Читать книгу Der Vater der Wölfe - Paul D. Peters - Страница 4
Kapitel 1 - Der Geächtete
ОглавлениеGrimme Tage waren dies in der Grenzprovinz Dimbrag, denn ein neuer Krieg war nah. Erste Spähtrupps der Skrael seien bereits mancherorts ins Land südlich des Langen Walls eingedrungen, so war die Kunde. Man hörte von verbrannten Dörfern, ermordetem Volk. Gewiss, der gesamte Heereswurm der Schnabelbrut war noch nicht auf dem Vormarsch und weiter gen Westen war es noch sicher, auch sammelten sich mehr und mehr Verbände der Imperialen Armee zur Verteidigung, aber der drohende Sturm von Kampf und Tod dämmerte mit jedem Tag mehr herbei.
Einige flohen schon dem üblen Schicksal für Dimbrag, welche gewiss als eine der ersten Provinzen fallen würde. In kleiner, doch stetig wachsender Zahl wanderten Flüchtlinge auf Straßen und Wegen in vermeintlichen Schutz und Sicherheit, der in der Provinzhauptstadt Andaheim, im inneren Königreich Talarun oder in noch weiterer Ferne verheißen war. Doch nicht nur Worte von brennendem, blutigen Untergang versetzte die Menschen in Angst, auch sei viel gar seltsames Volk in diesen Tagen auf den Straßen unterwegs. Manche mochten gar direkt mit Dämonen im Bunde sein. Gewiss waren böse Zauberer und Hexen darunter. Schlimmer aber noch seien die Höllenbestien, die in den Nächten ihr Unwesen trieben. Seit vielen Jahren sei das Land nicht mehr durch so viel Teufelei geplagt worden. Allen voran sollten es Wölfe sein, die im Dienste des Dunklen Fürsten nach schwacher Beute jagten. Besonders bei Vollmond hörte man ihr vielstimmiges Heulen, fand ihre Spuren im feuchten Boden, sah ihre feurig brennenden Augen im Dunkel der Wälder und manchmal erspähte man ihre schwarzen Rudel sogar bei Tag. Schafe und Ochsen seien zu Hunderten gerissen worden. Zerfetzte Leiber von unvorsichtigen Wanderern fanden sich oft zu Dutzenden am Wegesrand, so war die Kunde. Aber von der Heiligen Zitadelle aus wären bereits die Inquisitoren und Jäger-Mönche entsandt worden, um Teufelsanbeter auf den Scheiterhaufen brennen zu lassen und Höllenbestien zur Strecke zu bringen.
Manche waren sich aber nicht so sicher, ob heiliger Beistand für die Menschen überhaupt kommen würde und manche, wenn auch eher wenige, zweifelten gar an der übertriebenen Vielzahl blutiger Untaten durch angeblich teuflische Wölfe und hielten das seltsame Volk von vermeintlichen bösen Zauberern und Hexen nur für harmlose Fremdländer auf der Durchreise. Es wurde noch von anderen Dingen besonders in den Tavernen zu später Stunde gemunkelt. Böse Waldgeister hätten ganze Regimenter der Armee verschwinden lassen. Wieder wären Kinder von Hexen entführt worden. Normale Menschen wurden über Nacht zu Besessenen. Ein gewaltiger Eber habe dutzende Holzarbeiter gefressen. Und ein gefiederter Drache mit Brüsten sei in der Abenddämmerung im Osten gesichtet worden.
Man erzählte sich auch vieles, das ganz eindeutig als dumme Märchen ängstlicher Weiber und wirren Gelabers alter Männer abgetan werden musste. Je größer die Runde, je tiefer die Nacht und je mehr Bier auf den Tischen der Schenken standen, umso zahlreicher und schlimmer wurden die Geschichten von all dem vielen Schrecklichen, von all den bösen Menschen im Teufelsbunde und von all den höllischen Bestien, die das einfache, gläubige Volk heimsuchte. Aber die allergrößte Gefahr drohte von der Schnabelbrut und dem Krieg, den sie bringen würde, dies war absolut gewiss. Nur Armee und Kirche würden Volk und Reich noch retten können. Es waren wahrlich grimme Tage in der Grenzprovinz Dimbrag.
Grau und schwarz ballte sich der Himmel. Ein erster Blitz zerschnitt die Luft mit Donner. Regen folgte. Hart prasselte es auf die Erde. Eine Straße führte aus einem Wald hinab in die östlichen Hügellande von Dimbrag. Der Geächtete war auf seinem Weg.
Langsamen Schrittes marschierte er. Hochgewachsen, von leicht gebückter Haltung. Schwarz war sein Mantel, silbern das Schwert auf seinem Rücken. Tief ins Gesicht gezogen hatte er die Kapuze, seine Augen im Schatten. Bart und Haar lang und dunkel, aber unregelmäßig von grauen Strähnen durchzogen. Unter der Kleidung zeichnete sich ein muskulöser Körper ab. Mit der einen Hand über die Schulter geworfen schleppte er einen schweren, ledernen Beutel mit. Etwas war anders an diesem Wanderer, als an allen anderen Wanderern, die in diesen Tagen die Lande durchstreiften. Kein Händler, kein Soldat, auch kein Flüchtling, nein. Ein Söldner vielleicht. Es konnte auf den ersten Blick nicht wirklich erfasst werden, aber allein die Art, wie er sich bewegte, schien etwas befremdlich, irgendwie nicht ganz richtig für einen Menschen. Etwas Bedrohliches und zugleich aber auch etwas Gebrochenes strahlte er in seinem Wesen aus. Und er trug kein Schuhwerk. Nur nackte Füße.
Der Geächtete hielt inne. Hob den Kopf. Schnupperte, witterte einen schwachen Geruch. Er blickte den Hügel hinab, wo er Spuren im nassen Boden sah. Frisch. Menschlich, aber hie und da zu weit in der Schrittlänge. In der Entfernung, in einem Tal zwischen dunkelgrünen Erhebungen, war durch den grauen Regenschleier an einer Wegkreuzung ein größeres Gebäude mit erleuchteten Fenstern zu erspähen. Mehr sahen die sehr scharfen Augen: eine hohe Holzpalisade umringte dieses und einen Stall anbei, ebenso eine kleine Holzhütte. Klänge von Musik und Palaver konnten lediglich bei ganz genauem Hinhören zwischen Donner und Prasseln ausgemacht werden. Seine äußerst empfindliche Nase verriet ihm sogar die drei Reittiere unter dem Strohdach. Eine Raststätte und Taverne, die sich nicht unweit der südlichen Ausläufern des Langen Walls befand. Ein verfallener Wachturm reckte sich als gebrochener Stumpf nahe der Niederlassung in den wolkenverhangenen Himmel.
Nun wusste der Geächtete genau, wohin ihn das Schicksal leitete. Er ging nun etwas schneller und zielstrebig. Der Weg war nur klar. Sehr bald schon, würde es zum Kampf kommen und entschieden werden, ob Jäger oder Gejagter weiter ziehen konnte.
Irgendetwas irritierte ihn kurz. Hinter ihm. Er schaute zurück, den Hügel hoch, aber da war nichts. Ein Fuchs huschte zwischen Bäumen hervor, hielt inne. Mit funkelnden Augen starrte das kleine Getier direkt auf den Geächteten. Aus dem Schatten seiner Kapuze blickte er mit einem blauen und einem gelben Auge zurück. Er könnte etwas spüren. Eine Vermutung drängte sich in ihm hoch, aber da verschwand der Fuchs mit dem nächsten Blitz auch schon wieder. Selbst wenn, so dachte er, war dies hier und jetzt bedeutungslos. Er ging weiter.
Vor der Palisade, neben dem Wegweiser an der Kreuzung blieb er stehen. Der Geruch war jetzt ganz stark und kam eindeutig aus dem Inneren des Hauptgebäudes. Das große Holztor schien fest verschlossen. Zur Linken dahinter erhob sich ein kleiner, überdachter Hochstand, aber keine Wache war zu sehen. Nur eine Laterne mit flackerndem Licht hing an einem Balken. Frisches Blut lag im Geschmack der Luft. An manchen Stellen in der oberen Palisade war das Holz gesplittert. Dunkle Tropfen fielen an der Seite der Aussichtsplattform herab. Etwas abseits, hin zu den Gebüschen am Wegesrand, war eine Schleifspur zu erkennen. Der Geächtete war sich sicher, dass er dort den entstellten Leib der Wache finden würde, die völlig überraschend und blitzschnell nicht einmal eine Stunde zuvor von etwas angefallen worden war. Etwas, das mit einem gewaltigen Sprung über die Palisade hinweg der Wache sofort in den Kopf gebissen hatte, damit nicht einmal ein erstickter Schrei zu hören gewesen war. Wie töricht, wie dumm und lächerlich dieser Versuch ihm auf diese Weise zu fliehen, so dachte der Geächtete. Zu auffällige Spuren. Die Zuflucht gänzlich falsch gewählt. Es versuchte sich also in menschlicher Gestalt unter Menschen vor ihm zu verbergen. Aber der Geist der Gefallenen degenerierte oft mit dem Körper.
Niemand sonst war in unmittelbarer Nähe, auch nicht jenseits der Palisade, so offenbarten die Gerüche und die Geräusche. Der Regen und das Gewitter machten die Wahrnehmung etwas schwerer, aber für einen Jäger wie den Geächteten, der vor allem diese Beute schon so lange verfolgt hatte, waren tobende Wetter so gut wie keine Irritation für die übermenschlichen Sinne. Gleichzeitig aber, konnte er sein Kommen so auch etwas verbergen. Überhaupt galt es nun vorsichtig und mit gewisser Heimlichkeit vorzugehen. Für einen Moment konzentrierte er sich auf innere Kräfte, die ihm vor langer Zeit beigebracht worden waren. Die Geräusche, die er verursachte, waren nun gedämpfter, sein Geruch schwerer wahrzunehmen.
Er stemmte sich mit der Hand gegen den rechten Torflügel, fokussierte sich auf seinen Körper. Sein Arm verwandelte sich unter der Kleidung. Der Balken zur Verriegelung brach langsam und mit leisem Splittern. Er trat in den schmalen Durchgang, ließ diesen bewusst einen Spalt weit offen. Seine Gliedmaße war wieder wie zuvor.
Unruhig wieherten die Pferde im Stall neben dem Hauptgebäude. Er wusste, dass seine Präsenz sie störte. Ein gut bepackter Esel schien weniger beeindruckt. Laute Musik und Palaver, Schemen in den erleuchteten Fenstern. Pfeifenrauch und Alkohol drang ihm durch die Fugen entgegen. Ein Windstoß brachte das Metallschild, das über der Eingangstür der Raststätte hing, zum Quietschen. 'Das Wandernde Lamm' war da zu lesen. Der Geächtete erkannte eine gewisse Ironie.
Er klopfte an die mit Eisen verstärkte Eingangstür. Es dauerte eine Weile, aber dann sahen ihn zwei blutunterlaufene, hervorquellende Augen durch einen geöffneten Türschlitz an. Schnaps, Schweiß und Misstrauen.
„Ja? Wer begehrt Einlass?“ gellte der Betreiber der Raststätte dem Geächteten mit rauem, etwas lallendem Ton entgegen.
Noch ehe der Jäger ein Wort sagte, hielt er eine Silbermünze in die Höhe.
Mit ruhiger und bestimmender Stimme begann er nach einem kurzen, kaum wahrnehmbaren Knurren zu sprechen: „Ein Wanderer auf der Durchreise bittet um ein warmes Lager für die Nacht.“
Der Mann hinter der Holztür musterte ihn. Dann spähten seine Augen über die Schulter des Fremden zur offenbar geschlossenen Pforte. Regen und Dunkelheit offenbarten nur noch Schemen. Er suchte nach der Wache auf dem Hochstand.
„Pissen“, sprach der Geächtete, dem der Blick natürlich nicht entging, mit einer Geste in Richtung Stall.
„Hmpf“, grunzte er, „Schon wieder? Offenbar bezahle ich den wertlosen Taugenichts allein fürs Saufen und Markieren.“ Er zögerte, schien kurz zu nachzudenken. Aber dann: „Ach, scheiß drauf...“
Die Eingangstür ging auf.
Musik und Palaver erstarben, als der Geächtete in den von Kerzen matt erleuchteten, warmen und verrauchten Tavernenraum trat. Rechts die Theke, links die Tische, hinten der Aufgang zu Zimmern im oberen Stock. Menschen, die ihn mit neugierigen und misstrauischen Blicken musterten. Eine Flüchtlingsfamilie, zwei stockbesoffene Trunkenbolde, eine schlecht besetzte Kartenspielrunde, ein launiger Spielmann mit Dudelsack, eine etwas demütig blickende Schankmaid und drei Soldaten der imperialen Armee, wie ihr Siegel und die Wappenröcke in Gold und Blau verrieten. Letztere waren offenbar gut gerüstet und vergleichsweise nüchtern. Kettenhemden, Hellebarden und Schwerter. Nur je ein Krug mit Bier. Diese da könnten ein Problem werden, so dachte der Geächtete.
„Kommt nur weiter herein namenloser Wanderer“, raunte der Herr der Raststätte mit abfälligem Unterton. Fett war er, mit kahlem Kopf bis auf einige wenige, blonde Strähnen, die ihm ins verschwitzte, rote Gesicht hingen. Auf seiner grauen Schürze waren zu viele Flecken.
Die Stille verschwand wieder, aber bohrende Blicke blieben und eine gewisse Spannung hing nun im Raum. In manchen dämmerte leichte Beunruhigung, denn jene, die in den Dingen mehr sahen und mehr fühlten, vermochten eine animalische Präsenz im Geächteten zu verspüren. Die meisten merkten nichts davon, vereinzelt fühlte sich aber gar jemand erstaunlich angezogen von dem seltsamen Kerl in dunkler Kleidung.
Geächteter und Wirt schritten zur Theke. Der fremde Wanderer legte den silbernen Zechin vor sich auf die Bar.
„Ein Einzelzimmer für die Nacht. Und erstmals auch einen Schluck von eurem Stärksten.“
„Der feine Herr schläft also gerne allein und kann es sich offenbar leisten“, sprach der fette Mann mit abfälligen Ton und streifte mit einer schnellen Geste die Münze ein, für die man eigentlich noch einen weiteren Raum und eine ganze Barrunde zusätzlich verlangen hätte können. Aber mit ihr wurde auch der Einlass und keine Fragen erkauft.
„Ihr wollt euch nicht vorstellen, nun, mich werdet ihr jedenfalls Herr Bedolf nennen. Leider ist es ja so, dass nur noch wenige Gäste in meine bescheidene Raststatt kommen. 'Das Wandernde Lamm' hat schon weit bessere Tage erlebt. Zu meinem Unglück werde ich hier wohl bald schon schließen müssen. Mit der Schnabelbrut vor der Mauer, ihr wisst schon...“
Der Geächtete heuchelte Interesse für das belanglose Geschwafel seines Gastgebers. Gleichzeitig blickte er sich aber immer wieder um, musterte wiederholt die anwesende Gesellschaft, schätzte die Situation für sich ein, bedachte eine mögliche Auseinandersetzung mit Waffengewalt in diesem Raum. Und da war natürlich stärker denn je der Geruch seiner Beute, der von der Treppe zu den oberen Räumlichkeiten hernieder drang. Diesem allein galt eigentlich sein ganzes Interesse.
„...und ich würde euch sehr raten die guten Sitten für euren Aufenthalt hier zu wahren, werter Herr“, schwadronierte der Wirt fort, „Früher hätte ich eine lumpige Gestalt wie euch im Regen stehen lassen. Offenbar habt ihr zwar Silber in der Hand, aber zu wenig an Reichtum für ein gutes Paar Schuhe. Hat euch eigentlich schon mal jemand gesagt, dass man das Schwert nicht so bescheuert auf dem Rücken trägt, sondern an der Seite des Gürtels herab hängend, so wie alle anderen? Und einen großen Beutel habt ihr da, den ihr so gar nicht loslassen wollt, aber egal... Die Soldaten werden noch länger bleiben und ich weiß bestens mit Raufbolden umzugehen, nur damit ihr es wisst! Hier, euer Schnaps und der Schlüssel für das Zimmer oben, am Ende des Ganges zu eurer Linken.“
Der Geächtete hob den Becher. Das Brennen in der Kehle tat gut. Er legte einen weiteren Silberling auf die Theke und blickte tief in die Augen seines verschwitzten Gegenüber, der seine Gier nach der Münze so gar nicht verbergen konnte.
„Euch ist vielleicht ein andere lumpige Gestalt aufgefallen“, begann der Geächtete mit bewusst beiläufigem Ton. „die euch erst kürzlich beehrte. Ein recht hässliche und eher einsilbige Erscheinung mit noch schlechteren Manieren als die meinen. Gewisslich wisst ihr, von wem ich spreche. Er ist ein alter Freund, mit dem ich länger durch die Lande zog, bis wir unglücklicherweise getrennt wurden. Ich wäre sehr froh und dankbar, ihn wieder zu treffen.“
Herr Bedolf sagte zunächst nichts. Seine Blicke wanderten zwischen der dunklen Gestalt vor ihm, den Soldaten und dem silbernen Zechin hin und her. Dann aber klatschte seine Hand auf das Geldstück. Damit war, so hoffte der Geächtete, nicht nur eine Auskunft zur Bestätigung sondern auch vorläufiges Schweigen für etwas Zeitgewinn erkauft.
So sprach er: „Ja, sehr hässlich und seltsam, ja unheimlich, wahrlich. Auch alleine. Keine guten Freunde habt ihr. Bestimmt wollt ihr eine eingehende Unterredung mit ihm führen. Über vergangene Abenteuer und so. Wie es Helden wie ihr eben so tut, wenn ihr unter euch seid. Auch er konnte sich ein Einzelzimmer leisten, wisst ihr. Gegenüber dem Euren. Geht schon.“
Der Jäger war seiner Beute nun ganz nah. Ohne ein weiteres Wort ging der Geächtete in Richtung der Treppe.
„Wehe ihr verschreckt mir meine Gäste mit grässlichem Lärm und wehe ihr besudelt meine schönen Holzböden“, murmelte Herr Bedolf noch hinterher. Dann ging er sogleich zum Tisch der Soldaten und begann hastig auf sie einzureden. Der gierige Bastard konnte damit also nicht warten.
Der Geächtete ignorierte das weitere Geschehen in der Taverne unter ihm, auch wenn er die bohrenden Blicke in seinem Rücken förmlich fühlte. Mit bewaffneten Angreifern musste er nun allerdings rechnen. Aber vielleicht würden ihm die Soldaten auch zum Vorteil gereichen.
Er war schleichenden Schrittes am Ende des Ganges im oberen Stockwerk angekommen. Seine Gabe verbarg seine Annäherung, seinen Geruch, seine Laute. Vor verschlossener Tür baute er sich auf, bereit zu allem. Der beißende Gestank der gefallenen Kreatur drang ihm tief in die Nase. Er vernahm nun auch ein leises, langsames Röcheln. Und er konnte auch eine Verwundung riechen, was ihn etwas überraschte. Hatte die Wache es etwa zufällig verletzen können? Oder hatte der Rudelführer es für sein Unvermögen bestraft? Unwichtig. Nur ein weiterer Vorteil. Die Überraschung war ohnehin auf seiner Seite.
Die Tür war unverschlossen. Das war fast zu leicht. Ganz langsam und unter leisem Quietschen öffnete der Geächtete sie. Das Röcheln verstummte, der Gestank blieb. Aber noch rührte sich nichts. Der Raum war vollkommen dunkel. Schemen eines Bettes, eines Schranks und eines Stuhls waren auszumachen. Der Regen prasselte unentwegt an das kleine, gegenüber liegende Glasfenster, durch das schwach bläuliches Licht drang. Mit den Sinnen des Jägers war dies alles natürlich fast wie bei Tag zu erkennen, aber auch sein Blick musste kurz schweifen.
Da war es. Zwei milchige Augen glotzten den Geächteten stumm an. Ein Blitz erhellte den Raum mit kaltem Licht und warf harte Schatten. Der Gefallene kauerte hinter dem Bett, offenbar zum Sprung bereit, aber noch immer keine Regung. Ein großer, unförmiger Leib war unter Schichten zerlumpter Kleider, die gewisslich von einigen Opfern geraubt worden waren, auszumachen. Der etwas zu große Schädel war mit unregelmäßigen Büscheln behaart, die Haut von kränklicher Farbe. Keinerlei Schweiß. Das schiefe Gesicht veränderte sich von einem Moment auf den anderen, schien irgendwie vom Knochen langsam abzugleiten. Sie konnten diese Form nie allzu lange aufrecht erhalten, stellte der Geächtete fest.
Die lange Jagd würde nun ihr Ende finden. Hier und jetzt sollte es entschieden werden. Nur noch für wenige weitere Sekunden belauerten sich die beiden Kreaturen der Nacht, ehe der Schrecken losbrach.
Der Geächtete musste schnell handeln. Er zog sein Schwert mit der rechten Hand und warf mit der anderen den Lederbeutel in die Ecke. Noch mit der Bewegung begann er durch reine Willenskraft die Verwandlung, die er mit einem jaulenden Schrei verkündete. Ein berstender Schmerz durchfuhr seinen gesamten Körper, die eine so rasche Metamorphose immer begleitete.
In kürzester Zeit schwollen mit knackendem, reißendem Lärm all seine Muskeln an, verlängerten sich die Knochen, zerdehnte sich die Haut, brach mit einigen Blutspritzern ein dicker Pelz hervor, wuchsen Hände zu Pranken und die Füße wurden zu mächtigen Hinterbeinen. Im soeben noch menschlichen Gesicht wuchs Mund und Nase zu Schnauze und Maul, Zähne verlängerten sich, die Ohren spitzten sich zu, das Haar wuchs und schließlich formte sich das gesamte Haupt zu einem gewaltigen Wolfsschädel mit funkelnden Augen. Mantel und Hose verflüssigten sich, wurden zu einem öligen Film der im Fell versank, als dunkle Flecken kurz verblieben. Und das silberne Schwert verschmolz mit der rechten Hand und wurde zu einem bizarren, metallenen Handschuh, der sich über die Klaue legte. Der Werwolf stand groß und gewaltig da. In aufrechter, halb menschlicher, halb wölfischer Kriegsgestalt mit dem Haupt bis zur Decke ragend. Er keuchte, war aber mehr denn je bereit für den Kampf und das Erlegen seiner Beute.
Diese reagierte unmittelbar. Mit einem Satz sprang es aber nicht auf ihn zu, sondern versuchte durch das Fenster zu entkommen. Glas und Holz splitterte unter lautem Dröhnen, aber das unförmige Ding blieb mit ringendem Leib und fluchendem Gebrüll für Sekunden halb in der Wand, halb im zu kleinen Fensterrahmen stecken. Wie erbärmlich, dachte der gewandelte Geächtete.
Der Werwolf nutzte die erbotene Gelegenheit sofort, raste vorwärts, bohrte die silberne Klaue in das Fleisch seiner Beute und warf es quer durch den Raum in die Ecke neben der Eingangstür. Es jaulte mit einem gewaltigen Schmerzensschrei auf, wand sich und begann schließlich ebenfalls eine rasende Verwandlung.
Geschrei von unten. Ein Poltern und dann plötzliche Stille. Die Gerüche der Menschen in der Taverne waren mit einem Mal verschwunden. Der transformierte Jäger war irritiert, aber nur für einen Moment, dann wand er sich wieder dem Feind vor sich zu, das rätselhafte Geschehen unten ignorierend.
Das gefallene Wesen durchfuhr ein spastisches Zucken, die Kleidung zerriss zu Fetzen, als der ganze Körper wild aufzuquellen begann. Der Geächtete in Werwolfsgestalt wollte den Moment der besonderen Verwundbarkeit nutzen. Mit beiden Klauen nach vorne ausgestreckt sprang er die wogende Masse an, doch da fegte ihn ein gewaltiger Arm zur Seite und krachend schlug er neben dem Loch in die Nacht ein. Er hatte es unterschätzt. Niemals sollte man ein verwundetes Tier unterschätzen, schon gar kein verderbtes Untier in Gefolgschaft des Einen Feindes.
Das Ding hatte nun genug Zeit für die schnelle Metamorphose. Aber hier stand kein Werwolf dem Geächteten gegenüber, nein. Einst war es ein Krieger im Wilden Heer gewesen, aber der Wereber wurde zum Gefallenen, als er sich vom Lichte Ardas ab wand, seinen Klan verriet und in den Dienst des Bösen trat. In unheiligem Ritus versündigte er sich an seinem Fleisch und ließ sich zur Lobpreisung und in Ergebung des Einen Feindes deformieren. Halb Mensch und halb Eber von wilder Schönheit war seine einstige Kriegsgestalt, aber jetzt wuchsen Knochen wie Stacheln aus seinem Leib, zierten sich selbst zugefügte Narben sein vollkommen schwarzes Fell, war sein linker Arm zu einem verknöcherten, großen Dorn geworden und Tentakel wanden sich in seinem Rachen. Grünes Feuer glühte in Augen und aus mit langen Hauern bewährtem Maul heraus. Dies war nur noch eine widernatürliche Verhöhnung der Schöpfung, die vom Antlitz der Welt getilgt werden musste. Und der Geächtete war der Jäger der Gefallenen.
Da griff es an. Mit dem tödlichen Dorn voran stürmte es auf den Geächteten zu, der in letzter Sekunde zur Seite hastete und dann mit der linken Pranke die Flanke des Werebers aufschlitzte. Wieder eine Verwundung. Ein weiteres schmerzverzerrtes Brüllen. Das Ding donnerte in die Wand, der ganze Raum erzitterte. Bretter fielen herab, Putz rieselte.
Der Werwolf attackierte von der Seite, holte mit der silbernen Waffe weit aus und schlug zu. Da riss es seinen verknöcherten Arm hoch. Funken stoben, Knochensplitter sprangen davon. Sie entfernten sich. Belauerten einander. Es grunzte herausfordernd. Er knurrte grimmig. Ein Tanz des Todes zweier Monstren, dessen Anblick nicht für Sterbliche bestimmt war.
Beide Bestien stürmten los, prallten aufeinander mit berstendem Gebrüll. Mit gigantischen Kräften rangen sie, hielten sich fest, wollten einander zerquetschen. Sie brachen durch die Eingangstür, hinaus auf den Gang.
Er biss zu, riss einen Brocken scheußlichen Fleisches heraus. Es öffnete das Maul weit und mit den Tentakeln aus dem Inneren gelang es dem Ding, den Kopf des Werwolfs zu umfangen. Dieser rang nach Luft, drohte im wilden Ringen zu ersticken. Da spürte er, wie es den Dorn nach vorne trieb, die Brust verfehlte, aber seine Seite quer aufschlitzte. Schmerz. Betäubung drohte.
Mit den Beinen stieß er sich nach vorne ab, riss mit aller Gewalt sich und den Wereber den Gang entlang, über das Geländer hinunter in den Tavernenraum. Alles dröhnte und krachte. Menschenleer. Das Ding knallte mit dem Rücken auf den Boden, der Geächtete darauf. Es lockerte mit einem brüllenden Stöhnen die Umschlingung des Kopfes, da konnte er sich befreien, warf den gesamten Oberkörper nach hinten, sog willkommene Luft in sich ein, nur um im nächsten Moment mit einem rasenden Hieb seiner Metall-Klaue die halbe Fratze vom Knochenschädel des Werebers zu reißen. Ein stechend schrilles Quieken folgte. Blutiges Fleisch, eben noch Wange und Rüssel, klatschte an den Tresen. Der linke Augapfel hing halb heraus aus der Augenhöhle.
Da bäumte es sich mit unvorhersehbarer Kraft noch einmal auf, warf den Werwolf mit nur einen Hieb an die Wand, stürmte mit gesenktem, grässlich entstellten Haupt auf allen Vieren voran und jagte die Hauer in den Oberkörper des Widersachers, der in der Schnelligkeit fast nicht begriff, was gerade geschah. Er jaulte auf, als Knochen brachen. Aufgespießt wurde er wie ein Gekreuzigter über die Mauer nach oben geschoben bis er gegen den Vorbau zur Treppe knallte. Irgendwie gelang es ihm mit der linken Klaue auszuholen und irgendwo verletzte er seine alptraumhafte Beute erneut. Ein gequältes Grunzen. Im nächsten Moment fand er sich in der Luft wieder, flog über die Theke und landete unter Splittern und Bersten in der Schankbar.
Er errang kurz darauf wieder volles Bewusstsein, lag aber noch benommen da, mit stechendem Schmerz in der Brust, wo zwei rote Löcher prangten. Herz und Lunge waren nicht getroffen, denn das durch die Metamorphose verstärkte Skelett des Brustkorbs war zwar angebrochen, aber nicht durchgebrochen. Dennoch fühlte er eine zusätzliche Schwäche, die sich langsam in ihm ausbreitete. Er ignorierte es.
In der Mitte des halb zertrümmerten Raums, zwischen zersplitterten Stühlen und umgeworfenen Tischen, stand das schwarze, an vielen Stellen blutende, zerfleischte Untier mit schwerem Röcheln. Der Schädel halb in Fetzen mit sichtbar weißem Knochen. Die Tentakel wanden sich nur noch langsam im Maul. Eine schwarze Flüssigkeit rann zwischen dem mit Werwolfsblut getränkten Hauern und Zähnen hervor.
Endlose Minuten vergingen. Jäger und Beute verharrten. Ein Zittern ging durch das grässliche Ding, es wankte, fiel beinahe um. Da hob es hob den Kopf und brüllte, brüllte mit aller Gewalt allen Zorn und allen Hass, die es von innen heraus seit zu langer Zeit verzehrten, in die Welt hinaus.
Der Gefallene Wereber wand sich langsam um, stolperte dann aber immer hastiger in Richtung Ausgang. Wieder floh es. Der Werwolf sah dies, konnte es kurz nicht glauben, heulte aber triumphierend auf und sprang mit neu gesammelten Kräften mit ausgestreckten Armen nach vorne, auf seine Beute.
Das Ding wandte den Kopf zur Seite und glotzte mit dem verbliebenen Auge auf den Geächteten über ihm. Es war ein ganz und gar seltsamer Ausdruck in diesem Blick. Kein Hass mehr, keine Angst, aber endlose Trostlosigkeit, flehende Aufgabe.
Der Werwolf landete mit den Klauen bewehrten Füßen auf den Rücken. Ein wilder Ritt begann. Ein letztes Aufbegehren der Beute. Er bohrte seine unbewaffnete Pranke durch den halben Rüssel hinein in den Knochen, krallte sich fest im Oberkiefer. So hatte er es von oben herab in der Umklammerung. Die Metall-Klaue jagte er von der Seite her in den Hals hinein und mit wuchtiger Geste durchbohrte er alles Fleisch, Sehnen, Muskeln, tief hinein und quer hindurch. Er schlitzte dem Schwein den Hals auf. Eine gewaltige Fontäne von Blut und schwarzer Flüssigkeit ergoss sich mit einem grässlichen, platschenden Geräusch und ertrinkendem Gurgeln auf den Boden. Weiter trieb er seine silberne Pranke, erreichte die Wirbelsäule und dann riss er daran mit aller Kraft.
Er enthauptete den Gefallenen. Kopflos wankte das Ding noch für Sekunden auf den Beinen, ging sogar noch einen Schritt nach vorn, dann brach es endgültig zusammen. Es war tot. Es war getan. Die Jagd hatte ihr Ende gefunden.
Stöhnend glitt der Werwolf vom schwarzen, blutigen Berg herunter. Letzte Zuckungen. Der Leichnam begann zu rauchen, fiel in sich zusammen. Die Rückverwandlung hatte begonnen, langsam, dann immer schneller. Schließlich lag da ein nackter, menschlicher Körper, vollkommen entstellt in einer dunklen Lache, ohne Haupt, das sich gleich daneben ebenso zurück transformiert hatte. Trotz all der Verletzungen und Entstellungen war ein junger Mann irgendwie erkennbar. Zu jung. Und er musste irgendwann sogar nicht unansehnlich gewesen sein. Leer war nun das Auge. So leer.
Der Geächtete richtete sich langsam auf in seiner Kriegsgestalt. Die Metall-Klaue ließ er zu Boden fallen. Seine rechte Pranke brannte heiß. Die Waffe wurde wieder zum Schwert. Kurz flackerte der Triumph mit einem leichten Hochgefühl auf, aber schnell war ihm wie einer gerade erstickten Fackel, nahm lähmende Erschöpfung von ihm Besitz. Er konzentrierte sich auf eine erste Heilung. Sie gelang nur schlecht, aber immerhin schlossen sich seine Wunden ein wenig, wurden die heftigsten Blutungen soweit gestoppt. Noch wagte er es aber nicht, sich zurück zu verwandeln, denn die Menschenform würde all die Traumata nicht verkraften.
Er schritt langsam in Richtung der Theke. Sein ganzer Leib war wie durchdrungen von einem wabernden Nebel aus Schmerzen. Er war wahrlich nicht in bester Form, noch in bester Verfassung. Wölfe jagten eigentlich im Rudel und die Verbindung zur Geisterwelt stärkte sie. Aber als Ausgestoßener von den Seinen und Verbannter aus dem Weltschatten musste er alleine und geschwächt seine Feinde jagen und bekämpfen. Er fand so einige zurück gelassene Zechine in einem vergessenen Geldbeutel und in einer schlecht verschlossenen Lade der Theke. Er würde es nachher einsammeln. Überhaupt war er es gewohnt, alles noch nach Brauchbarem durchsuchen. Die Jahre hatten ihn irgendwann seinen Stolz gebrochen und ihn zum Leben eines Plünderers und Diebes verkommen lassen. Aber viel benötigte er ohnehin nicht und es waren nur gemeine Sterbliche, die etwas von ihrem belanglosen Eigentum verloren. Unbeholfen umfasste er mit der linken Pranke die heil gebliebene Schnapsflasche. Er leerte sie in einem Zug. Dieses Brennen war wieder angenehmer.
Der Geächtete ließ seinen Blick über den Ort des Kampfes schweifen. Wo waren bloß all die Leute geblieben? Etwas musste sie schnell vertrieben haben. Allein der Lärm von oben hätte zumindest die gut gerüsteten, imperialen Soldaten nicht so einfach in die Flucht geschlagen. Dumpfe Neugier und Angst um den Besitz hätten zudem diesen lächerlichen Herrn der Raststätte einen Blick auf die nächtliche Ruhestörung wagen lassen. Wiewohl es ohnehin so besser war. Erloschene, wie die gewöhnlichen Sterblichen und vom Alten Glauben abgekommenen Menschen genannt wurden, durften Werwesen in Kriegsgestalt und die entstellten Gefallenen niemals erblicken. Seit den Tagen der Inquisition war dies höchstes Gebot. Ein Gebot, an das er sich schon länger immer weniger versuchte zu halten.
Ein Moment der Schwäche. Unter lautem Stöhnen sackte der Geächtete in sich zusammen. Er fühlte in sich hinein. Gift. Sehr stark. Es kam vor, dass die Gefallenen ihrem Blut ätzende oder toxische Eigenschaften beizumengen vermochten, aber dies hier war weit lebensbedrohlicher, wenn nicht gar tödlicher, als es eigentlich möglich sein sollte. Ein klarer Verdacht kam in ihm hoch. Nein, hätte er so sehr seine Feinde unterschätzt? Denn einer fehlte noch nach den Vier, die er nach Monaten zur Strecke gebracht hatte, ein Untier, eine Bestie dieser viel zu lange währenden Jagd: der Anführer dieses Rudels der Gefallenen. Er war noch da draußen. Der Schrecklichste, der, dem der Geächtete ewige Rache geschworen hatte.
Genug. Er hatte genug von allem. Von dem Irrsinn hier. Von all dem Töten. Von der rastlosen Jagd. Von den Menschen. Von der Welt. Den ewigen Kriegen. Von der Einsamkeit, all den Schmerzen, von der Sinnlosigkeit in zu vielen Dingen. Weg hier. Er musste fort. Zurück in die Wälder. Er brauchte Ruhe, Zeit für die Heilung. Vielleicht konnte er das Gift besiegen. Und wenn nicht, dann würde er eben sterben. Ein leiser Trost lag in diesem Gedanken, auch wenn er sich dies niemals eingestehen durfte, nicht ehe seine Aufgabe, sein Versprechen erfüllt war.
Er schleppte sich nach oben, noch immer in Werwolfsgestalt. Holte den nun noch schwerer erscheinenden Lederbeutel, sammelte unter Stöhnen und frustriertem Knurren Münzen ein. Eine weitere Schnapsflasche musste noch mit. Schließlich, nach einer Weile, wagte er die Rückverwandlung. So langsam er sie auch zuließ, sie war noch schmerzhafter als erwartet. Er fühlte sich deutlich kraftloser und zerbrechlicher als Mensch. Er blickte auf seinen Körper hinab, sah die vielen Wunden, das immer noch feuchte Blut. Mit der ebenfalls transformierten Kleidung sah er seinen geschundenen Leib immerhin nicht zur Gänze. Er knöpfte den Mantel zu, warf die angenähte Kapuze über. Er band sich wieder das Schwert um. Elend war ihm, müde war er. Dies war nicht allein die Erschöpfung nach dem Kampf, nein. Das unbekannte Gift tobte mehr und mehr in seinem Inneren.
Der Geächtete ging zum kopflosen Leichnam. Er führte die Hand zum Mund, flüsterte einige Worte. Ein flackerndes, blaues Licht erschien in der Handfläche. Geisterfeuer. Einer seiner letzten Zauber. Mit einer kreisenden Geste sprang es auf den toten Gefallenen über, breitete sich weiter aus. Es erfasste mehr und mehr vom Raum. Langsam, still und mit magischer Schönheit. Eigentlich wäre es vielleicht gar nicht nötig, das gesamte Gebäude abbrennen zu lassen, aber so würden wirklich alle Spuren dieses Kampfes übermenschlicher Kreaturen verschwinden. Der Körper, alles Blut und somit auch alles Gift. Und die Wogen des Krieges würden ohnehin schon sehr bald über diesen Ort herein brechen. Es würde ohnehin nichts bleiben.
Der Geächtete trat hinaus, sog die kühle Luft der späten Stunde in sich ein. Der Regen hatte fast aufgehört, nur noch wenige Tropfen fielen vom Himmel herab. Vereinzelte Blitze zuckten in weiter Ferne. Pferde und Esel waren verschwunden. Das Palisadentor weit geöffnet. Alle Menschen waren wohl entkommen, wohin auch immer und warum auch immer.
Da zeigte sich der bleiche, volle Mond zwischen den schwarzen Wolken. Er hielt kurz inne. Der Werwolf fühlte sich ein wenig gestärkter beim Anblick dieses himmlischen Gestirns. Vielleicht war ihm die Allmutter doch noch gnädig in dieser Nacht.
So ging er fort. Hinter ihm verwandelte stilles Geisterfeuer den Ort in Asche. Blaues Licht tanzte noch eine Weile mit ihm, ehe sich seine Gestalt mit der Dunkelheit vereinigte.
Der Spielmann Arnolf erzählte von einer gar seltsamen Nacht in der Taverne ‚Das Wandernde Lamm‘. Er erzählte von einem unheimlichen, schwarz gekleideten Mann, der dort erschien und kaum ein Wort sprach, sogleich ins obere Stockwerk verschwand, wo er wohl einen anderen unheimlichen, in Lumpen gekleideten Mann traf, der zuvor erschienen war. Seltsame Geräusche habe man von oben gehört, die anwesenden Soldaten wollten schon mit gezogenen Waffen nach dem Rechten sehen, als plötzlich das Gebäude Feuer fing und alle Gäste samt Wirt und Schankmaid Hals über Kopf ins Freie rannten. Irgendetwas Schreckliches musste im Dunkeln lauern und große Furcht verbreiten, denn wie irr lief die kreischende Schar in alle Himmelsrichtungen davon. Der Spielmann kam erst auf einem weiter entfernten Hügel zur Ruhe, verweilte dort keuchend und blickte zurück auf die Taverne, die jedoch zu seiner großen Überraschung gar nicht brannte, sondern unversehrt dastand, jedoch trug der Wind schreckliche Geräusche aus dem Inneren des Gebäudes herbei. Neugier ließ ihn noch länger beobachtend verweilen, schließlich wurde es still. Nach einer gewissen Zeit wollte er schon beinahe zurückkehren, als plötzlich blaue Flammen wie aus dem Nichts ‚Das Wandernde Lamm‘ umhüllten. Nun verging es tatsächlich im Feuer, das jedoch nicht von dieser Welt sein konnte. Der Spielmann sah noch einen Mann aus dem größer werdenden Inferno hervortreten, der schließlich im Dunkel verschwand.
In den Tavernen in denen der Spielmann fortan auftrat und mit ausreichend Bier in der Kehle von jener gar unheimlichen Nacht Zeugnis ablegte, glaubten ihm zuerst längst nicht alle. Schließlich dichtete er noch einige teuflische Wölfe und gar einen Werwolf als deren Anführer hinzu, die die fliehende Schar Unschuldiger auf das Grausamste niedergemetzelt hatten. Allein er hatte mit knapper Not entrinnen können, so flunkerte er mit zunehmender Überzeugungskraft. Der Lohn für den Spielmann waren statt Misstrauen oder gar Spott ängstliche Blicke und ernste Worte der Eintracht darüber, dass das Land vom Bösen geplagt wurde und es wahrlich grimme Tage in Dimbrag waren.