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Kapitel 3 - Die Wahl der Wanderer

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Keine zwei Tages später fanden der Geächtete und Sea Sanara die Spur des Gefallenen. Sie führte sie in der darauf folgenden Nacht zum Fuße eines hohen Hügels, an dessen abgeflachter Spitze sich ein Steinkreis mit mehreren Megalithen erhob. Grau und trotzig stand an diesem von den Menschen vergessener Ort, eine der letzten unzerstörten Kultstätten des Alten Glaubens. Hier konnten diese verschont von den Feuern der Kirche noch gefunden werden, hier im Feindesland, kaum drei Meilen jenseits der Grenzen von Dimbrag.

Werwolf und Matrone verbargen sich in dieser besonders kalten Stunde zwischen einigen Bäumen. Ihre erwartungsvollen Blicke glitten suchend über die steinerne Bergkrone. Ihr Atmen war mit nebligem Hauch. Die Luft kündete von einem nahenden Unwetter. Seine Jagd hatte sie hierher geführt und beide spürten, dass es hier zu Ende gehen würde, auf die eine oder die andere Weise. Sie konnte natürlich keinesfalls zu lassen, dass der gerade erst von ihr gerettete Werwolf fallen würde. Dennoch würde er eine Einmischung von ihr in den Kampf ebenso niemals dulden.

Da sahen sie es. Ein großer Schatten baute sich unter der Mondscheibe zwischen den Megalithen auf. Die eigentliche Form wirkte unbestimmt, war aber massiv und annähernd menschlich. Ein riesiger Schädel erhob sich zwischen stacheligen Schultern. Ein verzerrtes Brüllen ertönte, hallte weit über das Land hinweg. Das Maul des Untiers glühte dabei mit grünem Feuer. So breitete es gewaltige Schwingen aus, die es mit abwartender Geste langsam hob und senkte. Es strahlte intensive Macht und Grauen aus, ebenso wie Ungeduld und einen Zorn, der seit seiner Schwarzen Geburt im Zeichen des Einen Feindes brannte. Es stank nach Verderbnis. Yarech Schattenschwinge war der Name des Anführers des Gefallenen Rudels, den der Geächtete seit mehr als einem halben Jahr gejagt hatte. Erneut brüllte das Ding, eindeutig in die Richtung von Werwolf und Matrone. Zwei rote Augen über dem grün leuchtenden Maul. Es erwartete sie längst. Die Herausforderung musste angenommen werden.

„Bei der Allmutter“, flüsterte Sea Sanara mit einem leichten Zittern in der Stimme. „Es ist bereits noch weiter mutiert. Ehe es noch mehr in Macht und Gewalt wächst, muss es um jeden Preis vernichtet werden!“

Der Geächtete starrte weiter schweigend auf das schreckliche Ding auf dem Hügel. Die junge Matrone hatte natürlich vollkommen recht mit ihren Worten. Ein solcher Diener des Einen Feindes war in jeder Sekunde seiner Existenz eine Verhöhnung der Schöpfung, eine zu große Bedrohung für alles unter Ardas Himmel. Aber ihre Feststellung allein waren längst nicht der einzige Grund, warum Yarech den ungeduldigen Klauen des Werwolfs zum Opfer fallen musste. Nein, dieser da hatte nicht nur unzählige Sterbliche und Werbrüder auf dem Gewissen, sondern auch die, die der Geächtete geliebt hatte. Seine Rache würde nun endlich mit Blut getilgt werden. „Ich muss jetzt gehen“, sprach der Geächtete ohne auf Sanara zu blicken. Er hatte seine Beute längst fixiert. Zog das Schwert, legte den Beutel ab.

Da begann es leicht zu regnen. Dicke Tropfen nieselten vom Himmel. Ein starker Wind brauste auf.

Sie betrachtete ihn, hatte nun fast ein wenig Mitleid, begriff die erzwungene Rastlosigkeit in ihm, verstand den Schmerz, den er so weit bis hierher getragen hatte. Ehe er einen Schritt nach vorne trat, fasste die junge Matrone ihn bei der Hand. Er blickte etwas überrascht zuerst auf die Berührung, dann in ihre Augen.

„Ich lasse euch nicht ohne meinen Segen gehen“, flüsterte sie bestimmt.

Dann erglühte ein sanftes Licht zwischen ihren Händen. Der Werwolf fühlte sich gestärkt. Ihr Zauber würde ihm helfen, würde seine Chancen im Kampf erhöhen. Er nickte knapp in Dankbarkeit. Er löste sich von ihr. Ohne ein weiteres Wort stürmte er mit dem Schwert in der Hand los. Sanara sah ihm hinterher, schüttelte den Kopf und wand sich ab, starrte aber dann wieder nach oben. Wenn es sein musste, so würde sie in den Kampf eingreifen, egal was dies für seine Ehre oder Rache bedeuten würde. Sein Schicksal war in dieser Nacht an das ihre gebunden.

Mit Sturm im Rücken und durch den dichter werdenden Regenschleier sprintete der Geächtete höher und immer höher den Hügel hinauf begann lauter und lauter zu schreien. Er setzte mit der Verwandlung ein, die mit dem Lauf immer weiter fortschritt. Nasse Haut zu nassem Fell. Kopf zu Schädel. Beine zu Läufen. Schließlich blitzte wieder der silberne Handschuh um die verwandelte Klaue und ertönte das berstende Gebrüll eines Kriegers vom Klan Wolf.

Yarech Schattenschwinge breitete für eine tödliche Einladung die Arme aus. Die rot funkelnden Augen bohrten sich Dolchen gleich in das Antlitz des Angreifers. Begierig auf ein grausames Blutbad stöhnte der Diener des Einen Feindes in erwartungsvoller Lust.

Der Geächtete sprang in einem gewaltigen Satz über die Megalith-Steine direkt auf den Gefallenen.

Mit dem Geschmack von Blut erwachte der Geächtete. Er hatte sich offenbar in die Zunge gebissen, während des unruhigen Schlafs. Beinahe lächelte er über diese kleine Selbstverletzung. Gerade noch in einen Traum versunken, kam die intensive Erinnerung danach in ihm hoch. Ein Gefühl und Laute. Seine Hände waren heiß und nass gewesen, dies wusste er noch genau, weil es so unmittelbar und real erschienen war. Und er hatte wieder Wolfsgeheul gehört, aber dieses Mal mussten es noch viel mehr seiner Brüder gewesen sein, die mit ihren wilden Stimmen etwas verkündet hatten. Seltsam, dass er seit seiner ersten Begegnung mit Sea Sanara nach so langer Zeit wieder die Pfade der schlafenden Welt betreten konnte. Egal wie schemenhaft und karg: es tat so gut überhaupt wieder zu träumen. Er strich sich mit der Hand über den Kopf, als wollte er die eindringlichen Schemen aus seinem Geist abstreifen. Er seufzte.

Sein Körper war noch immer geschunden und stark vernarbt, auch wenn er über einen Tag in Ruhe heilen konnte. Die Schnelligkeit seiner Regenerationskraft hatte wieder etwas zugenommen. Ja, er hatte gesiegt. Er hatte Yarech Schattenschwinge triumphal in einem ehrenvollen Kampf bezwungen. Hätten seine Brüder dies gesehen, sie hätten noch viele Jahre später Lieder davon gesungen. Es spürte noch immer eine gewisse Befriedigung, denn die Rache war sein gewesen. Allmutter und Allvater waren ein großer Dienst erwiesen worden. So gut hatte sich schon lange kein Sieg mehr angefühlt, auch wenn er niemanden damit zurück bringen konnte. Niemanden, der ihm nah gewesen war. Dies blieb bitter. Aber da hallte noch etwas nach vom Ende des Gefallenen, etwas, das ihm gerade keine Ruhe lassen wollte.

Als er sich über über den gebrochenen Leib seiner erlegten Beute erhoben hatte und mit silberner Klaue das Herz aus der Brust des Feindes reißen wollte, da lachte das Ding mit grässlichem Gurgeln, es lachte spöttisch, fast überlegen, als blickte es nicht direkt in den Abgrund des Todes und müsste nicht alle Höllen jenseits des Weltschattens fürchten. Und es würgte sogar noch einige Worte hervor, höhnische, blasphemische Worte, die nur Lügen sein konnten, die es nur aussprach um die Saat von Zweifel und Angst in das Herz seines Bezwingers zu säen. Die Miene des Geächteten verfinsterte sich beim Gedanken daran. Dann wollte er nicht mehr daran denken, verdrängte den Moment.

Der ganze Hügel hatte gebrannt im blauen Feuer, als Wolf und Zauberin schließlich die durch verderbtes Blut verfluchte Stätte verlassen hatten. Von nun an würden alle Sterblichen dort ein Unglück erfahren, wenn sie den Boden im Steinkreis betraten.

Der Werwolf erhob sich, streckte sich etwas. Die beiden Wanderer hatten ihr Lager auf einem Felsen erwählt, der über einen Pfad ragte. Hier befanden sich die Ausläufer eines kleinen Waldes. Für ihre Rast suchten stets den Schutz der grünen Wildnis, von Bäumen ums sie herum. Er schritt etwas weiter hinauf, blickte über das weite Hügelland, das sich in braunen und dunkelgrünen Tönen vor ihm erstreckte. Er mochte die Farben des späten Herbstes. Der Abend dämmerte. Die Wolken türmten sich in den prächtigsten Formen am Himmel auf. Blau ging in Violett über, alles illuminiert von strahlendem Orange. Er fühlte eine angenehm kühle Brise. Herabgefallene Blätter tanzten vorüber, wirbelten für einen Moment direkt vor ihm hoch, als ob ein verspielter Windgeist ihn erheitern wollte.

Eigentlich war dies ein schönes Land, so dachte er. Wäre da nicht die Schnabelbrut des Feindes im Osten oder die zu vielen Menschen im falschen Glauben im Westen, dann könnten er und die Seinen hier sogar Frieden finden, frei jagen, wild leben. Früher war es hier sicher gut gewesen, so gut wie überall.

Mit scharfem Auge sah er weit entfernt Bewegungen im Feindesland. Auf einem langen Hügelkamm marschierten sie auf. Skrael. Eine kleinere Armee, eine Vorhut offenbar, wenige Stunden von der Grenze zu Dimbrag entfernt. Zu groß für Vögel erhoben sich andere Punkte in die Luft. Flugfähige Späher der Brut. Deutlich näher und weiter links in seinem Blickfeld konnte er den südlichen Ausläufer des des Ostwalls erkennen. Türme, eine Burg. Reiterei bewegte sich rasch davon fort. Bald schon würden die Menschen ihre Waffen wieder erheben müssen. Ein neuer Krieg war nah. Er wand sich ab. Dies alles war jetzt ohne Belang.

Die Klans würden sich aber schon sehr bald entscheiden müssen, wie und wann sie eingreifen wollten. Der Eine Feind hatte viele Diener, aber die Harpyiengötzen und ihre Armee der Schnabelbrut waren zur Zeit ohne Zweifel die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Menschen. Und wenn erst ihre Imperien gefallen waren, dann würde es nicht mehr lange dauern, ehe die Reiche der Erwachten, Werkrieger und Matronen, und der Wilden Götter belagert würden. Im Südosten, da lag das Revier der Wereber. Sie würden gewisslich die Ersten des Wilden Heeres sein, die sich gegen den Sturm der Skrael zu verteidigen hatten.

Der Geächtete blickte nach Westen, dorthin, wo ihn und die Matrone die Reise führen würde. Weite Urwälder und Sumpfland würden sie durchstreifen, meist fernab der Straßen und Ansiedlungen der Menschen, die von dem Land unter den Baumkronen entfremdet keinen Begriff mehr von der tatsächlichen Größe und schönen Erhabenheit der alten Forste hatten. Die wahren Herrscher der grünen Wildnis waren aber noch immer die Wilden Götter und die Erwachten. Nichts mussten sie dort fürchten, in ihrer Heimat aus Rinde und Blatt, außer Gefahren aus dem Geisterreich oder die Diener des Einen Feindes. Für ihn aber galt es aber noch mehr auf der Hut zu sein. Gebührende Vorsicht war in den Territorien der Klans geboten, denn einen Geächteten, selbst in der Begleitung einer Matrone, würden diese nicht ohne weiteres ziehen lassen. Die südlichen Provinzen der beiden Imperien waren größtenteils noch unberührt von der Zivilisation, die sich jedoch Jahr um Jahr immer weiter und tiefer in die unerschlossenen Lande fraß. Die Reviere der meisten Klans waren in jener Region noch nicht direkt betroffen, aber zu oft schaute seinesgleichen einfach nur zu, beim Raubbau am Land der Allmutter. Nach Holz gierte es den Menschen, nach Holz, das in Öfen brannte, zur Kohle wurde, Weideland wich, dem das Harz heraus gepresst wurde, das für Bergwerke, Glashütten, Schiffe und Häuserbau verschwendet wurde. Der Geächtete verachtete zutiefst die Respektlosigkeit, die Gewalt und die Grausamkeit, die die Menschen durch dieses Tun offenbarten. Wäre der Alte Glaube noch so mächtig wie früher, dann würden sie es nicht wagen, dann würden sie die Forste ehren und wahrhaft fürchten, anstatt sie mit Feuer und Axt vom Antlitz der Erde zu tilgen.

Da begann die Luft hinter dem Werwolf, der jäh aus den Gedanken gerissen wurde, zu vibrieren, schien wie in Hitze zu wabern, sich irgendwie zu verdichten und dabei leicht zu strahlen. Ein unwirtlich hallendes Geräusch war leise zu hören, wie ein Klirren aus einer anderen Welt. Dies alles dauerte nur wenige Sekunden, ehe sich ein Schemen zeigte, der mit einem Mal aus sich heraus trat. Sea Sanara stand vor ihm, ihre ganze Erscheinung glühte noch etwas nach für einige Momente. Sie hatte ihre Augen geschlossen, öffnete sie mit einem distanzierten Ausdruck, der sich nicht ganz beschreiben ließ. Es war jenes verglimmende Glänzen im Blick, mit dem das wahre Wesen in allen Dingen erspäht worden war. Sie fasste sich, nahm Haltung an.

Die junge Matrone war durch das Geisterreich, zumeist Weltschatten genannt, gestreift. Vieles konnte dort erfahren und gesehen werden, gänzlich andere Pfade mochten dort beschritten und gänzlich andere Orte aufgesucht werden. Und natürlich gab es dort gütige und böse Geister in großer Zahl. Die Zauberinnen der Allmutter wussten seit jeher, wie sie die Schleier der Wirklichkeit hinter sich lassen konnten. Es war ein wesentlicher Teil ihrer Macht und ihres Wissens. Auch alle Werkrieger hatten die Gabe im Traum oder in physischer Form das rein spirituelle Reich zu betreten, aber nicht so der Geächtete, denn als er von seinem Klan und Gott ausgestoßen worden war, da wurde er auch verflucht und ihm wurde diese Gabe geraubt. So war er fortan dazu verdammt als Wesen zweier Welten nur in einer einzigen zu wandeln. Er beneidete sie dafür, dass sie drüben sein konnte.

„Nun, habt ihr Kunde? Was sagt das Land, Schwester?“, fragte er in ungewollt ungeduldigem Tonfall.

„Nicht viel und von dem Wenigen, werde ich euch noch weniger verraten“, begann Sea Sanara etwas abweisend, „Es reicht, wenn ihr wisst, dass uns keine unmittelbare Gefahr droht. Die Geister zeigen wenig Interesse an uns, auch wenn einige dankbar waren, dass wir zwei Verderber verschwinden hätten lassen, deren bloße Präsenz eine dunkle Spur im Weltschatten hinterließ. Der Weg ist noch weit und wir müssen die verlorene Zeit unbedingt wieder einholen.“

Die knappe Rede hatte er erwartet. Ihr Verhältnis blieb distanziert, auch wenn sie nun schon einige Tage gemeinsam auf Wanderschaft verbracht hatten und sie ihm Heilung und Hilfe gegeben hatte. Nur das Nötigste an Worten ist gewechselt worden. Das Schweigen bestimmte meistens ihre Gespräche. Schließlich, und dies war beiden klar, war er noch immer ein Geächteter, der ohne Name, ohne Würde und ohne Beistand von Klan und Zirkel auszukommen hatte. Nur der Große Vater Wolf konnte ihn wieder zu dem erheben, was er einst gewesen war und erst dann musste sie ihn wieder als Teil der Gemeinschaft des Wilden Heeres mit Respekt behandeln. Dass sich Sea Sanara ihm in gewissen Sinne annahm, tat sie nur aufgrund eines Befehls, allein, weil es ihre zugewiesene Aufgabe war. Etwas Freundschaftliches keimte jedoch langsam zwischen den beiden. Weshalb er zurückhaltende Sympathie für sie hatte lag auf der Hand, aber da war auch ein gewisses Wohlwollen von ihrer Seite aus, das zunahm, auch wenn ihr noch nicht ganz klar war weshalb. Vielleicht war der uralte Bund zwischen den Ihren und den Seinen selbst in diesem Fall sehr stark.

Die junge Matrone überlegte eine Weile, runzelte etwas sorgenvoll die Stirn. Dann sprach sie ihm zugewandt: „Wisset, als ich euch fand, hat jenseits des Übergangs etwas gelauert, aber uns nicht gen Osten verfolgt. Wenn wir nun die andere Himmelsrichtung weiter bereisen, taucht es vielleicht wieder auf. Es ist alt und mächtig, aber es weiß sein wahres Wesen zu verbergen. Ich vermag es nicht einzuschätzen.“

Er nickte. Ein böser Geist mit genug an Macht konnte sehr gefährlich werden, besonders wenn er in die Dieswelt eindrang. Es mochte nicht sehr wahrscheinlich sein wiewohl, noch weniger, dass das Wesen auf der Jagd nach ihm und der Matrone war.

Sie verwischten die Spuren des Lagers, beseitigten Hinterlassenschaften und verräterische Abdrücke in der Erde. Er legte seine wenige Ausrüstung an, sie sprach noch ein kurzes Gebet. Sanara schritt schon los, drehte sich dann aber doch noch zu ihm um.

„Was habt ihr eigentlich am meisten vermisst in all den Jahren, Wolf?“, fragte sie überraschend.

Der Geächtete musste ein wenig nachdenken, wobei er die Frage zuerst gar nicht beantworten wollte. Aber seitdem sie ihm solch besonderen Beistand geleistet hatte, hatte sie immer eine Antwort von ihm verdient. Auf alles.

„Viel,“ so sprach er mit abgewandten Blick, „Aber dann doch nur eines. Zuerst war da Einsamkeit, die schmerzte. Keine Brüder, kein Rudel, keine Schwestern, kein Klan. Aber man lernt dies hinzunehmen. Dann war es die Unmöglichkeit, in den Weltschatten wieder einzukehren, die irgendwann zur Unerträglichkeit wurde. Die Gaben schwinden, die Geister bleiben stumm. Und nicht einmal mehr Träume in der Nacht. Man muss es akzeptieren. Aber irgendwann geht mehr und mehr der Sinn in allem verloren. Im Denken wird man zum Frevler. Verliert sich. Auch der Körper beginnt zu verfallen, ist wie ausgezehrt, schwach. Man wird zur Hülle, die nur noch jagt und schlachtet. Dabei mit der steten Hoffnung doch einen ehrenvollen Tod im Kampf zu finden. Nur ein Windhauch der Allmutter, ein letztes Stolpern vor dem Abgrund und man würde für immer vergehen.“

Er schwieg für eine Weile, dachte an die Dinge, die ihm in den fünf Jahren im Exil widerfahren waren. Manches war mit einem Schmerz verbunden, der noch immer nicht verschwunden war. Ihm fiel auf, dass ihm die sehr offenen Worte ungewöhnlich leicht über die Lippen kamen. Aber vielleicht brauchte er das gerade, das Reden, das Loswerden.

Dann sagte der Geächtete zu Sanara in einem etwas gebrochenen Ton: „Aber das Einzige, was mich schließlich wirklich fast gebrochen hätte, war die Gewissheit, dass ich nie wieder die stolze Stimme meines Gottvaters hören würde, nie wieder seine machtvolle Präsenz fühlen durfte, die er mir als sein Kriegerkind zuvor sooft zuteil hatte werden lassen. Nie wieder mit ihm ziehen, nie wieder mit ihm heulen, nie wieder gemeinsam über den Feind triumphieren. Nur allein, ohne Bestimmung, gottlos.“

Die junge Matrone blieb darauf wortlos. Ihr Antlitz war ungerührt, auch wenn dies mehr Fassade war. Auch sie hoffte, dem Gottvater aus seiner Erinnerung wieder zu begegnen und dass es nicht zu spät sein möge, wenn sie zurückkehrten. Er wusste offenbar noch nichts vom bereits weit fortgeschrittenen Verfall Goronds. Sie würde dem Geächteten noch nichts sagen, es war noch zu früh. Die Hoffnung musste ihn weiter antreiben. Kurz kam es ihr in den Sinn, dass sie ihn gerade in gewisser Weise belog, was ihr gerade fast schmerzhaft falsch erschien. Es musste aber als Rechtfertigung genügen, dass es sich lediglich um ein notwendiges Verbergen von Wahrheit handelte. Außerdem sei er ja ein Ausgestoßener, der vorerst nicht mehr verdient hatte, so dachte sie. Dann wies sie mit dem Stab in die Richtung, die ihr vorbestimmter Pfad sein sollte. Er nickte. Sie brachen auf, eilten in dunkler Stunde in ihrer jeweiligen Reisegestalt wieder weiter gen Westen.

Der Vater der Wölfe

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