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»Ich muss die Vokabeln des glücklichen Lebens lernen.«
ОглавлениеInterview mit Professor Dr. Jörg Kühnapfel
Lebensfreude ist ein Gefühl. Es ist eher eine »Bauch-« als eine »Kopfsache«. Dennoch kann man Lebensfreude auch ganz sachlich betrachten. Das beweist Prof. Dr. Jörg Kühnapfel. Er hat an der Universität Ludwigshafen eine Professur für General Management, insbesondere Vertriebscontrolling. Der Wirtschaftswissenschaftler hat eine Abhandlung mit dem Titel »Lässt sich Glück managen?« geschrieben. Die Antwort auf diese Frage wird Sie bestimmt ermutigen, sich auf Ihren ganz persönlichen Lebensfreude-Weg zu begeben.
Patricia Küll: Herr Professor Kühnapfel, wie kommt denn ein Wirtschaftswissenschafter dazu, sich mit Glück zu beschäftigen?
Prof. Kühnapfel: Glücksmanagement ist nichts Aktuelles in der Ökonomie. Schon der Urvater Adam Smith, der im 18. Jahrhundert die Grundlagen der modernen Ökonomie gelegt hat, hat sich mit den Themen Glück, Zufriedenheit und Wohlempfinden beschäftigt. Viele andere danach auch.
Patricia Küll: Und wie kamen Sie persönlich dazu?
Prof. Kühnapfel: Über das Thema »Messen«. Von Haus aus mache ich Marketing und Vertrieb. Mein Steckenpferd ist das Messen von Marketing- und Vertriebserfolg. Die lassen sich nicht mit einem Zollstock oder einem Wiegeapparat so exakt messen, wie wir es gerne hätten. Genauso ist es auch beim Thema Glück oder der Qualität einer Partnerschaftsbeziehung. Wie glücklich sind Sie denn heute? 4, 93, 12 Kilogramm Glück? Das können Sie nicht beziffern. Wenn wir aber etwas nicht messen können, dann sind wir auch nicht in der Lage, es zu managen.
Patricia Küll: Kann man es denn messen?
Prof. Kühnapfel: Nein, wahrscheinlich ist es nicht möglich, das persönliche Glücksempfinden an einem objektiven Maßstab festzumachen. Was wir machen können, ist: Wir finden ein Ersatzmesssystem. Dann messen wir nicht das Glück selbst, sondern messen die Umstände, die uns glücklich machen. Das geht ja.
Patricia Küll: Was sind das für Dinge, die uns glücklich machen?
Disziplin ist die wichtigste Charaktereigenschaft, die man bei Menschen, die glücklich sind, feststellen kann
Prof. Kühnapfel: Das ist wohl erforscht. Auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton hat einige Arbeiten zu dem Thema geschrieben. Also was macht mich persönlich glücklich? Das sind zum Beispiel die Qualität des Wohnraumes oder das Einkommen. Das macht glücklich. Die Beziehung zu meinem sozialen Umfeld. Habe ich Freunde, habe ich eine gute Beziehung zu meinen Nachbarn et cetera? Habe ich Zugang zu Bildung, habe ich Zugang zum Gesundheitswesen? All das sind Dinge, die mich glücklich machen. Diese kann ich individuell für mich, aber auch für eine Volkswirtschaft messen.
Patricia Küll: Gibt es Menschen, die von Natur aus glücklicher sind als andere?
Prof. Kühnapfel: Es gibt einige Voraussetzungen, die Menschen mitbringen, die glücklich sind. Nennen wir sie Tugenden. Diese sind gut erforscht, etwa durch die »positive Psychologie«, Seligman und Csíkszentmihályi, etablierte Wissenschaftler auf diesem Gebiet, die herausgearbeitet haben, was Menschen mitbringen müssen, damit sie glücklich sein können. Dazu zählen Extrovertiertheit, Resilienz, also die Fähigkeit, nach einem emotionalen Schock wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren, Dankbarkeit, Demut und so weiter. Wir kommen zu einem Katalog von vielleicht fünfzehn Faktoren. Und die wichtigste Charaktereigenschaft von Menschen, die glücklich sind, ist … Was glauben Sie?
Patricia Küll: Sagen Sie es mir.
Prof. Kühnapfel: Disziplin! Ein sehr unbequemes Wort, wir wollen es gar nicht mehr in den Mund nehmen, es ist total unmodern, aber Disziplin ist die wichtigste Charaktereigenschaft, die wir bei Menschen, die glücklich sind, feststellen können.
Patricia Küll: Sie meinen Disziplin bei der Umsetzung dessen, was mich glücklich macht?
Prof. Kühnapfel: Ja, genau. Wenn Sie diszipliniert damit umgehen, was das Leben Ihnen geschenkt hat, dann werden Sie gut überlegen, inwieweit Sie Ihren Chef an sich heranlassen oder Ihren bösen Partner, die bösen Nachbarn oder wen auch immer. Sie werden bewusst schauen, wie Sie Ihren Tag verbringen. Sie werden auch Mühen, also Kosten, in Kauf nehmen, um langfristig Nutzen zu generieren, z. B. joggen oder Yoga machen. Das ist Disziplin! Nicht nur wünschen, sondern auch tun!
Patricia Küll: Es gibt Menschen, die haben alles, wovon Sie gesprochen haben, und sind trotzdem nicht zufrieden. Woran liegt das denn?
Prof. Kühnapfel: Viele Wissenschaftler vermuten, dass der unbewusste Umgang mit all diesen Segnungen des Alltags dazu führt, dass die Menschen ihr Glück gar nicht empfinden. Zum Beispiel erleben manche Menschen Gesundheit als etwas ganz Selbstverständliches. Erst dann, wenn wir eine chronische Krankheit bekommen, spüren wir den Wert von Gesundheit. Doch glückliche Menschen, das stellen wir immer wieder fest, sind in der Lage, den Wert von was auch immer schon festzustellen, bevor sie einen Mangel erleiden.
Man muss die Vokabeln des glücklichen Lebens lernen
Patricia Küll: Das heißt also, bewusst leben macht glücklich? Bewusst erleben?
Prof. Kühnapfel: Darauf können wir es reduzieren, ja. Es gibt nichts Schlechtes, außer man ist sich nicht bewusst, was man alles zur Verfügung hat. Ganz wichtig ist hierbei, dass man natürlich auch mit einem Mangel glücklich sein kann. Letztlich sind wir alle limitiert. Wenn wir uns der Grenzen bewusst sind, können wir damit umgehen.
Patricia Küll: Inwieweit kann man es denn lernen, sich selbst glücklich zu machen, wenn man diese Gabe nicht von Natur aus mitgebracht hat?
Prof. Kühnapfel: Also ich würde jetzt natürlich gerne sagen, dass wir lernen können, uns aus dem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, wenn wir dieses oder jenes Buch lesen. Aber leider wird es wahrscheinlich so sein, und ich drücke mich jetzt deswegen so vorsichtig aus, weil die sozialwissenschaftliche Forschung dazu noch lange nicht am Ende ist, dass Glücklichwerden Arbeit ist. Der Weg von einem Menschen, der sich ständig bedroht fühlt, der von Schicksalsschlägen leicht umgeworfen wird, hin zu einem glücklichen, lebensbejahenden Menschen, der all das leichter verkraften kann, der ist lang und zäh. Das ist Arbeit. Ich vergleiche das mal mit einer Fremdsprache: Wie lernt man eine Fremdsprache? Indem man sich hinsetzt und sich Vokabel für Vokabel anschaut und Grammatikregel für Grammatikregel. Positiv und glücklich zu leben ist exakt das Gleiche. Ich muss die Vokabeln des glücklichen Lebens lernen, ich muss die grammatikalischen Regeln lernen et cetera.
Patricia Küll: Und wie geht man dabei am besten vor?
Prof. Kühnapfel: Die Ausgangsfrage ist, was macht Sie oder was macht mich glücklich? Wenn wir uns im Sessel zurücklehnen und darüber nachdenken, was uns wirklich glücklich macht, was ist es, das ich wirklich möchte, dann finden wir einen kurzen Katalog von Glückstreibern: Ich möchte gerne sportlich sein, ich möchte gerne, dass ich von meinem Umfeld geschätzt werde, ich möchte mich gerne weiterbilden, weil ich Bildung an sich schon für etwas Wertvolles halte, und ich möchte einen tollen Partner finden. Die zweite Frage ist: Was muss ich tun, um diese Glücksfaktoren zu realisieren? Beispiel: Ich möchte sportlich sein, damit ich lange glücklich leben kann und nicht so schnell krank werde. Blöderweise ist sportlich sein oder sportlich werden mit Arbeit verbunden. Ich muss also raus, joggen gehen oder Rad fahren oder schwimmen oder was auch immer. Wenn es draußen anfängt zu nieseln und ich mir dann sage: »Nö, da gehe ich lieber nicht joggen, das ist ja eh blöd«, habe ich schon einen Fehler gemacht. Ich muss mich also überwinden. Und dieses Überwinden, diese innere Hürde ist die Arbeit, die ich leisten muss. Ein Versprechen meinerseits: Wenn wir unsere Glücksfaktoren kennen und die ersten kleinen Schritte machen, dann ist der Rest super leicht. Der Anfang, wie bei einer jeden großen Reise, ist am wichtigsten. Ich muss den ersten Schritt machen, und dann rollt das Ganze.
Oder ein anderes Beispiel, das wir nur begrenzt selbst im Griff haben: Ich möchte einen tollen Partner haben. Die Frage ist: Was kann ich tun? Ich muss raus vor die Türe und versuchen, Menschen kennenzulernen. Sportverein, Disco, Wandergruppe. Das ist die Aktivität, mit der ich starten kann. Um zu meinem Versprechen von vorhin zurückzukommen: Dann passiert irgendetwas. Nicht, dass ich direkt in der ersten Woche den richtigen Partner kennenlerne, aber ich bringe etwas in Gang. Ich arbeite daran, einen Glücksfaktor zu realisieren. Das heißt, überhaupt etwas hierfür zu tun, wird mich schon befriedigen. Da passiert etwas mit mir. Ich weiß, ich arbeite an meinem Glück. Ein anderes Beispiel: Wünscht man sich eine Beförderung, kann man sich entweder einfach nur hinzusetzen und warten, aber man kann dafür auch etwas tun. Mal ’ne Überstunde machen. Versuchen, etwas besonders gut zu machen. Der Chef wird mich nicht gleich nächste Woche befördern, aber indem ich etwas tue und weiß, es geht in die richtige Richtung, werde ich glücklicher.
Glücksmanagement ist der einzige Weg, um glücklich zu sein
Patricia Küll: Ihr Buch heißt »Lässt sich Glück managen?«. Welche Antwort haben Sie darauf gefunden?
Prof. Kühnapfel: Die Antwort ist nicht nur: »Ja, es lässt sich managen«, sondern: »Glücksmanagement ist der einzige Weg, um glücklich zu sein.« Das klingt sehr ökonomisch, betriebswirtschaftlich, managementlastig, aber wir haben ja schon die halbe Miete herausgearbeitet. Erstens, ich muss eine Ist-Analyse machen. So nennen die Ökonomen das. Was gemeint ist: Ich muss mal betrachten, welche Ressourcen ich habe, welche Restriktionen, was für Ziele. Wie ein Manager. Dann muss ich herausarbeiten: Wohin möchte ich denn gehen? Welche Ziele habe ich, welche Visionen? Wenn es so ist, dass glücklich zu leben das Primärziel ist, dann stellt sich die Frage: Was macht mich überhaupt glücklich? Habe ich das herausgefunden, kommt der dritte Schritt: Ich muss schauen, welche Restriktionen ich habe. Ich bin jetzt 48 Jahre alt, ich kann bei der nächsten Olympiade keinen 100-Meter-Sprint mehr gewinnen. Dieses Ziel zu verfolgen würde mich nicht glücklich machen. Es würde mich frustrieren. Restriktion muss ich anerkennen. Damit meine ich übrigens auch charakterliche Restriktion. Wenn ich ein introvertierter Typ bin, na, dann werde ich halt einen kleineren Freundeskreis haben. Das muss ich erkennen. So, kleine Zusammenfassung bis hierher: Ich- und Ist-Analyse, Glücksfaktoren, Restriktion. Dann der vierte Schritt: Was muss ich tun, damit die Glücksfaktoren ins Leben kommen? Was entsteht, ist eine vermutlich lange Liste an sinnvollen, mehr oder weniger glücksstiftenden Tätigkeiten. Was folgt, ist, das ist jedem Manager bekannt, die Priorisierung. Denn jeder hat nur 24 Stunden am Tag oder ein bestimmtes Budget zur Verfügung; dann zerrt der Chef an einem und die Familie gleich mit. Also sind die Handlungsmöglichkeiten begrenzt und ich muss Prioritäten setzen. Wenn ich nun meine Prioritäten gesetzt habe, also weiß, welche Tätigkeit die wichtigste ist usw., dann weiß ich, wie ich meine Freizeit verbringe. Ich gehe joggen und nicht auf irgendeinem Fernsehsender irgendeine blöde Sendung gucken. Jetzt sind wir schon fast am Ende des Glücksmanagement-Prozesses. Es kommt aber noch ein sechster Schritt – auch der ist jedem Manager bekannt: die Erfolgskontrolle. Ich lehne mich alle drei Monate zurück und überlege, ob ich auf dem richtigen Weg bin. »Ah, ne, das mit dem Sport ist doch nicht so das Richtige für mich, ich will viel lieber noch eine Fremdsprache lernen.« Und dann kann ich meine Prioritäten verändern. Der Prozess wird zu einem Regelkreis. Das Büchlein habe ich übrigens für Ökonomen geschrieben, weil das deren Wording ist.
Patricia Küll: Was tun Sie denn persönlich, um glücklich und zufrieden zu sein?
Prof. Kühnapfel: Ich befolge natürlich meine eigenen Regeln. Ich habe für mich herausgefunden, was tatsächlich wichtig für mich ist, und versuche auch, meine Zeit zu priorisieren. Das heißt nicht, dass ich da sehr starr bin, es kann sich auch verändern. Aber diese Reflexion, diese Nabelschau, das Herausarbeiten der Glücksfaktoren, das Herausarbeiten der charakterlichen Grenzen, die Kosten der glücksstiftenden Aktivitäten, die ich tue, und das Kontrollieren der Ergebnisse, all das mache ich natürlich selbst. Ich bilde mir ein, dass für mich dieser Weg gut funktioniert, so rational er auch erscheint.