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05. Hitze in Galway

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Die nächste Gelegenheit für einen Besuch in Irland bot sich im darauffolgenden Frühjahr, im April 1997.

Nach der stürmischen Fährüberfahrt im Dezember 95 und dem Chaos am Flughafen von Shannon 96 (ausführlich geschildert in "Irland - Mein Tagebuch"), wollten wir dieses Mal keinerlei Risiko eingehen und wählten die klassische Art der Anreise, einen ganz gewöhnlichen Linienflug nach Dublin.

Dieser Aufenthalt erwies sich von Beginn an als ein Erlebnis der Superlative. Schon der Landeanflug auf die Hauptstadt war ungewöhnlich ruhig. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, das Wasser lag glatt wie ein Spiegel unter uns, keine sprühende Gischt der aufgewühlten Irischen See vernebelte die Sicht. In scharfen Umrissen zeichneten sich die kleinen vorgelagerten Inseln ab. Die reizvolle Küste von Dublin sah von oben aus wie ein tropisches Ferienziel.

Noch überraschender waren die Temperaturen. Als wir das Flugzeug verließen, waren wir wie immer auf einen kalten, scharfen Wind gefasst, aber noch nicht mal ein Lüftchen wehte. Im Gegenteil, die Sonne brannte auf der Haut. Ich drehte mich zu Peter um:

»Bist du sicher, dass das hier Irland ist? Oder sind wir versehentlich auf Gran Canaria gelandet?«

Ich bekam keine Antwort. Peter war genauso perplex wie ich. Wir rissen uns die dicken Fleecejacken vom Leib, es hatte mindestens fünfundzwanzig Grad Celsius! Stöhnend bestätigte das schwitzende Bodenpersonal des Flughafens unsere Einschätzung. Sie sagten, das ginge nun schon seit Tagen so, es sei kaum auszuhalten.

Zum ersten Mal wurde die Autofahrt vom Flughafen zum Ferienort kein Kampf gegen Sturm und Nässe auf rutschigen Straßen, sondern ein Ausflug in die Sommerfrische bei heruntergekurbelten Fenstern. Wir genossen das angenehme Schaukeln in dem großen, komfortabel gefederten Citroen und erreichten nach drei Stunden völlig entspannt die Westküste.

In Galway parkten wir den Wagen hinter dem Einkaufszentrum, spazierten an den docks entlang, über die Brücke des Corrib und durch die Innenstadt. In dem gleißenden Sonnenlicht wirkte Galway wie ein Touristenort an der Côte d'Azur. Doch ob Sturm, Regen oder Hitze, diese Stadt hatte es uns angetan.

Einige Kilometer außerhalb Galways, an der Küstenstraße bei Spiddle, hatten wir ein Ferienhaus angemietet. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und bot einen fantastischen Blick über die gesamte Galway Bay. Der Garten fand seine Grenze erst in den Gezeiten. Björn würde sagen, ein Grundstück mit Meeranstoß.

Jonas zog sich eine Badehose an und fragte unbeeindruckt nach dem Sandstrand.

Die Uferzone war hier zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich, sie war quasi falsch herum. Der feine Sand lag als breiter Streifen oben am Haus, gleich anschließend an den Rasen. Von dort aus führte ein komfortabler Weg hinab zum Strand, rechts und links gesäumt mit Steinen, oben kleine Kiesel, weiter unten größere.

Jonas beschwerte sich nicht und machte sich mit zwei kleinen Eimern auf den Weg, um das alles, Sand, Steinchen und Wasser, irgendwie zusammenzubringen.

Je weiter man vom Garten hinabstieg, desto mächtiger wurden die Steine. Vor der Küste schließlich brachen sich die Wellen an riesigen glattgespülten Felsbrocken. Das war günstig, denn so wurde die Gewalt der Flut abgemildert und es erreichten nur noch sanfte Wellen den Strand. Wir wurden nicht nassgespritzt und das Kind konnte gefahrlos spielen.

Wir wateten barfuß im Meer, legten uns, nur mit einem dünnen T-Shirt und kurzer Hose bekleidet, auf die großen warmen Steine und konnten es kaum fassen. Ein mediterraner Sommer in Irland – im April!

Am nächsten Morgen brannte die Sonne bereits um zehn Uhr morgens von einem makellos blauen Himmel herunter. Alle Nachrichten drehten sich ums Wetter. Die Hitzewelle hatte die gesamte Insel erfasst. Es wurde von vielen älteren Menschen berichtet, die mit Kreislaufzusammenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert worden waren. Seit über einer Woche schon hatte es keinen Tropfen geregnet. Wenn es so weiterginge, würden die Schafe auf den verdorrenden Feldern kaum mehr saftiges Grün finden.

Was für ein Wahnsinn! Was bei uns, nach anfänglicher Verwirrung, Freude auslöste, ließ die irische Bevölkerung in Panik geraten und den Zustand ihres Landes mit dem der Wüste Sahara vergleichen. Dabei war doch einfach nur mal schönes Wetter!

Wir packten unsere Badekleidung aus, die wir eigentlich nur mitgenommen hatten, um bei allzu viel Regen eines der Hallenbäder aufsuchen zu können und gingen hinunter zum Strand. Doch das Sonnen machte irgendwie gar keinen Spaß. Die hysterischen Meldungen über einen akuten Klimawandel auf der Insel rissen nicht ab und ließen uns keine Ruhe mehr.

Wir packten Wasserflaschen ein und fuhren Richtung Connemara.

Es stimmte: Die kräftig grüne Farbe der Wiesen war bereits verblasst. Der Asphalt auf den Straßen war aufgebrochen, die großen hervorstehenden Kieselsteine hatten sich herausgelöst und wurden von den Autoreifen durch die Luft gewirbelt. (In Irland werden in die zweite Teerschicht größere Steine gemischt, um einer rutschigen Fahrbahn vorzubeugen).

Überall waren Bauern mit Traktoren unterwegs, die auf Hängern große, mit Wasser gefüllte Fässer für die Tiere auf die Felder transportierten. Wir begannen, die Sorgen der Iren zu verstehen. Rein theoretisch würde eine anhaltende Trockenheit auf der Insel schnell zu existentiellen Problemen führen.

Wie fragil das ökologische System des Planeten Erde doch ist! Jeder weiß das, die Wenigsten denken darüber nach und niemand handelt dementsprechend.

Wir schlossen uns gedanklich den irischen Prognosen an und entwarfen ein Schreckensszenario: Die von der Landbevölkerung oberflächlich angezapften Wasserquellen der Berge würden versiegen, die Menschen hätten kein frisches Wasser mehr, Millionen von Schafen und Rindern würden verhungern und verdursten...

Björn rief an und fragte, ob wir trotz der Hitze im county Majo ein Anwesen besichtigen wollen.

Welch höchst willkommene Ablenkung!

Wir vereinbarten einen Termin in der folgenden Woche. Peter hatte es nicht eilig, er wollte zuerst noch einige Tage mit seinem Freund Lutz Schmid verbringen, den er eingeladen hatte, mit uns in Galway zu verweilen.

Lutz war noch nie in Irland gewesen. Er war Pilot von Beruf und verbrachte sein Leben im Cockpit von Großraum-Langstreckenflugzeugen.

Lutz ließ sich von einem Kollegen in Dublin absetzen und stieg dort um in eine winzige Turboprop-Maschine für achtundzwanzig Personen nach Galway, ein eher unkomfortables und waghalsiges Vergnügen. Dennoch bedaure ich sehr, dass es viele dieser Inlandsflüge heutzutage nicht mehr gibt.

Während Peter unterwegs war, um Lutz vom Flughafen abzuholen, beaufsichtigte ich Jonas, der immer noch unermüdlich moderne Architektur aus Kieseln, Sand und Salzwasser schuf. Inzwischen hatte er gemerkt, dass seine Bauwerke über Nacht von der tide zerstört wurden, trug nun Steine und Wasser zum Garten hinauf und baute auf dem Sandstreifen neben der Wiese weiter. Dorthin würde das Wasser höchstens bei einem Tsunami gelangen.

Irland – Unser Haus im wilden Norden

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