Читать книгу Ich bleib noch ein bissl - Otto Schenk - Страница 11
ОглавлениеWarum heiße ich Otto?
In meiner Kindheit war ich begeistert von der Erfindungskraft meines Vaters. Er hatte ein eigenes Vokabular für gewisse Dinge und wir haben das in unserer Familie als selbstverständlich übernommen. Knödel hießen bei ihm Gombotschellen. Erklären kann ich nicht, woher das kommt. Wir haben ihn auch nie gefragt, warum er sie so nennt. Er hätte auch jede Auskunft verweigert. Es war allerdings komisch, wenn ich in einem Gasthaus den Ober bat, ob ich noch einen Gombotschellen haben könnte, und ganz erstaunt war, dass der Ober nicht wusste, was ich meinte.
Das Klo hieß Käckl, ich glaube, ich habe es schon einmal erwähnt. Als mein italienischer Cousin bei uns einquartiert war – ich war sehr glücklich darüber, weil ich ihn sehr liebte und noch heute sehr liebe – und Giorgio eines Tages in einer Gesellschaft die Dame fragte: »Gnädige Frau, Sie können mir sagen bitte, wo das Käckl ist?«, war die Dame recht erstaunt und lächelte befremdet, als sich herausstellte, dass er die Toilette meinte.
Die große Seite hieß Kackone und die kleine Seite Lulonte, und heute noch sind diese zwei Begriffe en vogue, sogar bei meiner Frau, die sich sonst jeden fäkalischen Scherz verbittet.
Rast
Auf die Frage »Wie war die Kackone?« wird ganz sachlich die Stuhlsituation geschildert, die in unserem Alter eine große Rolle spielt. Sehr oft fällt der Satz vor dem Weggehen, wenn man es schon eilig hat: »Ich muss noch aufs Käckl, aber nur Lulonte, keine Kackone.« Das Ganze geschieht mit einer Selbstverständlichkeit, die bei unseren Zugehfrauen, wenn sie so einen Satz hören, seltsame Gesichter hervorruft.
Mein Vater hatte noch einen Ausdruck, der aber in keiner Weise beleidigend gemeint war. Er war den sogenannten kleinen Leuten ein geradezu höriger Kumpel. Wenn er aber seltsam huschende, aufräumende, fegende oder schleppende, bedienerinnenartige Wesen beschreiben sollte, sprach er von »frauenhaften Weibern«. Wir wussten genau, was er damit meinte, und hatten das Gefühl eines märchenhaften Flairs, mit dem er diese notwendigen Helferinnen fast verehrend bezeichnete.
Wenn etwas gar zu putzig und saccherinös inszeniert oder geplaudert war, nannte es mein Vater »Stabinettkackchen«. Dass das ein missratenes Kind des Kabinettstückchens ist, war wohl jedermann klar.
Mein Vater war kein Kämpfer. Er »hat’s sich gerichtet«, wie man sagt, und ist so in der Etappe geschwommen. Er ist im Ersten Weltkrieg nie zu einem Einsatz gekommen, saß im sicheren Triest und hatte Kollegen, die immer gesagt haben: »Mir forn«, was eigentlich eine Vermessenheit war.
Ich kann von mir behaupten, dass ich ohne den Ersten Weltkrieg nicht auf der Welt wäre, womit ich nicht sagen will, dass der Erste Weltkrieg notwendig war, um mich zu zeugen.
Mein Vater war als Oberleutnant in Triest tätig, und meine Mutter war Leiterin der Filiale Julius Meinl, ein Geschäft, das es heute noch gibt. Dort hat mein Vater sie kennen und lieben gelernt und ein Kind mit ihr gezeugt, unehelich: meine Schwester Bianka. Nach dem Zusammenbruch kam meine Mutter mit Bianka nach Graz, und es gab gewisse Schwierigkeiten, eine Italienerin, jetzt war meine Mutter ja Italienerin, zu heiraten. Das hat sich zwei Jahre hingezogen, und dann holte mein Vater meine Mutter nach Wien, wo sie als Katzlmacherin, so nannte man das, ein bisschen zynisch von der österreichischen Verwandtschaft aufgenommen wurde.
Mein Vater, ein glühender Liebhaber Italiens, stand aber fest zu ihr. Mein Onkel Jean kämpfte geradezu für ihre Gleichberechtigung, und schließlich knurrte meine alte Omama auch begeistert mit.
Meine Mutter hatte lebenslang einen leicht italienischen Klang in der Stimme, keinen Akzent, aber einen Schleier von Südländischem oder Slawischem. Sie hatte auch seltsame Formulierungen, zum Beispiel als ich operiert wurde an meinen Mandelwucherungen und an der Nasenscheidewand, sagte sie den von mir immer wieder bewunderten Satz: »Den Otti musste man jetzt operieren an der Nasenscheidewand, dann hat man ihm die Wucherungen herausgenommen und die Mandeln und es war alles für die Würste.« Ich weiß nicht, was sie damit meinte, wahrscheinlich: »Es war alles für die Katz.«
Meine Großmutter mütterlicherseits war Slowenin, und das war die Geheimsprache zwischen Mutter und Großmutter, die ich nicht verstanden habe. Ich hatte nur ein paar ordinäre Begriffe aus dem Slowenischen gelernt, die ich mich jetzt weigere wiederzugeben.
Kein Mensch weiß, warum ich Otto heiße. Ich hab’s nie erfahren. Meine Mutter mochte den Namen nicht, ich eigentlich auch nicht. Ich habe mich nie als Otto gefühlt. Aber meine anderen Namen Erich Eugen Maria waren auch keine richtige Alternative für mich. Meine Frau hat mich von Anfang an Hake genannt, und wir wissen nicht, wann das entstanden ist. Sie hat auch nicht »der Hake« zu mir gesagt, sondern »die Hake«. Ich nannte sie Mika. Eine kleine, hilflose Rache. Aber ich fühle mich als Hake sehr geborgen und es gibt keinen anderen Menschen, der mich so nennen darf.
Ich habe eine große Verehrung in mir für fremde Sprachen. Ich bin zum Beispiel ein hündischer Bewunderer von Englisch. Ich bin schon hingerissen, wenn ich nur Gebrauchsanweisungen lese und sehe, dass das Englische um ein Drittel kürzer ist als das Deutsche. Ich habe das amerikanische Englisch besonders gern, das manchmal sogar etwas verachtet wird, weil es so hingeworfen den Punkt trifft. Große amerikanische Romanciers schreiben wirklich so, wie man redet.
Ich bin auch der Ansicht, dass Gesprochenes und Geschriebenes eine Verwandtschaft eingehen sollten. Die italienischen Zeitungen sündigen gegen diesen Wunsch von mir. Man glaubt, sie predigen von irgendeiner verlogenen Kanzel herunter.
Ich spreche Italienisch fast wie Deutsch, weil ich es als zweite Muttersprache gesprochen habe, mit meiner Mutter, die ja Triestinerin war. Mein Vater bestand darauf, dass ich zu Hause immer Italienisch mit ihr und meiner Großmutter spreche. Allerdings entstand daraus ein infantiles Italienisch, das mir noch innewohnt, um es etwas geschwollen auszudrücken. Ich kann zum Beispiel kaum über Elektrizität oder über Autos reden und habe das Reden über Theater erst mühsam als zweite Sprache lernen müssen, weil man mit einer Mutter sehr wenig über Elektrizität, Autos oder über Theater redet. Und komischerweise ist mir das Lesen einer italienischen Zeitung unmöglich, obwohl ich, wenn ich Italienisch rede, auch Italienisch denke. An italienische Gebrauchsanweisungen habe ich mich noch nie herangewagt.
Ich habe eine große Sehnsucht nach der russischen Sprache. Leider ist mein Hirn nicht mehr fähig, eine neue Sprache zu erlernen, auch mein Fleiß ist nicht genug mobilisierbar und so beschränkten sich meine Sehnsucht und deren Befriedigung mehr auf eine Art Naschen und Imitieren des Russischen. Ich versuche, die fünf Sätze, die ich weiß und verstehe, wie ein echter Russe zu sprechen und hatte damit schon kleine Erfolge, schon als Bub. Ich konnte »Sakryt! – Es ist zu. Es ist geschlossen« sagen.
Als das russische Ensemble anlässlich eines Gastspiels in der Wiener Staatsoper probte, traf mich ein Chorist auf dem Gang und ich begrüßte ihn mit »Sdrastwuitje!« Er dankte und fragte, wo die Kantine sei. »Oh!«, stöhnte ich. Darauf wollte er ein langes Gespräch mit mir beginnen und fand mich furchtbar arrogant, weil ich keinen weiteren Satz als diese Worte konnte. Die hatte ich allerdings so ausgesprochen, als wenn ich ein perfekter Russe wäre. Beleidigt wandte er sich von mir ab, dem arroganten Verweigerer eines russischen Gespräches.
Meine Liebe zur russischen Sprache hat auch dazu geführt, dass ich in der Revue »Forever Young« meinen lieben Regisseur Franz Wittenbrink bat, die Gralserzählung aus Richard Wagners »Lohengrin« auf Russisch singen zu dürfen. Ich spielte einen Oberkellner, dessen Großvater, so wie ich behauptete, ein »russophiler Wagnerianer« war und die Gralserzählung auf Russisch der deutschen Version vorzog. Dem Publikum hat die russische Version sehr zugesagt.
Mein Vater hat zur Sicherheit im Krieg einen russischen Satz gelernt: »Ja jewrej – Ich bin Jude.« Nachdem der erste ruhige Durchzug der fast schüchternen, von uns bejubelten Befreier vorbeigezogen war, ergoss sich der zweite plündernde, vergewaltigende Tross über die arme Stadt. Und als einige Besoffene – ich erzähle das gern immer wieder – unsere Haustüre aufbrachen, wurde mein Vater, den die Mitläufer des Hitler-Regimes zum Hausvertrauensmann ernannt hatten, vorgeschoben, weil er nach den damaligen Gesetzen als Jude galt. Er sagte zu dem hereinpolternden Major oder Offizier oder was immer er war diesen einzigen Satz, den er konnte, »Ja jewrej«, bekam sofort mit dem Kolben eins über den Kopf gehaut und wurde weggestoßen. Da hat er sich umgedreht und, am Kopf leicht blutend, lächelnd zu uns nur gesagt: »Schon wieder ein Antisemit.«
Wir mussten über diese Geschichte, so ernst sie war, immer wieder lachen.
In einem vergessenen ungarischen Stück im Volkstheater
Ich konnte damals auch einen russischen Satz: »Entschuldigen Sie bitte, haben Sie vielleicht eine Zigarette?« Ich konnte ihn so gut aussprechen, dass ich meistens nicht nur zu einer Zigarette kam, sondern auch zu einem Glas Wodka eingeladen wurde. Ein Wasserglas – Wodka heißt ja Wässerchen auf Russisch – wurde vollgefüllt und ich musste es ex trinken, sonst hätte ich den Towarisch beleidigt. Ich war damals fünfzehn Jahre alt und noch nicht ganz so trinkfest, dass ich ungestraft einen Viertelliter Wodka ex vertragen hätte. Wie die Geschichte ausgegangen ist, weiß ich nicht mehr ganz genau.