dass du ungeheure Arbeitskraft hast – deine Energie ist unerschöpflich. Durch Ruhe gewinnt man Energie, durch Arbeit gewinnt man Ruhe, das ist das genaue Gegenteil.

Es kommen Leute zu mir, die sagen: „Wir leiden an Schlaflosigkeit, wir können nicht schlafen. Was sollen wir tun, um uns zu entspannen?“

Es sind Anhänger des Aristoteles.

Ich sage ihnen: „Ihr braucht nicht zu entspannen. Geht einfach spazieren, aber lange, rennt wie die Verrückten – zwei Stunden morgens, zwei abends, dann stellt sich die Ruhe von selbst ein. Sie folgt automatisch. Ihr braucht keine Entspannungstechniken; ihr braucht Techniken aktiver Meditation, nicht Entspannung. Ihr seid schon zu entspannt; eure Schlaflosigkeit beweist, dass ihr schon zu entspannt seid – ihr braucht keine Entspannung.“

Das Leben bewegt sich von einem Gegenpol zum anderen. Und Heraklit sagt: Das ist gerade das Geheimnis, das ist die verborgene Harmonie. Er ist sehr poetisch, aber anders könnte er es nicht sagen. Er kann nicht philosophisch sein, denn Philosophie bedeutet Rationalität. Nur die Dichtung kann widersprüchlich sein; ein Dichter kann Dinge sagen, die ein Philosoph nicht zu sagen wagt. Dichtung steht dem Leben näher. Und die Philosophen drehen nur Kreise um die Mitte, sie treffen nie ins Schwarze. Sie gehen rund um den heißen Brei herum. Dichter treffen direkt ins Schwarze. Wenn man irgendeine Parallele zu Heraklit im Osten sucht, dann findet man sie bei den Zen-Meistern, den Zen-Dichtern; besonders in der Dichtung, die man Haiku nennt.

Einer der großen Meister des Haiku ist Basho. Basho und Heraklit sind sich ungeheuer nah, wie in tiefer Umarmung; sie sind fast eins. Basho hat nie etwas in philosophischer Form geschrieben; er hat nur in kleinen Haikus geschrieben, nur dreizeilige Haikus von siebzehn Silben, es sind nur kleine Stücke. Heraklit hat auch nur Teilstücke geschrieben; er hat kein System aufgestellt wie Hegel oder Kant; er ist kein Systematiker – es gibt von ihm nur orakelhafte Aphorismen. Jeder Spruch ist in sich vollendet, wie ein Diamant; jeder für sich bis zur höchsten Vollendung geschliffen. Warum sollten die Einzelstücke also einen Zusammenhang ergeben? Er sprach orakelhaft. Die ganze Technik der orakelhaften Aphorismen ist im Westen vergessen worden. Erst Nietzsche schrieb wieder in diesem Stil. Sein Buch „Also sprach Zarathustra“ besteht aus orakelhaften Aphorismen. Aber seit Heraklit war Nietzsche der Einzige. Im Osten hat jeder Erleuchtete in dieser Form geschrieben. Das ist die Form der Upanishaden, der Veden, des Buddha, des Laotse, des Basho – alles reine Aphorismen.

Sie sind so knapp, dass du in sie eindringen musst, und schon dadurch, dass du in sie eindringen musst, änderst du dich – dein Intellekt wird nämlich nicht mit ihnen fertig. Basho sagt in einem Haiku:

Alter Teich

Frosch hüpft hinein

Plop

Das ist alles! Er hat alles gesagt. Erst das Bild: Du siehst einen alten Teich, einen Frosch, der am Rand sitzt, und dann: der Sprung des Frosches. Du kannst das Aufspritzen sehen und den Ton des Wassers hören. Und Basho sagt: „Alles ist damit gesagt.“ Das Leben ist nichts als das: ein alter Teich, der Sprung eines Frosches, das Aufklatschen im Wasser – und Schweigen. Das ist es, was du bist; das ist alles, was überhaupt ist – und Schweigen.

Heraklit spricht in seinem Fragment über den Fluss auf gleiche Weise. Erst ahmt er die Geräusche eines Flusses nach – autoisi potamoisi; bevor er etwas inhaltlich sagt, ahmt er das Plätschern eines Flusses nach und dann spricht er den Aphorismus: „Du steigst nicht zweimal in den gleichen Fluss.“ Er ist ein Dichter, aber kein gewöhnlicher Dichter. Die Hindus nennen einen Dichter Rishi. Es gibt zwei Arten von Dichtern: einer, der noch träumt und aus seinen Träumen heraus dichtet – ein Byron, ein Shelley, ein Keats. Und dann gibt es die andere Art Dichter, den Rishi, den, der nicht mehr träumt– er sieht die Wirklichkeit und aus der Wirklichkeit wird Dichtung geboren. Heraklit ist ein Rishi, ein Seher, ein Dichter, der nicht mehr träumt, der der Existenz begegnet ist. Er ist der erste Existenzialist des Westens. Versucht jetzt, in seine orakelhaften Aphorismen einzudringen.

Die verborgene Harmonie

Ist besser

Als die offensichtliche.

Warum? Warum ist die verborgene Harmonie besser als die offensichtliche? Weil das Offensichtliche an der Oberfläche ist und die Oberfläche kann täuschen. Die Oberfläche kann man manipulieren, prägen. Im Zentrum bist du existenziell und auf der Oberfläche bist du sozial. Die Ehe existiert an der Oberfläche, die Liebe im Zentrum; die Liebe hat eine versteckte Harmonie; die Ehe eine offensichtliche. Geh zu irgendeinem Freund ins Haus: Wenn du durch das Fenster blickst, streiten sich Mann und Frau, ihre Gesichter sind verzerrt; kaum bist du eingetreten, ändert sich das Bild: Wie höflich sie miteinander umgehen, wie liebevoll sie säuseln!

Das ist eine Harmonie, die offensichtlich ist, eine Harmonie an der Oberfläche. Aber tief im Inneren gibt es da keine Harmonie, es ist einfach eine hohle Form, nur ein Zurschaustellen. Ein wahrhaftiger Mensch mag an der Oberfläche unharmonisch scheinen, aber in seinem Mittelpunkt ist er immer harmonisch. Selbst wenn er sich widerspricht, ist in seinen Widersprüchen eine verborgene Harmonie. Und jemand, der sich nie widerspricht, der an der Oberfläche völlig stimmig ist, kann nicht wirklich harmonisch sein. Das sind verlässliche Leute: Wenn sie lieben, dann lieben sie; wenn sie hassen, dann hassen sie – sie gestatten den Gegensätzen nicht, sich zu mischen, sich zu treffen. Sie wissen ganz genau, wer ihr Freund und wer ihr Feind ist. Sie leben an der Oberfläche und praktizieren Beständigkeit. Ihre Beständigkeit ist keine wirkliche Beständigkeit: Tief drinnen kocht Unbeständigkeit. An der Oberfläche kommen sie irgendwie zurecht. Ihr kennt sie – denn ihr seid es selbst! Oberflächlich kommt ihr irgendwie zurecht, aber das hilft euch nicht weiter. Haltet euch nicht unnütz an der Oberfläche auf. Geht tiefer – und versucht nicht, zwischen den Gegensätzen zu wählen.

Ihr müsst beide Seiten ausleben. Und wenn du beides leben kannst und dich von keiner Seite fangen lässt, wenn du beides leben kannst – wenn du lieben kannst, ohne den Abstand zu verlieren, und hassen kannst, ohne den Abstand zu verlieren, dann liegt die verborgene Harmonie in diesem unbeteiligten Beobachter. Dann weißt du, dass es sich um Wetterlagen handelt, um wechselnde Jahreszeiten, um Stimmungen, die einfach kommen und gehen – und du kannst ihre Gestalt erkennen.

Dieses deutsche Wort „Gestalt“ ist sehr schön. Es besagt, dass es eine Harmonie gibt zwischen der Figur und ihrem Hintergrund, dass sie nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern nur scheinbar gegensätzlich sind. Zum Beispiel: Die Lehrerin schreibt mit weißer Kreide an die Tafel. Schwarz und Weiß sind Gegensätze. Ja, für aristotelische Köpfe sind sie Gegensätze: Schwarz ist Schwarz und Weiß ist Weiß, sie sind polar entgegengesetzt. Warum schreibt die Lehrerin Weiß auf Schwarz? Kann sie nicht Schwarz auf Schwarz schreiben? Natürlich könnte sie das, aber das wäre sinnlos. Das Schwarz muss als Hintergrund dienen und das Weiß wird zur Figur darauf. So kommt es zum Kontrast, es herrscht eine Spannung zwischen ihnen: eine verborgene Harmonie. Weiß sieht auf Schwarz weißer aus; das ist die Harmonie. Auf Weiß verschwindet Weißes einfach, denn dann gibt es keine Spannung, keinen Kontrast.

Vergesst nicht, dass man nie von Jesus gehört hätte, wenn die Juden ihn nicht gekreuzigt hätten. Sie machten eine Gestalt daraus: Das Kreuz war der schwarze Hintergrund und Jesus hob sich weiß dagegen ab. Jesus wäre sonst völlig vergessen. Es liegt am Kreuz, dass er sich den Herzen der Menschen tiefer eingeprägt hat als je ein Buddha, stärker als ein Mahavir. Fast die halbe Welt hat ihn lieben gelernt – und zwar wegen des Kreuzes.

Jesus ist wie eine weiße Linie auf schwarzem Hintergrund. Buddha ist eine weiße Linie auf weißem Hintergrund – es gibt keinen Kontrast, es gibt keine Gestalt, der Hintergrund ist mit der Figur identisch.

Wenn du nur liebst und nicht hassen kannst, dann ist es verlorene Liebesmüh, dann ist es nutzlos. Sie hat dann keine Intensität, sie hat dann keine Flamme, sie hat dann keine Leidenschaft; sie ist einfach nur kalt. Soll Leidenschaft daraus werden – und Leidenschaft ist ein schönes Wort, denn Leidenschaft hat Intensität – dann muss man auch hassen können. Mitgefühl hat nur Intensität, wenn man auch zornig sein kann. Wenn man überhaupt nicht zornig werden kann, dann ist auch das Mitgefühl ohnmächtig – ganz einfach ohnmächtig! Man ist hilflos, darum ist man voll Mitgefühl. Man kann nicht hassen, darum liebt man. Wenn du hasst und trotzdem liebst, dann ist das Leidenschaft. Dann wird es zu einer Figur mit Hintergrund, dann wird „Gestalt“ daraus.

Und Heraklit spricht von der tiefsten „Gestalt“ überhaupt. Die offensichtliche Harmonie ist in Wirklichkeit gar keine Harmonie, und die verborgene Harmonie ist die einzig wirkliche Harmonie. Versuche also nicht an der Oberfläche konsequent zu wirken; finde vielmehr eine Stimmigkeit zwischen den tiefer liegenden Unstimmigkeiten heraus, finde eine Harmonie zwischen den tiefsten Gegensätzen.

Die verborgene Harmonie

Ist besser

Als die offensichtliche.

Das ist der Unterschied zwischen einem religiösen und einem moralischen Menschen. Ein moralischer Mensch ist nur an der Oberfläche harmonisch; ein religiöser Mensch ist im Zentrum harmonisch. Ein religiöser Mensch muss notgedrungen widersprüchlich sein, ein moralischer Mensch ist immer konsequent. Auf einen moralischen Menschen kann man sich verlassen. Auf einen religiösen Menschen kann man sich nicht verlassen. Ein moralischer Mensch ist vorhersagbar; ein religiöser Mensch nie. Wie Jesus sich benehmen wird, weiß niemand – selbst seine engsten Jünger nicht, sie konnten es nicht vorhersagen. Dieser Mann ist nicht einzuschätzen: Er redet von Liebe und dann nimmt er eine Peitsche und vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel; er redet davon, seinen Feind zu lieben und er bringt den ganzen Tempel in Aufruhr – er ist rebellisch. Ein Mann, der von Liebe spricht, aber sich nicht daran zu halten scheint!

Bertrand Russell hat ein Buch geschrieben: „Warum ich kein Christ bin“. In diesem Buch bringt er all diese Unstimmigkeiten zur Sprache. Er schreibt: „Jesus ist widersprüchlich und scheint neurotisch. Einmal sagt er: ‚Liebe deinen Feind‘ und dann wird er plötzlich so wütend – nicht nur auf Menschen, sogar auf Bäume: Er verflucht einen Feigenbaum. Er kam mit seinen Jüngern an einen Feigenbaum; sie waren hungrig, aber die Zeit der Feigenernte war weit entfernt. Sie sahen den Baum an und fanden keine Früchte und es heißt, dass Jesus den Baum verfluchte. Was ist das eigentlich für ein Mann? Und er redet von Liebe!“

Er hat eine verborgene Harmonie, aber Bertrand Russell kann sie nicht finden, weil er der moderne Aristoteles ist. Er kann sie nicht finden, er kann sie nicht verstehen. Gut, dass er kein Christ ist; das ist nur gut. Er kann kein Christ sein, er kann kein religiöser Mensch sein, er ist ein Moralist. Jeder Schritt muss übereinstimmen – aber womit? Mit wem? Mit wem soll er übereinstimmen? Mit der Vergangenheit? „Jede einzelne meiner Behauptungen muss mit jeder anderen übereinstimmen!“, fordert der Moralist. – Warum?

Das ist nur möglich, wenn der Fluss nicht fließt. Habt ihr je einen Fluss beobachtet? Manchmal geht er nach rechts, manchmal nach links, manchmal nach Süden, manchmal nach Norden und ihr werdet sehen, dass dieser Fluss sehr unbeständig ist – aber hinter allem wirkt eine verborgene Harmonie: Der Fluss erreicht das Meer. Ganz gleich, wohin er fließt, das Meer bleibt sein Ziel. Manchmal muss er sich nach Süden wenden, weil das Gefälle nach Süden geht; manchmal muss er sich genau in die Gegenrichtung wenden, nach Norden, weil das Gefälle nach Norden geht, aber in jeder Richtung findet er das gleiche Ziel: Er bewegt sich auf das Meer zu und erreicht es auch.

Denkt euch einen Fluss, der beständig ist, und der sagt: „Ich will mich stets südlich halten, wie kann ich mich da nach Norden wenden? Dann sagen die Leute ja, ich bin nicht konsequent.“ So ein Fluss wird nie das Meer erreichen. Die Flüsse eines Russell oder Aristoteles erreichen nie das Meer; sie sind zu beständig, zu geradlinig. Und sie wissen nichts von der verborgenen Harmonie: dass man durch Gegensätze ein und dasselbe Ziel suchen kann. Das gleiche Ziel kann von entgegengesetzten Seiten angegangen werden. Diese Möglichkeit ist einem Russell gänzlich unbekannt. Aber es gibt sie dennoch. Aber das ist schwierig – du wirst laufend in Schwierigkeiten kommen. Die Leute erwarten Konsequenz von dir und die verborgene Harmonie hat nichts mit der Gesellschaft gemein. Sie gehört dem Kosmos an, aber nicht der Gesellschaft. Die Gesellschaft ist Menschenwerk und die Gesellschaft hat ihr ganzes System so entwickelt, als wäre alles statisch. Die Gesellschaft hat Moralsysteme, Verhaltensmuster entwickelt, so als ob alles ohne Bewegung wäre.

Aus diesem Grund setzen sich Moralsysteme fort, über ganze Jahrhunderte hin. Alles ändert sich, nur die toten Regeln gelten weiter. Alles ändert sich unentwegt und die sogenannten Moralisten predigen unentwegt die gleichen Dinge weiter, vollkommen irrelevante Dinge, die nur mit der Vergangenheit übereinstimmen, mit nichts sonst. Absolut irrelevante Dinge leben weiter …

Zum Beispiel: In den Zeiten Mohammeds gab es in den arabischen Ländern viermal so viel Frauen wie Männer, weil die Araber Krieger waren und einander ununterbrochen bekämpften und töteten – Mörder. Und Frauen waren zu keiner Zeit so töricht wie Männer und also überlebten sie vierfach. Was also tun? Wenn es in der gesamten Gesellschaft viermal so viele Frauen gibt wie Männer, dann könnt ihr euch vorstellen, dass viele Probleme auftauchen. Also schuf Mohammed die Regel, dass jeder Moslem vier Frauen heiraten konnte … und sie halten sich noch heute an diese Regel!

Heute ist eine hässliche Angelegenheit daraus geworden, aber sie sagen, das stimme mit dem Koran überein. Die ganze Situation hat sich heute geändert, vollkommen geändert – es gibt heute nicht viermal so viele Frauen – aber sie folgen der Regel. Und was einmal ein schönes, verantwortungsvolles Eingehen auf eine ganz bestimmte historische Situation war, ist heute hässlich, absolut hässlich. Aber sie halten sich daran, denn die Moslems sind sehr beständige Menschen. Sie können sich nicht ändern; und Mohammed können sie nicht noch einmal fragen, er ist nicht mehr da. Und Moslems sind sehr listig: Sie haben die Tür für jeden weiteren Propheten geschlossen. Sonst könnte ja einer kommen und etwas tun, etwas verändern. Also ist Mohammed der Letzte – die Tür wäre selbst dann verschlossen, wenn Mohammed selber wiederkäme. Er kann nicht kommen, weil sie die Tür verschlossen haben. So ist es immer und überall.

Moralisten verschließen die Tür, weil jeder neue Prophet jedes Mal Unruhe stiftet, weil ein neuer Prophet nicht mit den alten Regeln übereinstimmen kann. Er lebt im Augenblick. Er hat seine eigene Disziplin – übereinstimmend mit der jetzigen Realität. Ohne Garantie, dass seine Disziplin auch mit der Vergangenheit übereinstimmt! Es gibt keine Garantie, es kann keine geben. Also macht jede moralische Tradition die Tür zu.

Die Jainas haben ihre Tür zugemacht: Sie sagen, dass Mahavir der Letzte ist, dass jetzt keine Teerthankaras mehr kommen. Die Moslems sagen, Mohammed ist der letzte Prophet. Die Christen sagen, Jesus ist der einzige Sohn Gottes, es kann keine weiteren Söhne Gottes geben – überall verschlossene Türen. Warum verschließen die Moralisten immer die Türen? Einfach als Sicherheitsmaßnahme; denn wenn ein Prophet kommt, ein Mensch, der nur von Augenblick zu Augenblick lebt, dann stellt er plötzlich alles auf den Kopf, er schafft ein Durcheinander, ein Chaos.

Jeder hat sich irgendwie eingerichtet: Eine Kirche, eine öffentliche Moral, eine gesellschaftliche Etikette, alles steht fest – und ihr haltet euch an die Regeln. Ihr stellt euch eine offensichtliche Harmonie an der Oberfläche her. Dann kommt plötzlich wieder ein Prophet und schafft alles neu, bringt das ganze Gefüge durcheinander; er fängt an, alles von Grund auf zu erneuern.

Ein Moralist ist ein Mensch der Oberfläche. Er ist für die Regeln da, nicht umgekehrt. Er ist für die Schriften da, nicht die Schriften für ihn. Er folgt den Regeln, aber er folgt nicht seiner eigenen Wahrnehmung. Wenn du der Wahrnehmung folgst, der reinen, unbeteiligten Wahrnehmung, wirst du zur verborgenen Harmonie vordringen. Dann störst du dich an keiner Gegensätzlichkeit, sondern du nutzt sie. Und wenn du die Gegensätzlichkeit nutzen kannst, hältst du einen geheimen Schlüssel in der Hand: Dann kannst du deine Liebe durch Hass vertiefen.

Hass ist nicht der Feind der Liebe. Er ist genau das Salz, das die Liebe erst schön macht – er ist ihr Hintergrund. Genauso kannst du dein Mitgefühl durch Zorn intensivieren; dann ist Zorn nicht bloß das Gegenteil. Und das ist es, was Jesus meint, wenn er sagt: „Liebe deine Feinde!“ Das ist die Bedeutung: „Liebe deine Feinde, denn Feinde sind keine Feinde – sie sind Freunde, sie helfen dir.“ In verborgener Harmonie gehen sie zusammen und werden eins. Wut ist dein Feind? Bediene dich ihrer, mach sie zum Freund! Hass ist dein Feind? Bediene dich seiner, mach ihn zum Freund! Erlaube deiner Liebe durch den Hass tiefer zu werden, mache ihn zum fruchtbaren Boden – und er wird zum fruchtbaren Boden. Das ist die verborgene Harmonie des Heraklit: Liebe den Feind, nutze das Gegenteil. Das Gegenteil ist nicht das Gegenteil – es ist lediglich der Hintergrund, der Kontrast.

Die verborgene Harmonie

Ist besser

Als die offensichtliche.

Heraklit ist unübertroffen.

Die verborgene Harmonie

Ist besser

Als die offensichtliche.

Aus Zwietracht entsteht Eintracht,

Aus Missklang

Entsteht die höchste Harmonie.

Erst durch den dauernden Wechsel

Kommen die Dinge zur Ruhe.

Die Menschen sehen nicht, dass alles,

Was sich widerspricht,

Dadurch mit sich in Einklang kommt.

Es liegt Harmonie im Widerstreit,

Das zeigen Bogen und Leier.

Der Name des Bogens ist Leben,

Aber sein Werk ist Tod.

Natürlich, dem Rationalisten kommt er verwirrend vor – obskur, dunkel. Aber ist er das? Er ist kristallklar, wenn ihr nur sehen könnt, er ist so leuchtend hell! Aber wenn man vom rationalen Verstand abhängt, wird das schwierig, denn Heraklit sagt, dass aus Disharmonie die höchste Harmonie entsteht. Gegensatz bringt Einklang: Liebe deinen Feind.

Das Leben wäre völlig ohne Würze, wenn der Gegensatz einfach entfiele. Stellt euch nur eine Welt vor, in der es kein Böses gibt! Glaubt ihr, dass es dann das Gute gäbe? Stellt euch nur eine Welt ohne Sünder vor. Glaubt ihr, alle wären dann Heilige? Der Heilige kann nicht ohne den Sünder bestehen, der Heilige braucht den Sünder. Der Sünder kann nicht ohne den Heiligen sein – der Sünder braucht den Heiligen. Zwischen ihnen besteht eine Harmonie, eine verborgene Harmonie: Sie sind polar aufeinander bezogen. Und das Leben ist schön, weil es beides gibt. Gott kann ohne den Teufel nicht sein. Gott ist ewig, aber der Teufel auch.

Es kommen Leute und stellen mir Fragen. Sie sagen: „Warum ist es so eingerichtet? Wenn es Gott gibt, warum gibt es dann so viel Elend, Bosheit, Schlechtigkeit – warum?“ Darum, weil Gott ohne dies alles nicht existieren kann – es dient ihm als Kontrast. Für sich genommen, ohne den Teufel, wäre Gott einfach schal, nichts als schal – dann könntest du Gott vielleicht erbrechen, aber essen könntest du ihn nicht – er wäre einfach fade, zum Erbrechen.

Er kennt die verborgene Harmonie; er kann nicht ohne den Teufel sein; hasse also den Teufel nicht – nutze ihn. Wenn Gott ihn nutzt, warum nicht auch du? Wenn Gott nicht ohne ihn sein kann, wie könntest du ohne ihn sein? Ein wahrer Heiliger, ein Vollblut-Heiliger ist vom Schlage eines Gurdjieff.

Alan Watts schreibt über Gurdjieff: „Er ist der heiligste Schurke, den ich je gekannt habe!“ Und das stimmt wirklich: Gurdjieff ist ein Schurke, aber der heiligste, den es gibt. Gott selbst ist dieser heiligste Schurke. Wenn du den Teufel abschaffst, hast du zugleich Gott umgebracht. Das Spiel braucht beide als Mitspieler. Als Adam vom Teufel versucht wurde, war es Gott selbst, der ihn versuchte. Es war ein abgekartetes Spiel. Die Schlange steht in Gottes Diensten und der Teufel ebenso. Das bloße Wort Teufel ist schön. Es stammt aus der Sanskrit-Wurzel dev, was das Göttliche bedeutet. Divinus, göttlich, stammt aus derselben Wurzel wie der Teufel. Beide Worte kommen aus der gleichen Wurzel dev. Es ist tatsächlich so: Die Wurzel ist eins, nur die Äste haben sich gegabelt: Auf dem einen Ast sitzt der Teufel, auf dem anderen Ast sitzt das Göttliche – aber die Wurzel ist die Gleiche – dev.

Es muss also verabredet sein, sonst könnte das Spiel nicht weitergehen. Es muss eine tiefe Harmonie geben – das ist die geheime Abmachung. Auf der einen Seite sagt Gott zu Adam: „Du sollst nicht vom Baum der Erkenntnis essen.“ Nun geht die Verschwörung los, das Spiel geht los. Jetzt werden die ersten Spielregeln gegeben.

Dem Christentum sind viele tiefe Dinge entgangen, weil es versucht hat eine offensichtliche Harmonie herzustellen. Und zwanzig jahrhundertelang haben sich die christlichen Theologen den Kopf über den Teufel zerbrochen: Wie soll man ihn erklären? Dabei ist das gar nicht nötig. Die Sache ist ganz einfach. Heraklit weiß das. Es ist ganz einfach: Da gibt es nichts zu erklären. Aber die Christen haben sich darüber den Kopf zerbrochen – denn die bloße Existenz des Teufels bedeutet ja, dass Gott ihn erschaffen haben muss; wie könnte es ihn sonst geben?

Wenn es den Teufel gibt, muss Gott das zugelassen haben, wie kann es ihn sonst geben? Und wenn Gott ihn nicht zerstören kann, dann ist euer Gott ein machtloser Gott, dann könnt ihr ihn nicht allmächtig nennen. Und wenn Gott den Teufel erschuf ohne zu wissen, dass er sich als Teufel entpuppen würde, dann ist er nicht allwissend. Wie? Er erschuf den Teufel ohne zu ahnen, dass er eines Tages die ganze Welt durcheinanderbringen würde? Er erschuf Adam ohne zu wissen, dass er eines Tages die Frucht des Baumes essen würde? Und er hat es verboten! – Also ist er nicht allwissend. Wenn es den Teufel gibt, kann Gott auch nicht allgegenwärtig sein, denn wer ist dann im Teufel gegenwärtig? Dann kann Gott nicht überall sein. Jedenfalls ist er nicht im Herzen des Teufels. Und wenn er im Herz des Teufels ist, warum dann den armen Teufel verdammen?

Es gibt eine heimliche Abmachung – eine verborgene Harmonie. Gott hat Adam nur deshalb das Essen der Frucht verboten, um ihn zu versuchen. Damit beginnt die Versuchung, denn sobald es heißt „Tu das nicht“, kommt die Versuchung ins Spiel. Der Teufel tritt erst etwas später auf – die erste Versuchung geht von Gott selber aus. Im Garten Eden gab es schließlich Tausende von Bäumen und Adam hätte von sich aus wohl kaum den Baum der Erkenntnis herausgefunden; das ist kaum denkbar, kaum anzunehmen! Es ist uns bis heute noch nicht gelungen, alle Bäume dieser Erde zu finden; es gibt unbekannte Bäume, die noch nicht eingeordnet worden sind; manche Spezies muss erst noch entdeckt werden. Und was ist schon diese Erde? – der Garten Eden war Gottes Garten: Millionen und Abermillionen von Bäumen, unendlich. Sich selbst überlassen, allein, hätten Adam und Eva ihn niemals herausgefunden – aber Gott selbst versuchte sie. Hierauf bestehe ich: Die Versuchung kommt von Gott. Und der Teufel ist nur der zweite Spielpartner. Gott versuchte Adam: „Iss nicht davon!“ – und im selben Augenblick war der Baum bekannt und natürlich damit das Verlangen entfacht: „Warum hat Gott es wohl verboten? Etwas muss ja dran sein. Gott selbst darf davon essen. Er selbst tut es also und nur uns ist es nicht gestattet.“ Der Verstand hat angefangen zu arbeiten, das Spiel beginnt. Dann, lediglich als Mitspieler in der Verschwörung, tritt die Schlange auf und sagt: „Iss – denn wenn du davon isst, wirst du sein wie Gott.“ Und das ist das tiefste Verlangen des Menschen: zu sein wie Gott.

Der Teufel bediente sich dieses Tricks, weil er in die Verschwörung eingeweiht war. Er hat sich Adam nicht unmittelbar genähert, er nähert sich durch Eva – denn wenn man den Mann versuchen will, geht das nur über die Frau. Sonst, auf direktem Wege, funktioniert keine Versuchung. Jede Versuchung kommt durch den Sex – jede Versuchung kommt durch die Frau. Die Frau ist für den Teufel wichtiger, damit das Spiel läuft – denn es ist unmöglich, der Frau, die dich liebt, etwas zu versagen. Dem Teufel kann ein Mann widerstehen, aber der Frau …? Und der Teufel kommt in Gestalt der Schlange. Das ist nichts anderes als ein phallisches Symbol, ein Symbol für das Geschlechtsorgan, denn nichts eignet sich so gut wie die Schlange, um das männliche Geschlechtsorgan darzustellen – sie gleichen sich völlig. Der Teufel nähert sich durch die Frau, denn wie kann man einer Frau etwas abschlagen?

Mulla Nasrudin tat alles, um seine Frau zur Asthma-Kur in die Berge zu schicken. Aber seine Frau war nicht dazu bereit; sie weigerte sich. Sie sagte: „Ich fürchte, dass mir die Bergluft nicht zusagen wird.“ Mulla Nasrudin sagte: „Aber meine Liebe, mach dir doch keine Gedanken! Es gibt keine Bergluft, die so unverschämt wäre dir abzusagen. Mach dir keine Gedanken.“

Es ist unmöglich, der Frau, die du liebst, etwas zu versagen. Daher hat der Teufel ein leichtes Spiel mit jeder Frau. Adam wurde also indirekt versucht; er aß den Apfel vom Baum der Erkenntnis – und dafür wurde er aus dem Garten Eden verbannt… und das Spiel geht heute noch weiter. Darin steckt eine tief verborgene Harmonie. Gott kann nicht allein arbeiten. Ebenso wie Elektrizität nicht mit dem Pluspol allein funktionieren kann, ohne den Minuspol. Das wäre so, als würde Gott nur mit dem Mann arbeiten, ohne die Frau. Nein, das hatte er schon vorher ausprobiert – aber das war ein Fehlschlag. Erst erschuf er Adam, aber das war nichts, denn mit Adam allein konnte das Spiel nicht losgehen, es passierte nichts. Dann schuf er die Frau.

Und die erste Frau, die er schuf, war nicht Eva. Die erste Frau war Lilith – aber sie muss eine Anhängerin der Frauenbewegung gewesen sein. Sie machte Schwierigkeiten, weil sie behauptete: „Ich bin genauso unabhängig wie du.“ Und am ersten Abend, als sie zu Bett gehen wollten, ging der Krach los, sie hatten nämlich nur ein Lager, ein Bett. Wer also sollte auf dem Bett schlafen und wer auf dem Boden? Lilith sagte einfach: „Kommt nicht infrage! Du schläfst auf dem Fußboden.“ So argumentiert auch die Frauenbewegung. Adam hörte nicht darauf und Lilith verschwand. Lilith ging zu Gott und sagte: „Dieses Spiel spiele ich nicht mit.“ Genauso verschwindet jetzt im Westen die Frau –Lilith macht nicht mehr mit – und all ihre Schönheit und Anmut und alles Übrige ist dahin. Und das ganze Spiel steht auf dem Spiel, denn es gibt Frauen, die fordern: „Liebt keinen Mann!“

Ich las kürzlich eine Kampfschrift. Sie fordern: „Bringt den Mann um! Legt jeden Mann um! Denn solange der Mann lebt, kann es keine Freiheit für die Frau geben!“ Aber wenn ihr den Mann umbringt, kann es euch dann noch geben? Das Spiel braucht zwei Mitspieler.

Lilith trat von der Bühne ab, und so konnte das Spiel nicht weitergehen. Also musste Gott die jetzige Frau erschaffen. Diesmal versuchte er es mit einem Knochen des Mannes selbst, denn eine Frau separat zu erschaffen, hätte nur wieder zu Schwierigkeiten geführt. Also nahm er Adam eine Rippe weg und erschuf damit die Frau.

Und so gibt es eine Polarität, die dennoch eine Einheit bildet. Sie sind zwei und doch gehören sie zum gleichen Körper. Der Sinn ist dieser: Sie sind zwei, sie sind entgegengesetzt und doch gehören sie dem gleichen Körper an, tief drinnen entspringen sie der gleichen Wurzel. Tief drinnen sind sie ein Körper. Darum verschmelzen sie zu einem Körper, wenn sie einander in tiefer, liebender Umarmung begegnen. Sie gehen zurück in den Zustand des Adam, als er allein war, sie werden eins, begegnen sich und verschmelzen. Der Gegensatz ist da, damit das Spiel läuft; tief drinnen aber ist trotzdem Einheit. Beides ist notwendig, damit das Spiel weitergehen kann: Gegensatz – und dennoch Einheit. Wenn die Harmonie absolut wird, ist das Spiel aus – wer soll dann noch mit wem spielen? Und wenn die Entzweiung absolut ist, der Gegensatz unversöhnlich ist, wenn keine Harmonie mehr möglich ist, dann ist das Spiel ebenfalls aus. Harmonie in der Zwietracht, Einheit im Gegensatz: Das ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen.

Erst durch den dauernden Wechsel

Kommen die Dinge zur Ruhe.

Die Menschen sehen nicht, dass alles,

Was sich widerspricht,

dadurch mit sich in Einklang kommt.

Der Teufel stimmt mit Gott überein, Gott stimmt mit dem Teufel überein – das ist der Grund, warum der Teufel existiert.

Es liegt Harmonie im Widerstreit,

Das zeigen Bogen und Leier.

Ein Musiker spielt mit dem Bogen auf der Leier. Der Gegensatz besteht nur auf der Oberfläche. Auf der Oberfläche ist es Reibung und Widerstand, ein Kampf, ein Streit, eine Spannung. Aber daraus entsteht schöne Musik.

Aus Zwietracht entsteht Eintracht…

Gegenteile ergänzen sich…

Aus Missklang

Entsteht die höchste Harmonie

und:

Der Name des Bogens ist Leben,

Aber sein Werk ist Tod.

Der Tod kann also nicht wirklich Gegensatz sein, er ist die Leier. Denn wenn der Name des Bogens Leben ist, dann muss der Name der Leier Tod sein. Und zwischen diesen beiden entsteht die höchste Harmonie des Lebens.

Du stehst genau in der Mitte zwischen Tod und Leben, aber du bist keins von beiden. Klammere dich also nicht ans Leben und fürchte dich nicht vor dem Tod. Du bist die Musik zwischen dem Bogen und der Leier. Du bist der Zusammenprall und das Zusammenkommen und das Verschmelzen und das Höchste, was daraus entstehen kann.

Wähle nicht!

Wenn du wählst, gehst du fehl. Wenn du wählst, wirst du dich an eine Seite binden, mit einer Seite identifizieren. Lass das Leben den Bogen sein, lass den Tod die Leier sein, und sei du die Harmonie zwischen den beiden, die verborgene Harmonie.

Die Verborgene Harmonie

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