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§ 52 I Nr.1 StPO
Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt, der Verlobte des Beschuldigten oder die Person, mit der der Beschuldigte ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen.
Nein, heute blieb er zu Hause. Die Zeitungen berichteten über diesen Jörgensen, den ermittelnden Staatsanwalt. Wer war dieser Jörgensen? Bekannt war der in Berlin nicht, eine Folie ohne Beschriftung.
Brühne rief an: „Jörgensen, die Tatortabsperrung soll in den nächsten Tagen abgebaut werden. Also, wenn Sie, Zuckowski oder sonst irgendwer noch Spuren sichern will, wird's Zeit.“
„Ich werde mich mit Zuckowski in Verbindung setzen.“ Eigentlich hätte er lieber Luisa Freudenreich gefragt, Zuckowski könnte aber falsche Schlüsse ziehen.
Lina hatte sich nicht mehr gemeldet. Er fragte sich, ob sie jetzt auf Mallorca war. Vielleicht hätte er mit ihr dorthin fahren sollen und nicht nach Montmorency, aber er hasste Massentourismus, Sonne und Strand.
Während er noch darüber nachdachte, wählte er Zuckowskis Nummer. „Ach, Sie.“ Jörgensen spürte den verächtlichen Unterton. „Ich wollte heute den Tatort besichtigen, da er wieder freigegeben werden muss.“
„Habe leider keine Zeit, schicke Freud. Die ist so in einer Stunde da. Bis demnächst.“ Ohne dass Jörgensen erwidern konnte, hatte Zuckowski die Verbindung unterbrochen.
Als er aufblickte, bemerkte er, dass Frau Morgenroth ihn beobachtet hatte, sich aber gleich wieder in die Akten vertiefte. Dann doch aufblickte und fragte: „Haben Sie eigentlich schon eine Wohnung gefunden?“ So persönlich?
„Nein, immer noch im Hotel. Kommen Sie aus Berlin?“ Sie lachte.
„Hören Sie das nicht. Ich komme ursprünglich aus Nürnberg und habe vor zehn Jahren hier als Staatsanwältin angefangen. Ich bin eigentlich wegen meines Mannes nach Berlin gekommen, aber das hat nicht lange gehalten. Ich bin geschieden.“
„Haben Sie Kinder?“
„Ja, eine Tochter. Die ist jetzt neun und ich sage Ihnen, einen Sack Kröten zu beaufsichtigen ist einfacher. Manchmal komme ich nach Hause, sie sitzt da mit vier oder fünf Freundinnen, spielt gerade verkleiden. Das mit meiner Garderobe. Oder sie haben beschlossen einen Kuchen zu backen. Mehl in jeder Ritze der Wohnung.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür, Luisa Freudenreich, früher als erwartet, eine Aktentasche unter dem Arm. Jörgensen rückte einen Stuhl zurecht, Luisa Freudenreich bemerkte diese Aufmerksamkeit.
Aus ihrer Tasche kramte sie eine Akte hervor, öffnete sie: „Hier ist der Bericht von der Tatortsicherung. Danach ist Tat- und Auffindeort nicht identisch. Aber lassen Sie uns einen eigenen Eindruck verschaffen. Ich habe auch den Bericht der Rechtsmedizin dabei.“
Jörgensen und Freud am Verlobungsring, ein Rondell. Dort verlobten sich Angeklagte kurz vor der Hauptverhandlung mit Zeugen, damit sich der Zeuge auf das Aussageverweigerungsrecht berufen konnte. Romantisch, die darüber sich wölbende Kuppel mit den Tierkreiszeichen. Jörgensen lehnte am Geländer, Freud neben ihm. Justitia, über deren Kopf das Auge der Vorsehung.
„Gibt es die Vorsehung? Ist Mord im Charakter eines Menschen vorprogrammiert?“
„Das allsehende Auge der Justiz, göttlich“, kicherte Luisa Freudenreich.
Die Absperrbänder sahen sie bereits von weitem. Sie stiegen darüber hinweg, wobei er Freud die Hand reichte, selbst aber ins Stolpern geriet, so dass sie ihn festhalten musste.
Sie verschafften sich einen Überblick. Freud holte den Bericht der Tatortsicherung aus ihrer Tasche.
„Also hier vor der Toilette, muss der Täter sie von hinten angegriffen haben.“
„Es kann doch auch eine Täterin gewesen sein.“
„Laut Gerichtsmedizin ist dies unwahrscheinlich. Sie wog zwar nur 45 kg, wirkte nicht wie eine Sechzehnjährige sondern eher wie ein Kind, aber zu einer solchen Tat gehört erhebliche Kraft.“
„Wir gehen also von einem männlichen Täter aus.“
„Oder von einer sehr durchtrainierten kräftigen Frau, aber eher unwahrscheinlich. Also vor der Toilette wurden Speichelspuren, die mit Blut durchsetzt waren, gefunden. Hier“, sie deutete auf einige von der Spurensicherung markierte Stellen.
Jörgensen beobachtete ihre zierlichen Hände, mit denen sie zu Boden zeigte, mit welcher Kraft hatten sie ihn gehalten, Liebeshände.
„Der Täter hat das Opfer in den Toilettenraum gezogen, da muss sie noch gelebt oder wenigstens die letzten Zuckungen im Todeskampf gemacht haben. Da ist Gummiabrieb von den Sohlen ihrer Schuhe auf dem Fußboden.“ Sie öffnete die Tür. Da waren diese schwarzen Streifen, wie der Schweif eines Sterns.
Er stellte sich vor, wie ihre Beine gezittert und gestrampelt haben mussten. Ein strenger Geruch füllte den Raum, der aus den Rohren der Kanalisation heraufstieg und sich mit dem ätzenden Gestank von Urinalstein vermischte. Freud ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie hockte sich hin und strich mit der Hand über die Gummistreifen.
„Vielleicht findet sich ja noch etwas. Ich brauche immer den Kontakt, um ein Gefühl für die Tat zu bekommen“, sagte sie, „Der Todeskampf muss dem Täter unendlich lange vorgekommen sein. Deshalb hat er sie auch in die Toilette geschleppt. Bis das Opfer endgültig keine Lebenszeichen mehr zeigt, kann das mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde dauern. Deshalb hat er auch viel Gewalt ausgeübt.“
Plötzlich stand Zuckowski in der Tür: „Na Freud, rutschst Du wieder auf dem Tatort herum, die Psyche des Täters analysieren? Das ist hier ziemlich ekelerregend. Das riecht, als wäre der Pissgeruch der letzten hundert Jahre konserviert worden. Aber Du lässt Dich ja von nichts abschrecken.“
„Frau Freudenreich, können Sie schon sagen, wie alt der Täter ist?“, fragte Jörgensen unvermittelt. Ihm war nichts Besseres eingefallen.
Ohne auf die Frage einzugehen, führte Freud aus: „Der Täter hat die Leiche für einen Moment hier abgelegt, später sie über den Flur in diesen Warteraum geschleppt. Auf dem ganzen Gang konnten Schleifspuren festgestellt werden. Da der Boden schon ziemlich abgenutzt ist, sind sie allerdings nur wenig sichtbar.“ Der Staub war zur Seite gewirbelt, als wäre eine Frau mit langer Schleppe entlang geschwebt.
Im Warteraum lag immer noch alles so rum, wie am ersten Tag. Es war ein Raum voll Müll, Dreck und ausrangiertem Mobiliar. „Hier wurde sie versteckt. Wir werden wahrscheinlich nichts mehr finden.“