Читать книгу Eine Zukunft für meine Kinder - Pacem Kawonga - Страница 10
EIN ANDERES LILONGWE
ОглавлениеNach dem Tod meiner Eltern schien mein Leben keinen Sinn mehr zu haben. Ich dachte viel nach und blickte zurück. Papa hatte enorme Opfer gebracht, damit ich etwas lernte, er hatte mich an den besten Schulen angemeldet und alles getan, um mir ein unbeschwertes Leben und eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Und ich ? Was hatte ich getan, um ihm das zu danken ? Nichts, absolut nichts. Und da stand ich nun, kaum 18 Jahre alt, ohne Eltern und ohne Perspektiven.
Doch zu unserem Glück hatte Papa für uns gesorgt und das große Haus im zehnten Bezirk, in dem wir wohnten, ohne unser Wissen gekauft. Wir blieben einige Zeit dort und vermieteten es dann, um Geld zu haben. Wir drei trennten uns. Lapken, mein kleiner Bruder, ging zu einem Cousin, mein älterer Bruder Keegan und ich jeweils zu einem anderen Onkel. Wir blieben alle in Lilongwe, doch unser Leben veränderte sich und war plötzlich mit Hindernissen angefüllt, die wir uns bis zu diesem Augenblick nicht einmal hatten vorstellen können. Solange ich noch zuhause gewohnt hatte, also bis zum Tod meiner Mutter, hatte ich nie einen Handschlag getan. Ich hatte mir um nichts Sorgen machen müssen und hatte alles gehabt, was ich brauchte. Die Hausangestellten hatten für uns geputzt, gekocht und gewaschen. Bei meinem Onkel war das anders. Ich hatte Pflichten ihm gegenüber. Ich musste mir Kost und Logis verdienen. Ich bekam nichts geschenkt. Ich stand jeden Tag um drei Uhr morgens auf, um das Haus aufzuräumen, Essen zu machen und die Wäsche zu waschen. Anders als mein Vater war mein Onkel nicht reich und hatte keine Angestellten. Manchmal gab es zum Frühstück nicht einmal etwas zu essen, sondern nur Tee. Ich war diese Einschränkungen nicht gewohnt und träumte von einem Teller Nsima.
In dieser Zeit begegnete ich meinem ersten Verlobten Wilson, einem ehemaligen Mitschüler. Nach der weiterführenden Schule war er nach Lilongwe gegangen und hatte die Universität besucht. Wir hatten uns zufällig getroffen und begonnen, miteinander auszugehen. Ich war glücklich, es ging mir gut. Ich erzählte ihm, was gerade alles passiert war, und schilderte ihm meine neue Welt. Er war sehr lieb und hatte gewisse finanzielle Mittel. Er fing an, mich zu unterstützen. Er brachte mir Essen und gab mir immer ein bisschen Geld, damit ich mir kaufen konnte, was ich brauchte. Er riet mir, niemandem davon zu erzählen : »Wenn sie es erfahren«, sagte er, »dann wirst du ihnen mit dem Geld ihre Gastfreundschaft bezahlen müssen, und dir wird nichts bleiben.«
Mein älterer Bruder, das neue Familienoberhaupt, erfuhr, dass ich verlobt war. Ich erklärte ihm, dass Wilson ein anständiger Junge war, ernsthaft und aufmerksam, und dass er nach seinem Studium eine Arbeit finden und mich heiraten würde.
»Ich freue mich für dich«, sagte er, »aber tu mir einen Gefallen : Denk auch an deine Zukunft.«
Ja, die Zukunft … Zum ersten Mal hing sie ausschließlich von mir ab. Sie lag in meinen Händen, ich war allein dafür verantwortlich. Ich sprach mit meiner Tante, und es gelang mir, sie zu überzeugen. Erneut schrieb ich mich an der Schule von Mzuzu ein. Das war für mich eine Möglichkeit, wieder in der Realität Fuß zu fassen, auch wenn diese Realität sich so rasch veränderte, dass man Schwierigkeiten hatte, Schritt zu halten. Während der Ferien oder am Wochenende kam ich zurück in die Hauptstadt und ging mit meinem Verlobten aus, doch ich fühlte mich unbehaglich : Ich begriff, dass ich so nicht leben, dass ich nicht immer von seiner Unterstützung abhängig sein konnte.
Am Ende des Schuljahrs begann ich in Mponela zu arbeiten.
Ich unterrichtete an einer privaten Sekretärinnenschule und war für ein praktisches Fach zuständig : die Daktylographie, die man damals noch fürs Maschineschreiben brauchte. Die Bezahlung war nicht fest, sondern hing von der Zahl der Kursteilnehmer ab. Die Schülerinnen zahlten die Kursgebühr an den Schulträger, der einen Anteil davon an mich weitergab. Manchmal verdiente ich fast nichts, manchmal lief es besser. Mir ging es gut damit : Ich konnte ein Zimmer mieten und war nicht mehr völlig von der Familie meines Onkels abhängig. Mein Verlobter war jedoch nicht gerade glücklich darüber, dass ich in Mponela blieb und dazu noch allein. Wir diskutierten und stritten uns. Beinahe hätten wir uns getrennt, doch er war zu verliebt, und so blieben wir am Ende doch zusammen. Doch etwas war zerbrochen.
Es ging mir gut in Mponela. Ich hatte viele Freunde, ich war unabhängig, und ich konnte für mich selber sorgen. Ich nahm mein Leben in die Hand, ich ging der Zukunft entgegen.