Читать книгу Metrod - Patrick Eversen - Страница 7
Kapitel 1
ОглавлениеSo, nichts vor sich liegend, sitzt Zuidder mit einer Tasse Kaffee an seinem Schreibtisch. Er lehnt sich zurück, verschränkt seine Arme und seine leuchtend blauen Augen streifen durch den Raum. Er lächelt ein wenig und nickt vorbeigehenden Kollegen zu. Der Platz gegenüber von ihm ist leer.
Er schaut auf die Uhr. Dann kommt ein Kollege vorbei und wirft ihm die zusammengerollte Tageszeitung zu. Schlechter Wurf!
Zuidder schiebt sich geradeso ein wenig vom Tisch weg und greift nach der Zeitung, die sich in der Luft um die eigene Längsachse gedreht hatte. Er balanciert den Stuhl, der nicht mehr auf fünf, sondern nur noch mit zwei Rollen Bodenkontakt hielt. Glücklicherweise verlagert er sein Gewicht so, dass der Stuhl geschmeidig wieder auf dem Boden aufsetzt.
Er zieht sich wieder an seinen Schreibtisch heran und rollt die Zeitung auseinander. Er nimmt einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, die ihm seine Frau mal geschenkt hatte und schlägt die Titelseite auf:
„Serienkiller geschnappt: Amsterdamer Kommissar erschießt Serienkiller bei Flucht durch Amsterdam“
Auf der Titelseite war ein Bild von dem Ort zu sehen, an dem Zuidder Grasser nach der Verfolgungsjagd gefunden hatte. Auf dem Bild konnte man erkennen, dass auf dem Boden eine Leiche abgedeckt war. Es wölbte sich ein weißes Tuch über einen leblosen Körper. Das Bild war sogar in Farbe, sodass Zuidder erkennen konnte, dass auf dem Tuch ein Blutfleck zu sehen war.
Zuidder hatte während der Verfolgungsjagd die beiden Schüsse hören und schon lokalisieren können. Zeitgleich mit seinem Eintreffen am Ende der Verfolgungsjagd, sagte de Gracht über Funk, dass der Krankenwagen jetzt auf dem Weg gewesen sei.
Auf dem Titelbild war noch zu sehen, dass der Tatort mit Absperrband abgesperrt war. Man hatte Baustrahler aufgestellt, die den Tatort beleuchteten. Ebenfalls auf dem Bild zu sehen, war Zuidder selbst, der sich mit anderen Polizeikollegen unterhielt.
Zuidder zieht sein Handy aus der Hosentasche, öffnet die Kamera und macht eine Nahaufnahme von sich und den Polizeikollegen im Bild. Anschließend schickt er das Foto kommentarlos seiner Frau.
Das Handy an die Kante des Schreibtisches gelegt, blättert Zuidder auf die nächste Seite. Dort ist ein großer Artikel zu sehen, in dem die Mordserie noch einmal nachvollzogen wird. Es waren auch die Morde aufgelistet, die die Polizei jahrelang hat versucht aufzuklären. Es waren diejenigen Morde, an denen Nigel Bax heldenhaft gearbeitet hatte und im Dienst gefallen sei.
Es zeichnet sich die Chronologie der Morde ab, die mit einer Verfolgungsjagd durch die Innenstadt Amsterdams endete. Es sei ein hollywoodreifes Ende gewesen, so steht es in der Zeitung, ebenso heldenhaft wie der Tod von Nigel Bax.
Zuidder lehnt sich wieder ein Stück in seinem Bürostuhl zurück.
Jetzt wirkt er etwas benommen, als ob ihn etwas quält. Sein Magen zieht sich zusammen. Er schließt seine Augen für einen kleinen Augenblick. Man könnte vermuten, dass etwas vor seinem inneren Auge abläuft. Er zuckt zusammen.
Aus heiterem Himmel steht de Boer neben ihm: „Können Sie mal eben mit in mein Büro kommen?“
Das war keine Frage. De Boer sagte es mit einem brüsken Ton, sodass die Augen Zuidders im gleichen Moment aufschnellten und er aufstand.
De Boer war nicht sonderlich groß. Zuidder stand jetzt neben ihm und Peter de Boer musste seinen Kopf leicht nach oben neigen, um seinem Kollegen in die Augen zu schauen.
Ein kurzes Zunicken Zuidders signalisiert ihm, dass er ihm folgen würde.
De Boer geht voran, während Zuidder ihm auf Schritt folgt und bei Betreten des Büros die Glastür des Büros hinter sich schließt.
Ideomotorisch setzt sich Zuidder auf einen der beiden sesselartigen Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. De Boer steht am Fenster und schaut kurz heraus. Sein Blick schweift die Straße entlang, auf der zahlreiche Passanten unterwegs waren. Der Chef zieht die Hose währenddessen nochmal höher und dreht sich wieder zu Zuidder, der erwartungsvoll auf dem Stuhl sitzt.
„Was ist los?“, fragt Zuidder de Boer, der sich soeben an den Tisch gesetzt hat.
„Wie ‚was ist los?‘?“, entgegnet de Boer verdutzt.
Zuidder will ihm erwidern, als de Boer ihn mit einer euphorischen Stimme anspricht: „Sie haben den Serienkiller geschnappt! Ich gratuliere Ihnen! Herzlichen Glückwunsch!“
De Boer wollte ihm wohl nur gratulieren.
„Naja, eigentlich wollte ich auch in Erfahrung bringen, wie es Ihnen geht? Glücklicherweise haben wir sonst eher weniger mit Morden, eher mit Drogendelikten, zu tun.“
Zuidder muss an das Bild in der Zeitung denken: die Leiche auf dem Boden, mit einer Plane überdeckt, auf der Plane ein Blutfleck.
„Tja, es ist schon harter Tobak“, entgegnet Zuidder: „Aber ich denke, ich komme damit zurecht.“
„Hatten Sie denn vor, die psychologischen Angebote bei uns in der Behörde zu konsultieren?“, erkundigt sich de Boer.
Wieso?
„Wieso? Ist doch alles in Ordnung?“, antwortet Zuidder mit einer leicht angespannten Stimme.
„Sie und ihr Partner waren in dem Fall ja schon ein sehr eingespieltes Team, oder nicht?“
Die Stimme von de Boer wurde leicht fragend und verunsichert.
Zuidder setzt sich etwas aufrechter hin und gibt zu: „Ja, in dem Fall waren wir natürlich ein sehr eingespieltes Team?! Ziel war es natürlich, die Mordserie an den Prostituierten zu beenden! Das ist uns doch auch gelungen?!“
„Naja, ist ja eigentlich auch egal“, versucht de Boer Zuidder abzuwimmeln: „Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Gut gemacht!“
Es klingelt das Telefon.
De Boer hebt die Hand und signalisiert dem Kommissar, dass er jetzt gehen könne.
Das Büro verlassen, geht Zuidder wieder zu seinem Platz. Am Schreibtisch gegenüber sitzt noch immer keiner.
Was war mit Grasser los? Zuidder hörte bei der Verfolgung zwei Schüsse. Hatte Grasser wieder Urlaub und hatte er Zuidder nichts mitgeteilt? Er kam extra aus dem Urlaub, aber Zuidder und er sind ein gutes Team geworden? Hatte der zweite Schuss Kommissar Grasser getroffen? Wenn ja, dann wird er wohl im Krankenhaus liegen. Hatte der zweite Schuss Grasser tödlich getroffen? Wenn ja, würde es auf jeden Fall erklären, weshalb der Schreibtisch gegenüber von Zuidder an dem Morgen leer war.