Читать книгу Heimtücke - P. Schmidt - Страница 10

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5.

Dieser Gürtel. Er musste ihn loswerden, passte ihm auch nicht mehr. Hässlich, dachte er, wie mit einem Todesmal gebrandmarkt.

Zuckowski hatte die Mitbewohnerin des Tatopfers, Jennifer, bereits am vorherigen Tag im Präsidium zur Vernehmung vorgeladen. Sie kam aber nicht.

Am Morgen hatte er den Sozialarbeiter Kluge angerufen und ihm klargemacht, dass sie unbedingt erscheinen müsse, am besten sollte er sie begleiten. Kluge wimmelte diesen Vorschlag ab, er, würde aber dafür sorgen, dass sie rechtzeitig käme.

Zuckowski hatte mit Freud abgesprochen, dass sie die Vernehmung führen sollte. Er konnte nicht mit Jugendlichen. Freud, die konnte das.

Um 13:10 Uhr erschien sie im Landeskriminalamt gegenüber vom Platz der Luftbrücke, einem modernen funktionellen Bau der Achtzigerjahre. Eigentlich saßen Freud und Zuckowski in der Keithstraße, aber da die Räume hier besser ausgestattet waren, führten sie normalerweise die Vernehmungen hier durch.

Eine 17-jährige Punkerin, schwarz gefärbter Irokesenschnitt und Piercings an den verschiedensten Körperteilen, erschien im Vernehmungsraum.

In der Zunge bemerkte Zuckowski einen silbernen Ring, als sie die Fragen nach ihrem Geburtstag und ihren Eltern beantwortete.

Freud belehrte Jennifer, worauf diese sie wütend anschrie: „Verwandt, hast du‘n Knall? Kenne ich alles aus dem Fernsehen, wie das bei der Polizei geht.“

Freud fragte sie mit bewusst ruhiger Stimme: „Soll ich Sie oder Du sagen?“

„Na, sage mal ruhig Du zu mir.“

Luisa Freudenreich störte diese Respektlosigkeit.

„Wie war Dein Verhältnis zu Ozma Marie Becker?“

Jennifer rutschte auf ihrem Stuhl rauf und runter, warf ihren Kopf in den Nacken, rollte ihn hin und her, guckte an die Decke und wackelte mit den Beinen herum. Dabei summte sie.

„Jennifer?“, mahnte Freud.

„Mir ist kotzelend.“ In diesem Moment setzte sie sich mit einem Ruck aufrecht in den Stuhl, umfasste die Kanten der Sitzfläche und beugte sich mit ihrem Rumpf nach vorne, ließ den Kopf baumeln.

„Jennifer, Du musst uns antworten, sonst dauert das hier ewig.“

„Marie war saudoof. Sie saß meistens schweigend rum und tat so, als wäre sie was Besseres. Ich glaube, sie hat voll `nen Schaden gehabt.“

„Hat sie etwas über die Sekte und ihre Mutter erzählt“, fragte Freud konzentriert.

„Nö!“

.

Jennifer schien etwas Vertrauen zu Freud zu fassen. Sie richtete sich auf und schaute Freud aufmerksam in die Augen. Zuckowski kratzte sich am Kopf, traute dem Frieden nicht so recht.

„Gab es sonst noch etwas, was Du an Marie bemerkt hast?“, bohrte Freud nach.

Sie atmete durch, die Pause vorm Crescendo: „Kluge und sie haben zusammen gefickt, da war was.“

„Du weißt, Du musst hier die Wahrheit sagen.“, sagte Freud mit belehrender Stimme. „Was hast Du gesehen oder beobachtet?“

„Ich will ´ne Zigarette.“

„Leider darfst Du hier nicht rauchen. Das geht nur draußen.“

Nun begann das Mädchen wieder auf ihrem Sitz hin- und her zu rutschen. Dabei spielte sie mit ihrem Zungenpiercing, wobei sie ihre Zunge immer wieder herausstreckte und die Spitze hoch und runter wippen ließ.

„Direkt erwischt habe ich sie nicht, aber wir waren alle in einer Wohnung, da hättest Du das auch gemerkt, die haben sich so angeglotzt. Die ganzen Jungens in der Wohngemeinschaft waren hinter ihr her. Aber die stand auf Opas. Ich gehe.“

Zuckowski erhob die Stimme: „Du bleibst. Das ist hier kein Spaß.“

„Ich sag gar nichts mehr über die Nutte.“

Freud öffnete die Tür: „Du kannst gehen.“

Als Jennifer den Raum verlassen hatte, schauten sie sich an. Freud sprach aus, was beide dachten:„Diese Jennifer ist nicht sonderlich glaubwürdig. Aber wir müssen auch dem nachgehen. Es ist ja möglich, dass Kluge ein Verhältnis mit Marie hatte, und für den Leiter einer Wohngruppe mit Jugendlichen kann das zu einem Problem werden, wenn das herauskommt.“

Zuckowskis Handy klingelte und Freud dachte, ach die Frau Mama ruft wieder an und richtig, Zuckowski sagte:“Ja, Mama…“

Zuckowski wohnte immer noch bei seiner Mutter. „Du wirst wohl nie von Deiner Mutter loskommen.“

„Glaubst Du, ich wäre so ein Typ Hausmann, der in seiner Wohnung steht, den Staubwedel schwingt, putzt, sich eine Schürze umbindet und an den Kochherd stellt. Ne, das wäre nichts für mich. Dann lieber Mama.“

„Du könntest Dir doch eine Partnerin suchen.“

„Für den Haushalt? Ne, mal was fürs‘ Bett, aber sobald sich eine Frau an den Herd stellt oder einen Lappen in die Hand nimmt, ist für mich alles vorbei.“

Freud hörte nicht mehr zu, weil sie das, was Zuckowski sagen würde, von ihm kannte. Sie nahm ihr Handy, informierte Jörgensen über Jennifers Aussage: „Habe heute leider keine Zeit mehr, weil ich Anklagevertreter bin.“

„Ach, ich dachte, Brühne hätte sie erst mal von der Sitzungsvertretung freigestellt.“

„Nein, leider nicht, einige Kollegen sind krank und mit Brühne ist nicht gerade gut Birnen essen. Der ist wegen des Mordes sowieso ziemlich angespannt. Ich melde mich morgen. Auf Wiederhören, Frau Freudenreich.“

Sie wunderte sich über diesen Ausdruck und vermisste das übliche Tschüss.

Jörgensen klopfte vorsichtig an die Tür, ein dickes Brett war über eine beschädigte Stelle geschraubt war. Da keine Reaktion aus dem Raum erfolgte, öffnete er die Tür und betrat den Raum. Auf dem mit Akten übersäten Schreibtisch stand ein Radio, aus dem Schlagermusik dröhnte. An sich war das am Arbeitsplatz verboten, aber Frau Vogel, die Justizobersekretärin, hatte über den Personalrat eine Sondergenehmigung erhalten, da sie ohne Musik die psychische Belastung am Arbeitsplatz nicht ertragen konnte.

Jörgensen gab Frau Vogel, einer blondierten Mittfünfzigerin, die schon lange in Moabit arbeitete, förmlich und ein wenig umständlich die Hand. Sie musterte ihn mit ihren stahlblauen Augen. Frau Benradt, eine junge Frau, die ihre Prüfung zur Justizsekretärin noch vor sich hatte, lächelte freundlich. „Ich bin der neue Staatsanwalt Jörgensen.“

Vogel kommentierte: „Ach, Sie sind das.“

„Ich brauche die Akten für die Sitzung ", murmelte er. Frau Vogel zeigte auf einen Stapel Akten. Er blätterte darin herum, als ein sichtlich erregter grauhaariger Mann mit Halbglatze, ohne zu klopfen, in den Raum trat, offensichtlich ein Anwalt, da über seinem rechten Arm eine Anwaltsrobe hing. König Friedrich Wilhelm I. hatte das Tragen der Robe für Anwälte angeordnet, damit man diese Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten konnte.

Der Anwalt kramte aus seiner Aktentasche ein zerknülltes Schreiben hervor, wedelte damit herum und prustete: „Das ist ja wohl wieder mal ein Husarenstück der Justiz in Moabit. Wegen des von mir für meinen Mandanten erstrittenen Freispruchs, hatte ich beantragt, meine Gebühren für diese Tätigkeit zu erstatten und was schreiben Sie?“

Er zitierte: „Die Akten sind außer Kontrolle geraten und trotz intensiver Suche konnten sie nicht gefunden werden. Wir können die Kosten erst auszahlen, wenn Sie uns eine Kopie Ihrer Handakte zur Verfügung stellen. Und jetzt kommt's“, erregte sich der Mann, der zwischenzeitlich im Gesicht puterrot angelaufen war, „Die Kosten hierfür können wir nicht übernehmen. gezeichnet Vogel.“

Der Anwalt öffnete seinen Aktenkoffer, holte eine komplett kopierte Akte heraus, die er mit Wucht auf den Schreibtisch schmiss. „Hier ist die Akte, gibt's gratis, aber bezahlen Sie endlich meine Gebühren. Den Antrag hatte ich schon vor mehr als vier Monaten eingereicht.“

Jörgensen beobachtete, dass Frau Vogel kurz zusammenschrak, den Mund verzog, die Augenbrauen hob und wortlos blieb. Der Anwalt verließ mit wehendem Mantel den Raum, ohne sich zu verabschieden. Im Hintergrund summte das Radio.

Frau Vogel gewann langsam wieder die Fassung: „Diese Anwälte können sich einfach nicht benehmen.“

Noch etwas Nettes sagen, dachte Jörgensen. Ihm fiel nichts ein.

Als er sich die Akten griff, klatschte eine davon auf den Boden. Während er sich bückte, um sie aufzuheben, spürte er Frau Vogels Blick im Nacken.

Beim Hinausgehen hörte er, wie sie mit der Kollegin tuschelte: „Dieser Neue, charmant, aber sonst scheint der nichts auf die Reihe zu kriegen. Frau Benradt haben Sie schon gehört….“

Lina hatte ihn anfangs charmanter Philosoph genannt, am Schluss nur noch intellektueller Trottel. Er hätte das Gespräch gerne mitgehört, musste aber die Tür schließen, bevor sie ihn beim Lauschen erwischten.

Abends in der Hotelbar, vor ihm ein schales Bier, dachte Jörgensen über sein Leben nach. Er allein zwischen Millionen mit einer Leiche. Sein inneres Requiem erklang, tonlos, die Sehnsucht nach Lina.

Heimtücke

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