Читать книгу Die Verborgene Harmonie - Бхагаван Шри Раджниш (Ошо), Osho, Osho . - Страница 7

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Oshos Heraklit-Buch beginnt mit dem berühmtesten Heraklit-Fragment:

„Die verborgene Harmonie

ist mächtiger

als die offensichtliche…

Die Menschen sehen nicht,

dass alles, was sich widerspricht,

dadurch mit sich in Einklang kommt.“

Diese Worte sind auch Schlüsselsätze meines eigenen Denkens. Der erste, vorstehend wiedergegebene Heraklit-Satz ist eingespannt in den Kontrast zwischen den Adjektiva „verborgen“ und „offensichtlich“. Wir kennen alle die offensichtliche Harmonie: den fröhlichen Zusammenklang zwischen Menschen – das harmlose, „harmonische“ Zusammenklingen der Töne in Tagesschlagern oder Meditationsmusik – die Übereinstimmung zwischen dir und mir, die schon morgen durch Hass ersetzt werden kann. Heraklit meint, diese „offensichtliche“ Harmonie ist zwar gut und mächtig, aber es gibt eine andere Harmonie, die noch viel besser und mächtiger ist, das ist die „verborgene“.

Was könnte mit „verborgene Harmonie“ gemeint sein? Ich glaube, es ist gut, sich Heraklit im griechischen Original anzuschauen. Der vollständige Spruch umfasst nur vier Worte – halb so viel wie die deutsche Übersetzung:

Armonia aphanes phaneres kreisson.

Wahrhaftig ein Satz, an dessen gedanklicher und schriftstellerischer Prägnanz sich Generationen von Philologen die Zähne ausgebissen haben. Man spürt, dass der Satz auf das Wort kreisson zuläuft. Ich schlage in meinem Schul-Lexikon nach, das schon meinem Vater in seiner Kindheit gedient hat, und finde dort, dass es eine ganze Skala von Bedeutungen besitzt: stärker, mächtiger, gewaltiger, vorzüglicher, kräftiger, nützlicher, besser, glücklicher, überlegen, obsiegen, Sieger, Herrscher. All das schwingt mit, wenn Heraklit die öffentliche, für jedermann sichtbare, leuchtende, wohlklingende Harmonie für weniger mächtig hält als die unsichtbare, verborgene, nicht auf Anhieb erkennbare. Man könnte völlig richtig übersetzen: „Die verborgene Harmonie ist Sieger über die sichtbare“ – und hätte damit einen Spruch vom Zuschnitt Laotses.

Die beiden Worte, die im griechischen Original aufeinanderprallen wie Rammböcke, sind – das wird im Griechischen noch deutlicher als im Deutschen – Sehworte: aphanes und phaneres. Ihre gemeinsame Wurzel steckt in dem Wort phanos – die Fackel, die Leuchte. Unser Wort Fantasie ist damit verwandt; im Griechischen bedeutet es Erscheinung, Vorzeichen, Wunder, Traumbild, Gespenst. Also: Harmonie kann leuchtend sein. Wie eine Fackel. Aber dann ist sie lediglich eine Erscheinung, ein Traumbild, ein Gespenst. Mächtiger und besser als diese Art von Harmonie ist diejenige, die nicht leuchtet und die niemand sehen kann, weil sie verborgen ist. Sie ist – das macht der Komparativ kreisson deutlich – noch gewaltiger, mächtiger, trefflicher, nützlicher als die sichtbar vor aller Augen liegende „öffentliche“ Harmonie.

Das Wort armonia war auch bei den Griechen schon ein musikalisches Wort. Harmonie erklingt, wird gehört. Die mächtigere Harmonie – diejenige, die wir nicht sehen können, als sei sie eine Fackel – können wir allein durch unsere Ohren wahrnehmen. Auf diese Weise steckt gleich auch noch drin in dem Heraklit-Wort: Was wir hören können, geht tiefer, ist mächtiger, vorzüglicher, nützlicher, besser, glücklicher als das, was wir sehen können.

Dass hier nichts hineininterpretiert wird, macht der zweite Heraklit-Spruch vollends deutlich: „Die Menschen sehen nicht, dass alles, was sich widerspricht, dadurch mit sich in Einklang kommt.“ Das zu betonende Wort ist „dadurch“.

Heraklit will sagen: Die Dinge kommen eben dadurch in Einklang – in Harmonie! –, dass sie einander widersprechen. Sie sind also nicht in wahrer Harmonie, wenn ihr Einklang offensichtlich ist, wenn er nur dem Auge einsehbar und lediglich erscheinend ist. Osho – und übrigens auch Heidegger – betonen, dass diese Aussage des Heraklit das moderne Wissenschaftsdenken zutiefst angeht – und aus den Angeln hebt. Osho schreibt: „A ist A und kann niemals B sein. Dieses Prinzip des Aristoteles wurde zum Grundstein des gesamten westlichen Denkens… Liebe ist Liebe, Hass ist Hass; und Liebe kann niemals Hass sein. Das ist töricht, denn alle Liebe schließt Hass ein

– sie muss ihn einschließen; das ist naturgegeben.“

Deshalb ist die eindimensionale, logische Aussage von vornherein verkehrt. Sie ist nicht eine Aussage des Lebens. Und eine lebendige Aussage ist von vornherein unlogisch, weil sich das Leben in Paradoxien äußert. Paradoxien widersprechen sich. Was sich widerspricht, so sagen Heraklit und Osho, kommt eben dadurch – also durch die Paradoxie, nicht durch die Logik! – mit sich selbst in Harmonie. Genau diese Tatsache hat das so erfolgreiche und dennoch– oder eben deshalb – so flache abendländische Wissenschaftsdenken über-„sehen“. Indem es immer nur vorwiegend sah – die Fackel, das Leuchtende – übersah es. Und zwar übersah es den verborgenen Einklang, die nicht offensichtliche Harmonie. Deshalb auch von Osho – genau wie von Heraklit – die Höranweisung: „Höre! Aber indem du hörst, vergiss den Hörer. Werde ganz und gar hörend. Nur Ohren und Ohren und Ohren. Als verwandelte sich dein ganzer Körper in Ohren. Du wirst zwei riesengroße Ohren – und sonst nichts. Deine Augen hören, deine Hände hören. Deine Füße hören. Jede Zelle deines Wesens soll hören.“

Osho macht das sehr schön am Beispiel des Lichtes deutlich. In allen Religionen heißt es „Gott ist Licht!“ Im Koran, in den Upanishaden, in der Bibel – überall. Wer ist dann aber das Dunkle? Die Nacht? In diesem Punkt, sagt Osho, ist Heraklit tiefer als Jesus, Mohammed, Zarathustra und so viele andere: „Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Überfluss und Mangel.“ Der Akzent liegt nicht auf den großen Worten – Tag, Nacht etc., nicht einmal auf dem allergrößten – Gott, sondern auf dem kleinsten – auf „und“. Osho: „Nie zuvor und nie danach sind so schöne Worte ausgesprochen worden.“ Man kann richtig spüren, wie sehr Osho diesen Heraklit-Satz liebt. Überhaupt, ständig spürt man Liebe auf diesen Seiten! Nicht wahr: Zur offensichtlichen Harmonie gehört die Vorstellung, dass Gott Licht ist. Der leuchtende, strahlende Gott! Dunkel und Licht, Tag und Nacht widersprechen einander. Ebenfalls Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Überfluss und Mangel, Liebe und Hass, Glück und Leid.

Aber: Erst durch diesen Widerspruch kommen die Dinge zur Harmonie. Erst wenn Gott beides ist, haben wir das Ganze. Wenn er das nicht ist, entsteht sofort die Frage: Wer ist dunkel? Wer ist Nacht, Krieg, Schmerz, Leid, Unglück? Die meisten Religionen brauchen deshalb den Teufel. Die Mönche des Mittelalters waren besessen von ihm. Je mehr sie über Gott nachdachten, desto größer wurde der Raum, der – so erschien es ihrem Verstand – unmöglich Gottes sein konnte. Dieser Raum wurde dem Teufel zugewiesen. Jesus wurde von ihm versucht. Augustinus beschwörte ihn. Die Hexenverfolger projizierten ihn auf die Frauen und verbrannten sie. Luther warf sein Tintenfass nach ihm. Noch heute kann man den Tintenfleck an der Wand sehen; generationenlang wurde er pflichtschuldigst erneuert, wenn er verblichen war. Etablierte Religionen brauchen den Teufel. Man sieht das heute an den Sektenfachleuten der Kirchen. Sie leben vom Teufel. Der verschafft ihnen ihren Unterhalt. Nicht Jesus Christus.

Heraklit – aber auch Osho – und natürlich Buddha und Laotse – wollen die Fülle des Seins. Nichts wird irgendwohin abgedrängt und dem Teufel überlassen. Alles ist Gottes: Liebe und Hass, Dunkel und Licht. Teufel ist nur ein anderes Wort für Gott. Die Sprache weiß das. Das Wort „Teufel“ geht auf die gleiche Wurzel wie Sanskrit deva, lateinisch deus und französisch dieu zurück. Die Helle des Lichtes also kommt aus der gleichen Quelle wie die Hölle der Dunkelheit. Das Ganze, das Eine ist die verborgene Harmonie, die allein unseren Ohren wahrnehmbare. Deshalb meinen die Upanishaden und so viele große spirituelle Weise und Bücher: „Das Ohr ist der Weg!“ Der Weg, um die verborgene Harmonie zu hören. Um Gott zu hören. Denn die verborgene Harmonie – das ist Gott.

Bei den Sufis, in den Upanishaden, den Zen-Weisen – überall spielt er eine ganz große Rolle. Heraklit nennt diesen „letzten Urgrund“ den Logos, ein Zentralwort des griechischen Denkens. Allein hörend – so meint er – kann er erkannt werden: „Wer den Logos nicht hört, der höre auf mich: Der Weise sieht ein, dass alle Dinge eins sind.“ Will sagen: Wenn ihr es schon selber nicht hören könnt, dann hört doch wenigstens auf mich: Alles ist eins. Genau das sagt auch Osho an.

Die Verborgene Harmonie

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