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Prolog

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Dem Wolfe folgt ein wildes Heer.“

~ Wolfgang Golther, Handbuch der Germanischen Mythologie

„Was gut ist, wird oft vergessen. Was übel ist, liegt oft verborgen.“

~ Altes norwegisches Sprichwort

A wolfI considered myself

But the owls are hootingand the nightI fear.“

~ Traumgesang der Sioux

Die Nacht brach herein über den Wald der Welt. Die Dämmerung, die noch für eine flüchtige Weile das Land in das Rot des Abends tauchte, wich, als der Mond und die Sterne mit Schwärze den Himmel eroberten. Kühle ergriff das Land. Die Nebel des beginnenden Herbstes krochen in Schlieren herbei. Gerüche und Geräusche wandelten sich. Das Flüstern in den Blättern wurde mit den Winden aus dem Norden lauter und die nun erwachten Tiere begrüßten ihre Zeit der Dunkelheit.

Scheinbar endlos erstreckte sich der schier gewaltige Wald, der nur im Süden von kaum noch sichtbaren Gebirgsketten begrenzt wurde. Ein Ozean aus Bäumen, der in seiner Unermesslichkeit und Pracht nur Ehrfurcht gebieten konnte. Kein Sterblicher hatte ihn je zur Gänze durchwandert, niemand kannte all seine Geheimnisse. Eine machtvolle Wildnis, wo Wunder und Alpträume geboren wurden.

Hier waren die Bäume höher, die Kronen größer, die Wurzeln tiefer, denn dieser Forst existierte seit Anbeginn der Zeitalter. Auch wenn die Feuer unvorstellbarer Kriege vor Jahrtausenden hier hernieder gegangen waren und auch wenn er längst nicht mehr die Weiten aus den ersten Tagen seiner Schöpfung besaß, so konnte er dennoch niemals von dieser Welt getilgt werden. Hier war noch vieles wie es einst war, wie es für immer hätte sein sollen, bevor die kosmische Verderbnis das Sein berührt hatte.

Ein kahler Pfad wand sich zwischen den Stämmen der Bäume, zog sich durch das Dickicht, vorbei am Wurzelwerk, erhellt vom knöchernen Mondlicht. In unregelmäßigen Abständen waren zu beiden Seiten Statuen aus Stein zu erkennen, die bekannte und unbekannte Tiere verkörperten. Nebelschlieren schwebten über den von Laub und Moos bedeckten Böden. Glühwürmchen schwirrten zwischen Farnen und Pilzen empor. Manchmal tauchten noch andere Lichter im Dunkeln auf. Einige schienen wie glühende Augen, andere wirkten geisterhaft, ringend um Form. Schatten huschten vorbei. Allerlei Getier konnte für Momente erspäht werden, ehe es wieder den Strahlen des Mondes floh. Es knackte im Geäst, man hörte ein Flattern, ein Zischeln, ein Zirpen, ein Knurren. Und manchmal ertönte in der Ferne ein einzelnes, lautes Wolfsgeheul, das von einem wilden Chor beantwortet wurde.

Eine leicht gebückte Gestalt trat aus dem nachtschwarzen Tunnel zwischen den Bäumen hervor und setzte mit langsamen Schritt ihren Weg auf dem erleuchteten Pfad fort. Auf den ersten Blick wirkte sie so verloren wie gebrechlich, doch in ihren Bewegungen war verborgene Stärke, in ihrer Haltung ungebrochener Stolz. Die späte Wanderin stützte sich auf einen gewundenen Stab. Ihre Robe trug die Farben Schwarz und Grün. Kunstfertige Verzierungen glitzerten im Stoff. Silbernes Haar fiel aus dem Schatten der Kapuze. Sie keuchte, hielt inne. Fester noch umfasste sie mit tätowierter Hand das von Zauber und Macht erfüllte Holz. Dann glühten ihre entschlossenen Augen kurz auf. Mit neuer Fassung in ihrer Haltung ging sie weiter.

Die Erzmatrone Gava Meduna war auf dem Weg zum Hort des Wolfsgottes. Wochen waren seit der letzten heiligen Audienz vergangen. Eine zu lange Zeit vielleicht, so dachte sie. Sie konnte eine gewisse Beklommenheit vor der nahenden Begegnung nicht gänzlich unterdrücken. Ehrfurcht hätte Furcht werden können, aber mit Glaube und Disziplin wusste sie dem zu begegnen. Seit der Verfall den Geist des Gottes mehr und mehr ergriff, wurde er unberechenbarer. Zu gefährlich für Sterbliche in seiner unmittelbaren Gegenwart, aber die Matrone vermochte sich mit ihren Kräften zu wappnen. Mit Bitternis im Herzen gedenkte sie der Schwester, die zuletzt ohne Sinn im plötzlichen Zorn des gewaltigen Wolfes ihr Leben lassen musste. Sie hätte den Entschluss schon eher fassen sollen, aber seither ging sie für eine Zusammenkunft wie diese nur noch alleine zu ihm. Und da waren noch die anderen, so schlimmen wie notwendigen Opfer, die in immer kürzeren Abständen erbracht werden mussten. Nie waren ihre Tage als höchste Priesterin im Dienste der Wilden Götter schwerer gewesen. Dies war wahrhaftig die Dämmerung des letzten Zeitalters. Sie spürte es von Tag zu Tag mehr und mehr, dass die Präsenz des Einen Feindes stärker wurde. Die unheilige Niederkunft konnte nur noch wenige Winter fern sein. Wenn denn überhaupt noch mehr als ein Winter für die Welt verbliebe. Aber die Hoffnung war stark, das Gute mochte obsiegen, so glaubte sie fest.

Erneut hielt Gava Meduna inne. Sie zog die Kapuze zurück. Falten und Runen, ein stolzes Gesicht. Für einen Moment verweilte sie, mit ausgebreiteten Armen und sog die Luft in sich ein. Sie lauschte der Welt. Intensiv spürte sie die lebendige Natur um sich herum. Die Erzmatrone zog Kraft und Trost daraus, in diesem Moment der Einswerdung. Allmutter Arda war immer nah, so war es ihr stets gewiss. Schließlich gedachte sie wieder des Wolfsgottes, der endgültig zu vergehen drohte oder schlimmer noch, sich zu einem Dämon wandeln konnte. Der Gedanke legte wieder einen Schatten auf ihr Antlitz. Mit ihrer Stütze schritt sie schließlich weiter. Der Weg war noch weit.

Hie und da blickten ihr die Tiere neugierig hinterher. Eine große Eule flog Kreise ziehend über sie hinweg. Sie schätzte die Geste des Respekts und murmelte der Jägerin der Nacht ihren Dank hinterher.

Die Matrone hatte in ihrem langen Leben andere Wälder gesehen, aber diese waren alle nur ein Schatten dessen, was sie hier erblickte, was sie hier zu spüren vermochte. Es stimmte sie bitter, machte sie wütend, dass Menschen mehr und mehr die Forste in allen Landen abholzten, verbrannten, zurückdrängten um sich und ihrer so genannten Zivilisation platz zu schaffen, die Erde für Ackerland zu nutzen, um Kriegsgerät zu bauen oder allein aus der Furcht vor Tieren und Geistern, die hier ihre Heimat fanden, mit der steten Schändung der Erde fortfuhren. Manchmal aber erweckten die Menschen genau jenen Zorn der Wildnis, dem sie zu fliehen versuchten. Dieser Zorn sollte die Mörder, die Zerstörer von allen heiligen Reichen der Bäume noch viel öfter treffen, so dachte sie. Manchmal wünschte sich Gava Meduna, dass die Wilden Götter und die Werkrieger wie in alten Tagen über die Menschheit herfielen, um ihre Zahl zu einem rechten Maße zu dezimieren. Aber diese Zeit war vorüber. Manchmal verfluchte sie den Pakt, der für die Sterblichen dereinst geschlossen worden war.

Der Ehrfurcht vor der Schöpfung der Allmutter und ihren Kindern, wie es der Alte Glaube gebot, schwand in der Welt. Der Neue Glaube, irrig und falsch, war auf dem Vormarsch. Dies war nur ein weiteres Zeichen für das nahe Ende der Dinge.

Der Vollmond strahlte höher am Firmament, als sie schließlich einen Torbogen aus Stein erreichte. Die Erzmatrone wirkte in ihrer Größe fast winzig im Vergleich zu dem reich verzierten Monument aus einem längst vergangenen Zeitalter. Seit der Geburt der Wilden Götter markierte dieser die Grenze zu einem der innersten Reviere. Lästige Erschöpfung nagte erneut an ihr. Natürlich akzeptierte sie die Vergänglichkeit des Fleisches, aber manchmal verfluchte sie das Alter. Keuchend kniete sie nieder, begann rituelle Gebete zu murmeln. Es wurde ihr erlaubt, weiter zu gehen.

Sie begann fortwährend eine Litanei zu flüstern. Die Worte gewährten Schutz, denn hier wurde es für Menschen gefährlich. So tief in den Wald der Welt sind in allen Zeitaltern nur wenige Auserwählte vorgedrungen. Die Umgebung veränderte sich mit jedem Meter mehr und mehr. Die Luft wurde dicker und die Gerüche zahlreicher. Die Abstände zwischen den Bäumen wurden immer kleiner. Die ohnehin schon ehrfurchtgebietenden Ausmaße der Natur steigerten sich noch weiter. Das Dickicht wirkte an manchen Stellen wie eine undurchdringliche Mauer aus ineinander verschränkten Zweigen, Wurzeln und Schlingpflanzen, die sich hoch und immer höher um Bäume wanden, die sich wiederum in sich wanden. Große Pilze wucherten auf den Stämmen und zwischen den Farnen. Dem Moos konnte man regelrecht bei seiner raschen Ausbreitung zu sehen. Der Kreislauf von Wachstum und Verfall gingen an diesem Ort deutlich schneller vonstatten. Mit all seiner Lebendigkeit barst der Wald hier in alle Richtungen.

Kaum ein Licht der Sterne oder des Mondes drang noch durch das gewaltige Dach der Baumkronen, dafür aber ging von den Schlingpflanzen, die sich Adern gleich überall durchzogen, ein dumpf-violettes Leuchten aus. Alles schien aus sich heraus zu atmen, zu pulsieren, als ob in der Tiefe der Erde ein gewaltiges Herz seit Äonen hämmerte und dessen Rhythmus hier zu sehen und zu spüren war. Ein grotesker Dschungel, den die anderen Geschöpfe des Waldes zumeist mieden, aber wenn welche erspäht werden konnten, so waren sie von entfesseltem Wuchs, vereinten mehrere Merkmale von Tieren in sich. Weit öfter noch als sehen konnte man sie aber hören. Mit Krachen und Schreien streiften sie umher. Andere wiederum lauerten ohne Rührung, konnten kaum von ihrer Umgebung unterschieden werden. Sie scheuten einen Eindringling wie die Erzmatrone, die auch an diesen Orten große Macht besaß, nicht. Eher noch zeigten sie sich am Rande des Pfades in schrecklicher Schönheit, musterten sie kurz, nur um sie dann durch ihre Litanei beruhigt oder abgeschreckt weiter ziehen zu lassen. Dies war das innerste Reich von Bestien und Monstren und dem Gott der Wölfe.

Mehr noch aber war dies ein Ort, wo nur ein dünner Schleier diese Wirklichkeit vom nahen Reich der Geister trennte. Hier konnten sie viel leichter manifest werden und sie zeigten sich Besuchern gerne, besonders jenen, die sie mit Respekt und Staunen ehrten. Vor den Füßen von Gava Meduna erschien eine Delegation von Baumgeistern, die sie in immer größerer Zahl ein Stück des Weges begleiteten. Sie waren klein, schimmerten in weißem Licht und erinnerten ein wenig an missgestaltete Menschenkinder. Viele verharrten aber auch in den Ästen, schienen ihr neugierig hinterher zu blicken. Für den Moment brachten sie alle ein wenig Freude und Frieden in ihr Herz, seltene Güter in diesen Tagen.

Der Dschungel wurde zunehmend weniger dicht. Durch die Baumkronen hindurch konnte sie in einiger Entfernung vor sich ein helles Glühen erkennen. Deutlich hob es sich vom Nachthimmel ab. Es war nicht mehr weit. Endlich fiel ihr das Gehen ein wenig leichter. Je näher sie dem Herzen dieses Hortes kam, umso mehr an Kraft stärkte ihre Glieder. Sie wob Worte des Dankes in ihre Litanei.

Ein Gefühl gebot ihr Halt. Ein Paar glimmender Augen erschien vor ihr auf dem Pfad, bewegte sich mit einem Wabern in der Luft auf sie zu. Etwas fand zu seiner Gestalt. Der blaue Geist eines Wolfes trat vor sie, senkte sein Haupt in Anerkennung einer Dienerin der Allmutter und verblich nach einem Moment des Einhalts langsam wieder. Dies war einer jener Wächter, die sie schon seit langer Zeit aus dem Geisterreich heraus beobachteten.

Der Pfad endete und Gava Meduna blickte wie durch ein leuchtendes Fenster in eine andere Welt, die weder im Hier noch im Dort verortet war, wo es Nacht und zugleich auch Tag war. Beim ersten Blick schien alles verschwommen, als ob das sterbliche Auge nichts zu fassen und der Verstand nichts zu begreifen vermochte, aber dann zeigte sich alles mit wahrhaftigster Schärfe. Ein prächtiger Hain, ummauert von Bäumen, breitete sich vor ihr aus. Ein See aus hohem Gras bedeckte den Boden. Grob gehauene Monolithen aus Stein standen in einem weiten Kreis. In der Mitte erhob sich wie eine Insel ein Hügel, auf welchem eine schwarze Eiche mit roten Blättern stand. Wurzeln ragten Tentakeln gleich in die Erde. Weit und eindrucksvoll reckte sich die Krone in einen außerirdischen Nachthimmel, der so sonst nirgends erblickt werden konnte. In tanzenden Farben offenbarte er sich, mit fast schmerzhaft brennenden Sternen und einem Mond, der der Erde viel zu nahe war.

Ein enormer Höhleneingang klaffte wie ein felsiges Maul in der Anhöhe, unterhalb des Baumes. Auf den zweiten Blick waren im Boden Gerippe und Schädel von allerlei Getier zu erkennen. Die Knochen jener Kreaturen, die hierher zum Sterben kamen und in einem letzten Akt dem Wolfsgott ihr Fleisch darboten. Geräuschlose Winde ließen die Blätter tanzen, die Gräser wogen, ihre Robe flattern. Geisterwesen erschienen und schwanden wieder. Nichts war zu hören, außer einem leisen, glasklaren Klirren in der Luft. Alles glühte zugleich in Kälte und Wärme aus sich heraus.

Auch wenn die Erzmatrone in all ihren Jahren bereits so einige Male hierher gekommen war, so wurde sie nach wie vor mit einem Gefühl der Überwältigung erfüllt. Dies war einer letzten Orte des Übergangs in der Welt, wo sich die Sphären ineinander verdichteten, wo Raum und Zeit zum Zwielicht wurden, wo spürbar wurde, dass alle Vergänglichkeit in der Ewigkeit der Allmutter Arda aufging. So war es einst gewesen, überall. Keine Trennung zwischen Geist und Fleisch. Nun war es eines der letzten Wunder in der Ära des Schwindens, vor dem nahen Sturm des Untergangs.

Die Erzmatrone Gava Meduna kniete vor dem Höhleneingang. Da erblickte sie einen menschlichen Schädel neben den Felsen. Bittere Opfer.

Drei Mal pochte sie mit ihrem Stab auf die Erde, drei Mal rief sie die Allmutter an, drei Mal den Allvater, drei Mal rief sie den Namen des Wolfsgottes. Zuerst geschah nichts. Dann war plötzlich ein Zittern in der Erde spürbar. Der geräuschlose Wind brauste auf, die Wurzeln der Eiche wanden sich. Der gesamte Hain war in Unruhe. Geisterwesen erschienen in großer Zahl, schwirrten und tanzten umher. Die umgrenzenden Bäume neigten ihre Kronen.

Ein gewaltiges Wolfsgeheul drang aus der Tiefe, ehe es viel zu früh in einem krächzenden Röcheln erstarb. Dies wollte sie gewisslich nicht gehört haben. Eine Woge der Macht drang aus dem dunklen Schlund auf sie ein, der Gefühle von Zorn und Melancholie folgten. Und schließlich, eine lähmende Leere, die für den Verstand kaum noch fassbar wurde. All die Intensität war kurz zu viel für sie. Mit der Bewusstwerdung ob des schrecklichen Verfalls des Wolfsgottes, kam zuvor verdrängte Verzweiflung hoch. Unwillkürlich schlug sie ihre Hand vors Gesicht und presste die Augen zusammen. Sie musste mit sich ringen, gewann die Fassung aber wieder. Da trat er aus dem Dunkel hervor, der Große Vater Wolf: Gorond, der Wilde Gott der Wölfe, der ewige Jäger der Verderbten, der Anführer des Heeres der Werwölfe.

Gava Meduna hatte ihr Haupt gesenkt, sah zuerst die mit langen Fängen versehenen Pranken, die einen menschlichen Kopf nur allzu leicht zu zerquetschen vermochten. Langsam hob sie ihren Blick. Nun wollte sie so sehr ihren Wilden Gott in all seiner einstigen Pracht und Stärke sehen, aber sie wusste, dass sie nun wieder nach noch mehr Anzeichen seines körperlichen Verfalls Ausschau halten würde. Das dicke Fell des Wilden Gottes glänzte in Grau und Schwarz, doch kahle Stellen hatten sich gemehrt. Alte Narben waren aufgebrochen, eiterten und bluteten. Seine kraftvollen Muskeln zeigten sich immer weniger, stattdessen traten Knochen unter dünner Haut hervor. Dreifach mannshoch war die Schulterhöhe. Ein gewaltiger, von einer dicken Mähne umkränzter Schädel reckte sich der Matrone entgegen. Gelbe Augen flackerten viel zu unstet. Gewundene Hörner krönten das Haupt. Das offene Maul war mit langen Zähnen bewährt. Geifer tropfte auf den Boden. Er röchelte, atmete schwer. Der Gestank des Verfalls begleitete ihn. Er zitterte. Alt wie er war, schwach wie er war. Nur noch ein Schatten dessen, was als gefürchtete und verehrte Legende galt. Wie sehr es Gava Meduna doch schmerzte, ihn so zu sehen. Und doch musste die Erzmatrone auch noch feststellen, dass der Große Vater Wolf seit ihrer letzten Begegnung sogar ein wenig geschrumpft sein musste.

Doch selbst in diesem Zustand vermochten die meisten Sterblichen den Anblick eines Wilden Gottes kaum zu ertragen. Für Ungezählte war Gorond das Letzte gewesen, was sie gesehen hatten, und manche hatte er noch nach ihrem Tod weiter gejagt. Aber nun konnte er kaum noch seine Höhle zu verlassen.

Jahrtausendelang war Gorond einer der mächtigsten der Wilden Götter gewesen. Er hatte Dämonen gehetzt und getötet, Schwarze Drachen erschlagen, hatte in den gewaltigsten Schlachten der Welt triumphiert, unzählige Widersacher der Allmutter in ihrem Namen vernichtet, Heere der Menschen zermalmt, hatte einst weite Teile des Geisterreichs und des Waldes der Welt beherrscht, rang sogar einmal mit dem Einen Feind jenseits der Grenzen von Raum und Zeit, aber jetzt, hier, stand auf zitternden Beinen ein verfallender Gott, der sein endgültiges Ende fürchten musste. Sie hoffte, dass wenigstens sein Geist nicht noch weiter geschwunden war. Zuletzt hatte er am Beginn der heiligen Audienz zum ersten Mal vergessen, wer überhaupt vor ihr stand. Der Große Vater Wolf starrte die Erzmatrone an, regungslos, mit leerem Blick.

Vieles galt es nun zur Sprache zu bringen. Der Krieg, der vom Osten herauf gegen die Reiche der Menschen zog, mit der Schnabelbrut auf dem Vormarsch. Der Erwählte Empfänger, der nach langer Suche endlich gefunden werden musste, damit durch diesen der Wilde Gott wiedergeboren werden konnte. Und da war noch der Geächtete im Exil, dessen Schicksal Erfüllung finden musste. Die Erzmatrone Gava Meduna sammelte ihren Geist und erhob das Wort an Gorond. Es sollte eine so lange wie erschreckende Unterredung zwischen Gott und Mensch werden.

Der Vater der Wölfe

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