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5 – Neo

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Okay, Bestandsaufnahme: Die Sache mit Ina soll mir eine Lehre gewesen sein. Die Sache mit Lisa auch. Die Sache mit Steffi ist in Ordnung, platonische Beziehungen zwischen Männern und Frauen entstehen wahrscheinlich unter der Prämisse, dass man bereits eine sexuelle Basis teilt.

Die Schichten im Café habe ich getauscht und die Diät wieder aufgegeben. Ich brauche jetzt dringend eine Pause. Ina hat mir den Rest gegeben. Vielleicht lege ich mir ein Hobby zu. Irgendwas ausgefallenes, dass mich so sehr in Anspruch nimmt, dass ich keine Zeit mehr habe, um an etwas anderes zu denken.

Adolf geht es soweit ganz gut in seinem Terrarium. Er hat gestern einen herben Schlag der Alliierten einstecken müssen, als sie seine linke Flanke durch einen plötzlichen Artilleriebeschuss, in Form von Papierkügelchen, die meine Freunde nach dem gestrigen Gelage mittels Gummibändern abfeuerten, beinahe komplett auslöschten.

Ich stelle mir einen Plan zusammen. Endlich Ordnung in dieses ganze Chaos bringen, das ist es. Ich muss jetzt erwachsen werden. Ich muss kluge Entscheidungen fällen. Um acht Uhr morgens schon im Büro schuften. Ich habe zwar kein Büro und auch keinen Job, der mich in ein Büro führt, aber ich räume mir eine Ecke in meinem Wohnzimmer frei. Ich strukturiere alles um. Ich baue mir ein Regal, in das ich eine Enzyklopädie stellen kann und ich kaufe mir diese „Posteingang-Postausgang“-Boxen und dann noch Ringordner. Ich mache alles, damit es so professionell wie möglich aussieht. So, als ob es viel zu tun geben würde. Ich strukturiere meine PC-Ordnung, lege drei Festplattenpartitionen an und ich stelle mir sogar einen Bilderrahmen hin. Normalerweise wäre dort ein Foto von meiner Familie, oder meiner Freundin, oder wenigstens von meinem Hund. Aber ich besitze seit geraumer Zeit nur noch digitale Fotos. Deshalb ist da immer noch das Modellbild, das mich anstarrt und ich stelle mir vor, wie es wäre, mit dieser Frau zusammen zu sein.

Bloß nicht dran denken! Jetzt wird es Zeit zu arbeiten. Ich besorge mir Bücher aus der Uni-Bibliothek und fange an, eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen. Der Titel ist mir noch nicht ganz klar, aber ich nehme einfach alle Zitate, die mir gefallen und setze sie aneinander. Heraus kommt eine Mischung aus Philosophie des 19. Jahrhunderts, Psychoanalyse für den Hausgebrauch, Darwinismus im Vergleich zu marxistischen Ansätzen, sozialwissenschaftliche Deutungsweisen der antiautoritären Erziehung sowie ein kurzes Exposé über das Germanistikstudium an sich. Ich bin wie besessen. Interdisziplinär. Ich schreibe und schreibe und schreibe, während ich nicht einmal merke, dass ich da völligen Blödsinn zusammenkloppe. Ich denke mir, dass es genial sein muss. Ich finde Verknüpfungen zwischen Aristoteles und Martin Luther. Und ich beginne den Code zu sehen. Zu Entschlüsseln. Ich weiß, dass da ein großes Ding am Laufen ist. Ja, es muss so sein. Es gibt einen Masterplan.

Und plötzlich fällt es mir wieder ein. Der zweite Teil war nicht besonders. Der dritte war einfach nur noch schlecht. Die Effekte waren gut, aber nur die wirklichen Fans konnten diesen beiden Teilen noch etwas abgewinnen. Und die Lösung des ganzen. Ich weiß noch wie ich da im Kino saß und mich gefreut habe. Eine hochkomplexe, bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Story habe ich erwartet. Und dann das. Neo schließt mit den Maschinen Frieden und alles geht wieder von vorne los.

Ja, ich halte hier den Schlüssel zur Matrix in den Händen. Und niemand darf es wissen. Alle sollten es wissen. Ich veröffentliche es im Internet, die ganzen zweihundert Seiten und vernichte alle Spuren, die zu mir führen könnten. Ich gehe extra in ein Internetcafé, um nichts zu hinterlassen, was mich identifizieren könnte. Dann gehe ich nachhause und mache bewusst Unordnung auf meinem Schreibtisch.

Ich schaue mir den Film noch einmal an. Den ersten Teil. Der war in sich schlüssig. Sogar ziemlich gut. Ich sehe ein, dass ich bei meinen Nachforschungen vergessen habe, dass es uns im Vergleich zu der realen Welt eigentlich ziemlich gut geht und dass man sich nicht beschweren sollte, weil man sonst gegen übermächtige Maschinen kämpfen muss, die man eigentlich nur besiegen kann, wenn man sich zwanzig mal schneller bewegt als alles andere.

Nächste Woche schreibe ich mich in einem Malkurs an der Volkshochschule ein. Aber nichts Abstraktes. Stillleben oder Naturalismus. Hauptsache, ich komme nicht wieder auf komische Gedanken.

Ein Jahr aus irgendeinem Leben

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