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Die Bedeutung der mittelalterlichen Jagdliteratur

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Die Schatzkammer europäischer Kultur erfuhr während des Mittelalters eine wesentliche Bereicherung. Sie bestand in einer Fülle von Jagdliteratur, die sich nicht allein auf die erzählende Wiedergabe von Jagderlebnissen beschränkte, namentlich auf verschiedene abenteuerliche Jagddarstellungen, die – dem Zeitgeist entsprechend – wesentlich den Ruhm des jeweiligen Verfassers verkünden sollte.

Das Mittelalter hinterließ uns vor allem eine Vielzahl an jagdlichen Sachbüchern, deren fachliche Kompetenz dazu führte, dass etliche dieser Bücher bis in unsere Gegenwart neu aufgelegt wurden. Nach der Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg, Sohn des Mainzer Patriziers Friele Gensfleisch zur Laden, genannt nach seinem Haus „Zum Gutenberg“, erfolgte eine schnellere, vor allem aber eine erheblich umfangreichere Verbreitung dieser Jagdliteratur, und zwar besonders im europäischen Raum.

Das erste gedruckte Jagdbuch erschien 1531. Mechanisch vervielfältigte Bücher gab es aber schon vor der Erfindung Gutenbergs, seit etwa 1450. Völlig neu war jedoch der Gedanke Gutenbergs, die einzufärbende Druckform aus beweglichen Metalltypen zusammenzusetzen, die sodann, in beliebiger Anzahl und in vollkommen gleicher Gestalt, unter Zuhilfenahme von Stempel, Matrize und Gießinstrument, gefertigt wurden. Die Verbindung dieses metalltechnischen Verfahrens mit der Praxis des Farbdruckes war die eigentliche Erfindung Gutenbergs.

Vom Fachbuch, dem eigentlichen „Qualitätssprung“ in der Jagdliteratur abgesehen, bieten die bis dato vorhandenen Quellen keinerlei dezidierten Hinweis auf eine vergleichbare Fülle vormittelalterlicher Literatur zum Thema Jagd.

Die umfangreiche, der Herrschaftsstruktur des Mittelalters entsprechende Jagdliteratur im 12. und 13. Jahrhundert in nahezu allen europäischen Staaten ist ein Spiegel der Jagdleidenschaft des mittelalterlichen Menschen. Die Herrschenden begnügten sich nicht mit der Schilderung ihrer erfolgreichen Jagdmethoden samt Streckenberichten; vielmehr wurde das Jagdrecht in fast allen europäischen Ländern systematisiert und in Urkunden, Kapitularien und Jagdregalien kodifiziert. Den ältesten bisher bekannt gewordenen Versuch, die Jagd auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung darzustellen, finden wir in den „Unterweisungen des Kiewer Fürsten Wladimir Monomach an seine Kinder“. In diesen Unterweisungen werden die Jagd und ihre Erfolge den Erfolgen auf dem Schlachtfeld gleichgesetzt und deren sittliche Ideale besonders gewürdigt. Die Schrift stammt aus dem 12. Jahrhundert.

Zu den ältesten jagdhistorischen Urkunden Europas zählt auch die französische Handschrift „La chasse du cerf“ aus dem Jahre 1275. Sie wurde als Lehrgedicht ohne Illustrationen verfasst und befindet sich im Besitze der Nationalbibliothek in Paris. Ihr Text wurde von den späteren Lehrbüchern übernommen.

1338 erschien eine erste Zusammenfassung der damals gebräuchlichen Jagdmethoden und Gewohnheiten; sie trägt den Titel „Le livre du Roy Modus“; die Handschrift befindet sich in der Nationalbibliothek zu Lüttich. Zu den vielen, in den folgenden Jahrhunderten publizierten Jagdlehrbüchern zählen die Handschrift des Gaston Phoebus (der sich selbst Fébus nannte), das „Geheime Jagdbuch“ sowie der in Prosa verfasste „Weißkunig“ (erschienen 1515) aus der Feder Maximilians I.; sie gelten als die jagdliterarisch bedeutendsten Werke des Mittelalters.

Gaston III., Graf von Foix und Vizegraf von Béarn, wurde seinerzeit als der größte und versierteste Jäger Europas angesehen. Er lebte von 1331–1391 und residierte im Schloss Orthez nahe den Pyrenäen. Über 600 Jagdpferde und 1.600 Windhunde, beides für die Hetzjagd vorgesehen, standen ihm zur Verfügung. Er war in den Jahren 1357/1358 Gast bei den Ordensrittern auf der Marienburg und widmete sich dort der Jagd auf Wolf, Wisent und Elch. Man gab ihm den Beinamen „Phoebus“ – der Strahlende. Nach der Überlieferung wurde ihm diese Bezeichnung infolge seiner kraftvollen Erscheinung und wegen seines blonden, lockigen Haares zuteil.

Seiner überaus reichen Jagderfahrung entsprechend war er einer der Ersten, der ein Jagdlehrbuch verfasste. 1370 erschien es unter dem Titel „Le livre de la chasse“. Das Buch beschreibt alle der damals gebräuchlichen Jagdmethoden und ist Philipp dem Kühnen von Burgund gewidmet. Es wurde eines der beliebtesten Jagdbücher des Mittelalters, erschien unter dem Namen des Verfassers Gaston Phoebus, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und war eines der am meisten verbreiteten Jagdfachbücher seiner Zeit.

Bis heute sind insgesamt 40 Abschriften bekannt geworden. Die wertvollste beinhaltet 27 Miniaturen auf Pergament und ist vorwiegend der Jagd auf Rotwild gewidmet; sie gilt als eine der kostbarsten in der Pariser Nationalbibliothek. Als „Buch der Jagd“ ist es zuletzt in einer Neuauflage 1978 erschienen und als Lizenzausgabe auch in deutscher Sprache erhältlich. Gaston Phoebus starb im Übrigen 1391 nach einer Bärenjagd bei einem Jagdgelage in der Provinz Navarra.

Maximilian I., der „letzte Ritter“ und große Jäger, regierte als deutscher Kaiser von 1493 bis zu seinem Tode im Jahre 1519. Vielseitig gebildet, von hehrem Geist und hoher Intelligenz einerseits, gleichzeitig aber auch ein Mann der Tat, stand er als kongenialer Kopf im Brennpunkt zwischen ausgehendem Mittelalter und beginnender Neuzeit. Er beherrschte sowohl die ritterlichen Künste und Fertigkeiten nach burgundischem Vorbild, favorisierte aber auch die Ausbildung von Landsknechten und das Geschützwesen. Seine große Leidenschaft für die Jagd fand ihren Niederschlag in den beiden vorgenannten Werken, in denen er nicht nur seine abenteuerlichen Jagdergebnisse schilderte, sondern sich auch als Meisterschütze mit der Armbrust zu erkennen gab; von 104 abstreichenden Wildenten brachte er Hundert mit der Armbrust zur Strecke. Als besonders leidenschaftlicher Gebirgsjäger erließ er zunächst für das Alpenwild, später auch für den damals in Mitteleuropa noch heimischen Steinbock, streng gehandhabte Schonzeiten; in weiterer Folge wurden auch für das Flugwild, wie Reiher, Enten und Feldhühner, Schonzeiten eingeführt. Intensive Hege und die Einhaltung der dekretierten Schonzeiten wurden von besonders dazu eingesetzten Beamten überwacht.

Das reich illustrierte Werk La Vénerie von Jacques Du Fouilloux, 1561 erstmals publiziert, dokumentiert unter anderem, mit welcher Leidenschaft die geistige Oberschicht weltlichen und geistlichen Standes dem Jagdvergnügen nachging.

Mit der Illustration seiner Bücher beauftragte er die bedeutendsten Künstler seiner Zeit, wie Hans Burgkmair d. Ä., Jörg Köderer und Lucas Cranach d. Ä. 1561 erschien das Jagdbuch des François Jacques Du Fouilloux mit dem Titel „La Véneri“. Es liegt in insgesamt 29 verschiedenen Ausgaben in französischer Sprache und drei Ausgaben in deutscher Sprache vor und gilt als eines der besten Jagdfachbücher des 16. Jahrhunderts und darüber hinaus. Fouilloux beschreibt, so wie sein Vorbild Gaston Phoebus, die in Frankreich praktizierten Jagdmethoden seiner Zeit auf das Genaueste.

Auch der französische König Karl IX. zählt zu den bekannten Jagdliteraten des 16. Jahrhunderts. Sein Buch über die Rotwildjagd mit dem Titel „La chasse royale“, erschien 1625. Das Buch handelt nicht nur über die Jagd im engeren Sinne, sondern auch – sehr detailliert – von den damals gebräuchlichen Jagdsignalen auf dem Hifthorn und dem kleinen Einschleifenhorn, das als Vorgänger des „Fürst-Pless-Horn“ angesehen wird. Karl IX. kritisiert das Jagdhornblasen seiner Zeit mit der Feststellung: „Heutzutage gibt es wenig Menschen, die gut auf dem Jagdhorn zu blasen verstehen, wie dies die Vorfahren taten.“35 Hierzu ist zu sagen, dass das Jagdhornblasen damals nicht nach geschriebenen Noten erfolgte. Der Rhythmus des einzelnen Signals wurde durch lange und kurze Rechtecke mit Bildern, die jeweils die entsprechende Jagdszene darstellten, vorgegeben. Die erste gleichartige Handschrift über die Jagdmusik erschien im Jahre 1394 in Südfrankreich unter dem Titel „Le Livre du trésor de vénerie“. Dieses von Hardouin de Fontaines-Guérin verfasste Buch, ein Loblied auf die hohe Kunst des Jagens, erwähnt insgesamt 14 damals gebräuchliche Jagdsignale für die Hochwildjagd, wie sie in den Wäldern von Maine-Anjou gebräuchlich waren; sie werden in Form der Bildschrift anschaulich vor Augen geführt.

Zu erwähnen ist noch das 1576 in England erschienene „Buch von der Jagd“ von George Tuberviller, eine Zusammenfassung seines Buches („Buch von der Falknerei“) mit der englischen Übersetzung des bereits angesprochenen Buches „La Vénerie“ von Jacques Du Fouilloux. Die deutschsprachige Ausgabe von „La Vénerie“ kam 1590 in Straßburg („New Jägerbuch: Jacoben von Fouilloux“) heraus, die 1972 als Faksimileausgabe publiziert wurde.

Ob die bisher unerreichte Fülle an Jagdliteratur im Mittelalter die Folge besonderer Kreativität, der Erfindung des Buchdrucks und der damit möglich gewordenen Vervielfältigungskapazität, eventuell der die Zeiten überdauernden Lagerungsmöglichkeiten und Archivierungen oder allen diesen Möglichkeiten zusammen zu verdanken ist, wird – von möglichen archäologischen Sensationsfunden abgesehen – voraussichtlich keine Klärung erfahren. Dies deshalb, weil die das Mittelalter prägende Jagdleidenschaft für sich als Begründung wohl nicht ausreicht, bedenkt man den Stellenwert, den die Jagd schon bei den Assyrern, Babyloniern oder Ägyptern hatte.

Der Beute auf der Spur

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