Читать книгу Ich bleib noch ein bissl - Otto Schenk - Страница 10

»What you love you have to share.« Hat mir Bernstein immer gesagt.

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Wenn mein Mitschüler Friedrich Gulda mit uns einen mehrstimmigen Summchor einstudiert hatte, wir während der Mathematikschularbeit diesen losließen und der arme Professor nicht einmal wusste, wer da summt, dann entstand eine magische Störaktion. Auch dann, wenn wir die Schrauben der Pulte gelöst hatten – damals hingen die Pulte aneinander und waren im Boden angeschraubt –, sich so zwei Bankschlangen von Pulten geisterhaft in Bewegung setzten und wir alle drin herumfuhren. Wir schimpften »Geh, nicht schieben!« oder »Hört’s doch auf!«, aber jeder schob natürlich mit, und der Professor, der arme Teufel, wusste nicht, was er machen sollte. Er war allerdings ein Böser und wir hatten einen Grund für unser Possenspiel.

Wenn mein Freund Gerhard Brenner in der ersten Reihe plötzlich laut aufschrie »Ich krieg a Kind!«, wusste der Lehrer nicht, woher der Schrei gekommen war. Auf die Frage »Wer war das jetzt?« sind wir wieder alle aufgestanden.

Im Festsaal der Stubenbastei stand ein altes Klavier. Der Saal war noch ganz ruinös, dort haben wir mit Gulda ganz unbeschreibliche Klaviersessions, würde man heute sagen, erlebt. Er hat uns teils blödelnd, teils faszinierend Beethoven und Chopin vorgespielt und wir haben unsere Begeisterung für ihn dort hautnah erleben können.

Ich spreche von einer Zeit, in der Sätze wie »Ich glaube nicht, dass wir den Krieg gewinnen können«, »Da hat der Führer absolut unrecht«, »Ich bin eher ein Judenfreund und mag keinen Antisemitismus«, »Ich habe den englischen Sender gehört« oder »Es gibt ein Gerücht, dass die Amerikaner stärker sind als wir«, alle diese Sätze, wenn man sie laut ausgesprochen hat und angezeigt wurde, todeswürdige Verbrechen waren. Man wurde wegen Wehrkraftzersetzung, Beleidigung des Führers und ähnlicher Vergehen zum Tode verurteilt. Es wurde einem in Wien der Kopf abgehackt oder, wenn man Glück hatte, wurde man als Soldat erschossen.

Zehntausende Soldaten sind wegen Feigheit vor dem Feind so zu Tode gekommen. In der gleichen Zeit ist in Amerika, so glaube ich, nur ein einziger Soldat wegen eines derartigen »Vergehens« erschossen worden.

Bei dieser Gesetzeslage ergab sich zum Beispiel folgende Schwierigkeit: Man ist mit einem Freund unterwegs, den man liebt. Nicht homoerotisch, das wäre auch KZ-würdig gewesen, aber kameradschaftlich, vielleicht sogar so kameradschaftlich, wie es sich die Nazis vorgestellt hatten. Und beide sind Gegner des Regimes. Der eine aus rassischer Untauglichkeit – er hat eine jüdische Großmutter, die man vielleicht schon verschleppt hat –, also ist es ihm unmöglich, ein Nazi zu sein. Der andere ist sogar aus Überzeugung gegen die Nazis – das ist ein sehr seltener Fall damals gewesen, weil es schwierig war, eine Überzeugung zu haben –, aber vielleicht hat er gern Mendelssohn gehört, die Barcarole von Offenbach oder es hat ihm irgendein Onkel gar eine Mahler-Symphonie auf dem Klavier vorgespielt. Ich kenne so einen Fall. Jedenfalls war er traurig, dass diese Musik verboten war, und die Gefahr bestand, schon als Verbrecher verurteilt zu werden, wenn man so eine Platte nur besaß. Vielleicht hat sich auch ein Thomas Mann in seinen Bücherschrank verirrt oder ein Kästner oder ein Tucholsky und er hat diese Bücher nicht der Verbrennung ausgeliefert.

Als räsonierender Fleischhauer »Bockerer« in dem gleichnamigen Stück

Diese zwei spazieren jeden Tag miteinander, blödeln, grüßen ihre Lehrer mit »Heil Hitler!«, haben Dienst bei der DJ, dem Deutschen Jungvolk. Wie sollen die auf politischem Gebiet zusammenfinden? Wie kommt es zu dem Geständnis, das einander ausliefert auf Tod und Leben? Es ist eine Blutsbrüderschaft, die da entstehen muss, eine heimliche. Man macht einen Witz, erzählt sich einen jüdischen Witz, bei dem ja die Juden nicht so gut wegkommen, findet jüdische Witze besser als die anderen Witze, das ist schon ein kleiner Schritt ins Unerlaubte.

Dann spielt man vielleicht einmal eine Mendelssohn-Platte. Beide sind musikbegeistert.

Sagt der eine: »Bitte, sag das nicht weiter, das ist eine verbotene Musik.«

»Aber schön!«

»Ja.«

»Und von einem Juden!«

»Naja, dann sind ja die Juden nicht gar so schlecht.«

»Nein, nicht alle sind so schlecht.«

»Aber die meisten.«

Schweigen.

»Die meisten«, noch einmal.

»Was willst du hören?«

»Ich will eigentlich hören, dass nicht die meisten Juden schlecht sind, sondern nur so schlecht, wie halt schlechte Leute sind, oder so viele, wie es halt schlechte Leute gibt, auch unter den Nazis.«

Schweigen.

»Hast du gehört?«

»Ja, ich habe gehört.«

»Bist du ein Nazi?«

»Natürlich, muss ich ja sein.«

»Aber wenn du nicht müsstest?«

Schweigen.

»Ich werde dir was sagen, jetzt kannst du mich anzeigen. Du weißt, dass ich dann vielleicht umgebracht werde. Ich bin kein Nazi.«

»Ich auch nicht.«

»Ich hasse die Nazis.«

»Ich auch.«

»Also dann, Heil Hitler.«

»Heil Hitler.«

Und Umarmung.

Das »Heil Hitler« war wirklich ironisch gemeint und die Freundschaft war jetzt eine Blutsbrüderschaft.

Ich bleib noch ein bissl

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