Читать книгу Die Polnische Mitgift - Patricia Verne - Страница 13
Nachnamen zu vergeben
ОглавлениеIch schämte mich für meine Herkunft, weil sie keine positiven Assoziationen entstehen ließ; für meine Eltern, weil sie meine polnische Vergangenheit verkörperten, während ich mich bemühte, deutscher als jeder Deutsche zu werden; für meinen Nachnamen, ein polnisches Überbleibsel, das ich nicht loswurde.
Oft stellte ich mir vor, wie es wäre, spanische Eltern zu haben, Spanisch statt Polnisch zu sprechen, Sangría statt Wodka als Nationalgetränk anzubieten. Ich dachte mir sogar fiktive Dialoge aus.
»Hallo, ich heiße Patricia García Ortega«, ich rollte dabei jedes einzelne »r« besonders stark.
»Was für ein schöner Name, wo kommen Sie denn her?«
»Aus Spanien.«
»Wow, da war ich letzten Sommer im Urlaub, ich wäre am liebsten für immer dort geblieben.«
Die Realität aber sah so aus: »Ich heiße Patricia Czarkowski.«
»Oh, das klingt kompliziert. Sind Sie Russin? Schreibt sich das wie Tschaikowsky?«
»Nein, ich komme aus Polen« und buchstabierte automatisch: C-Z-A-R-K-O-W-S-K-I.
Dafür brauchte ich im Durchschnitt 1,83 Sekunden. Ich wusste das so genau, weil mein Jugendfreund, Matthias Görig, die Zeit mit der Stoppuhr gemessen hatte. Er war fasziniert davon, wie schnell ich meinen Mädchennamen buchstabieren konnte und davon, wie oft ich ihn im Alltag buchstabieren musste.
Wenn Matthias seinen Nachnamen angab, sagte er einfach: »Görig wie der NS-Mann Göring, aber ohne ›n‹«.
Das reichte. Keine Nachfragen, keine Tippfehler. Bei mir wiederum half oft sogar mehrmaliges Buchstabieren nicht. Mal fehlte bei Czarkowski das »z«, mal wurde ein »Scharkowski« daraus. Es war zum Verrücktwerden. Hätten meine Eltern nicht einfach »Ernst« oder »Müller« heißen können?
Und noch etwas störte mich an meinem Nachnamen. Sobald ich mich vorstellte, sobald jemand den Namen las, war klar: »Ah, die ist nicht von hier.« So gut ich auch Deutsch sprach, so deutsch meine Interessen und Freunde waren, mein Nachname verriet mein Anderssein. Dieses Anderssein, das ich damals so gerne weggewischt hätte. Ich wollte deutsch sein, ohne Wenn und Aber.
Anderen Aussiedlern ist es gelungen, ihren Namen auszutauschen. Mein Stiefvater hieß in Polen Kristian Lesz, er wurde nach seiner Ankunft in Deutschland zu Christian Lesch, ein Freund meiner Eltern hieß in Polen noch Janek Szleger, daraus wurde Hans Schleger. In diesen Fällen wurde der polnische Vorname gegen die deutsche Version eingetauscht und die polnischen Laute des Nachnamens eingedeutscht. Aber es gibt auch Beispiele, bei denen der Nachname nach der Eindeutschung kaum wiederzuerkennen war: So wurde etwa Elżbieta Kitowska zu Elisabeth Kittner.
Möglich machte das der Paragraph 94 des Bundesvertriebenengesetzes. Darin heißt es unter anderem, dass Vertriebene und Spätaussiedler eine deutschsprachige Form ihres Vornamens annehmen können – gibt es keine passende Form, kann ein neuer Vorname ausgesucht werden. Auch der Familienname darf in einer deutschsprachigen Form oder in einer deutschen Übersetzung angenommen werden, sofern die Übersetzung einen im deutschen Sprachraum passenden Familiennamen ergibt.
Neu war das Phänomen der Namensänderung in der deutsch-polnischen Geschichte nicht. Schon während des deutschen Kaiserreichs war die Regierung an einer Germanisierung und Integration polnischstämmiger Zuwanderer interessiert. Sie unterstützte daher Namensänderungen, um Diskriminierung und Vorurteile gegen alles, was polnisch klang, zu unterbinden. So wurde beispielsweise aus dem polnischen Nachnamen Majcrzak Mayer; statt Gizelski hieß es Giesberg und Janowski wurde zu Janfeld. Jahrzehnte später, nach dem Zweiten Weltkrieg, gab es eine Entwicklung in die andere Richtung: Im Zuge der Polonisierung war es in den ehemals von Deutschland besetzten Gebieten durchaus üblich, deutsch klingende Namen wieder polnisch klingen zu lassen.
In meinem Fall aber half kein Gesetz. An Czarkowski war nicht zu rütteln – zumindest vorerst.