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8 – Absolute Giganten

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Jetzt. Genau jetzt. In exakt diesem Moment. Ich stehe quasi vor gepackten Koffern. Genau jetzt sollte ich abhauen. Einfach weg hier. Alles abbrechen und hinter mir lassen. Raus aufs Meer. Irgendwohin, wo ich in Einsamkeit vor mich hin philosophieren kann, ohne einen Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden.

Nach Südamerika wäre gut. Vielleicht auch Kuba oder Jamaika. Aber darum geht es auch gar nicht. Wohin ist egal. Ich habe diesen Film gesehen. „Absolute Giganten“. Der neue deutsche Film ist ja mal so was von nicht tot. Im Prinzip geht es in dem Streifen darum, dass ein Typ mit seinen zwei besten Freunden einen letzten Abend verbringt, bevor er für immer abhaut. Einfach weg. Weg aus Hamburg. Ich will auch in Hamburg leben. Ja, das ist es. Ich will nach Hamburg ziehen. Und dann will ich da auch verschwinden.

Am meisten beeindruckt mich das Ende von dem Film. So ziemlich am Anfang sagt der Hauptdarsteller, dass es immer Musik geben müsste, bei allem was man so macht und dass dann, wenn es am besten ist, wenn es besser nicht mehr geht, dass dann die Platte hängen sollte. Und am Ende hängt die Platte und man hört immer wieder dasselbe Stück Musik, während die Sonne über der Elbe aufgeht.

So etwas beeindruckt mich einfach. Das ist einfach geil. Und genau jetzt muss ich hier wegziehen. Ich muss alles hinter mir lassen, meine Freunde anrufen und sagen dass ich gehe. Der Unterschied ist, dass sie wahrscheinlich eine richtig große Party organisieren, mit allen Menschen die mich irgendwie auch nur im Entferntesten kennen und am Schluss liegen alle betrunken unter dem Tisch.

Wenn ich mir das Elend vorstelle, bleibe ich wohl doch besser hier. Vielleicht sollte ich mir auch einfach andere Freunde suchen und dann abhauen.

Mit Marlene und Tom ist das schon ganz gut. Wir treffen uns vielleicht einmal im Monat, aber wirklich vermissen werden die mich auch nicht. Marlene hat jetzt auch einen Freund. Bezeichnenderweise ist es der Bruder von Toms Freundin. Sie hat ihn zwei Tage nach dem Abend bei mir kennen gelernt. Das nennt man wohl Pech. Wobei es mir eigentlich nicht viel ausmacht, denn richtig scharf war ich nie auf sie. Lag wohl am Charakter.

Meine Mutter hat angerufen. Ich soll nächste Woche mal wieder zum Kaffeekränzchen vorbeikommen. „Wir hören ja immer so wenig von dir.“

Kein Wunder. Wirklich etwas zu erzählen gibt es ja nicht. Von dem dreimaligen Studienwechsel sage ich ihnen besser nichts, sie würden nicht verstehen, dass man seine Prioritäten auch mal umstrukturieren kann und da ich außerdem keine Heiratspläne oder irgendwo im Lotto gewonnen habe, werde ich wieder da sitzen, sagen, dass bei mir alles gut ist, so wie es ist und dass sie sich keine Sorgen machen brauchen.

Sie werden die Bilder vom letzten Urlaub auspacken und ich werde sie mir mittelprächtig beeindruckt ansehen. So läuft das nun mal in meiner Familie.

Zack, da ist sie. Ich hatte schon gehofft, dass das dieses Mal ausbleiben würde, aber es ist unvermeidlich. Lebenskrise. Wo will ich hin? Was wird einmal aus mir werden? Will ich wirklich so weitermachen? Wer ist die perfekte Frau für mich? Warum meldet sie sich nicht bei mir? Wie kann ich mich selbst überhaupt noch ertragen?

Mein Hang zum Pathos ist schon extrem lästig, aber ich kann mich ja nicht wehren. Ich lege mich auf mein Bett und höre irgendwelche psychedelischen Songs mit viel Geigen und Klavier drin. Hypnotischen Kiffer-Elektro-Klassik-Jazz-Rock.

Ich sollte einfach schlafen gehen. Das wäre besser, aber ich weiß, dass ich das jetzt nicht tun kann. Ich werde mir bald eine Jacke anziehen und in der Dunkelheit durch die Stadt laufen. Irgendwann lande ich dann in einer Bar, in der ich ein Bier bestellen werde, während ich versuche, dem Wirt meine Leiden zu erzählen. Leider geht das heutzutage auch nicht mehr so einfach. Die meisten Barkeeper hören dir nicht mehr zu. Sie geben dir nur den Rat, schneller zu trinken und nachhause zu fahren. Irgendwann müssen sie diese Verordnung abgeschafft haben, dass angehende Gastwirte zwei Semester Psychologie oder Sozialpädagogik belegen.

Nachdem ich mein Bier in der Bar ausgetrunken und bezahlt habe, betrinke ich mich zuhause weiter. Dann komme ich wieder auf die verrückten Ideen wie Künstler werden oder ein Buch schreiben, in dem ich der ganzen Welt meine Leiden beichte, vielleicht lerne ich auch ein Instrument und werde Rockmusiker.

Irgendwann fasse ich dann den Entschluss, dass alles erst einmal so bleibt wie es ist und dass ich mir nicht so viele Sorgen machen sollte. Danach schlafe ich ein und habe am nächsten morgen wieder einen höllischen Kater und natürlich brennenden Durchfall.

Nein! Heute läuft es anders. Ich kann mich nicht jedes Mal davor drücken. Ich muss jetzt eine Entscheidung fällen. Ich muss jetzt weg! Und ich werde es niemandem sagen. Ich fahre einfach. Ich plündere mein Sparbuch. Ich steige in den nächst besten Zug und fahre nach Hamburg.

Die Bank hat zu.

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