Читать книгу Strike Out für die Liebe - Paris Sanders - Страница 10

Andrew

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Obwohl Big Bear fast zwei Meter groß sein musste, bewegte er sich vollkommen geräuschlos. Ich hatte keine Ahnung, wie der Typ das anstellte, aber man hörte weder einen Zweig knacken, noch einen Fußtritt. Nichts. Während ich wie ein Panzer durchs Unterholz pflügte, bewegte Big Bear sich wie ein Schatten.

Okay, der Typ war Indianer. Was ihn geradezu dazu verpflichtete, sich lautlos zu bewegen. Bisher aber hatte ich das für ein Märchen gehalten. Gesponnen von irgendwelchen Drehbuchschreibern in Hollywood, die die Story für einen Western erfanden.

Nur um ihn dabei zu erwischen, wie er ein Geräusch verursachte, achtete ich jetzt selbst darauf, meine Füße leise aufzusetzen. Nicht auf Äste zu treten oder zu stolpern. Mit wenig Erfolg.

"Du darfst nicht mit dem Fußballen auftreten, sondern mit der Ferse", sagte Big Bear.

Konnte der Kerl auch noch Gedanken lesen?

"Warum?"

"Wenn du möglichst geräuschlos gehen möchtest, musst du mit der Ferse auftreten und den Fuß über die Zehen abrollen. So vermeidest du es, wie eine Herde Büffel zu klingen."

"Ah."

"Ich kann hören, dass du dich bemühst, möglichst leise zu gehen."

Der Indianer grinste bestimmt. Jede Wette. Der Typ machte sich in Gedanken lustig über mich. Und warum auch nicht. Ich war ein verdammter Idiot.

"Ich dachte, es wäre besser, nicht wie ein Elefant durch den Wald zu stapfen."

"Im Grunde ist es egal. Sämtliche Tiere haben ohnehin schon die Flucht ergriffen. Eine Gruppe Weißer mitten in der Wildnis? Die sind nicht blöd, die Tiere."

"Stimmt." Ich verstummte. Jetzt fühlte ich mich erst recht wie ein Idiot. Big Bear hatte mich nicht nur durchschaut, er hatte mich auch noch wissen lassen, wie dämlich mein Verhalten war. Toll! Der Tag wurde einfach besser und besser.

"Hier sind wir weit genug weg." Big Bear blieb stehen.

"Okay." Ich schaute mich um. So wie es aussah, war Big Bear einfach irgendwo stehengeblieben. Wir befanden uns mitten im Wald. Keine Lichtung weit und breit, Bäume auf allen Seiten. Laub bedeckte den Boden. Die Sonnenstrahlen wurden immer schräger, was bedeutete, dass es bald vollkommen dunkel sein würde.

Big Bear bückte sich, hob einen Ast auf und entfernte die Zweige.

"Damit kannst du ein Loch graben", sagte er und drückte mir den Ast in die Hand. Ohne ein Wort bohrte ich das Teil in den Boden und hob ein wenig Erde aus. Es dauerte eine Weile bis ich so etwas wie eine Öffnung herausgearbeitet hatte. Noch länger, bis Big Bear mir bedeutete, dass es genug sei. Wir stopften die Verpackung der Müsliriegel hinein, dann schob ich mit den Händen die Erde darüber und klopfte sie fest.

"War das wirklich nötig?", fragte ich und richtete mich auf.

"Wahrscheinlich nicht. Aber in der Wildnis geht man keine Risiken ein." Big Bear drehte sich um und ging ebenso lautlos zurück, wie er gekommen war. Ich stapfte hinter ihm her. Mittlerweile war es mir egal, wie laut ich war und wie ich meine Füße setzen sollte, um keinen Lärm zu verursachen. Wie Big Bear gesagt hatte, die Tiere waren ohnehin alle geflüchtet. Die waren ja nicht blöd.

"Wo zur Hölle warst du so lange?"

Sam.

Ich kam mir vor, als sei ich verheiratet. Mit einer Furie. In Sams Augen lag ein irrer Blick. Sie stand vor mir, funkelte mich wütend an. Die Hände zu Fäusten geballt. Hinter ihr eine windschiefe Struktur aus Ästen und ... Ich kniff die Augen zusammen. Sah aus wie Laub, das sie über die schiefen Stecken gestreut hatte.

Ich rammte die Hände in meine Hosentaschen und spreizte die Beine ein wenig. Gerade genug, um ausbalanciert zu stehen. Sam sah aus, als wäre sie kurz davor, einen Bodytackle zu starten. "Ich musste die Verpackungen vergraben. Das weißt du."

"Und das dauert Stunden? Das hast du absichtlich gemacht. Du wolltest dich vor deinen Aufgaben drücken."

Ich zuckte mit den Schultern. "Frag Big Bear. Der war dabei. Wir sind irre weit gelaufen, um sicherzugehen, dass du nicht von einem Bären attackiert wirst." Der letzte Satz triefte vor Sarkasmus. Ehrlich gesagt, war es mir egal, ob sie von einem Grizzly verspeist wurde. Die Welt wäre ein besserer Ort ohne eine Frau, die Lügengeschichten über mich verbreitete.

"Das war Absicht."

Allmählich ging mir die Geduld aus. Außerdem hatte sie mich schon genug beschimpft – und nicht nur verbal. Nein, Samantha Fox hatte mich nach allen Regeln der Kunst durch die Presse geschleift.

"Jetzt hör mir mal gut zu. Es ist deine Schuld, dass wir hier sind. Nur weil du total hysterisch auf einen kleinen Patzer reagiert hast, müssen wir jetzt durch den Wald trampeln wie zwei verdammte Idioten."

"Ach! Das ist meine Schuld? Du bist der Sexualstraftäter, nicht ich. Aber klar, es ist immer die Frau, die falsche Signale aussendet. Es ist ihre Schuld, nicht seine. Es ist ..."

"Ich bin gestolpert. Scheiße, wie oft muss ich das sagen, bis du es kapierst? Du bist nichts weiter als eine frustrierte, frigide Emanze."

Aus den Augenwinkeln nahm ich etwas wahr. Die anderen. Sämtliche Mitglieder des Survival-Camps starrten mich und Sam an. Und dann sah ich noch etwas. Einer der Typen hielt irgendwas in der Hand. Mit drei großen Schritten war ich bei der Ratte. Riss ihm das Ding aus der Hand, warf es auf den Boden und trat es in den Dreck. Dann packte ich den Typen am Kragen und knallte ihn gegen einen Baumstamm. Gerade als ich ausholen und ihm einen Kinnhaken verpassen wollte, spürte ich einen Schmerz, der mich in die Knie gehen ließ.

"Das würde ich lassen", hörte ich Big Bears Stimme wie aus einem Nebel. "Zeit für eine Entschuldigung." Big Bears Tonfall ließ keine Widerrede zu.

"Der Typ hat mich gefilmt", murrte ich. Ich wollte verdammt sein, wenn ich mich einschüchtern ließ.

"Das war keine Kamera, sondern eine Zunderbox. Benutzt man zum Feuermachen. Ist zwar nicht erlaubt, so etwas mitzubringen, aber kein Grund, um jemanden zu verprügeln."

"Tut mir leid." Ich trat einen Schritt zurück und räusperte mich. Keine Ahnung was für einen Trick Big Bear da verwendet hatte, aber es tat noch immer verdammt weh. Ich streckte die Hand aus. Der Typ, den ich angegriffen hatte, war Safari. Hätte ich mir denken können. Natürlich führte Safari alles mit sich, was man brauchte, um in der Wildnis zu überleben.

"Ist schon gut." Safari schüttelte meine Hand. "Wir sind alle etwas angespannt."

Ich sah mich um. Die anderen waren plötzlich sehr beschäftigt und wuselten in der Gegend herum, als müssten sie noch dringend etwas erledigen.

"Trotzdem, tut mir leid, Kumpel", sagte ich noch einmal. Denn es tat mir leid. Safari konnte nichts dafür, dass meine Nerven blank lagen.

"Kommt alle mal her." Big Bear klatschte in die Hände. "Wir zeigen euch jetzt, wie ihr die Pflanzen, die ihr gesammelt habt, zubereiten könnt, und wie man ein Feuer entzündet." Big Bear grinste. "Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge."

Black Panther demonstrierte, wie man ein Feuer entfachte. Er benutzte einen Zweig, den er zwischen seinen Händen so lange hin und her rollte, bis eine schlanke Rauchsäule aufstieg. So, wie man es immer im Fernsehen sah, wohl wissend, dass man selbst so etwas nie im Leben hinbekommen würde. Jetzt ging Panther herum und korrigierte jeden einzelnen Teilnehmer. Zeigte, wie genau man die Spitze in die Aushöhlung setzen und wie schnell man den Ast drehen musste.

"Hey, Panther, du bekommst von mir fünfzig Dollar, wenn du mir ein Streichholz gibst", raunte ich ihm zu, als er sich neben mir niederließ und zeigte, wie ich den verdammten Stecken drehen sollte.

Panther schwieg.

War ja klar. Warum sollte er auch antworten? Wahrscheinlich boten ihm die anderen Teilnehmer das Zehnfache für ein Streichholz. Ich schaute in die Runde. Okay, vielleicht auch nicht. Safari da drüben, drehte mit einem Enthusiasmus, als bekäme er es bezahlt. Neben ihm, der Typ mit dem Bart, sah aus, als würde er gleich einen Orgasmus bekommen. Dabei tat sich bei ihm nichts. Gar nichts. Keine Rauchwolke, kein Funken.

Dann fiel mein Blick auf Sam.

Sam drehte den Zweig in den Händen. Ihre Augen starr auf den kleinen Haufen aus Holzwolle und Späne gerichtet, die sie methodisch um die Öffnung aufgehäuft hatte. Ihre Stirn war gerunzelt. Sie fixierte das Holz mit einem Blick, der so fokussiert war, dass ich jeden Augenblick einen Funken erwartete. So als könne sie allein mit ihrer Willenskraft ein Feuer in Gang setzen.

Seit ihrem Ausbruch war sie gefasst, konzentriert und vor allem distanziert. Sie strahlte eine Kälte in meine Richtung aus, die die Sahara zum Gefrieren bringen könnte.

Panther legte beide Hände um den Zweig, den ich ausgesucht hatte. "Rolle ihn so zwischen den Handflächen", sagte er und demonstrierte, was er meinte.

"Schon klar. Aber das wird ne Stunde dauern."

Panther zuckte mit den Schultern. "Du hast die ganze Nacht." Dann stand er auf und ging zum Nächsten.

"Ist schon peinlich, zu versuchen, sich freizukaufen", sagte Sam, ohne zu mir hinüberzusehen.

Natürlich gelang es mir nicht, ein Feuer zu entfachen, ebenso wenig wie Sam. In dieser Runde waren wir eindeutig die Loser. Ich war es gewohnt, zu gewinnen, dass ich gegen einen dickbäuchigen Typen und Safari verlor, störte mich mehr, als ich vor mir selbst zugeben wollte. Ihre Feuer brannten. Mit einem zufriedenen Grinsen saßen die beiden davor. Man könnte meinen sie, hätten die World Series gewonnen.

Das würde mir nicht noch einmal passieren. Morgen würde ich dieses verdammte Feuer in Gang setzen und wenn es mich die ganze Nacht kostete.

"So höhlt ihr einen Baumstamm aus", unterbrach Big Bear meine Gedanken. Der Mann hatte einen angekohlten Zweig in der Hand und brannte damit geduldig Löcher in einen abgeschnittenen Baumstumpf. Der Stumpf hatte nur etwa einen Durchmesser von zwanzig Zentimetern.

"Wenn ihr eine Öffnung habt, die groß genug ist, gebt ihr Wasser hinein. Danach legt ihr die Wurzeln und Kräuter dazu." Big Bear ließ seinen Worten Taten folgen, dann stellte er den Stumpf auf einen Stein, den er zuvor in der Mitte des Feuers platziert hatte. "Das Ganze lasst ihr eine Weile kochen. Wie lange, hängt davon ab, wie hungrig ihr seid."

Irgendwann brodelte tatsächlich das Wasser. Nach einer Weile bildete sich eine schleimige Masse aus Blättern und Wurzeln. Das Zeug sah widerlich aus. Jeder bekam nur ein paar Löffel von dem bitteren Brei, was okay war. Etwas mehr und ich hätte mich übergeben.

Es würde eine verdammt lange Woche werden.

"Was ist das?" Ich deutete darauf. Fast hatte ich Angst, die Antwort zu hören. Was auch immer das war, es konnte nichts Gutes bedeuten.

"Das ist dein Schlafplatz."

"Hättest du das nicht stabiler bauen können? Die Hütte sieht aus, als würde sie jeden Moment einstürzen. Wobei Hütte nicht ganz das richtige Wort ist." Ich betrachtete die seltsame Konstruktion. "Bruchbude trifft es eher. Oder ... warte, jetzt hab ich‘s. Katastrophe." Ich nickte. "Ja, das Ding ist eine Katastrophe, die nur darauf wartet, mir auf den Kopf zu fallen."

"Ich hoffe, das tut sie auch", zischte Sam. Okay, ich war nicht sehr gut darin, die Frau auf meine Seite zu ziehen, aber glaubte sie ernsthaft, ich könne in so was schlafen? Eine sanfte Brise und ich wäre unter einem Haufen Äste begraben.

"Während du nichtsnutzig durch die Gegend getrampelt bist und nichts, aber auch überhaupt nichts zu unserem Überleben beigetragen hast, schuftete ich wie eine Bekloppte, um dann gefragt zu werden, warum es nicht besser ging." Sam sah aus, als stünde sie kurz vor einem Schlaganfall. Die Frau hatte wirklich überhaupt keine Nerven. Man würde ja wohl mal fragen können.

"Ich bin müde. Ich hasse den Wald. Ich hasse die Natur. Ich hasse dich", fügte sie ihrer Tirade hinzu. Jeden einzelnen Satz unterstrich sie mit ihrem Zeigefinger, den sie in meine Richtung hieb. Sicherheitshalber trat ich einen Schritt zurück.

Was den Wald und die Natur betraf, so konnte ich ihr nur zustimmen. Wer hätte gedacht, dass ich und Samantha Fox jemals einer Meinung sein würden?

"Ich bin auch nicht froh darüber, eine Woche durch den Wald zu stapfen. Wie wäre es, wenn wir beide versuchen, das Beste daraus zu machen?"

"Nur über meine Leiche." Sam drehte sich um und ging zu der Konstruktion, die wohl der Schlafplatz für diese Nacht sein sollte. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte ihr ein Friedensangebot gemacht. Wenn sie das nicht annehmen wollte, war das ihre Sache. Mit einem Seufzen drehte ich mich ebenfalls um. Es würde eine verdammt ungemütliche Nacht werden, so viel war sicher.

Kurz darauf wusch ich mich im eiskalten Wasser des Bächleins, das in der Nähe unseres Camps floss. Dann putzte ich mir die Zähne. Mit einem schmalen Ast. Big Bear hatte uns gezeigt, wie man dieses Kunststück fertigbrachte. Ich konnte nur hoffen, dass ich die Woche überstand, ohne danach ein halbes Jahr beim Zahnarzt zu verbringen.

Und das war es auch schon. Die Sonne war kurz davor, hinter dem Horizont zu verschwinden. Neben mir unterhielten sich zwei der Teilnehmer angeregt miteinander. Sam war natürlich längst verschwunden. Sie hatte ihre Abendtoilette in Rekordzeit und vor allem weit entfernt von mir erledigt.

Ich schüttelte den Kopf. Bisher war ich meinem Ziel noch keinen Schritt näher gekommen. Wenn ich versuchte, nett zu ihr zu sein, erntete ich nichts als sarkastische Kommentare.

Okay, zugegeben. Allzu oft hatte ich es noch nicht geschafft, nett zu Samantha Fox zu sein, aber ich gab mir Mühe. Etwas, was man von ihr nicht behaupten konnte. Sam hatte nur ein Ziel: Mir das Leben zur Hölle zu machen.

Langsam ging ich zurück Richtung Camp. Es musste einen Weg geben, sie auf meine Seite zu ziehen, ich musste dran bleiben, ihr zeigen, was für ein netter Kerl ich war, und dass die ganze Sache wirklich nichts weiter als ein unglücklicher Unfall gewesen war.

Ich biss die Zähne zusammen. Sie musste mir glauben. Wenn sie es nicht tat, würde ich das Einzige im Leben verlieren, das mir etwas bedeutete.

Ich krabbelte in meinen Unterschlupf, drehte mich vorsichtig um und legte mich hin. Es war bequemer als erwartet, den Boden hatte Sam mit Blättern und Moos bedeckt, die eine überraschend weiche Unterlage bildeten. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte nach oben. Es war stockdunkel. So düster, dass ich nicht einmal meine Hand vor den Augen sehen konnte. Das wusste ich, weil ich es gerade eben versucht hatte. Nur um zu sehen, ob dieser seltsame Spruch mit der Hand vor den Augen der Wahrheit entsprach.

Tja, was sollte ich sagen? Es konnte tatsächlich so dunkel sein, dass man außer Schwärze nichts sah.

Nach einer Weile, in der alles genauso schwarz war wie zuvor, gingen meine Gedanken auf Wanderschaft. Statt Dunkelheit sah ich einen Saal. Hell erleuchtet von Kronleuchtern, die von der Decke hingen. Kristallgläser, die im sanften Licht funkelten. Blütenweiße Damastdecken, die die runden Tische bedeckten. Ich fühlte mich nie wirklich wohl bei diesen Wohltätigkeitsveranstaltungen. In meinem schwarzen Anzug mit Fliege kam ich mir vor wie ein Idiot. Trotzdem fand ich mich alle paar Monate auf einer solchen Veranstaltung ein. Als Spieler einer renommierten Baseballmannschaft gehörte es zu meinen Aufgaben, bei solchen Events präsent zu sein. Auch wenn ich mich noch so unwohl dabei fühlte.

Wie immer war ich zuerst zur Bar gegangen. Ein, zwei Whiskeys, und der Abend wäre etwas erträglicher. Ich hatte schon was intus, als ich sie sah. Samantha Fox, die Sportreporterin, die sich in dieser Männerdomäne einen Namen gemacht hatte. Sie war tough, stets gut informiert und hatte keine Probleme damit, in einer Umkleidekabine halbnackte Männer zu interviewen. Sich als Frau in diesem Beruf durchzusetzen, war nicht einfach, aber Samantha Fox hatte es geschafft, indem sie dreimal so gut war, wie jeder männliche Sportreporter. Dass sie gut aussah, war sicherlich auch nicht hinderlich, aber anders als bei vielen Frauen in einer solchen Position, bezweifelte bei Samantha Fox niemand, wie sie ihre Karriere geschafft hatte. Mit harter Arbeit. Indem sie stets zweihundert Prozent gab.

Ich bewunderte das, spiegelte es doch meine eigene Einstellung wider. Mir hatte auch niemand etwas geschenkt. Ich hatte mir meine gesamte Karriere erarbeitet, war niemandem einen Gefallen schuldig.

Die Frau, die sich nicht weit von mir mit einem älteren Mann unterhielt, hatte ich schon lange auf dem Radar. Seit ich sie das erste Mal gesehen hatte, wollte ich sie näher kennenlernen. Schon oft hatte ich versucht, mir vorzustellen, wie sie im Bett wäre. Irgendetwas an ihr gab mir stets die Gewissheit, dass man mit der toughen Sportjournalistin garantiert jede Menge Spaß zwischen den Laken haben könnte. Sie hatte Feuer, ging ihrem Beruf mit Enthusiasmus nach, dazu noch diese Figur, die endlos, langen Beine und dunkelbraune Augen, in denen man sich verlieren konnte.

Auch an diesem Abend sah sie so gut aus, dass jede andere Frau im Saal neben ihr verblasste. Samantha trug ein eng anliegendes dunkelblaues Kleid, das sich um ihre Kurven schmiegte wie eine zweite Haut. Obwohl es keinen Ausschnitt hatte – es war hochgeschnitten mit einem kleinen Stehkragen am Hals – war es sexier als alle anderen Kleider, die ich je gesehen hatte. Jede einzelne Linie ihres Körpers wurde von dem dunklen Stoff nachgezeichnet, jede Kurve perfekt betont. Durch den langen Schlitz an der Seite blitzte hin und wieder die sanft getönte Haut ihres Oberschenkels auf. Dank der hochhackigen Schuhe war sie groß, bestimmt einen Meter achtzig. Ihre langen blonden Haare flossen in einem seidigen Wasserfall ihren Rücken hinab.

Ich schluckte. Ich musste sie kennenlernen, sie bezirzen, in mein Bett bekommen.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, ihr den Stoff ganz langsam herunterzustreifen. Ihren Körper nach und nach zu enthüllen. Und ...

Stopp.

Ich musste damit aufhören, wenn ich mich nicht zum Idioten machen wollte, noch bevor ich sie überhaupt angesprochen hatte. Die Frau war eine Sportreporterin und hielt dadurch ziemlich viel Macht in ihren schlanken Händen. Es wäre besser, wenn ich mich von ihr fernhielte, aber ich wusste schon jetzt, dass ich das nicht schaffen würde. Dann eben Small Talk. Ich würde sie begrüßen – wir kannten uns, dank einiger Interviews –, über das Wetter reden und die kommenden Spiele. Mehr nicht. Danach würde ich mich von ihr verabschieden und verschwinden.

Genau das war der Plan, als ich auf sie zutrat.

"Hi, Samantha, du strahlst wie ein intergalaktischer Stern." Ich lächelte sie mit meinem Gewinnerlächeln an, das schon viele Frauen davon überzeugt hatte, dass ich ein toller Typ sei. Der dämliche Spruch war nicht Teil des Plans gewesen. Er war mir einfach so herausgerutscht. Wo, zur Hölle, war der Small Talk über das Wetter geblieben? Wo die harmlosen Bemerkungen? Und was, verdammt noch mal, meinte ich mit intergalaktischem Stern? Hatte ich zu viel Star Wars geschaut oder war der Blutmangel im Gehirn für diesen blöden Spruch verantwortlich?

Samantha musterte mich von oben bis unten und drehte mir dann den Rücken zu. Ohne ein Wort zu sagen. Im Nachhinein betrachtet, konnte ich es ihr nicht einmal verdenken.

"Hey, das ist ziemlich unhöflich. Du könntest wenigstens 'Hallo' sagen, wie jeder andere gut erzogene Mensch." Um mit ihr zu reden, hatte ich praktisch um sie herumgehen müssen, ich wollte mich gerade vor ihr aufbauen und ihr gehörig die Meinung sagen. Was ich mir dabei gedacht hatte, war mir mittlerweile absolut schleierhaft, doch noch bevor ich diesen brillanten Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, stolperte ich. Vielleicht schubste mich auch jemand, ich war mir nicht mehr sicher. Was ich aber ganz bestimmt wusste, war das: Ich torkelte nach vorn, streckte meine Hand aus, um mich abzufangen, und bekam etwas Weiches, Rundes zu fassen. Dann knallte ihre Hand auch schon in mein Gesicht.

"Fass mich nie wieder an", zischte sie.

"Hey, du dumme Kuh. Das war ein Versehen!"

Statt einer Antwort drehte sie sich weg, bahnte sich einen Weg durch das Gedränge und verschwand, bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Meine Wange brannte. Die Frau hatte ihre ganze Kraft in die Ohrfeige gelegt.

"Frigide, blöde Zicke", murmelte ich, dann ging ich an die Bar und bestellte mir noch mehr Whiskey. So wie ich es gleich hätte tun sollen.

Natürlich war Samantha seitdem nicht mehr besonders gut auf mich zu sprechen gewesen. Was eine Untertreibung war, denn sie machte aus meinem unbeholfenen Versuch, mich abzufangen, eine sexuelle Belästigung, gefolgt von einer Hetzjagd, die es in sich hatte.

Top Baseballspieler leistet sich sexuelle Übergriffe, war nur eine der Schlagzeilen, mit denen sie mich in den folgenden Tagen und Wochen bloßstellte. Sobald ich ein Stadion betrat, wurde ich ausgepfiffen, meine Dementi verhallten. Offensichtlich interessierte sich niemand für die Wahrheit. Es war ein Versehen gewesen. Mehr nicht.

Okay, ich fand Sam attraktiv und hatte sie mit einem ziemlich dämlichen Spruch belästigt. Das war aber auch das Einzige, dessen man mich beschuldigen konnte. Das, und die Tatsache, dass ich die ganze Affäre von Anfang an total verbockt hatte. Nicht nur, dass meine beiden Sprüche, der mit der dämlichen Kuh und der frigiden Zicke, so ziemlich von jedem Anwesenden gehört und den Medien weitergegeben worden war.

Nein, ich war auch noch so blöd gewesen und hatte in meinen ersten Statements versucht, die Sache runterzuspielen und Samantha so hinzustellen, als hätte sie hysterisch reagiert. Das kam nicht gut an, vor allem, weil gerade die Me-too-Kampagne in aller Munde war. Plötzlich wurde mein Name in einem Atemzug mit dem von Vergewaltigern genannt. Der kurze Zwischenfall entwickelte sich rasant zu einem PR-Albtraum, aus dem es nur ein Entkommen gab. Ich musste mich mit Samantha versöhnen, egal wie.

Und deshalb buchte der PR-Fritze unseres Teams für mich diese Survival-Woche. Nach dieser Tour waren etliche Interviewtermine vorgesehen, ein Exklusivbericht, in dem ich lügen und behaupten würde, wie toll diese Erfahrung gewesen war. Und, als krönenden Abschluss, gäbe es noch einen gemeinsamen Fernsehauftritt mit Sam und mir bei Oprah.

Ich stöhnte. So wie es im Moment aussah, würde Sam bei Oprah erzählen, dass ich ein noch größerer Idiot sei, als sie zuvor angenommen hatte. Im Grunde hätte ich nicht nur die Verpackungen der Müsliriegel vergraben sollen, sondern gleich meine Karriere. Aber Aufgeben lag nicht in meiner Natur, also würde ich diese Woche nutzen, um Sam von dem Gegenteil zu überzeugen. Ab morgen würde ich die Freundlichkeit in Person sein. Unaufdringlich, zuvorkommend, hilfsbereit. Ich sagte die drei Worte ein paar Mal wie ein Mantra in Gedanken. Dann zog ich eine Grimasse. Verdammt, ich konnte förmlich spüren, wie meine Karriere wie die Titanic auf einen Eisberg zusteuerte. Anders, als der Kapitän der Titanic, sah ich, was auf mich zukam. Ändern konnte ich trotzdem nichts an dem Untergang. So zumindest, fühlte es sich an.

Strike Out für die Liebe

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