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Der Polen-Komplex

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Dass ich in meiner Kindheit so lange mit dem Polnischen gehadert habe, können manche, etwa mein Schwager, nicht nachvollziehen. Der Mann meiner Schwester Davina ist, was mein Vater als czysty niemec, einen »sauberen« oder »reinen« Deutschen, bezeichnet, also jemand, der durch und durch deutsch ist. Lars ist in Duisburg geboren, in eine Familie, die ohne Zusätze wie »Meine Oma/ Mutter stammt aber aus xy« auskommt. Für Lars ist Polen nichts, weswegen man sich verstecken müsste, nichts Peinliches, nicht zweite Wahl.

Im Gegenteil.

Fällt das Wort Polen, denkt er sofort an die kotlety schabowe z kluskami, Schweinskottelet mit Klößen, meiner Tante, er denkt an die Sprache, für die er uns bewundert, weil das Polnische für ihn ein Buch mit sieben Siegeln ist, und er denkt an seine sehr gut ausgebildeten polnischen Kollegen, die mit Fachwissen brillieren. Lars liebt Polen fast so sehr wie er meine Schwester liebt.

Aber das Polen, das Lars kennt, ist auch nicht das, womit die Deutschen ihre östlichen Nachbarn während meiner Kindheit in Verbindung brachten. Heute sind die Städte voll mit Shoppingcentern, es gibt hippe Szene-Cafés, angesagte Festivals und viele weltoffene Menschen. In den ländlichen Gebieten aber hat sich an den Strukturen wenig geändert, viele Einwohner dort vertreten das konservativ denkende Polen, in nicht wenigen Gegenden sieht man kaum, dass sich in den vergangenen gut 30 Jahren etwas verändert hat. Und dennoch: Das, wofür Polen zu meiner Zeit stand, hat sich stark geändert.

Für viele Deutsche war Polen damals im besten Fall der Inbegriff der Farbe Grau oder der unauffällig arbeitenden Putzfrau. Über die schlechteren Fälle hat unter anderen die Journalistin Alice Bota geschrieben, die für die Wochenzeitung Die Zeit arbeitet und selbst polnische Aussiedlerin ist. Bota wurde wie ich 1979 im ober- schlesischen Krapkowice geboren und wanderte mit ihren Eltern nach Deutschland aus, als sie neun Jahre alt war. In dem Buch Wir neuen Deutschen: Wer wir sind, was wir wollen, das sie zusammen mit Özlem Topcu und Khue Pham geschrieben hat, beschäftigt sie sich mit den Gefühlen von Heimatlosigkeit, Entfremdung und ihrer hybriden Identität. Darüber, wie es war, im Deutschland der 90er-Jahre Pole zu sein, schreibt Bota:

»Es gab die Autodiebstähle, es gab die irrwitzige Armut jenseits der Oder, es gab die Polackensprüche, es gab die Harald-Schmidt-Witze über klauende Polen, die ganze Sendungen füllten und viel Schenkelklopfen auslösten. Wir hatten also gute Gründe, sehr schnell sehr deutsch zu werden.«

Diese gängige Sichtweise vieler Deutscher hat der polnischen Seele mehr als nur einen Stich versetzt. Sie kam einer Demütigung gleich. Es ist nachvollziehbar, dass polnische Migranten sich für ihre Herkunft schämten.

Der Ursprung ihrer Komplexe ist dies aber nicht, der liegt tiefer und ist in der polnischen Geschichte verankert.

Polen ist in den vergangenen 220 Jahren mehrfach von Großmächten zerschlagen worden. Das führte dazu, dass das Selbstwertgefühl der Polen immer wieder erschüttert und immer brüchiger wurde. Polen wieder zu einem starken und selbstbewussten Land zu machen, ist ein Thema, das besonders für die rechtskonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS, die seit Ende 2015 regiert, stets hochaktuell und Aufhänger vieler Debatten ist.

Die polnische Publizistin Marta Kijowska hat in Krakau Germanistik studiert und lebt seit 1979 in München. Die populistische Politik der PiS, deren umstrittene Reformen und das Unverständnis und die Entrüstung des Auslands hat Kijowska zum Anlass genommen, das beeindruckende Buch Was ist mit den Polen los? Porträt einer widersprüchlichen Nation zu schreiben.

Es ist eine Analyse des heutigen Polens, Kijowska schaut aber auch zurück, um die historischen Entwicklungen verständlich zu machen. Die vergangenen gut zwei Jahrhunderte, die geprägt waren von den Teilungen Polens durch Russland, Preußen und Österreich, den Zweiten Weltkrieg und das kommunistische Regime seien eine »einzige Kette von identitätsraubenden Maßnahmen« gewesen. Mit zahlreichen Zitaten und Meinungsäußerungen polnischer Intellektueller beschreibt sie den Nationalcharakter der Polen so:

•Der Pole klagt gerne.

•Der Pole hat Angst vor dem Fremden.

•Der Pole neigt zu einer heroischen Ethik.

•Der Pole hat Komplexe.

•Der Pole sieht sich als Opfer der Unterdrückung durch andere Völker; und besonders durch Deutschland, dem Land, das im Laufe der Geschichte mehrfach vorgab, Polen überlegen zu sein.

Kijowskas Buch half mir dabei, nachvollziehen zu können, warum viele Polen genug haben von der »Einmischung« der EU, warum sie keine Geflüchteten mehr aufnehmen wollen und warum besonders die Beziehungen zu Deutschland mehr als angespannt sind.

Ich verstehe nun vieles besser: Warum meine Mutter besonders in den Anfangsjahren in Deutschland wenig selbstbewusst auftrat. Warum sie bei Elternabenden immer ganz hinten saß. Warum sie die Haustür immer erst einen Spaltbreit aufmachte um zu prüfen, dass keiner der Nachbarn im Hausflur zu sehen war, der sie in ein Gespräch verwickeln könnte. Warum sie so ungern deutsche Formulare ausfüllte. Warum sie lieber andere Polen zum Kaffee traf als deutsche Kollegen oder Bekannte.

Ganz anders dagegen mein Vater, der offensichtlich nichts von dieser Seite des polnischen Nationalcharakters abbekommen hat. Wurde er früher für seinen polnischen Akzent schief angeschaut, fragte er sein Gegenüber, an welchem Wort dieser das bemerkt habe. Beim nächsten Mal versuchte er das Wort besser, deutscher auszusprechen. Und wurde er despektierlich als Ausländer beschimpft, gab er zurück, dass wir doch alle irgendwann und irgendwo Ausländer seien.

Ich wünschte, ich hätte meine Eltern nicht immer dafür kritisiert, was ihnen fehlte, um »echte Deutsche« zu werden, sondern anerkannt, welche Hürden sie überwunden haben.

Ich wünschte, ich hätte nicht nur ihre Mankos gesehen, sondern auch das, was sie hier erreicht haben.

Ich wünschte, ich wäre aufmerksamer gewesen.

Aber im Nachhinein ist es bekanntlich einfach, Fehler zu sehen und Fehler einzugestehen. Als ich mit meinem Cousin Markus für dieses Buch über unser damaliges Eltern-Bild spreche, lege ich mein persönliches Mea Culpa ab. Markus kann gut nachvollziehen, was ich empfinde und ergänzt: »Als ich selbst zum ersten Mal für längere Zeit im Ausland war, habe ich nachvollziehen können, wie meine Eltern sich zu Beginn in Deutschland gefühlt haben müssen und vor allem, welches Ausmaß ihre Entscheidung hatte. Als sie Polen verlassen haben, waren sie Mitte Dreißig, hatten zwei kleine Söhne, kein Geld, keinen Beruf und wussten noch nicht einmal, ob sie jemals in ihre Heimat zurückkehren würden. Ich selbst habe mittlerweile auch Frau und Kinder und muss ganz ehrlich sagen: Ich würde mir diesen Schritt nicht zutrauen.« Er stockt kurz.

»Was unsere Eltern getan haben, war mutig.«

Mutig.

Ein Wort, das ich viel zu selten benutze, wenn ich über meine Eltern spreche. Wie gerne wäre ich selbst damals am Lagerfeuer mutig genug gewesen, dem älteren Pfadfinder zu widersprechen, ihm klarzumachen: Auch ich bin Deutsche.

Die Polnische Mitgift

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