Читать книгу Strike Out für die Liebe - Paris Sanders - Страница 5
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Sam
Was für ein eingebildetes Arschloch! Ich funkelte Andrew wütend an. Er grinste, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass ich meine Stiefel anzog – oder das, was davon übrig geblieben war. Ich wusste schon jetzt, ein paar Kilometer und ich würde handtellergroße Blasen haben, all das nur wegen des Idioten, der vor mir stand und das Schauspiel genoss.
Wenn der Typ dachte, wir würden in dieser Woche Freunde werden, hatte er sich getäuscht.
Ich zog die Schuhe an und ging ein paar Schritte. Es fühlte sich an, als hätte ich Wippen unter den Füßen. Die Sohlen waren geschwungen, wegen der Absätze. Jetzt, nachdem die circa zehn Zentimeter langen Stelzen unter meinen Fersen fehlten, konnte ich kaum laufen.
"Hier, ich hab noch ein Extrapaar dabei. Vielleicht passen sie dir ja", sagte jemand mit sanfter Stimme in meinem Rücken. Ich drehte mich um. Hinter mir stand die ältere Frau, die im Bus zwei Reihen vor mir gesessen hatte, und lächelte mich freundlich an. In ihrer Hand ein Paar Turnschuhe.
"Du bist meine Retterin", sagte ich.
"Ich habe Größe neununddreißig. Ich hoffe, sie passen", sagte sie. "Ich heiße übrigens Mary", fügte sie hinzu.
"Samantha, aber meine Freunde nennen mich Sam", sagte ich. "Ich trage normalerweise vierzig, aber es wird schon gehen. Alles ist besser als das." Ich deutete auf die Überreste meiner Stiefel. "Ich kann nicht glauben, dass ich vergessen habe, andere Schuhe einzupacken", gab ich kleinlaut zu.
"Ach, wir haben doch alle viel um die Ohren, da kann das schon mal passieren", sagte Mary gutmütig und drückte mir ihre Schuhe in die Hand.
"Bist du sicher, dass du sie nicht brauchst?"
"Absolut. Ich hatte sie nur eingepackt, falls ich Ersatzschuhe benötige."
"Das könnte immer noch passieren."
"Falls dieser Fall eintritt, wird uns schon noch was einfallen."
"Okay, vielen Dank. Du hast mir das Leben gerettet."
"Kein Problem." Mary winkte ab. "Wir sind doch da, um einander zu helfen. Darum geht es schließlich bei einem Survival-Training. Man lernt, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn man überleben will." Mit diesen weisen Worten drehte sie sich um und ging. Ich schaute ihr nach. Natürlich war es mein Glück, dass ich ausgerechnet mit der Person, der ich am wenigsten vertraute, auf einen solchen Kurs geschickt wurde.
"Wir gehen jetzt. Jeder zusammen mit seinem Partner. Achtet darauf, ein Team zu sein. Passt auf euren Partner auf, helft ihm, wenn nötig. Das Gelände ist anspruchsvoll. Das ist kein asphaltierter Weg, den wir nehmen, sondern kaum mehr als ein Pfad. Wir wandern Richtung Süden, etwa drei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit werden wir ein Lager aufschlagen. Dort lernt ihr, wie man Feuer macht, einen Unterschlupf für die Nacht baut und was man in der Wildnis essen kann."
Prima. Eine Wanderung in Turnschuhen, die mir eine Nummer zu klein waren. Das war zwar immer noch besser, als meine ruinierten Stiefeletten zu tragen, trotzdem freute ich mich nicht darauf. In den drei Stunden würde ich mir bestimmt Blasen holen, denn Marys Schuhe waren eindeutig zu klein. Ich unterdrückte ein Seufzen. Es war meine eigene Schuld. Ich hätte tatsächlich früher packen sollen, ganz wie Mr. Superschlau gesagt hatte. Wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, das bevorstehende Seminar weit in die Tiefen meines Bewusstseins zu verbannen und jeden Gedanken daran sofort zu unterdrücken, hätte ich genau das auch getan.
Vor uns bildeten sich Pärchen, wie brave Schulkinder stapften sie in einer Linie hinter Big Bear her. Prima! Natürlich musste ich mit Andrew ein "Team" bilden und so tun, als würde ich ihm nicht am liebsten den Hals umdrehen.
"Bleib mir von der Pelle. Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst", zischte ich ihm zu, dann reihte ich mich hinter den anderen ein. In einer langgezogenen Linie ging es durchs Unterholz, über Baumstümpfe und Steine hinweg, durch Tümpel, Gras und Moos. Natur pur. In all ihrer verflixten, blöden Pracht, dazu entworfen, Leute zu nerven, die in schlechtem Schuhwerk durch die Gegend stapften. Über mir ein hoher Dom aus Baumwipfeln, die leise in der Brise rauschten. Ein paar Vögel, die seltsame Laute von sich gaben. Abgesehen davon, Stille. Kein Hupen, kein Martinshorn eines Krankenwagens, der durch New York raste, keine Polizeisirenen.
Nichts.
Die übrigen Teilnehmer des Workshops schwiegen ebenfalls. Jeder darauf konzentriert, sich einen Weg zu bahnen, ohne sich die Knöchel zu brechen. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Ich war ganz allein in einem riesigen Gebiet, in dem es nichts als Bäume gab. Okay, außer mir und dem Idioten neben mir, waren da noch die anderen, insgesamt bildeten wir eine Gruppe, die aus zwölf Individuen bestand. Zwölf Menschen. Allein in einem Gebiet, das größer als New York war.
Panik machte sich in mir breit.
Warum musste mein bekloppter Redakteur mich ausgerechnet auf ein Survival-Camp schicken? Warum hatte ich mich nicht einfach mit Andrew auf ein Glas Wein in irgendeiner hippen Bar in Manhattan treffen können? Er hätte mich genervt. Ich hätte eine Stunde damit verbracht, ihn angestrengt anzulächeln und so zu tun, als fände ich seine dämlichen Witze toll. Danach wäre ich nach Hause gegangen, hätte geflucht weil Joe, mein Redakteur, mich zwang, etwas Positives über den größten Idioten der Baseball Premier League zu schreiben. Aber das wäre es auch schon gewesen. Okay, ich hätte meine Seele verkaufen müssen, aber das musste ich ja ohnehin. Nur, dass ich davor eine Woche lang in der Wildnis herumstolpern würde. Eines hatte Joe klargemacht, die Fehde mit Andrew musste aufhören, sonst war ich meinen Job los. Egal, ob ich das fair fand oder nicht. Egal, ob er mir an den Busen gefasst hatte. Aus Versehen oder absichtlich. Egal, ob er meine Grenzen respektiert hatte oder nicht.
Nichts davon zählte.
Nach dieser Woche würde ich so tun müssen, als hätte ich mich mit Andrew versöhnt und seine Entschuldigung akzeptiert. Ich würde ihn anlächeln, wenn ich ihn interviewte, und ich würde positiv über ihn schreiben. Allein der Gedanke ließ Wut in mir aufsteigen, aber ich unterdrückte sie, so gut es ging.
Eine Woche. Eine Woche die Nähe dieses Idioten aushalten, meine Seele verkaufen und mit dem Leben weitermachen.
Ich würde das schaffen. Ganz bestimmt.
"Scheißwurzel!", fluchte ich. Passend zu meinen Gedanken war ich darüber gestolpert, weil das blöde Ding unter Laub verborgen nur darauf gelauert hatte, mich zu Fall zu bringen. Kein Kommentar von Andrew. Nicht einmal ein herablassendes Lächeln. Mein Partner war zu sehr damit beschäftigt, sich durchs Unterholz zu bahnen. Gut! Je weniger er zu mir sagte, desto besser.
Eine gefühlte Ewigkeit verging. Die Stille der Natur interessierte mich nicht mehr. Die Tatsache, dass wir durch ein riesiges Gebiet trampelten, in dem es weder einen Supermarkt noch ein Restaurant gab, war ebenfalls nicht mehr wichtig. Meine Füße schmerzten. In meinem Kopf war nur noch ein Gedanke: Wann hörten wir endlich auf zu laufen und bauten ein Lager mit weichen, flauschigen Betten?
Mittlerweile hätte ich alles für ein Paar Wanderschuhe gegeben. Mein letztes Hemd, meine Louboutins, mein Erstgeborenes? Kein Problem, wenn ich dafür etwas an den Füßen hätte, das mir passte und in dem ich keine nassen Füße bekam, sobald ich eine Pfütze zu spät bemerkte.
"Ist vielleicht besser, wenn ich vorgehe", sagte Andrew, nachdem ich mal wieder fluchend gestolpert war. "Dann könnte ich dir helfen oder dich warnen", setzte er hinzu.
"Nicht nötig", zischte ich.
"Wenn du meinst."
Ich hätte schwören können, so etwas wie ein verstecktes Grinsen in seinen Worten wahrzunehmen, aber um das zu überprüfen, hätte ich mich umdrehen müssen, und ich brauchte meine gesamte Konzentration, um mir nicht den Knöchel zu brechen.