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01. Die Aura von Mountshannon

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Wir hatten Nachwuchs bekommen und genossen die Zeit mit dem kleinen Jonas. Doch Peter verlor nie unseren Plan aus den Augen. In einem der Hochglanzmagazine, die überwiegend große Anwesen zum Verkauf anbieten, fand er im September 1995 die Anzeige eines deutschen Immobilienmaklers, der in Irland ansässig war. Er nahm Kontakt auf und verabredete sich, ganz nach irischer Art, irgendwann in den kommenden Monaten, irgendwo im county Sligo.

Im Dezember reisten wir erst einmal an die Südostküste Irlands. Nach einem überaus positiven ersten Eindruck im Sommer 1993 wollten wir herausfinden, ob es uns dort auch in der dunklen, stürmischen Winterzeit gefallen würde und suchten uns dafür das sehr exponiert gelegene Küstenstädtchen Kilmore Quay aus. Der zweite Grund, der für Kilmore Quay sprach, war der Fischereihafen, wir wollten Fisch essen.

Jonas, der gerade Laufen gelernt hatte, war sowieso immer zufrieden, wenn wir alle zusammen waren und das Reisen mit ihm stellte sich als relativ unproblematisch heraus.

Es gefiel uns.

Nach dem Jahreswechsel rief Peter Herrn Holger Schiller, den Immobilienmakler an, berichtete ihm, dass wir im county Wexford wären und durchaus Zeit hätten, irgendwo hinzukommen, um ein Haus zu besichtigen. Eine Fahrt in den hohen Norden wollte uns Herr Schiller nicht zumuten, die meisten seiner Objekte lagen in der Umgebung von Sligo. Allerdings, meinte er, gehörten zwei Häuser mit Seegrundstücken in der Landesmitte zu seinem Angebot, am Lough Derg. Sein Sohn Björn würde die weite Fahrt übernehmen.

Nach dem Telefonat hatten wir eine Verabredung: Dienstag, um vierzehn Uhr im pub am Hafen des kleinen Ortes Mountshannon nahe dem großen See Lough Derg. Anmerkung:

Lough ist die Bezeichnung für See. Es finden sich im Sprachgebrauch noch viele irisch-gälische Worte, die meisten Straßenschilder sind zweisprachig. Dagegen werden Entfernungen in Kilometern und miles angegeben, Maße in Zentimeter, inches oder feet und Temperaturen in Grad Celsius und Grad Fahrenheit.

Wir brachen früh auf an jenem Dienstag, um noch Zeit für einen Abstecher nach Limerick zu haben. Wir wollten unbedingt die allseits diskutierte depressiv-trübe Stimmung der "grauen Stadt" erleben. Statistiken belegen, dass allein die Atmosphäre dafür empfängliche Personen in den Selbstmord treiben kann. Ob das tatsächlich wahr sein konnte? Unvorstellbar, doch schon nach einer Stunde hielten wir es für möglich. Unwillkürlich dachte ich an die rauchenden grauen Herren aus Michael Endes Roman "Momo", die ihren unglückbringenden Dunst über die Stadt legen und die Menschen um ihre Zeit betrügen wollen. Aber die Iren machten nicht den Eindruck, als ließen sie sich von irgendjemandem die Zeit stehlen.

Zur vereinbarten Zeit trafen wir uns mit Björn Schiller in Mountshannon. Er erzählte lachend, er sei sonst nicht so pünktlich, aber der Jeep seines Vaters bedeute auf langen Strecken eine enorme Zeitersparnis. Anmerkung:

Iren sind tolerant und bevorzugen einen gemächlichen, defensiven Lebensstil. Kommt ein großes Auto angerast, machen sie einfach Platz und lassen es vorbei.

Björn stellte uns seine Freundin Amanda vor, sie begleitete ihn oft auf langen Fahrten. Darüber waren wir hocherfreut, hatten wir doch fast ein schlechtes Gewissen gehabt, ihm diese Anstrengung aufzubürden. Wir verstanden uns auf Anhieb mit den beiden sympathischen jungen Leuten, tranken Tee, aßen Sandwiches und schwatzten ungezwungen, bis wir zur Besichtigung des ersten Objektes aufbrechen mussten.

Ein großes, holzgeschnitztes Pferd prangte auf dem aufgeschwungenen dunklen Holztor an der Einfahrt. Der Schotterweg zum Haus führte an weitläufigen Pferdekoppeln vorbei. Ställe und Nebengebäude säumten den Weg. Björn sagte, das Grundstück sei so riesig, dass man vom Haus aus den See nicht sehen könne.

Es war eine deutsche Familie, die vor mehr als zehn Jahren mit ihrer Pferdezucht hierhergekommen war. Nach einem Rundgang durch das hübsche einstöckige Haus trennten wir uns. Dem kleinen Jonas wurde Brause serviert, Peter besichtigte die Ställe und ich wollte zum Strand.

Ungefähr fünf Minuten marschierte ich auf einem schmalen Weg, vorbei an kleinen Wäldern und Blumenwiesen, bis ich ans Ufer des Lough Derg gelangte. Die Umgebung war wunderschön und doch fühlte ich mich nicht wohl. Da kam die Erinnerung zurück. Hier war ich schon gewesen. Mountshannon war dieses ärmliche Dorf, an dessen winzigen Hafen wir mit dem Hausboot festgemacht hatten und an dem es alles nur einmal gab: einen butcher, einen foodstore und einen pub. Damals hatte mich die gleiche Trübseligkeit erfasst, ein Gefühl der Einsamkeit.

Auf dem Rückweg traf ich die Tochter des Hauses auf einer der Pferdekoppeln. Ich fragte sie, warum sie weggingen. Sie zögerte, wendete sich unangenehm berührt ab und sah über die Felder.

»Ich halte es hier nicht mehr aus.«

Ich bedankte mich für die Ehrlichkeit. So ganz falsch schien ich mit meinem Gefühl nicht zu liegen. Ein traumhaftes Grundstück, ein gemütliches Haus, ein eigener Strand am See – offenbar umgeben von einer unsichtbaren negativen Aura.

Sieben Kilometer weiter gab es ein etwas kleineres Grundstück zu besichtigen; ein ebenso niedliches Häuschen – die gleiche negative Energie. Diesmal waren es Engländer, die hier wegwollten. Was war mit dieser Gegend nur los?

Wir bedankten uns herzlich bei Björn für den aufschlussreichen Tag und wollten in Zukunft ausschließlich Häuser in Küstennähe besichtigen.

Irland – Unser Haus im wilden Norden

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