Читать книгу Die Geschichte des Lebens in 100 Fossilien - Paul D. Taylor - Страница 12
Das präkambrische Paradox Dickinsonia
ОглавлениеWÄHREND DER AUSTRALISCHE GEOLOGE Reg Sprigg (1919–1994) in den Ediacara Hills Südaustraliens sein Mittagessen einnahm, machte er den bedeutsamsten Fossilfund aller Zeiten. Sprigg fand einige fast 600 Millionen Jahre alte, eigenartige, quallenähnliche Abdrücke im Gestein. Aus der Zeit vor der Kambrischen Explosion (S. 18), erstaunen diese Ediacara-Fossilien immer noch die Paläontologen. Zuvor wurden ähnliche Versteinerungen in Neufundland und Namibia entdeckt. Da Zweifel an ihrem Alter und daran bestanden, ob es überhaupt Fossilien waren, fanden sie jedoch kaum Beachtung. Sie rückten erst in den Fokus, als im englischen Charnwood Forest, Leicestershire, andere Ediacara-Fossilien, die Charnia, in Gestein gefunden wurden, das sicher aus dem späten Präkambrium stammt.
Doch was ist an den Ediacara-Fossilien so besonders? Zum einen haben sie nicht die Spur eines harten Skeletts und unterscheiden sich stark von den Schalentieren, die im jüngeren Gestein nach der Kambrischen Explosion entdeckt werden. Wichtiger ist jedoch, dass sie sich jedem Vergleich mit lebenden Organismen entziehen. Einige ähneln plattgedrückten Quallen, wegen der fehlenden Tentakel ist diese Zuweisung aber nicht haltbar. Andere, wie die Charnia, sehen blattähnlich aus. Deswegen hielt man sie zunächst für Verwandte der modernen Seefedern. Was allerdings nicht sein kann, da die festen Wedel der Charnia nicht zu den Polypenästen der Seefedern passen. Daneben gibt es noch fremdartiger wirkende Ediacara-Fossilien. Dickinsonia, die wie scheibenförmige Würmer mit segmentiertem Körper aussehen und wenige Zentimeter bis über ein Meter groß werden, ohne – was ungewöhnlich ist – dabei stark die Form zu verändern. Tribrachidium, auch ein scheibenförmiges Ediacara-Fossil, mit seinem dreistrahligen Aufbau, der der dreibeinigen Triskele im Wappen der Insel Man gleicht.
Über die Identität dieser bizarren Fossilien besteht noch kein Konsens. Handelt es sich um Tiere, Pflanzen oder, wie ein prominenter Paläontologe vorschlägt, eine Art Flechte (eine Symbiose aus Pilz und Alge)? Einige Wissenschaftler halten sie für primitive Vorfahren von heutigen Tierstämmen, andere für eine eigenständige Gruppe längst ausgestorbener, gefalteter Organismen – die Vendobionten. Unklar ist auch, wie sie gelebt haben. Bezogen sie ihre Energie aus der Photosynthese, ernährten sie sich, wie viele moderne Meerestiere, von Plankton oder absorbierten sie gelöste organische Stoffe aus dem Salzwasser? Eine Lehrmeinung besagt, dass einige Ediacara-Fossilien Tiere waren, die sich von mikrobiellen Matten (komplexe faserartige Netze aus Cyanobakterien und anderen Mikroorganismen) ernährten. Wie aber kam es zu der ungewöhnlichen Konservierung dieser weichen Lebewesen? In runzeligen „Elefantenhaut“-Texturen im Sediment wurden klebrige mikrobielle Matten nachgewiesen, die die Erhaltung von Abdrücken dieser Tierkörper erleichtert haben könnten. Jedenfalls setzte das Auftauchen von weiterentwickelten Tieren, die die mikrobiellen Matten des Kambriums aufzuwühlen vermochten, dieser einzigartigen Ediacara-Lebensform, die in Red Spriggs Mittagspause ausgegraben wurde, ein Ende.