Читать книгу Irland – Unser Haus im wilden Norden - Patricia Grotz - Страница 7
02. Ardtarmon Castle
ОглавлениеIm Frühsommer 1996 erkundeten wir das county Sligo.
Der zwar touristische, aber sehr milde und gepflegte Süden der Insel hatte uns schon zum Schwärmen gebracht, aber der raue, ursprüngliche, wilde Norden faszinierte uns. Je nördlicher wir kamen, desto mehr verliebten wir uns in die weite, unberührte Landschaft.
Jetzt war klar, wo auf der Insel wir ein Haus suchen wollten.
Nach ein paar Tagen kramte Peter sein Adressbuch hervor und rief bei Schillers an. Holger Schiller sagte, wir sollten einfach vorbeikommen wann immer wir wollten.
Schon am darauffolgenden Tag machten wir uns auf den Weg. Die entsprechende Landkarte dieser Gegend (damals gab es natürlich noch keine Navigationssysteme) erwarben wir in einem kleinen family shop. Aus unseren nicht zu knappen Erfahrungen mit stundenlangen Irrfahrten ohne die richtige Karte hatten wir gelernt. Für Ausflüge in unbekannte Gebiete verwendeten wir neuerdings Landkarten aus der "DISCOVERY SERIES". Sie haben einen Maßstab von 1:50 000, auf ihnen ist jedes Haus, jede Straße und der noch so kleinste Schotterweg eingezeichnet. Um alle Gebiete der Republik Irland abzudecken, gibt es insgesamt neunundachtzig Exemplare. Allerdings sind die, die man gerade braucht, meist vergriffen.
Wir starteten an diesem Tag mit der Karte Nummer sechzehn, aber selbst mit ihr war es noch schwer genug, die gewünschten Straßen zu finden. In Irlands ländlichen Gegenden findet man kaum Beschilderungen. Die Straßen haben keine Namen, demzufolge gibt es auch keine Straßenschilder, Hausnummern sowieso nicht. Glücklicherweise existieren Bezeichnungen für die unterteilten Bezirke eines county's. Aber wer in welchem Haus wohnt, weiß nur der Postbote. Die Post ist überhaupt eine sehr nützliche Anlaufstelle. Die Angestellten wissen alles über alle Leute im Bezirk und geben auch gerne Auskunft.
Nachdem wir auf dem Weg zu Schillers fünfmal falsch abgebogen waren, befanden wir uns zwar auf der richtigen Landzunge, aber leider im westlichen Teil. Schillers Ardtarmon Castle, das natürlich auf der Karte eingezeichnet war, lag südlicher.
Im Fond des Wagens setzte unser kleiner Jonas zum Sprechen an, wusste nicht, was er sagen sollte, streckte verzweifelt den Arm aus und zeigte geradeaus nach vorn. Ja, wir sahen es auch, wir fuhren frontal auf das Meer zu. Peter brachte den Wagen zum Stehen. Die Straße endete hier. Es war ein "DEAD END", eine Sackgasse – direkt einige Steinbrocken vor dem atlantischen Ozean. Weit und breit kein Haus, kein Strand, einfach nichts, nur ein Schild:
SPONSORED BY THE EUROPEAN UNION
Sinnlos verbratenes Geld des Verkehrsministers kannten wir ja aus Deutschland. Aber war das ansteckend? Möglich, seit einiger Zeit flossen EU-Fördergelder nach Irland. Vielleicht wussten sie einfach nichts damit anzufangen?
Wir betrachteten die Umgebung. Es schien, als hätten wir uns ans Ende der Welt verirrt, das machte uns neugierig. Wir stiegen aus.
Jonas rief:
»Ich bleib hier!«
Das war merkwürdig, normalerweise wollte Jonas überall mit hin. Erinnerte er sich etwa an sein Erlebnis in Kilmore Quay? Der Sturm hatte ihn erfasst und er kullerte hilflos wie ein Ball die Straße hinunter. Ich vermutete, er hatte etwas über Naturgewalten gelernt.
Von der Gischt völlig durchnässt kehrten Peter und ich nach zwei Minuten zurück zum Wagen, an dem der Sturm heftig rüttelte.
Jonas war sichtlich beunruhigt.
»Können wir hier weg, bevor das ganze Auto im Meer landet?«
Wir stiegen wieder ein, trockneten uns ab und studierten die Karte. An der nächsten Kreuzung wählten wir die richtige Abzweigung.
Es war bereite nach sechzehn Uhr, als wir das Schloss erreichten.
Ardtarmon Castle war ungefähr im Jahre 1648 erbaut worden und im frühen achtzehnten Jahrhundert bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Erst die Familie Schiller hatte es im zwanzigsten Jahrhundert wiederaufgebaut. Dieses Bauwerk ähnelte wirklich einem alten Schloss, nur dieses hier hatte, im Gegensatz zu den steingrauen Schlössern, die wir bisher in Irland gesehen hatten, einen kräftig gelben Anstrich und das Dach war mit glatten dunklen Schieferplatten gedeckt. Bis zum Strand mochten es nur noch ungefähr fünfzig Meter sein. Dieses Haus zählte also zu jenen, die ganz nahe am Wetter gebaut waren. Als wir ausstiegen, merkten wir, wie nahe. Die spürbar stark bewegte Luft trieb uns die Tränen aus den Augen und rüttelte an unseren festgezurrten Kapuzen.
Wir wurden von dem jüngsten der drei Kinder empfangen. Bianca war gerade achtzehn geworden, ging noch zur Schule und war ausnehmend hübsch. Überraschenderweise bat sie uns, die Schuhe auszuziehen. Wie wir schnell feststellten, handelte sich hierbei weder um eine Sitte, noch darum, die Böden nicht zu beschmutzen.
Strumpfsockig durchquerten wir die Halle und waren erstaunt: Die schönen, dunkelgrauen, naturbelassenen Granitfliesen waren warm. Das gesamte Schloss war mit Fußbodenheizung ausgestattet. Das war damals noch außergewöhnlich fortschrittlich!
Anmerkung:
Die Iren standen dieser Art von Beheizung eher skeptisch gegenüber. Sie waren gewöhnt, dass alles Neue schnell kaputtging und durch ein Provisorium ersetzt werden musste. Den Fußboden aufschlagen zu müssen, um die defekte Heizschlange zu finden, erschien ihnen ziemlich lächerlich. Heute noch nehmen die meisten ihre feuchten Häuser als gottgegeben hin und werfen zufrieden Torf in den Kamin.
Die Familie Schiller hatte, handwerklich äußerst versiert, die Heizschlangen für die Fußbodenheizung sorgfältigst selbst verlegt und sich ein wunderschönes, gemütliches Zuhause geschaffen. Die Räume waren hoch, geräumig und behaglich eingerichtet. Dunkelbraun gebeizte Buchenholzbalken verzierten die Decken und durch die hohen Fenster konnte man bequem nach draußen sehen. Vom stürmischen Wetter aber war hier drin hinter den dicken Mauern wenig zu spüren, nur das Pfeifen des Windes war zu hören.
Holger Schiller traf kurz nach uns ein und übergab seiner Tochter einen Lachs.
»Aber Dad, im Räucherofen hängen noch die von gestern.«
»Dann machen wir Graved Lachs.«
Herr Schiller berichtete, Angeln sei eine seiner Leidenschaften, viele Vormittage würde er damit verbringen und manchmal, so wie heute, dauerte es auch etwas länger. Er "ging" meist auf Lachse, die aß die ganze Familie am liebsten, deswegen hatten sie sich auch einen Räucherofen gebaut. Aber, fügte er lächelnd hinzu, selbst fangen könnte man Lachse kaum, das wäre purer Zufall, er hole sie sich immer auf dem Heimweg beim Fischer. Auf jeden Fall käme er stets ziemlich durchgefroren nach Hause.
Er schob einen Sessel vor den großen lodernden Kamin, stellte einen Hocker davor, setzte sich, legte die Füße hoch, entzündete genüsslich eine Zigarre und erklärte:
»Ein wenig Wärme braucht der Mensch.«
Danach schloss er die Augen und sagte erst mal nichts mehr. Für einige Minuten schien er völlig in sich zu ruhen. Man hörte nur das Knacken des Holzes im Kamin.
Natürlich sprachen wir dann über "Graved Lachs", wörtlich: eingegrabener Lachs, eine Methode des Haltbarmachens. Der Vergleich unserer Rezepte ergab eine nahezu hundertprozentige Übereinstimmung: Achtzig Gramm Salz, sechzig Gramm Zucker, Kräuter nach Gusto, mit einer Platte beschweren, bis zu sieben Tage im Kühlschrank lagern, abwaschen, fertig. In Scheiben geschnitten mit einer Soße nach Wahl, eine Delikatesse.
Bei Tee und Keksen plauderten wir noch lange mit Holger Schiller. Die Zeit verflog im Nu. Nach Stunden erst verabschiedeten wir uns, vereinbarten, in Kontakt zu bleiben und waren beeindruckt – von dem Mann und seinem castle.