Читать книгу Eine Lüge für die Freiheit - Patrice Parlon - Страница 6

Freund oder Feind?

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Je tiefer sie in das Dunkel eindrang, umso unheimlicher wurde es. Plötzlich stieß sie gegen eine Kiste. Erwartungsvoll hob sie den Deckel und durchwühlte den Inhalt. Sie fand eine Taschenlampe, die sogar funktionierte. Viel Licht brachte sie nicht. Gerade genug, um nicht wieder zu stolpern. Schrittweise näherte sie sich einem Durchgang, der in einen Keller aus Backsteinen führte. Dort angekommen stand sie vor einem schmalen Torbogen mit einem Gitter. Daran hing noch eine dicke Eisenkette mit Vorhängeschloss. Doch sie verhinderte nicht mehr das Eindringen in diesen Gang. Irgendwer musste sich gewaltsam Zutritt verschafft haben. Coline schob das Gitter auf und trat vorsichtig ein. Ab jetzt waren da nur noch feuchte dreckige Gänge und zerfallenes Gemäuer. Es machte den Eindruck, als würde alles jeden Moment einstürzen und doch wagte sie sich weiter hinein.

Sie versuchte, die Wände nicht zu berühren. Es ließ sich aber nicht immer vermeiden. Sie fand einen Lichtschalter und drückte darauf. Nun sah sie einen kurzen verzweigten Gang, der halb zerfallen und mit Schutt übersät war. Mit jedem Schritt wurde es kälter, erdrückender und unheimlicher. Sie ging weiter und entdeckte ein Lager. Dort stapelten sich alte Matratzen und verschiedene Möbelstücke. Noch ein paar Schritte weiter stand sie in einem langen Gang. Zu beiden Seiten gab es viele Türen und Coline näherte sich der Ersten. Plötzlich hörte sie Stimmen. Viele verschiedene Stimmen. Unwillkürlich zitterte sie, denn sie fühlte sich entdeckt. Als dann auch noch Schritte an ihr Ohr drangen, huschte sie in eine dunkle Nische. Minuten später hörte sie eine Frauenstimme. „Wer von euch hat das Licht angelassen?“ Drei Jungen und ein weiteres Mädchen wiesen jede Schuld von sich. Coline sah um die Ecke. Da stand eine Frau, die nur wenig älter sein musste als sie. Coline schätzte sie auf dreißig Jahre. Diese Frau hatte feuerrotes Haar und eine schlanke Figur. Sie war offensichtlich die Anführerin der Bande. Unachtsam stieß Coline gegen einen Kanister und lenkte so die Aufmerksamkeit auf sich. Sofort schlugen die Fünf an. Sie zogen Coline aus ihrem Versteck und die Rote fragte sie aus. „Wer bist du und was willst du hier?“ „Ich? Ich will gar nichts. Ich habe mich nur verlaufen.“ Skeptische Blicke musterten Coline, während sie der Rotschopf umkreiste. „Du kannst mir viel erzählen. Wie heißt du?“ „Die da oben nennen mich Coline.“ „Was soll das heißen? Ist Coline dein Name oder nicht?“ „Ja, ich heiße so.“ Dann stellte sie sich vor. „Ich bin Nadja.“

Sie bat Coline, dass sie ihr folgen sollte. Bereitwillig nahm sie an. Der Weg führte durch weitere Gänge, bis zu einem beheizten Raum. Dort hausten sie. So langsam kamen sie ins Gespräch. Nadja wollte einiges wissen. „Du bist bestimmt die Neue! Das Biest hat viel von dir geredet.“ Coline fragte verwirrt: „Welches Biest?“ „Na du weißt schon, die Köhler!“ „Ach du meinst die Ratte.“ „Ratte, Biest! Wo ist der Unterschied? Jetzt sag mir doch erst mal, warum du hier bist.“ Coline versuchte ihr auszuweichen. „Ich? Ich habe nur einen kleinen Fehler gemacht. Wer sind eigentlich deine Mitbewohner?“ Nadja drehte sich ihnen zu und sagte: „Das sind meine Kumpels. Kommt raus. Das ist Steffen, Markus und sie heißt Belinda. Dann ist da noch Sven. Wir sind sozusagen der Abschaum der Anstalt.“ Coline sah sie sich genauer an. Jeder von ihnen schien schon viel Leid erfahren zu haben. Coline fragte: „Warum versteckt ihr euch hier unten?“ Nadja bot Coline einen Platz an und meinte: „Wenn du etwas Zeit hast, dann erzähle ich es dir.“ Gespannt setzte sich Coline auf eine staubige Matratze und lauschte.

„Es war nicht immer so schlimm wie jetzt. Als ich hierher kam, machten sie sich noch die Mühe uns was beizubringen. Dann tauchte plötzlich dieses Weib auf und alles wurde anders. Es dauerte nur zwei Monate, bis wir gar nichts mehr durften. Sie stellte so viele Regeln auf, dass sich keiner daran halten konnte. Und wenn einer etwas angestellt hat, dann hat sie ihn regelrecht gefoltert.“ Coline wollte Gewissheit und fragte: „Wie hat sie euch bestraft?“ Nadja stand auf und machte ihren Rücken frei. Dann drehte sie ihn Coline zu. „Sieh es dir genau an. Das wird deine Zukunft sein.“ Coline erschrak. Nadjas Rücken färbte sich von Gelb über Rot bis hin zu tiefem Schwarz. Blutergüsse ohne gleichen. Dazwischen verteilten sich blutige Striemen und Narben älterer Verletzungen.

Nadja fragte: „Kannst du dir das vorstellen?“ Coline wurde bleich. Sie hakte nach: „Was hast du getan?“ Nadja sah sie verwundert an. „Getan? Ich habe gar nichts getan. Ich habe ihre Befehle ignoriert. Es war einfach zu viel. Ich wollte nicht jede Sekunde meines Lebens arbeiten. Ich habe nur einen Trumpf. Kurz bevor ich hierher kam, habe ich meinem Freund über die Schulter gesehen. Er hat hier die Renovierung geleitet. Da habe ich mir auch mal die Pläne ansehen können und daher weiß ich von dem Labyrinth.“ Colines Neugier wuchs. „Und jetzt versteckt ihr euch hier unten? Warum suchen sie euch nicht?“ Nadja schmunzelte ein wenig. „Das hat einen einfachen Grund. Deine sogenannte Ratte fürchtet sich vor dem Labyrinth. Sie behauptet immer, es würde ein Monster in diesen Gängen lauern und es würde alle Eindringlinge zerfleischen.“ Coline fiel sofort der Name zu diesem Monster ein. „Arantino!“ „Was? Woher kennst du diesen Namen?“ rief Nadja erschrocken und Coline lenkte ab. „Habt ihr dieses Monster schon Mal gesehen oder gehört?“ Alle schüttelten die Köpfe. Nadja spürte, dass Coline mehr darüber wusste und fragte: „Woher weißt du von diesem Dämon. Du bist doch grade erst gekommen?“ Coline antwortete trocken: „Sagen wir einfach, dass ich ihn kenne. Ich habe ihn gerufen, wegen mir wandelt er in diesen Gängen.“ Ungläubige Blicke musterten Coline und sie wusste, jetzt musste sie vieles erklären. Coline versuchte wieder abzulenken. „Wenn sich die Ratte nicht hier runter traut, warum holt euch dann nicht ihr Gorilla David?“ Steffen gab ihr darauf eine einfache Antwort. „Bestechung und Gefälligkeiten.“

Plötzlich fühlte Coline einen bestialischen Schmerz. Ihre Schulter brannte wie Feuer. Sie fasste an diese Stelle und verzerrte ihr Gesicht. Nadja sprang auf, um ihr zu helfen. Coline wehrte sich heftig und dabei riss ihr Nadja das Hemd von der Schulter. Sofort entdeckte sie die Tätowierung und rief: „Du bist das? Deinetwegen müssen wir uns verstecken!“ Coline starrte erschrocken in die grimmigen Gesichter. Sie fragte kleinlaut nach, was sie meinte und Nadja machte es ihr unmissverständlich klar. „Mit dem Tag, als diese Ratte hier auftauchte, hielt sie jedem das Buch mit deinem Zeichen unter die Nase. Sie drohte uns mit tausend Qualen, wenn wir nicht gehorchten. Wir wussten nicht, was sie wollte, und machten weiter wie vorher. Schnell lagen wir auf der Folterbank, nur weil sie wütend auf den Schreiberling war. Sie schwor, dass es kein Ende gibt, bis sie ihn gefunden hat.“

Coline wusste, dass das Leid der anderen nur beendet werden konnte, wenn sie vor Johanna auf die Knie fiel. Doch das wollte sie auf keinem Fall. Da ließ sie nicht mit sich reden.

Sie trat den Rückzug an. Nadja brüllte ihr noch hinterher: „Wo willst du hin? Hier sind überall Bewegungsmelder und Fallen.“ Doch Coline hörte sie nicht mehr. Sie wollte so schnell wie möglich weg. Eilig stürmte sie durch die Gänge und kletterte über viele Leitern nach oben. Sie stolperte über einen Draht und stürzte. Erschrocken rappelte sie sich auf und lief weiter. Sie erreichte eine dicke Holztür mit Eisenbeschlag. Sie ging hindurch und stand plötzlich auf einer Dachterrasse. Unten im Hof regte sich etwas und Coline wollte es genauer wissen. Sie näherte sich der Brüstung. Da stieß sie gegen ein Podest aus Metall. Sie betrat es und ging einen Schritt weiter. Als sie in der Mitte ankam, stand es plötzlich unter Strom. Schwache Stromstöße durchfuhren Colines Leib. Wie gebannt blieb sie auf der Platte stehen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. So sehr sie sich auch bemühte. Der Strom wurde immer stärker und plötzlich durchzuckte sie ein so starker Stoß, dass sie zusammenbrach. Sie klebte förmlich darauf.

Nur wenige Sekunden später kam Nadja zu ihr und sah das Unglück. Nadja kannte die Folgen und verschwand so schnell es ging. Sie hatte schon am eigenen Leib erfahren, was passierte, wenn David kam. Schon tauchte er auf. Er schaltete den Strom ab und wartete, bis Coline wieder zu sich kam. Dann hockte er sich neben sie und legte seine Hand unter ihr Kinn. Er hob ihren Kopf an und sagte ihr direkt ins Gesicht: „Wieso tust du so etwas? Du hast gegen Paragraph 41 verstoßen. Weißt du, welche Strafe darauf steht?“ Er baute sich vor ihr auf, streckte ihr die offene Hand entgegen und forderte: „Gib mir die Ringe!“ Coline wich ihm aus. Er trat einen Schritt näher, packte zu und beförderte sie unsanft zu einer winzigen Kammer, gefüllt mit stinkendem Abfall und totem Ungeziefer. Nur ein Luftloch gab es, das wenig nützte. Er stieß Coline hinein und verriegelte die Tür. Der Sauerstoff wurde immer knapper, dann tauchten auch noch ein paar Ratten auf und fraßen den Dreck. Coline spürte ihre Körper und hörte das Quieken. Immer widerlicher wurde der Gestank. So extrem, dass sich Coline mehrmals übergab. Das hastig verschlungen Essen spritzte auf den Abfallhaufen. Gleich darauf überkam Coline ein starkes Verlangen nach Flüssigkeit. Doch in dieser Kammer gab es kein Wasser. Coline sah überhaupt nichts, sie roch nur den fauligen Gestank.

Ihr Durst wurde immer quälender. Wieder tauchte eine Ratte auf und Coline schnappte zu. Sie erwischte sie am Schwanz. Das erschrockene Tier biss nach ihr, doch Coline ließ nicht los. Mit der anderen Hand packte sie die kreischenden Ratte am Kopf und drehte ihr den Hals um. Jetzt zögerte sie keine Sekunde mehr und rammte ihre Zähne in das Tier. Sie riss ein Stück heraus und saugte sie aus. Es schmeckte widerlich, doch es half nichts. Sie brauchte etwas Flüssigkeit. Coline ließ den leblosen Körper fallen. Sie legte ihre Stirn auf die Knie und weinte sich in den Schlaf. Sie bemerkte nicht, dass David zurückkam. Mit finsterer Miene stand er in der Tür. Seine Arme lagen vor seiner starken Brust und er grinste schadenfroh. David beugte sich runter und griff nach Colines Arm. Er wollte sie hochziehen, doch da merkte er, dass sie eiskalt war. Er ließ sie los und im gleichen Moment fiel sie um, blieb aber so zusammen gekauert, wie sie saß. David erschrak. Sein erster Gedanke war, dass Coline an Unterkühlung starb. Doch sie lebte noch. Er hob sie auf und schleppte die steif gefrorene Frau in ein Krankenzimmer, zwei Etagen unter der Erde. Dort legte er sie auf eine Pritsche und deckte sie zu.

Am nächsten Morgen kam er mit Johanna zurück. Sie stellte sich an Colines Krankenbett und brüllte: „Steh auf!“ Aber Coline reagierte nicht. Johannas Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Grimasse. Sie befahl: „David! Bring sie hoch zum See und tauche sie rein, damit der gröbste Dreck abgeht. Dann bringst du sie in den alten Waschraum und ziehst ihr alles aus. Du schrubbst sie von oben bis unten, aber gründlich!“ Coline riss die Augen auf. Sie wollte aufspringen, aber ihr Körper gehorchte nicht. David half kurzerhand nach. Er zog sie hoch und stieß sie die Gänge entlang. Hinaus, hinter das Gebäude, bis zum steinigen Ufer. Rabiat warf sie in das eisige Wasser. Ein kurzer Schrei und sie versank im See. Coline konnte sich nicht über Wasser halten. David musste handeln. Er sprang sofort hinterher. Als er sie endlich greifen konnte, zog er nur noch einen bläulich kalten Klumpen heraus. Er legte sie ab und verschwand im Haus. Wenige Minuten später kam er trocken zurück.

Vom Dreck verlor Coline nur wenig, dafür umso mehr Kraft. Er schleifte sie über den Schotter zurück ins Gebäude. Dort versuchte er ihr das Hemd vom Leib zu streifen, doch es war so steif, dass es sich keinen Millimeter bewegte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es zu zerschneiden. Dann kam der Gürtel dran. David hastete zu Johanna. „Frau Köhler! Ich kann sie nicht waschen. Sie haben mir den Schlüssel für den Gürtel nicht gegeben.“ Sie sah ihn mit einem bitterbösen Blick an. „Dann nimm doch deinen!“ David tat verwundert. „Meinen?“ Johanna schob ihre Augenbrauen zusammen. „Meinst du ich weiß nicht was du treibst? Hast du vergessen, dass überall Kameras hängen?“ Verdutzt zog er wieder ab.

Als er Coline erreichte, lag sie noch immer bewegungslos am Boden und schon wieder musste er verschwinden. Er holte Andreas, der helfen sollte. Aber als er zu ihr kam, schnaufte er unwillig: „Kannst du mir sagen, was ich da machen soll? Sie ist doch so gut wie tot. Die braucht was zu essen, zu trinken und vor allem Wärme!“ David schüttelte den Kopf. „Dazu ist keine Zeit.“ Andreas zuckte mit den Schultern. „Dann vergiss es.“ Er verschwand unverrichteter Dinge und David musste handeln. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete den Gürtel. Doch als er ihn lösen wollte, gab es ein Problem. Coline trug dieses Ding schon so lange, dass alle Stacheln fest saßen. Jedes Mal, wenn er am Leder zog, schluchzte sie. Er wusste wie sehr sie bluten würde, wenn er die Stacheln einfach heraus riss. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig. Befehl war Befehl und er konnte sich doch nicht widersetzen.

Vorsichtig löste er fünf Zentimeter des schrecklichen Folterinstruments. Dann bog er die blutigen Stacheln um, umfasste sie und riss den Rest heraus. Coline schrie erbärmlich. So laut, dass David ein Trommelfell platzte. Rasch umwickelte er sie mit einem Tuch, welches das Blut aufsaugen sollte. Dann ließ er sie eine Weile allein. Andreas sollte sich sein Ohr ansehen. Gleich danach setzte er die grausame Wäsche fort. Diesmal nahm er heißes Wasser. Schließlich sollte alles eine Qual für Coline sein. Mit einem rauen Lappen schrubbte er die dreckige Kruste von ihrem Leib, wodurch viele Narben aufrissen. Alles in allem eine sinnlose, aber schmerzhaftes Prozedur. Zuerst schrie Coline wie am Spieß. David war es bald leid und stopfte ihr den Mund. Dann heulte sie unaufhörlich und zum Schluss winselte sie nur noch.

Ganz gleich, wie sehr David auch schrubbte, der Dreck wollte nicht abgehen. Langsam packte ihn die Wut. Also suchte er nach einer Idee. Wenn es so nicht funktionierte, dann musste er sie eben einweichen. Er legte ihr Handschellen an und eine Schelle um den Hals. Dann warf er sie in eine Wanne mit heißem Seifenwasser. Den Knebel ließ er in ihrem Mund, denn er wusste, sie würde abermals schreien. So wurde es auch, denn das Wasser brannte fürchterlich in den unzähligen Wunden. Nicht allein wegen der Temperatur, auch der Seife wegen. Er befestigte eine Kette an der Halsschelle und hängte das andere Ende an die Decke, damit Coline nicht ertrank. So ließ er sie liegen. Eine Stunde später sah er wieder nach ihr. Sie lag schlafend in einer Brühe aus altem Blut, Staub und Abfallresten. Er weckte sie unsanft mit einer Ohrfeige, zog sie hoch und schrubbte die schleimigen Reste von ihrer zerschundenen Haut. Wieder wollte sie schreien, doch drang nur ein Seufzen aus ihrer Kehle.

David hob sie aus der Wanne, nahm ein raues Handtuch und rieb ihr die Tropfen von der Haut. Dabei rissen die wenigen Narben auf, die bis dahin noch heil waren. Er versuchte Coline zu kämmen, doch die Haare waren so verfilzt und dreckig, dass er sie nur noch abrasieren konnte. Zum Schluss zwängte er sie in neue Kleidung. Kurz darauf erschien Andreas. „Was soll das werden? Ich muss sie doch noch verbinden. Du kannst sie gleich wieder ausziehen.“ David sah ihn grimmig an. „Muss das sein?“ Andreas nickte und holte sein Verbandszeug hervor. David zog sie wieder aus und warf die Sachen in die Ecke. „Dafür ziehst du sie nachher wieder an.“ fauchte er. Er schlug die Tür hinter sich zu und verschwand. Andreas schüttelte kurz den Kopf und widmete sich Coline. Der Rücken der jungen Frau sah einfach fürchterlich aus. Ihr Gesäß noch viel schlimmer. Mit viel Überwindung begann er sie zusammenzuflicken. Es dauerte geschlagene drei Stunden, bis er alle Wunden versorgt hatte. Anschließend führte er Coline in die Küche und servierte ihr eine warme Mahlzeit.

Coline starrte teilnahmslos auf den Teller. Trotz ihres großen Hungers nahm sie keinen Bissen und Andreas verzweifelte fast. „Du musst essen! Komm ich helfe dir.“ Er führte einen kleinen Happen an ihren Mund. Doch sie wandte sich ab. Andreas versuchte es immer wieder, aber sie wollte nicht. Nach einer Weile wurde er böse. Er warf die Gabel auf den Teller, stand auf und schimpfte: „Verdammt noch mal! Iss endlich, sonst stopfe ich dich! Willst du das?“ Coline sah ihn verloren an. In ihren Augen glänzten Tränen. Keine Minute später verlor sie das Bewusstsein und kippte vom Stuhl. Er eilte zu ihr, hob das magere Geschöpf auf und trug sie ins Krankenzimmer. Dann rannte er zu Johanna, die mit kalten Worten reagierte. „Die tut doch nur so. Stell ihr das Essen hin und sie nimmt es von ganz allein.“ Er versuchte Johanna vom Gegenteil zu überzeugen. „Sie wird verhungern! Wir müssen sie dann künstlich ernähren!“ Johanna blieb hart. „Ha! Soweit kommt’s noch. Du machst dir viel zu große Sorgen. Die stirbt schon nicht.“

Andreas ging fassungslos zurück, setzte sich auf die Bettkante und hielt Colines Hand. Er sah in die leeren Augen und fühlte ihre kalte Haut. Kreidebleich starrte sie an die Decke. Er versuchte ihr Mut zuzusprechen, doch es half alles nichts. Währenddessen machte sich auch David viele Gedanken um Coline und ihm kam die rettende Idee. Die Ringe! Doch gab es da ein Problem. Er hatte sie Johanna schon zurückgegeben. Er wusste auch, dass sie sie auf keinem Fall freiwillig hergeben würde. Dennoch fragte er sie. Johanna brüllte sofort los. „Was fällt dir ein? Ich gebe ihr die Ringe nicht wieder, nicht mal einen. Verschwinde und mach deine Arbeit!“ David redete weiter auf sie ein. „Aber wenn du sie ihr nicht gibst, dann stirbt sie! Es ist ihre einzige Chance. Wir haben nicht die Technik, um sie künstlich zu ernähren.“ Johanna brach in heißes Gelächter aus. „Wie glaubst du, sollten zwei lumpige Ringe helfen können? Sie kann sie nicht essen.“ David sah sie verärgert an. „Die Ringe sind doch verflucht. Weißt du nicht mehr, was im Buch steht? Sie haben die Kraft, sie aufzupäppeln. Es ist scheißegal, was Du glaubst. Coline ist von der Macht überzeugt. Warum hätte sie sich sonst die Mühe gemacht, sie aus deinem Zimmer zu stehlen? Und wenn es nicht hilft, kannst du sie ihr wieder wegnehmen.“ Wütend drehte er sich um und überließ Johanna die Entscheidung. Sie schaute ihm ratlos hinterher. Es dauerte eine Weile, bis sie sich das Ganze durchdachte. Schließlich ging sie in ihr Zimmer und holte die beiden Ringe.

Johanna trat an Colines Krankenbett. Sie wollte ihr persönlich den Schmuck anlegen, doch Coline wich ihr aus. Sie zitterte am ganzen Leib und wimmerte kaum hörbar. Johanna versuchte es immer wieder, aber jedes Mal zog sie ihre Hände weg. Nach dem fünften Versuch verlor Johanna die Geduld und warf die Ringe auf die Bettdecke. Knurrend verschwand sie. Coline wartete noch eine Weile und nahm den goldenen Ring in die Hand. Sie murmelte: „Hole mich, befreie mich, erlöse mich.“ Sie steckte ihn an den Mittelfinger der linken Hand und den Silbernen an den der Rechten. Ein kalter Schauer überkam die wehrlose Frau und sogleich strömte neue Energie durch ihren Leib. Es dauerte eine ganze Stunde bis wieder genug Kraft in ihr steckte, um aufzustehen und etwas zu essen.

Als David sie holen wollte, war sie nicht mehr da. Nur ein eingetrockneter Blutfleck blieb zurück. Sofort holte er Johanna. Sie raste vor Wut und bläute ihn aus dem Büro. „Finde sie! Aber schleunigst! Ich will sie in spätestens einer Stunde hier sehen.“ Er holte Andreas zur Hilfe und sagte auch Maxwell Bescheid. Sie versuchten vom Krankenzimmer aus, eine Spur zu entdecken. Doch da war nichts. Kein Fußabdruck, kein Blut, einfach nichts. David suchte draußen, während Andreas drinnen alles auf den Kopf stellte. Keiner von ihnen hatte auch nur eine Idee, wo Coline stecken könnte. David rief nach ihr und drohte lautstark mit Prügel. Natürlich antwortete sie nicht. Doch sie beobachtete den muskulösen Mann, wie er ratlos jeden Busch untersuchte und schließlich aufgab.

Coline dachte schon an Flucht. Aber genauso schnell kamen ihr Zweifel. Also suchte sie vorerst einen Unterschlupf. Plötzlich hörte sie Johannas Gebrüll. „Komm raus! Wir wissen, dass du noch hier bist. Komm raus! Gnade dir Gott, wenn ich dich finde.“ Coline schwieg aus Angst vor weiteren Folterungen. Eine Flucht war unmöglich, denn ihr fehlten die Mittel. Sie hatte weder Geld noch vernünftige Kleidung.


Eine Lüge für die Freiheit

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