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04. Die Wood Lodge in Donegal

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In den kommenden Tagen erkundeten wir das nördlich angrenzende county Donegal.

Unerwartet rief Björn an. Er hätte nun doch noch etwas für uns zu besichtigen, was wir uns unter keinen Umständen entgehen lassen sollten, in der Donegal Bay, der windgeschützten Bucht unterhalb von Donegal Stadt, gleich hinter der Landesgrenze. Das war ein lustiger Zufall, von dort waren wir gerade begeistert zurückgekehrt.

Diesmal wollte Björn uns bei der Tankstelle am Ortseingang von Donegal treffen. Die Male davor war es ja immer die in der Nähe des Yeats Memorial gewesen. Gas stations, so erklärte Björn, seien seine favorisierten Treffpunkte, dort könne man sich kaum verpassen.

Die Straße war die gleiche, die N15, sie führt auf über hundert Kilometer von der Stadt Sligo über die Nordküste nach Donegal und weiter bis an die nordirische Grenze.

Von dem malerischen Örtchen Donegal, immerhin Hauptstadt des county's, leitete uns eine für irische Verhältnisse erstaunlich gut gebaute Serpentinenstraße hinunter zur Donegal Bay. Björn parkte direkt vor dem Kiesstrand.

In der engen Bucht wehte nur eine sanfte Brise. Fast lautlos schwappte das Wasser des Atlantischen Ozean über die Steine, so verhalten, als wollte es jeden einzelnen Stein zärtlich streicheln, bevor es ihn überspülte. Für einen Moment lang glitzerten sie in allen Farben, trockneten schnell und erschienen dann wieder in einem blassen Grau. Die Aussicht dagegen war eingeschränkt. Der Atlantik wirkte aus dieser Perspektive wie ein größerer Fluss. Aber alles kann man ja nie haben.

Björn zeigte auf den kleinen Strand.

»Das ist eurer, wenn ihr mögt. Das Grundstück ist mit Meeranstoß. Herrlich, oder? Und kaum Wind.«

Da hatte er recht.

»Jonas, möchtest du deinen eigenen Strand?«

Jonas nickte.

Ich zeigte auf die Steine.

»Diesen hier?«

Jonas schüttelte den Kopf.

Björn wandte ein:

»Ein Sandstrand ist ganz in der Nähe. Wir können nachher hinfahren. Aber jetzt dreht euch um.«

Wow.

Die "Wood Lodge", a former rectory (ein ehemaliges Pfarrhaus), lag auf einem breiten Streifen gepflegten Rasens auf halber Höhe des leicht ansteigenden Anwesens und war von dichtem Mischwald umgeben. Das zweistöckige Gebäude mochte aus dem siebzehnten Jahrhundert stammen, wie auch das Ardtarmon Castle, aber dies hier war nicht abgebrannt.

Die Lodge war nicht groß, nicht etwa so wie ein manor house, aber vielleicht gerade deswegen so beeindruckend. Ihr Erscheinungsbild war so anziehend, dass man gar nicht mehr wegsehen wollte, obwohl man mit einem Blick alles erfassen konnte: Die Freitreppe hinauf zu der großen massiven Eingangstür, die übermannshohen Rundbogenfenster auf beiden Seiten, das dreigeteilte Dach und die zwei Kamine. Übersichtlich und äußerst ansprechend. Das Haus strahlte in einem zarten, gelben Pastellton, wirkte lebendig und einladend. Wir standen nur stumm da und sahen es an, so lange, bis Björn begann, unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten.

»Wollen wir jetzt hinauffahren?«

Peter reagierte nicht. Ich stupste ihn an.

»Was ist?«

Peter wandte den Blick nicht ab vom Haus.

»Das erinnert mich an meine Kindheit. Ich bin in einem kleinen Schloss aufgewachsen, das fast genauso aussah.«

Als er sich gefasst hatte, fuhren wir die kleine Straße am Grundstück entlang. Ein grauer Betonpfeiler, in den mit wunderschön geschwungenen Buchstaben der Name des Hauses eingeritzt war, kennzeichnete die Einfahrt.

Wir ließen die Autos stehen, gingen zu Fuß über den Kiesweg und wussten nicht, wo wir zuerst hinsehen sollten. Von der Anhöhe aufs Meer, das von hier oben wieder aussah wie der Atlantische Ozean, auf den dichten, nahegelegenen Wald, in dem sich die Laubbäume sanft hin und her neigten und aus dem geheimnisvolle Geräusche herüberdrangen, oder auf das gepflegte, formvollendete Gemäuer mit den emporragenden prachtvollen Kassettenfenstern.

Die Tür öffnete sich, die Dame des Hauses trat heraus und begrüßte uns lächelnd:

»Welcome at Wood Lodge.«

Wir fühlten uns tatsächlich sehr willkommen.

Als wir in die hall, eine sehr repräsentative Eingangshalle, eintraten, fühlten wir uns schlagartig in eine vergangene Zeit zurückversetzt. Doch welche Erinnerung uns auch einholte, dies hier war schöner, viel schöner! Die mit Teppich belegte Steintreppe in den ersten Stock war breiter als die in "Downton Abbey", machte einen eleganten Bogen nach oben und ließ das Haus riesig erscheinen. Linkerhand der Treppe ging es in die Bibliothek, rechts in das Empfangszimmer. In beiden Räumen loderte Feuer im Kamin.

Unsere Jacken mussten wir deshalb nicht ausziehen. Die Iren waren an eine Wohntemperatur von um die siebzehn Grad Celsius gewöhnt – und mehr würde in diesen enorm hohen Räumen auch nicht zu erreichen sein.

Anmerkung:

Wenn wir von den zwanzig Grad Celsius in deutschen Wohnzimmern berichteten, schüttelten die Iren stets den Kopf und fragten, ob es nicht sehr ungesund sei, sich längere Zeit in solch einer Hitze aufzuhalten.

Die Wärme der Kamine verbreitete ein behagliches Klima. Das Haus trocken halten konnten sie nicht. Bei einer aufwendigen Renovierung vor einigen Jahren war eine Ölheizung eingebaut worden. Die Heizkörper befanden sich unter jedem der Fenster und liefen ständig, trotzdem stieg das Thermometer nicht über die Siebzehn-Grad-Marke.

Ein ranger entzündete jeden Morgen die Kamine der Wood Lodge. Er kümmerte sich auch um den Rasen, den Wald und den Nachschub an Brennmaterial. Wenn wir wollten, erklärte die freundliche Hausbesitzerin, würde er das auch in Zukunft tun.

Ein ranger ist im Grunde genommen der Betreuer eines Schutzgebietes oder ein Förster, aber die Iren nennen auch ihren housekeeper so, den Verwalter.

Weiter ging es durch eine Schwingtür unterhalb der Treppe. Von hier aus führten drei winzig schmale Steinstüfchen in ein kleines Speisezimmer. Dort gab es nicht viel mehr als einen großen Tisch mit Stühlen und lieblich verzierte, dunkle Schränke. Sie stammten ebenfalls aus dem siebzehnten Jahrhundert und waren gefüllt mit handbemaltem Geschirr.

Der Blick aus dem Südfenster offenbarte ein stilvolles Nebengebäude, das in dem gleichen zarten Pastellgelb gestrichen war wie das Haupthaus. Es handelte sich um den ehemaligen Pferdestall. Pferde gab es leider keine mehr. Der Stall war ausgebaut worden und vier Appartements gewichen, die als B&B genutzt wurden, das brachte einen kleinen Teil der Instandhaltungskosten ein.

Zwischen Haupt- und Nebenhaus waren mit Steinen eingefasste Beete angelegt, in denen jede Menge Kräuter, einige wenige Blumen und etwas Gemüse gediehen. Ein Weg zu den Appartements führte durch einen hübschen Bauerngarten, in dem Peter sogar einige Apfelbäume entdeckte.

Auf der linken Seite des Esszimmers war eine alte, wackelige, grün gestrichene Tür mit einem Glasfenster. Um durchsehen zu können, musste ich die weiße Gardine zur Seite schieben. Ich glaubte im ersten Moment nicht, was ich sah, drehte mich zur Dame des Hauses um und sah sie verdutzt an:

»The kitchen?«

Sie lächelte und nickte.

»Go ahead.«

Die lose, blecherne Türklinke quietsche zwar, war aber noch einigermaßen funktionstüchtig. Es ging weiter abwärts, diesmal über hohe, steile Stufen. Peter nahm Jonas auf den Arm und folgte mir ins Souterrain. Uns stockte der Atem, so eine Küche hatte wir noch niemals zuvor gesehen. Stimmt nicht, das hatten wir schon – im Schloss Neuschwanstein.

Hier unten konnte man die gewaltigen Natursteine bewundern, aus denen das ganze Gebäude gefertigt war. Nur zwei der Wände waren verputzt und mit türkisfarbenen Motivfliesen geschmückt.

In der Raummitte stand, wie in Irland üblich, der range, ein Allesbrenner mit einer gusseisernen Platte, auf der gekocht wurde. Einen dieser Größe hatte ich allerdings noch nirgends gesehen. Was die Ausmaße betraf, konkurrierte der range mit einer weiteren Kochgelegenheit, einer monströsen Feuerstelle an der östlichen Außenwand des Hauses, einem mannshohen offenen Kamin mit eingemauerten Haken für Töpfe und einem Gestell für den Grillrost.

Über Fettspritzer oder Flecken brauchte man sich hier keine Sorgen zu machen. Der Boden war aus Stein und zu einem Abflussloch hin abschüssig, so wie in einer Dusche, nur viel größer. Um ein Stolpern zu verhindern, befand sich nun ein neumodisches Gitter darüber. Entsorgung und Reinigung waren früher denkbar einfach gewesen: Man kehrte einfach alles von den Arbeitstischen hinunter, nahm einen Wasserschlauch und spülte es in das Loch im Boden. Von dort wurde es durch ein Rohr direkt ins Meer geschwemmt. Heutzutage macht man das natürlich nicht mehr – könnte es aber.

Sämtliche Arbeitsutensilien und Gerätschaften, die man zum Kochen und Backen brauchte, auch solche, die wir vermutlich niemals brauchen würden, hingen von der Decke herab – an Fleischerhaken. Die ganze Decke war übersät damit. Man musste aufpassen, um sich nicht an den herunterhängenden Schöpfkellen den Kopf zu stoßen. Aber praktisch zu greifen waren sie, selbst für mich. Die Deckenhöhe erreichte keine zwei Meter.

Auf der Südseite waren viele der Natursteine durch große moderne Kunststofffenster und eine Glastür ersetzt worden. Diese Maßnahme hatte ein ehemals dunkles Loch unter der Erde in einen freundlichen, mit Tageslicht durchfluteten Raum verwandelt. Im Moment schien sogar die Sonne herein und man vergaß vollkommen, dass man sich eigentlich im Keller befand. Die von der Decke herabhängenden Werkzeuge aus Edelstahl reflektierten das Sonnenlicht und erzeugten ein geheimnisvolles Licht- und Schattenspiel.

Diese ganze Küche wirkte wie ein Kunstwerk.

Durch die Glastür gelangte man nach draußen und stand nach einem Schritt direkt in der Betonwanne des Gebäudes, die das Haus, das hatten wir ja inzwischen gelernt, vor Wasser und Feuchtigkeit schützen soll. Aber diese hier war perfekt! An einer Stelle führten sogar Stufen zum Garten und zu den Beeten hinauf. Man konnte also schnell ein paar Kräuter für die Suppe holen.

Wir waren überwältigt.

Peter hatte ganz glasige Augen. Nur zur Erinnerung, er war Hobbykoch, Essen war seine ganze Leidenschaft. Hier zu kochen wäre für ihn sicher die Erfüllung eines Traumes. Natürlich müsste er sich warm anziehen, zumindest bis er den range oder den Kamin angeheizt hatte. Radiatoren für die nachgerüstete Ölheizung gab es nur in den oberen Stockwerken. Feste warme Schuhe müsste er hier unten in der Küche wohl immer tragen.

Nachdem wir noch die plüschigen Schlafzimmer im ersten Stock begutachtet hatten, bekamen wir Zeit zur freien Verfügung.

Die Dame des Hauses führte Jonas zurück ins Besucherzimmer zu den Keksen, Peter ging nochmal in die Küche und ich machte es mir auf der Marmorplatte in einer der Fensternischen gemütlich. Dort lag eine kuschelige warme Decke, viele bunte, dicke, weiche Kissen und zwei abgenutzte Taschenbücher. Ja, hier war der ultimative Platz zum Lesen. Die Fensterbänke waren allesamt breiter und tiefer als unsere Zweisitzer-Couch.

Ich sah aus dem Fenster. Was für ein Haus! Aber so geheimnisvoll, magisch und begehrenswert schön die alte renovierte rectory auch war, man würde hier stets im letzten Jahrhundert leben. Wollten wir das?

Abgesehen davon würde die Wood Lodge mit Meeranstoß, wenn auch für deutsche Verhältnisse preiswert, unser Budget sprengen.

Erfüllt von diesen vielen Eindrücken mussten wir den Rückweg nach Deutschland antreten.

Anmerkung:

Nachdem uns bewusstgeworden war, welche Ausmaße die angebotenen Grundstücke und Häuser hatten, fragte Peter seinen Freund Horst und dessen Frau Hildegard, ob sie mit uns nach Irland ziehen würden. Horst suchte ohnehin Natur und Abgeschiedenheit, um seine Geschichtsbücher schreiben zu können und beide waren Irland-Fans.

Die Antwort war:

»Ja, sehr gerne sogar. Wir erwarten nur, dass Wasser herauskommt, wenn wir den Hahn aufdrehen.«

Das konnten wir natürlich nicht garantieren.

Wir waren auf uns gestellt.

Irland – Unser Haus im wilden Norden

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