Читать книгу Sohn der Monde - OCIA - Patricia Rieger - Страница 10

Оглавление

5

Eilig sprang Hannah aus dem Bus und rannte den letzten halben Kilometer von der Bushaltestelle zum Haus ihrer Verwandten.

Sie hatte sich heute kaum auf ihre Arbeit in der Tierklinik konzentrieren können, da ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke gekommen war. Was, wenn Jacobs Organisation nur darauf gewartet hatte, Hralfor allein anzutreffen, um ihn dann zu überwältigen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihr dabei etwas zustieß? Wenn sie jetzt nach Hause kam und die Wohnung leer vorfand, konnte sie überhaupt nichts unternehmen. Niemand würde ihr glauben, wenn sie von einer Organisation namens OCIA berichtete, die angeblich Außerirdische aufgriff und in ihre eigene Welt zurückschickte. Man würde sie sofort in ärztliche Behandlung geben.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie hatte schreckliches Seitenstechen, als sie schließlich daheim ankam. Mit zitternden Händen öffnete Hannah die Eingangstür.

Es war unnatürlich still, dabei hatte sie doch gehofft, Hralfor würde ihr bereits im Flur entgegenkommen, so wie er es am Vortag getan hatte.

»Hralfor?«

Ihre Stimme klang dünn und atemlos. Langsam ging sie zu ihrer Wohnungstür und öffnete sie.

Vor Erleichterung wären ihr beinahe die Tränen gekommen. Hralfor war noch da! Er lag ausgestreckt auf der kleinen Couch und hatte sich noch den Sessel dazu geschoben, um ausreichend Platz für seine langen Beine zu finden. Kilroy lag ekstatisch schnurrend auf seiner Brust und ließ sich wohlig kraulen.

Als Hannah das Zimmer betrat, öffnete der Kater die vor Wonne fest geschlossenen Augen ein wenig und blickte ihr ungnädig entgegen. Offensichtlich hielt er nichts davon, in seiner trauten Zweisamkeit mit Hralfor gestört zu werden. Als Hralfor nun ebenfalls seine Augen einen Spaltbreit öffnete, stockte Hannah der Atem. Ihr wurde mit einem Schlag wieder bewusst, dass Hralfors Augen ebenso wenig menschlich waren wie die des Katers. Allerdings sah er sie sehr viel freundlicher an, als Kilroy es tat.

»Na, lasst ihr es euch gut gehen?« Sie wäre am liebsten zu Hralfor gerannt, um sich ebenfalls an seine Brust zu schmiegen, so erleichtert war sie, dass er noch hier war, und dass ihre Ängste offensichtlich völlig unbegründet gewesen waren.

»Wir sind gemütlich, und das schon seit einiger Zeit«, erwiderte Hralfor und der heisere Klang seiner Stimme ließ Hannahs Herz noch schneller schlagen. »Eigentlich wollte ich heute für unser Nachtmahl sorgen, doch Kilroy hatte andere Pläne.«

Das vergnügte Funkeln in Hralfors Augen war nicht zu übersehen. Lachend ging Hannah zu ihm und begrüßte Kilroy mit einem zärtlichen Kraulen hinter seinem Ohr. Dabei berührte sie Hralfors Hand. Seine Wärme strömte in ihre Finger.

»Dann habt ihr beide also den ganzen Nachmittag auf der Couch gelegen und habt Männergespräche geführt?«, fragte sie belustigt.

»Du hast es erfasst.« Hralfor nickte ernsthaft, doch seine Augen glitzerten. Seine Finger hatten aufgehört, den Kater zu kraulen. Sie berührten nun leicht Hannahs Hand. »Kilroy hat mir von seinen Kämpfen mit den Nachbarkatzen erzählt und ehe wirs uns versahen, haben wir in Erinnerungen an unsere vergangenen Schlachten geschwelgt. Ach ja, ich glaube, er wird in nächster Zeit etwas weniger fressen. Ich konnte ihm klarmachen, dass es beim Kampf von Vorteil ist, wenn man nicht zu viel wiegt.«

Hannah setzte sich lachend neben Hralfor auf die Kante der Couch. Um nichts in der Welt wäre sie jetzt bereit, ihm ihre Hand zu entziehen. Während er von seinem Gedankenaustausch mit dem Kater berichtete, strichen seine warmen Finger sanft über Hannahs Handrücken und sandten wohlige Schauer durch ihren Körper.

Sie ließ ihn keine Sekunde aus den Augen und prägte sich jede Veränderung seines ausdrucksstarken Gesichts ein, um es später jederzeit und so deutlich wie möglich aus ihren Erinnerungen hervorholen zu können, das amüsierte Funkeln seiner neongrünen Augen, das kleine Zucken seines Wangenmuskels, wenn er die schmalen Lippen zu einem angedeuteten Lächeln verzog, seine dichten, schwarzen Augenbrauen, die sich in ständiger Bewegung befanden. Mal hoben sie sich fröhlich, dann zogen sie sich wieder nachdenklich zusammen.

Während er von Kilroys Kämpfen erzählte, glänzte es in seinen Augen auf und seine blitzenden, weißen Reißzähne wurden kurz sichtbar. Vor zwei Tagen hätte Hannah bei diesem Anblick noch schreiend Reißaus genommen, doch jetzt saß sie nur da und beobachtete ihren außergewöhnlichen Freund völlig fasziniert. Und das war er, ihr Freund – der beste, den sie je gehabt hatte oder jemals haben würde. Der Gedanke daran, dass er schon morgen Nacht wieder vollkommen aus ihrem Leben verschwand, ließ sie vor Kälte erstarren.

»Hannah?« Hralfor richtete sich besorgt auf und Kilroy schoss murrend von seiner Brust auf den Boden. Beunruhigt legte Hralfor seine Hand an Hannahs Wange. Sie fühlte sich eiskalt an. Das erschreckte ihn genauso wie der starre und trostlose Blick, mit dem das Mädchen durch ihn hindurchsah. »Hannah, was ist los?« Er fasste sie an den Schultern und rüttelte sie leicht.

Mit einem Ruck kam wieder etwas Leben in ihre Gestalt und sie sah ihn verwirrt und traurig an. Unsicher strich Hannah sich ihre Haare aus dem Gesicht. »Es tut mir leid. Ich war wohl kurz etwas weggetreten. Das wird nicht wieder vorkommen. Aber jetzt sollten wir uns um unser Essen kümmern. Es gibt die Reste von gestern, hast du etwas dagegen?«

Mit einem Lächeln versuchte Hralfor, seine Besorgnis zu überspielen. Ihr Anblick eben hatte ihm Angst gemacht. »Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn es genügend Reste sind.«

Hannah lachte auf. »Na, zur Not kann ich die Soße strecken und Spaghetti sind schnell gekocht.«

Für den Rest des Abends bemühte Hannah sich sehr, nicht wieder in melancholische Stimmung zu verfallen, schließlich wollte sie es für sich und Hralfor so angenehm wie möglich machen. Sie verdrängte jeden Gedanken an das, was in zwei Tagen sein würde, und bald saßen sie wie schon am Vortag beisammen und genossen die Gegenwart des anderen. Ab und zu ertappte sie Hralfor bei einem besorgten Blick, mit dem er sie prüfend musterte, doch im Großen und Ganzen gelang es ihnen, ihre gute Laune beizubehalten.

Hralfor stellte Hannah jede Menge Fragen über ihr Leben und ihre Welt. Er wollte alles von ihr wissen, um es gut in seinen Erinnerungen zu verwahren. Außerdem kannte er seine Mutter. Sie würde ihn nach ihrer alten Welt ausfragen, bis er völlig ausgequetscht war.

Was ihm blühen würde, wenn sie von seinen Gefühlen Hannah gegenüber erfuhr, daran wagte er gar nicht erst zu denken. Und es war vollkommen ausgeschlossen, dass sie seine wahren Gefühle nicht innerhalb kürzester Zeit erkannte. Sie hatte in ihm schon immer wie in einem offenen Buch gelesen. Das hatte es ihm als Kind nahezu unmöglich gemacht, irgendetwas vor ihr geheim zu halten.

Er sehnte sich nach seiner Heimatwelt. Aber noch stärker sehnte er sich danach, Hannah morgen Nacht einfach mit sich zu nehmen.

Ein scharfer Schmerz fuhr ihm bei diesem Gedanken durch den Leib. Er wäre dann nicht viel besser als sein Vater, den er auch über seinen Tod hinaus noch zutiefst verabscheute. Er musste aufpassen, dass seine Gefühle gegenüber Hannah ihn nicht zu Handlungen verleiteten, für die er sich irgendwann einmal selbst verabscheuen würde. Er sollte besser mehr Abstand zu ihr wahren, um die Situation für sie beide nicht noch zu verschärfen. Immerhin schien Hannah ihm gegenüber auch Gefühle zu hegen. Sie sah ihn als einen besonders guten Freund an, von dem ihr der Abschied schwerfallen würde. Das war schon schlimm genug.

Doch noch während er sich vornahm, sich langsam etwas von Hannah zu distanzieren, schrie alles in ihm auf.

Es bleibt doch nur noch ein Tag! Was kann ein Tag schon verschlimmern?

Seine Hand hob sich ganz von selbst, um Hannah die widerspenstige Haarsträhne hinter ihr Ohr zu streichen.

Diese Bewegung war mittlerweile schon so selbstverständlich zwischen ihnen, dass Hannah sie nur noch mit einem kleinen Lächeln quittierte. Sie war gerade dabei gewesen, Pläne für den nächsten Tag zu schmieden und hatte eine Frage an Hralfor gerichtet, die er, ganz in seine Gedanken versunken, überhaupt nicht mitbekommen hatte. Fragend beugte sie sich zu ihm. »Ist alles in Ordnung? Wenn du mit Reis und Gulasch morgen nicht zufrieden bist, sag es ruhig. Ich überlege mir dann was anderes.«

Hralfor sah sie einen Moment verständnislos an, dann brach er in herzliches Gelächter aus. Während er sich überlegt hatte, Hannah aus ihrer Welt zu entführen, machte sie Pläne für das morgige Mahl und sorgte sich darum, ob sie seinen Geschmack getroffen hatte. Sie war wirklich außergewöhnlich.

Liebevoll tippte er auf ihre Nase. »Alles, was du willst. Ich bin sicher, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst. Das hast du bisher immer getan. Aber um eins möchte ich dich noch bitten. Wirst du mir morgen noch einmal auf deinem Instrument vorspielen? Ich wüsste nicht, wie ich den Tag besser verbringen könnte als mit deiner Musik.«

Hannah wurde vor Freude rot. »Das mach ich gern. Aber nicht den ganzen Tag lang.«

Sie war so froh, dass sie ihre Arbeitsstunden in der Klinik tatsächlich hatte verlegen können und so den letzten Tag gemeinsam mit Hralfor verbringen durfte. Sie wusste, dass ihr ihre Arbeitszeiten nach seinem Weggang völlig gleichgültig sein würden. Kurz schauderte sie, doch dann verdrängte sie diesen Gedanken wieder erfolgreich.

Als Hannah jedoch später in ihrem Zimmer war und sich nicht mehr zusammenreißen musste, um ihre wahren Gefühle zu verbergen, überrollte sie die eisern zurückgedrängte Kälte so heftig, dass sie zitternd und zähneklappernd in ihrem Bett lag. Da halfen weder ihre Bettdecke noch die dicke Wolldecke, in die sie sich zusätzlich einhüllte.

Hannah hatte das Gefühl, in ihrem ganzen Leben nie wieder warm zu werden. Sie fühlte sich, als sei sie in eine tiefe Gletscherspalte gefallen, in der sie nun langsam erfror. Verwirrt presste sie die Lippen aufeinander.

Um Himmels willen, komm wieder zu dir, Hannah, diese Reaktion ist doch nicht mehr normal! Ich hab jetzt siebzehn Jahre ohne Hralfor verbracht und es ist mir sehr gut dabei gegangen. Also was soll der Mist? Er ist ein guter Freund, aber ich habe auch schon andere gute Freunde verloren und dafür neue dazugewonnen. In ein paar Wochen werde ich nur noch mit leichtem Bedauern an ihn denken.

Krampfhaft versuchte sie, sich daran zu erinnern, was sie früher empfunden hatte, wenn sie durch Umzüge oder Schulwechsel alte Freunde verloren hatte. Doch nichts davon reichte auch nur annähernd an die Verzweiflung und Leere heran, die sie diesmal verspürte, wenn sie an die Tage nach Hralfors Heimkehr dachte – nicht einmal die Erinnerung an den Jungen, von dem sie damals geglaubt hatte, in ihn verliebt zu sein.

Er hatte sich damals in ein anderes Mädchen verliebt und sie von heute auf morgen sitzen lassen. Sie war wochenlang untröstlich gewesen, doch wenn Hannah heute darüber nach-dachte, war es wohl vor allem ihr verletzter Stolz gewesen, unter dem sie gelitten hatte. Sie hatte mit diesem Jungen nie auch nur annähernd solch eine Vertrautheit und Zusammengehörigkeit verspürt wie mit Hralfor.

Entsetzt fuhr sie im Bett hoch, als ihr plötzlich klar wurde, was das bedeutete. Hralfor war nicht nur ein guter oder sogar ihr bester Freund. Er war viel mehr. Sie war nicht einmal richtig verliebt in ihn – dazu war er ihr beinahe schon zu vertraut.

Es war einfach nur so, dass sie ihn liebte. Sie wollte nichts anderes, als den Rest ihres Lebens so zu verbringen, wie sie die letzten beiden Tage verbracht hatte. Sie wollte gemeinsam mit ihm kochen, lachen, endlose Gespräche führen und einfach nur bei ihm sein. Sie wollte das Gefühl der Geborgenheit spüren, das sie immer überkam, wenn er ihre Verletzung versorgte. Eine Geborgenheit, die es für sie ohne ihn in dieser Art nie wieder geben würde.

Schockiert sank Hannah zurück auf ihr Bett.

Das kann doch einfach nicht wahr sein! Ich liebe einen halb menschlichen Mann, den ich erst seit zwei Tagen kenne. Einen Fremden, der anscheinend aus einem anderen Universum kommt, mit Katzen spricht und Spaghetti liebt. Und der morgen Nacht für immer aus meinem Leben verschwinden wird …

Bei diesem Gedanken schmolz ein Teil des Eisblocks, der mittlerweile ihren ganzen Körper ausfüllte, zu Eiswasser, und strömte in Form von Tränen aus ihr heraus.

Hannah krümmte sich zusammen und zog die Bettdecke über ihren Kopf, damit Hralfor nicht ihr gequältes Schluchzen hörte. Sie weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte, bis sie völlig ausgelaugt und leer in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung fiel.

Im Nebenraum presste Hralfor seine Stirn an das kühle Glas der Fensterscheibe und versuchte mit aller Kraft, die herzzerreißenden Töne nebenan aus seinem Bewusstsein zu verdrängen.

Zum ersten Mal in seinem Leben verfluchte er das überaus feine Gehör der Vargéris. Seine Hände krampften sich heftig um den Fensterrahmen, während er eisern darum kämpfte, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Sonst würde er sofort in Hannahs Zimmer stürmen und das Mädchen in seine Arme nehmen.

Und dann würde ihn auch noch der letzte Funke Anstand und der klägliche Rest seines Verstandes verlassen.

Er wusste nicht, wie lange er reglos am Fenster stand, während in seinem Inneren ein grausamer Kampf tobte, doch endlich verstummte Hannahs Weinen – und bald darauf erkannte er an ihren regelmäßigen Atemzügen, dass sie eingeschlafen war. Allerdings hörten sie sich seltsam gedämpft und erstickt an.

Wieder kämpfte er mit sich, doch diesmal siegte seine Sorge über die Vernunft. Lautlos glitt er in Hannahs Zimmer, um nach der Ursache der ungewohnten Geräusche zu suchen.

Sie hatte wieder einmal versucht, ihn nicht zu stören und sich die Decke über den Kopf gezogen. Dabei musste sie eingeschlafen sein.

Unwillig schüttelte Hralfor den Kopf. Wollte sie sich vielleicht auch noch ersticken?

Behutsam schlug er die Decke zurück, bis Hannahs Gesicht wieder frei lag. Selbst im Schlaf zeigte ihr Gesicht einen bekümmerten Ausdruck. Die Tränen auf ihren Wangen waren noch nicht ganz getrocknet.

Sanft strich er ihr die feuchten Haare aus dem Gesicht und fuhr zärtlich die nassen Spuren nach. Kurz schien es ihm so, als ob dabei ein schwaches Lächeln um ihren Mund spielte.

Liebevoll betrachtete er das Mädchen, an das er sein Herz verloren hatte. Sie hatte geweint, wegen ihm. Wenn er Tränen hätte, würden sie jetzt ebenfalls fließen – doch nicht einmal diese Erleichterung war ihm vergönnt. Seine Trauer war fest in seinem Herzen eingeschlossen und fand kein Ventil. Er würde lernen müssen, damit zu leben.

Nach einem letzten Blick auf ihr blasses Gesicht glitt Hralfor lautlos aus Hannahs Zimmer. Er bemerkte nicht mehr, wie das feine Lächeln auf ihrem Gesicht erstarrte und erneut einer tiefen Traurigkeit Platz machte.

Der Duft von gebratenem Speck, der durch die kleine Wohnung zog, ließ Hannah am nächsten Morgen aus ihrem schweren und nicht sehr erholsamen Schlaf erwachen.

Im ersten Moment dachte sie, sie war wieder zu Hause und ihre Mutter bereitete für die Familie das sonntägliche Frühstück vor. Doch das Zimmer, das sie erblickte, war nicht ihr Zimmer im elterlichen Haus, sondern der winzige Schlafraum in der Einliegerwohnung ihrer Cousine.

Verwirrt runzelte sie die Stirn, dann sprang sie so heftig aus dem Bett, dass ihr fast schwindlig wurde.

Hralfor!

Barfüßig rannte Hannah aus dem Zimmer und blieb ungläubig stehen. Hralfor ragte vor dem Küchenblock in die Höhe und hantierte geschickt mit zwei Pfannen herum, während Kilroy offensichtlich gesättigt auf der kleinen Couch herumlümmelte und seinen großen Freund keine Sekunde aus den Augen ließ. Er hoffte wohl trotz seiner neuen Diät darauf, dass ihm wenigstens ein kleines Stück des knusprigen Specks zufallen würde.

»Was machst du da?«, stammelte sie fassungslos.

»Frühstück.« Hralfor drehte sich zu Hannah um und lachte sie fröhlich an. Er hielt einen Pfannenwender in der Hand, von dem Fett auf den Boden tropfte.

Hannah brach in schallendes Gelächter aus. »Das glaub ich jetzt einfach nicht!«

»Warum? Ich habe dir genau zugesehen. Ich weiß nun, wie es geht.« Er blinzelte ihr zu. »Du wirst sehen, ich kann nicht nur gemütlich sein, ich kann auch kochen.«

Mit einem unterdrückten Fluch wandte er sich wieder der Pfanne zu, die so etwas wie Rührei enthielt und aus der es nun verstärkt herausdampfte.

Hannah setzte sich kichernd zu Kilroy auf die Couch und begann, den Kater zu kraulen, während sie Hralfor bei der Arbeit zusah. Das war ein Anblick, den sie sich um nichts in der Welt entgehen lassen wollte.

Hralfor rührte unterdessen heftig in der Eiermasse und grinste zufrieden. Genau das hatte er mit seiner Aktion erreichen wollen, nämlich dass wieder das fröhliche Lachen in Hannahs Augen erschien, das er so an ihr liebte. Die Erinnerung an den trostlosen Ausdruck, den ihr Gesicht heute Nacht im Schlaf gehabt hatte, versetzte ihm jedes Mal einen quälenden Stich.

Sorgfältig schaltete er die Herdplatten aus, wie er es bei ihr gesehen hatte, und stellte zügig Teller und Tassen auf die kleine Theke. Dann zog er den Hocker, auf dem Hannah bei den Mahlzeiten immer saß, unter der Theke hervor und machte eine einladende Geste.

Hannah schüttelte fassungslos den Kopf, erhob sich aber gehorsam und setzte sich neugierig auf ihren Platz. Er hatte tatsächlich Rührei und Speck angebraten und nicht einmal die obligatorische Kanne Tee vergessen. Jetzt sah er sie gespannt an, ob es ihr wohl auch schmecken würde.

Hannah nahm mutig eine Gabel voll Ei in den Mund und atmete erleichtert auf. Es war wirklich gut. Vielleicht etwas dunkler als bei ihr und etwas zu wenig gewürzt, aber durchaus genießbar.

»Du bist unglaublich!«, nuschelte sie begeistert mit vollem Mund. »Du hast mir doch nur einmal zugesehen. Du musst ein Gedächtnis haben wie ein Elefant.«

Hralfor grinste sie selbstzufrieden an und schaufelte sich von dem Ei in den Mund. »Ich habe keine Ahnung, was ein Elefant ist, aber ich gehe mal davon aus, dass das ein Kompliment sein soll.«

»Auf jeden Fall!« Hannah nickte eifrig. »Und danke, das war eine tolle Idee. Seit wann bist du denn schon auf? Hat Kilroy dich geweckt? Ich habe ihn mal wieder nicht gehört.«

Kurz flog ein dunkler Schatten über sein Gesicht. »Nein, er hat mich nicht geweckt. Ich war schon auf.«

Er würde ihr mit Sicherheit nicht erzählen, dass er die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, sondern stattdessen ihren gleichmäßigen Atemzügen und dem Schlag ihres Herzens gelauscht hatte, bis ihm ihr Pulsschlag so vertraut geworden war, als wäre es sein eigener. Er konnte ihn von nun an aus jeder noch so großen Menschenmenge heraushören – allerdings würde er niemals die Gelegenheit dazu haben.

Als sie das Frühstück beendet hatten, machte Hralfor sich wie jeden Morgen daran, Hannahs Verletzung zu untersuchen. Zufrieden stellte er fest, dass die Kratzspuren fast vollständig verblasst waren. In zwei bis drei Tagen sollte nichts mehr davon zu erkennen sein. Sanft strich er über Hannahs Arm und sah sie eindringlich an.

»Du musst mir versprechen, dass du nicht vergisst, die Paste zu benutzen, wenn ich nicht mehr hier bin! So lange, bis nicht mehr die geringste Spur von der Verletzung zu sehen ist, Hannah, hast du verstanden? Trage sie lieber ein paar Tage länger auf, wenn du dir nicht ganz sicher bist.«

Hannah verdrehte genervt die Augen.

»Das sagst du mir jedes Mal. Ich bin doch nicht blöd! Was würde überhaupt geschehen, wenn ich sie zu früh absetze? Ich spüre überhaupt keinen Schmerz mehr. Hätte ich dann so eine Art Rückfall und der Arm würde wieder brennen?«

»Nein.« Hralfor schüttelte beunruhigt den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich es dir erklären kann. Die körperliche Verletzung ist so gut wie ausgeheilt.«

Nachdenklich fuhr er die verblassten Spuren mit den Fingerspitzen nach. Hannah hätte am liebsten vor Wonne geseufzt.

»Die Gefahr besteht jetzt vor allem darin, dass das Gift auch Auswirkungen auf deinen Geist haben könnte, wenn du die Paste nicht mehr aufträgst.«

Hannah sah ihn verständnislos an und Hralfor legte nun auch seine zweite Hand auf ihren Arm.

»Vielleicht verstehst du es besser, wenn ich dir von einer anderen Frau erzähle, die von Vargéris angefallen wurde. Sie wurde dabei nicht nur gekratzt, sondern auch in den Arm gebissen. Es war das erste Mal, dass in meiner Heimatwelt jemandem eine Verletzung durch einen Vargéri zugefügt wurde und man ging davon aus, dass es sich um eine ganz normale Wunde handelte. Doch die Verletzung entzündete sich und keine der sonst so wirkungsvollen Heilpasten zeigte Wirkung. Gleichzeitig wurde die junge Frau plötzlich von seltsamen Albträumen und Visionen geplagt. Es stellte sich heraus, dass sie durch die Verletzung eine seltsame Verbindung zu den Vargéris eingegangen war. Sobald einer von ihnen in ihre Welt wechselte, fühlte und dachte sie dasselbe wie er. Sie wurde im Geist eine von ihnen.«

Benommen versuchte Hannah, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Kurz musste sie an Jacob und seine Bemerkung über den Mythos der Werwölfe denken. Auch hier wurde behauptet, dass der Biss eines Werwolfs zu einer Art Verwandlung des Gebissenen führte.

Sie runzelte die Stirn. »Soll das etwa heißen, dass ich, wenn ich diese Paste nicht aufgetragen hätte, jetzt wissen würde, was in deinem Kopf vorgeht?«

Hralfor blickte sie stirnrunzelnd an. Hannah wirkte nicht so, als ob ihr diese Vorstellung besonders Angst machte – im Gegenteil. Sie sah beinahe aus, als ob sie ärgerlich war, dass sie die Paste überhaupt genommen hatte.

Seine Augen blitzten unwillig auf. Sie hatte nicht verstanden.

Er neigte den Kopf zu ihr hinunter, bis ihre Nasen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. »Du würdest eventuell nicht nur wissen, was ich fühle, sondern auch die Empfindungen eines jeden Verbannten auffangen, der deine Welt betritt.«

Ganz langsam schien sie zu verstehen. Hralfor erkannte es daran, dass sich ihre Augen verdunkelten und ihre Wangen bleich wurden. Grimmig nickte er ihr zu. »Genau das ist mit der jungen Frau geschehen. Sie musste hilflos miterleben und vor allem mitfühlen, wie drei Verbannte in ihre Welt wechselten, die Spur einer anderen Frau aufnahmen und sie schließlich stellten und zerfleischten. Sie war die ganze Zeit dabei. Sie war sozusagen ein Teil davon …«

Hannah starrte ihn kreidebleich und zu Tode erschrocken an. Als sie schließlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, konnte er ihre Worte kaum verstehen. »Wie hat sie so etwas überleben können?«

Sein Blick wurde weicher. »Zum Glück hatte sie einen Begleiter bei sich, der mit ihr so stark verbunden war, dass er so etwas wie einen geistigen Schutzschild um sie legen konnte. Sie fiel in eine Art mentale Starre, in der sie die schrecklichen Bilder nicht weiter auffangen musste. Es dauerte mehrere eurer Wochen, bis sie daraus erwachte. Und auch das war nur dem Einsatz der besten Heilenden meiner Heimatwelt zu verdanken, durch die sie lernte, mit diesen Bildern umzugehen.«

Hralfors Blick bohrte sich in Hannahs Augen. »Und nun sag mir, ob du die Paste auch weiterhin auftragen wirst!«

Hannah nickte wie betäubt. »Ich denke schon.«

Erleichtert lehnte er sich zurück und begann, den Verband um Hannahs Arm zu wickeln. Ihre Augen folgten seinen Bewegungen, doch ihre Gedanken waren dabei weit weg.

Dieser Angriff auf die Frau musste stattgefunden haben, bevor er selbst in diese Welt gewechselt war, sonst hätte man dort bestimmt mehr über die Vargéris gewusst. Und trotzdem hatte Hralfor sich so angehört, als sei er damals irgendwie dabei gewesen. Bei der Erwähnung der jungen Frau hatte sein Gesicht einen besonders liebevollen Ausdruck angenommen, so als würde er sie sehr gut kennen.

Bei diesem Gedanken verspürte Hannah einen scharfen Stich, den sie entsetzt als Eifersucht erkannte. Sie war noch nie richtig eifersüchtig gewesen, dieses Gefühl sah ihr eigentlich überhaupt nicht ähnlich. Im Gegenteil, es hatte sie immer total genervt, wenn eine ihre Freundinnen wegen irgendeinem Jungen vor Eifersucht halb krank gewesen war. Und jetzt saß sie hier und fühlte sich fast krank, weil Hralfor von einer ihr völlig Unbekannten erzählt hatte, die vielleicht gar nicht mehr lebte.

Doch allein die Vorstellung, dass es irgendjemanden gab, der Hralfors Gefühle und Gedanken so teilen konnte, wie es dieser Fremden aufgrund ihrer Verletzung durch einen Vargéribiss möglich wäre, ließ Hannah vor Wut schäumen. Forschend beobachtete sie Hralfor, der gerade den Verband feststeckte. »Diese Frau, von der du erzählt hast, hast du sie gekannt?«, erkundigte sie sich möglichst beiläufig.

Hralfor blickte zu ihr auf und in seinen Augen stand ein warmes Leuchten. »Ja, natürlich. Kora zählt zu meinen besten Freunden in meiner Heimat. Sie stammt übrigens auch von hier aus der Alten Welt. Sie hat mir höchstwahrscheinlich das Leben gerettet, als ich zum ersten Mal den Boden meiner jetzigen Heimatwelt betreten habe. Aufgrund ihrer besonderen Verbindung zu meiner Rasse konnte sie erkennen, dass ich keiner ihrer Feinde war und hat sich schützend zwischen mich und einen Kämpfenden gestellt.«

Hannahs schlimmste Befürchtungen hatten sich damit bewahrheitet. Hralfor liebte also bereits eine Frau in seiner Heimatwelt. Sein Blick und der Ton seiner Stimme ließen keinen Zweifel darüber. Sie fühlte sich plötzlich elend und erschöpft.

Hralfor sah den Schmerz in ihrem Gesicht und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während sich seine Hand mit festem Griff um ihren verbundenen Arm schloss. »Wie ich vorhin schon sagte, sie war bereits damals, als ich noch ein Kind war, eng mit einem Mann verbunden, der heute ihr Seelenpartner und mein bester Freund ist. Thyrian war es auch, der mir beigebracht hat, mich mit Tieren zu verständigen. Wenn meine Mutter auf Reisen war – was später häufiger vorkam –, waren es Kora und Thyrian, die mich wie einen Sohn bei sich aufnahmen.« Hralfor lächelte und sah sie so verständnisvoll an, dass Hannah vor Verlegenheit rot wurde.

Wie hatte sie nur so blöd reagieren können?

Dann stutzte sie. »Was bedeutet das, dass sie Seelenpartner sind?«

Ganz kurz glaubte Hannah, einen versteckten Schmerz in Hralfors Augen aufblitzen zu sehen, doch schon hatte er seinen Blick auf Hannahs und seine Hände gesenkt, die sich wie selbstverständlich miteinander verschlungen hatten. »In meiner Heimatwelt glaubt man, dass jeder mit einer unvollständigen Seele zur Welt kommt, deren fehlender Teil sich in einer anderen Person befindet. Wenn man diese andere Person trifft und erkennt, verschmelzen die beiden Seelenfragmente zu einer einzigen, vollständigen Seele. Diese beiden werden dann zu Seelenpartnern, die von nun an immer vereint sind, selbst wenn sie sich an verschiedenen Orten aufhalten.«

Hannah hörte Hralfor atemlos zu. »Diese Vorstellung ist wunderschön und erschreckend zugleich«, flüsterte sie gerührt. »Doch was passiert, wenn sich die beiden nie finden, oder noch schlimmer, wenn sie sich gefunden haben und einem von ihnen etwas zustößt? Das muss ja schlimmer sein als der eigene Tod.«

Allein die Vorstellung war entsetzlich.

»Ja.« Hralfor lächelte sie gequält an. »Da hast du wieder einmal mit einem Blick das gesamte Ausmaß dieser Geschichte erkannt. Es kommt tatsächlich immer wieder vor, dass ein Seelenpartner, dessen andere Seelenhälfte gestorben ist, sich ebenfalls erlöschen lässt, da er ohne sie nicht weiter existieren kann. Aber das ist nun einmal der Lauf der Dinge. Ich denke, hier gilt dasselbe wie überall. Wo dir ermöglicht wird, ein besonderes Glück zu finden, besteht auch die Gefahr, es zu verlieren und dadurch besonderen Schmerz zu erdulden.«

Hannah seufzte. »Du hast wahrscheinlich recht. Man könnte sich genauso fragen, wer schlechter dran ist, derjenige, der seine andere Seelenhälfte nie gefunden hat, oder derjenige, der sie gefunden, aber dann auch wieder verloren hat.« Sie schauderte. »Ich könnte diese Frage jedenfalls nicht beantworten.«

»Nein, ich kann es auch nicht.« Hralfors Augen hatten sich zu einem tiefen Grün verdunkelt. Dann gab er sich einen Ruck und sah Hannah bittend an. »Du hast mir versprochen, noch einmal zu musizieren. Wirst du dein Versprechen jetzt einlösen?«

Hannah lächelte entschuldigend. »Ich wollte es mir für etwas später aufheben, sonst vergesse ich wieder die Zeit, und das würde mir morgen sehr leidtun.« Sie schluckte schnell die Tränen herunter, die ihr bei ihren Worten in den Hals stiegen. »Wann genau hattest du vor, zu … gehen?«

»Ich wollte warten, bis es ganz dunkel und spät genug ist, dass niemand zufällig etwas davon mitbekommt«, erwiderte Hralfor rau.

»Wieso?« Hannah sah ihn entsetzt an. »Das heißt doch nicht etwa, dass du dazu wieder das Haus verlassen wirst? Geht es nicht hier, wo du sicher bist?«

»Nein.« Hralfor schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin bisher immer nur unter freiem Himmel gewechselt, außer in meiner Heimatwelt, wo es dafür eine ganz besondere Höhle gibt. Die Strömungen, die bei einem Wechsel entstehen, sind so gewaltig, dass es zu gefährlich ist, sie in geschlossenen Räumen auszulösen. Ich muss dazu hinausgehen.«

Beschwörend sah sie ihn an. »Dann mach es im Garten, da ist freier Himmel und die Hecken schützen dich vor neugierigen Blicken.«

Sanft nahm Hralfor Hannahs entsetztes Gesicht in seine Hände. »Auch das geht nicht. Der Wechsel erfolgt so heftig, dass deine Nachbarn trotz der Hecken misstrauisch werden könnten. Ich muss in irgendein einigermaßen ruhiges Waldstück gelangen. Außerdem habe ich so auch eine etwas bessere Chance, Jacob und seine Leute zu verwirren. Vielleicht können sie den Sprungort ja nicht so leicht ausmachen, wenn ich mich heimlich fortschleiche. Und glaube mir, aufs Schleichen verstehe ich mich wirklich sehr gut.«

»Dann kann ich also nicht einmal in deiner Nähe sein, wenn du diese Welt endgültig verlässt.«

Hannahs Stimme klang so verloren, dass Hralfor sich nur noch mit äußerster Mühe beherrschen konnte, um nicht aufzuspringen und sie in seine Arme zu reißen. Er schloss die Augen und presste die Zähne zusammen, während er versuchte, seine eigene Verzweiflung in den Griff zu bekommen.

»Es tut mir leid, ich benehme mich echt kindisch«, entschuldigte sich Hannah schnell, als sie seine Reaktion sah.

Was war sie doch für ein unsensibles, egoistisches Miststück! Natürlich hatte Hralfor keine andere Wahl, als so unauffällig wie möglich zu verschwinden.

Hannah legte ihm leicht die Hand an die Wange, als wollte sie seinen verzweifelten Gesichtsausdruck wegstreichen. »Ich werde jetzt einen Stadtplan holen und dann schauen wir uns nach einem geeigneten Ort für deinen Weltensprung um. Ich kenne mich hier nämlich selbst nicht gut aus. Aber irgendwo in der Nähe wird es doch einen kleinen Wald geben.«

Schnell sprang sie auf und lief in ihr Zimmer, wo sie den Plan, den sie von ihrer Cousine bekommen hatte, aufbewahrte.

Hralfor blieb regungslos auf seinem Platz sitzen. Er hatte sein Gesicht in den Händen vergraben und kämpfte noch immer mit seinen Gefühlen. Als er hörte, dass Hannah zurückkam, richtete er sich auf und zwang sich zu einem Lächeln.

Sie breitete die Karte auf dem kleinen Tisch aus und winkte Hralfor zu sich.

Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas Ähnliches wie diese Karte gesehen und beugte sich fasziniert darüber. Und ehe sichs beide versahen, waren sie so in das Kartenstudium vertieft, dass sie den eigentlichen, traurigen Grund dafür einige Zeit verdrängen konnten. Dabei verging die Zeit wie im Flug.

Als sie schließlich ein geeignetes Waldstück gefunden hatten und Hralfor sich sicher war, dass er es problemlos finden würde, wollte er noch weitere Karten sehen.

Bereitwillig schleppte Hannah den dicken Atlas ihrer Verwandten herbei und Hralfor studierte völlig gebannt die verschiedenen Länder und Kontinente. Hannah musste all ihre geografischen Kenntnisse hervorholen, um die Flut seiner Fragen auch nur annähernd zu beantworten.

Wie ein kleines Kind mit seinem liebsten Bilderbuch saß Hralfor am Tisch und blätterte den Atlas durch. Hannah staunte, wie viel Spaß es machte, mit ihm Erdkunde zu betreiben, obwohl Geografie in der Schule nie zu ihren Lieblingsfächern gehört hatte.

Als Hralfors größter Wissensdurst endlich ein wenig gestillt war, bemerkten sie, dass es bereits später Nachmittag geworden war. Wenn Jacob zur selben Zeit erschien wie vor zwei Tagen, mussten sie sich beeilen, wenn sie vorher noch etwas kochen und eine letzte, gemeinsame Mahlzeit einnehmen wollten.

Wie ein langjährig eingespieltes Team machten sie sich an die Essensvorbereitungen. Doch als sie schließlich zum letzten Mal miteinander an der kleinen Theke saßen, war es keinem von ihnen möglich, sich noch länger den Anschein der Unbeschwertheit zu geben.

Hannah stocherte lustlos in ihrem Essen herum und selbst Hralfor holte sich keinen Nachschlag, obwohl das Essen wieder hervorragend schmeckte.

Als schließlich wie bereits vor zwei Tagen die Klingel schrillte, waren sie beinahe froh darüber, dass der gefürchtete Moment endlich gekommen war.

Hannah erhob sich langsam und lief mit bleischweren Gliedern zur Sprechanlage. »Ja?«

»Hier ist Jacob, kleine Lady.«

Sohn der Monde - OCIA

Подняться наверх