Читать книгу Ein Jahr aus irgendeinem Leben - Pat Oliver - Страница 10
7 – Mademoiselle Juli
ОглавлениеScheiße, ist das klischeehaft hier. Überall diese Bilder mit den Bananen, Äpfeln oder Birnen in den Schalen und alle haben diese Malerkittel an. Zwei tragen sogar Baskenmützen. In der Ecke diskutiert ein Ehepaar über modernen Expressionismus und Pop-Art. An der Wand hängt eine Kopie der Mona Lisa und in einer anderen Ecke stehen ein paar schöne selbstgetöpferte Vasen, die man nur einem hungernden Kind abkaufen würde. Selbst dann würde man wohl noch verhandeln.
Ich stelle mich an eine Staffelei und begutachte das daneben liegende Werkzeug. Ein Spachtel, Pinsel in jeder Form und Größe und Ölfarben. Neben mir steht Frau Neubaum, die nette alte Dame von schräg gegenüber.
„Ach wie nett. Ich wusste gar nicht, dass sie auch diesen Kurs besuchen“, tönt es mir entgegen, als sie mich erkennt.
„Na, ist auch das erste mal heute. Ich habe mir überlegt, dass ich mir ein Hobby zulege, wissen sie.“
„Ja, ja, die jungen Leute. Wir mussten ja früher immer arbeiten. Keine Zeit um zu spielen. Trümmer haben wir zusammengefegt, ja. Und dann haben wir Kohlen gesammelt. Im Winter war es ja so kalt, damals.“
„Na, dann können wir ja beide froh sein, dass diese Zeiten vorbei sind, nicht wahr, Frau Neubaum?“
„Ach, wir hatten ja nichts damals...“
Nette alte Dame. Ich musste mir das schon oft anhören, aber für Nostalgie habe ich auch ziemlich viel übrig. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich ein paar jungen Bengels Geschichten von früher erzähle. Auf einer Parkbank, während ich mich auf meinen Gehstock stütze.
Die Tür geht auf und Frau Neubaum hört auf zu reden, flüstert noch ein „ah, jetzt geht’s ja los“ und ich sehe, wie eine ziemlich hübsche, etwa 27-jährige Brünette in den Raum marschiert. Sie stellt sich an das Pult und legt ihre Tasche darauf. In diesem Moment erinnert sie mich stark an die Referendarin aus der sechsten Klasse. Mann, waren wir damals verknallt.
Sie begrüßt uns mit einem „Bon jour“ und schreibt ihren Namen an die Tafel. Mademoiselle Juli.
Wenn hier etwas noch klischeehafter werden sollte, als das, dann werde ich mich demnächst wohl für ein Porno-Casting anmelden. Einfach, um mal etwas weniger typisches zu erleben.
Natürlich ist Mademoiselle Juli eine französische Austauschstudentin, die mit diesem Kurs ihr Geld verdient und natürlich sind ihre Augen voller Leidenschaft und ihr Akzent ist so erotisch, dass man alles für eine Nacht mit ihr geben würde.
Ich gebe alles. Ich bin schon nach zwei Wochen derart versiert im Pinselstriche ziehen, dass sie mich immer wieder lobt, für meine gelungenen Licht- und Schattenverhältnisse oder die Vielschichtigkeit meiner Farbwahl. Ich danke ihr jedes Mal aufrichtig dafür und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie hat Grübchen.
In der darauf folgenden Woche habe ich eine künstlerische Krise. Ich entschließe mich kurzerhand, als Quereinsteiger in dem Aufbaukurs für Fortgeschrittene, bei Günter Dubrovnik, einzuschreiben. Es ist schwer, aber ich komme in etwa mit.
Ich beschließe, dass es Zeit für einen Französisch-Kurs wäre und besuche „Französisch für Anfänger“, bei Madame Bauer.
Und dann eine Woche vor Ende des Kurses, ziehe ich den Joker. Ich vollende mein Bild mit einem gewagten Pinselstrich, führe es Mademoiselle Juli stolz erhobenen Hauptes vor und sage im besten Französisch: „Wenn es ihnen nicht gefällt, lade ich sie zum Essen ein.“
Sie erwidert, das Bild sei unglaublich hässlich, lacht herzlich und am Abend sitzen wir beide beim Italiener um die Ecke.
Ich erinnere mich an diesen süßen Film von Disney mit den zwei Hunden die sich so mögen, komme aber nicht auf den Namen. Wir bestellen beide Spaghetti. Sie hat den Film wohl auch gesehen.
„Und was machen sie, wenn sie nicht gerade diese hässlichen Bilder malen?“ fragt sie, während wir anstoßen.
„Ich studiere noch.“
„Oh, was studieren sie denn?“
„Mal dies, mal das. Ich lege mich da nicht so fest, wissen sie.“
„Ah, ich verstehe... Äh, bitte lassen Sie uns doch dieses ‚Sie‘ ablegen, ich komme mir ja vor wie eine alte Frau. Ich bin erst sechsundzwanzig.“
Wir trinken auf Du und Du und ich frage, wie sie nun eigentlich mit Vornamen heißt.
„Dominique.“
„Schöner Name. Dominique Juli, gefällt mir.“
Das ist ein Anfang. Wir lernen uns kennen. Ich und die vier Jahre ältere Mademoiselle Juli. Ja, es ist schön mit ihr. Sie ist einfach. Sie lacht oft und ich bringe sie gerne zum Lachen. Ich mag ihre Grübchen.
Die Französin. Die Erfüllung meiner pubertären Phantasien. Wenn ich diese Frau mit nachhause nehmen darf, dann fehlen nur noch die Jazzmusikerin, die Referendarin aus der sechsten Klasse und eine Polizistin, wahlweise ersetzbar durch eine Ärztin oder neue Nachbarin.
Wenn ich mit all diesen Frauen jeweils eine Nacht verbracht habe, kann ich in Würde sterben. Die Chance, dass dieser Fall eintritt ist geringer als die Chance, eine gute Hollywoodfließbandkomödie zu sehen und das ist ja schon seltener, als der berühmte Sechser im Lotto, dessen Wahrscheinlichkeit wiederum geringer ist, als von einem Blitz getroffen zu werden.
Aber wenigstens ein bisschen Würde werde ich bei meinem Ableben behalten, denn Dominique kommt mit zu mir. Sie schlägt es sogar vor. Wir kaufen noch zwei Flaschen Wein an der Tankstelle und sie legt sich zu mir auf das Sofa. Sie sagt, ihr wäre sehr warm und als ich ihr erzähle, dass ich vier Jahre jünger bin, küsst sie mich und weiht mich kurz darauf in die Geheimnisse der Liebe ein.
Zumindest erzähle ich es so meinen Freunden. In Wahrheit waren wir nämlich beide so betrunken, dass wir das ganze fast gar nicht mehr hinbekommen haben. Gekommen ist keiner von uns und nach einer halben Stunde haben wir es einfach aufgegeben.
Wir sind jetzt gute Freunde und ich schreibe ihr E-Mails, mit zweideutigem Inhalt. Im Sommer darf ich sie in Frankreich besuchen kommen. Vielleicht kennt sie ja eine Jazzmusikerin, mit der sie mich verkuppeln kann.