Читать книгу Ich bleib noch ein bissl - Otto Schenk - Страница 15

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Kurz nach dem Krieg war der Lainzer Tiergarten ein von Wild geradezu gesäubertes Gebiet, denn es war ein Paradies für Wilderer in der fleischarmen Zeit. Mein Freund Gerhard Brenner und ich wollten unbedingt noch so ein selten gewordenes Wildschwein aufstöbern. Nicht um es zu schlachten oder zu schießen, sondern weil wir große Verehrer von wilden Tieren waren.

Ich hatte mir meinen Rucksack umgeschnallt, Gerhard verabscheute jede Anbiederung an Älplerisches und trat nur mit einem kleinen zerbeulten Handkoffer an. Wir schlüpften durch ein Mauerloch des Tiergartens, suchten nach Wildschweinspuren, fanden auch solche, ebenfalls eine Losung, und begaben uns auf die Pirsch. Sie dauerte mühselige drei Stunden und außer den Spuren und Losungen fanden wir nichts, was einem Wildschwein ähnlich war.

Erschöpft traten wir den Heimweg an und wollten den Tiergarten beim Haupteingang verlassen. Dort sperrte die Kassierin gerade die Kassa zu, und neben der Kassa saß ganz friedlich ein Wildschwein.

»Halali!«, sagte Gerhard Brenner und schwenkte seinen Koffer.

Ich habe im »Theater der Jugend« als Schauspieler angefangen und meine drei ersten Rollen dort gespielt. Das Theater der Jugend hatte damals noch kein eigenes Haus. Es hat in der Urania gespielt und später in der »Insel« und auch im Freien.

Ich habe mit meinen Anfangserfolgen die großen Häuser umkreist, in Wien meine erste Regie im »Kaleidoskop« gemacht und meinen Durchbruch im »Theater am Parkring« gehabt.

Ich bin dann durch das Fernsehen bekannt geworden, durch die »Familie Leitner«, den »Untermieter« und den Würstelmann in »Heiße am Samstag«. Das waren gesponserte zwei Minuten, also keine Werbeminuten. Im Fernsehen durfte damals keine Werbung vorkommen, es war also ein Geschenk wie bei einem Fußballmatch, wobei die heute schon mit dem Trikot werben. Das war uns alles verboten: Keinerlei Werbung in diesen zwei Minuten.

Zwei Minuten sind eine ganz schwierige Zeit. Du musst eine Geschichte erzählen und es muss dauernd lustig sein. Oder du hast eine einzige Riesenpointe. Dann sind die zwei Minuten bis zur Pointe sehr lang. Aber diese Sendungen waren »Straßenfeger«, das konnte das Fernsehen damals noch.

Das österreichische Fernsehen begann seltsam. Die ersten Probesendungen wurden in einem extra dafür gemieteten »Haus für Zivilblinde« – das stand eingemeißelt über dem Tor, und irgendwie ist das österreichische Fernsehen anscheinend diesen Fluch nie ganz losgeworden – gedreht. Die späteren, studioartigen Baracken wurden in der Maxingstraße angeheuert, und zwar diente das ehemalige Affenhaus des Schönbrunner Tiergartens als improvisiertes Studio. Ein leises Strebeln des ehemaligen Affenkots ist diesen Gebäuden immer geblieben. Aber es war für mich dort ein hinreißendes Arbeiten. Und jede gelungene Sendung wurde wie ein Wunder gefeiert in einem kleinen angrenzenden espressoartigen Zimmer, wo seinerzeit die Nahrung der Affen zubereitet worden war.

Außer Haus wurde damals in improvisierten Studios produziert, die etwas Heurigenartiges an sich hatten. Angemietete, aufgelassene Wirtshäuser mit durch Planen überdachten Innenhöfen, Fabriksnebengebäude, verfallene Pavillons wurden schalldicht isoliert, Fabriksschlote standen noch herum, alte, verknorrte Bäume im Hof, Heurigentische wurden als Buffet aufgestellt, wunderbares Essen gab es von umgrenzenden Caterings, noch lange bevor das Wort Catering geläufig war, und in Kübeln und Fässern kamen erlesene Speisen – diese genialen Zwergproduzenten stellten erstaunliche Produkte an Sendungen her.

Ich war ein Mann der ersten Stunde und erinnere mich noch an kabarettartige Sketche im Haus für Zivilblinde, für die man von tankartigen Kameras verfolgt wurde und bei denen man an der Seite nicht abgehen konnte, weil dort das Zimmer zu Ende war, aus dem gesendet wurde, und man auf allen vieren unter der Kamera hindurch auf die andere Seite kroch. Der ständige Satz des leitenden Mannes – »Regisseur« war bei diesen Sketchen damals noch unbekannt –, der nach der qualvollen Arbeit in die Luft gestöhnt wurde, denn unter vierzig Grad gab es keine Temperatur in diesem Gemäuer, der ständige Satz am Ende der Sendung hieß: »Die beste Sendung seit Beginn des Fernsehens!« Ich habe mindestens zwölf »beste Sendungen seit Beginn des Fernsehens« miterlebt und kann sie alle beim besten Willen niemanden anempfehlen.

Damals gab es in jedem großen Kaffeehaus, das auf sich hielt, einen Fernsehraum, in dem bei Sendungen bis zu sechzig Leute in einem verdunkelten Nebenraum saßen und diesen Sendungen in einem für heutige Verhältnisse fossilen Fernsehapparat zuschauten. Zu Hause konnten sich sehr viele den teuren Apparat noch nicht leisten oder wollten sich für die zwei Stunden, die am Tag gesendet wurden, nicht ein Gerät anschaffen.

Damals gab es, wie gesagt, noch Straßenfeger, wo die Städte sich leerten und die Leute sich in Scharen an die Geräte setzten und eine Fernsehweihestunde abhielten. Ich liebte die Zeit des Fernsehens, als es stolz darauf war, »Kultur«, wie das so schnöde heißt, »ins Volk zu tragen«, Musiktheater und Schauspiel, Mozart, Verdi, Shakespeare und Tschechow in Form von Operninszenierungen und Fernsehspielen finanzierte und relativ hohe Einschaltquoten erreichte.

Mit meiner Frau, Renee Michaelis, in der Stegreif-TV-Sketchserie »Familie Leitner«

Irgendwann war das Fernsehen dann der Ansicht, dass diese Art der Sendungen, wenn überhaupt, nur zu Schlafenszeiten gesendet werden sollten. Mir hat diese Entwicklung großen Schmerz bereitet. Ich glaube, es stünde dafür, zu untersuchen, wie viel populär Wirksames in den Meisterwerken zu finden ist. Schlagworte wie »Quote« und »elitär« waren damals unbekannt und wurden daher in den Redaktionen – ich glaube, die gab es auch noch nicht – nicht gehandelt.

Erst nach dem Fernsehen kam langsam mein Durchbruch im Theater.

Ich bleib noch ein bissl

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