Читать книгу Ein Jahr aus irgendeinem Leben - Pat Oliver - Страница 7

4 – Ina

Оглавление

Zieh dich aus, so dass man alles sehen kann. Schau dich an und du findest eine Stelle, die dir nicht gefällt. Du kannst noch so viele Schönheitskonkurrenzen gewonnen haben, noch so viel Muskel­training hinter dir haben, aber besser wird es einfach nicht. Diese eine Stelle ist immer da. Vielleicht ist es deine Brust, vielleicht dein Arsch, deine Knie oder dein rechter Oberarm. Auf jeden Fall gibt es diese Stelle und du kriegst sie einfach nicht weg.

Stell dich auf eine Waage und frag dich, ob das eine oder andere Pfund wirklich eine Berechtigung hat, um sich an deinem Körper zu manifestieren. Wie immer du es drehst und wendest, das Leben ist einfach nicht fair zu dir. Und du bist außerdem der einzige Mensch auf der Welt, dem das so geht...

Ich habe wieder angefangen. Die nächste sinnlose Diät in meinem Lebenslauf. Ich will wieder schlank sein. Wieder schön sein. Früher hatte ich keine Probleme mit Dingen wie dem Freibad oder damit, mein T-Shirt auszuziehen, wenn es heiß war. Heute überlege ich mir dreimal, wie das auf die Menschen um mich herum wirkt. Ich meine, das ist eklig. Dieses ganze Bierbauchdesaster. Natürlich hat daran die Werbung Schuld, dass ich mich so mies dabei fühle, aber das wissen die Mädchen, mit denen ich ausgehe, ja nicht. Die wissen, dass Brad Pitt ein Schönheitsideal ist und dass nicht alle Menschen so aussehen, aber sie wissen auch, dass ihr letzter Freund dreimal die Woche trainiert hat, um so auszusehen, dass man mit ihm weggehen kann. Das ist echter Einsatz. Und die Gene, die so jemand hat, sind förderlich in der Natur, wenn man überleben will.

Ich allerdings bin ja eher der Stadtmensch. Die Natur reizt mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Ich habe Pollenallergie. Ich lebe in einer Welt, in der man sich muskelstimulierende Elektroden auf die Haut pappt, um einen flachen Bauch zu bekommen. Einen Tiger töte ich mit meinen bloßen Händen – am Computer. Und hinterher gehe ich mir ein Steak kaufen.

Leider habe ich so nie gelernt, wie man eine Frau an den Haaren in die Höhle schleift. Deshalb bin ich Single. Aber heutzutage ist man ja nicht mehr einfach nur Single. Nein, man ist auch noch glücklich dabei. Ich habe noch nie unglückliche Singles auf der Straße, oder in Bars oder im Kino getroffen. ‚Und wie geht’s dir?’ – ‚Ach gut. Nein, ich schaue mir gerne Filme alleine an, da kann man besser aufpassen, man ist nicht so abgelenkt. – Ich bin auch nur auf ein Bierchen vorbeigekommen. Wollte sehen, ob jemand von früher hier ist.’

Alles Blödsinn! Das alles ist Wahnsinn. Geradezu paradox. Denn wenn man glücklich ist, dann will man den Zustand ja nur ungern ändern. Ergo bleibt man immer länger alleine und wird immer noch glücklicher. Die unwiderrufliche Folge: tiefe Depression. Mit 40 merken viele dann, dass das „Single sein und glücklich tun“ so nicht funktionieren kann. Ein wirklich glücklicher Single würde seine Einsamkeit eben nicht akzeptieren, dagegen ankämpfen, scheitern, ein paar Jungs zusammentrommeln und seinen Frust im Alkohol ertränken. Das ist es, was glückliche Singles tun.

Im Café arbeitet jetzt eine neue Bedienung. Sie ist 23, hat braune Haare und heißt Ina. Natürlich hat Ina einen Traumkörper, sonst wäre sie an dieser Stelle kaum erwähnenswert und ich würde nicht den ganzen Tag hungern, um besser auszusehen. Wäre Ina eine fette Tonne mit Triefaugen, dann würde ich vielleicht meinen Schichtplan ändern und alles wäre in Ordnung. Aber Ina ist eines dieser Mädchen, die, wenn sie einen am Arm berühren, einen Mann wahnsinnig machen. Objektiv gesehen ist sie auf jeden Fall vier Nummern zu groß für mich. Aber ich habe mich da jetzt leider rein gesteigert und zurück geht es nicht mehr.

Ich wache auf, kratze mich, hole mir einen Kaffee, setze mich an den PC und zack, schon denke ich an sie. Wenn ich mittags am Café vorbeigehe, schaue ich hinein, ob sie gerade Dienst hat und wenn ich abends das Licht ausmache, dann frage ich mich, was ich sagen könnte, wenn sie jetzt neben mir liegen würde. Ich würde Gedichte schreiben, wenn das nicht so schmalzig wäre. Ich würde dieses „Sterne vom Himmel holen“-Ding ausprobieren, wenn dadurch nicht die ganze Menschheit ausgelöscht werden würde. Und ich würde sogar eine Hollywood-Liebeskomödie für gut erklären.

Aber Mädchen wie Ina haben natürlich immer einen Freund. Das lassen sie dich nicht merken. Nein, sie erwähnen es irgendwann beiläufig. So, als ob du es eigentlich hättest wissen müssen. Sie bemerken nicht den kurzen Anflug von Mordgelüsten gegenüber ihrem Angebeteten. Du versuchst, dich zu distanzieren, aber sie umarmen dich immer wieder herzlich und streicheln deinen Nacken, weil du schon wieder vorgegeben hast, du seist verspannt. Sie halten dich auf dem Abstellgleis, bis sie wieder Solo sind. Dann heißt es, sie brauchen jetzt einen guten Freund. Und natürlich bist du wieder so dämlich anzunehmen, dass du sie haben kannst. Aber nach einer Woche, in der du sie umarmt, gestreichelt, liebkost und umsorgt hast, haben sie wieder einen anderen.

Natürlich könnte man ihnen sagen, dass die gute platonische Beziehung, die man so führt, nur der Vorwand dafür ist, in ihrer Nähe zu sein, aber Geheimnisse behält man ja doch lieber für sich.

Ich bilde mir ein, Ina würde es irgendwann schon merken. Und bis dahin bleibe ich der Typ im Hintergrund. Damit ist die Sache zum Scheitern verurteilt. Ich müsste um sie kämpfen, ihr Herz erobern. Ich müsste sie vor einem 50 Meilen schnellen Bus retten oder so etwas, aber das kommt nicht in Frage.

Stattdessen zeige ich ihr wie man die Kaffeemaschine richtig bedient und sie lächelt. Dagegen bin ich machtlos. Weiche Knie, Engelsgesang, der ganze Unfug. Ich frage sie, ob sie heute Abend schon etwas vor hat und sie hat etwas vor. Sie will auf ein Konzert. Irgend so ein Rockevent mit Live-Bands. Sie fragt, ob ich nicht mitkommen will und ich sage, dass ich es mir überlege. Sie sagt, sie würde sich freuen.

Ich Idiot gehe natürlich in der Erwartung, sie würde dort mit einer oder zwei Freundinnen sein, hin. Stattdessen ist Thorsten da. Thorsten, der widerliche Thorsten. Der Thorsten, dessen Auto, falls ich es finde, nicht mehr besonders gut bremsen wird.

Nachdem ich, mutig wie ich bin, auf die beiden zugegangen und Ina begrüßt habe, stellt er sich mir vor. Dann fängt eine der schlechten Bands an zu spielen und die beiden küssen sich. Vor meinen Augen, als wäre ich nie da gewesen. Und in diesem Moment raste ich aus. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen. Ich koche innerlich über. Ich gehe nach draußen und trete eine Laterne aus.

Dann rufe ich meine Freunde an und gehe mit ihnen einen trinken.

Ein Jahr aus irgendeinem Leben

Подняться наверх