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Lauftreffs sind schlimmer als die Hölle

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Nie wieder. Jedenfalls nicht so, unter den Umständen. Aber der Reihe nach. Ich hab’s getan. Klingt wie ein Geständnis? Ist auch eins. Ich bin gelaufen! Hatte ja neulich schon angedeutet, dass der innere Schweinehund endlich erlegt werden muss. So einfach war das natürlich nicht getan bei einer sportlich so degenerierten Gestalt wie mir. Man fliegt ja schließlich auch nicht ins Weltall, ohne sich vorher beispielsweise auf die besonderen Lebensumstände unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit vorzubereiten.

Der Vergleich mag hinken. Aber für mich war eben lange Zeit die Vorstellung, laufen zu gehen, mindestens so abenteuerlich wie die, mich mal eine Weile in die Raumstation MIR oder ISS zurückzuziehen. Will sagen, es bedurfte unbedingt einer gewissen strategischen Vorbereitung auf den ersten Lauf. Zunächst war mein Gedanke, die Angelegenheit konspirativ anzugehen, still und heimlich.

Das hätte manchen Vorteil gehabt. Etwa den, dass beispielsweise andere Renner, Walker, Jogger mich nicht hätten sehen, sich also auch nicht über mich hätten lustig machen können. Ich glaube nämlich, dass der gemeine Hobbyläufer eben genau das sein kann: gemein. Wie ein Kind, das es nicht besser weiß, das Wort Rücksichtnahme noch nicht im Vokabular hat. Einfach draufkloppt mit der Schüppe im Sandkasten, wenn ihm was nicht passt. Oder aber – womit wir wieder beim Läufer wären – sich halb schlapp lacht, wenn er einen schlappen Unsportling wie mich nach Dekaden der Inaktivität bei seinen ersten Schritten sieht. Wie er seinen älter gewordenen Leib in Gang zu setzen versucht wie ein anderer seinen Oldtimer, der seit einer Generation in der Garage vor sich hinrostete. Keine so angenehme Vorstellung, wie es da pufft und knallt und das alte Stück doch nicht von der Stelle kommt. Und das Ganze vielleicht noch beobachtet wird, zum Beispiel vom schadenfrohen Nachbarn.

Dann lieber zu einer Zeit und an einem Ort, wo man ganz sicher unbeobachtet ist. So zumindest mein Ursprungsgedanke. Wie so oft aber kam wieder alles anders: Das ist zur Hälfte meine eigene Schuld, zur anderen Hälfte – Sie ahnen es! – die meines Nachbarn. Des Profi-Hobbyläufers, dieses Prototypen des durchtrainierten Homo sapiens. Ich sprach ihn rundheraus auf mein Vorhaben an. Fataler Fehler, wie ich heute weiß.

„Sagen Sie mal, lieber Herr Nachbar“, hob ich an, „was meinen Sie, wie sollte ich meine ersten Schritte als Jogger nach zwei Dutzend Jahren Laufabstinenz angehen? Alleine, in der Gruppe, im Verein, mit ärztlicher Begleitung, auf dem Sportplatz, im Wald, auf dem Laufband im Fitnessstudio, mit einem Privattrainer, in einer Hochdruckkammer zur Simulation des Laufens unter Höhenbedingungen, im Gebirge …?“ Die ganze Palette an Möglichkeiten rasselte ich ihm nur so um die Ohren, vermutlich, um ihm den Eindruck zu vermitteln, zumindest theoretisch auf der Höhe des Themas zu sein.

„Verstehe“, sagte der Nachbar mit bewusstseinsschwangerem Gesichtsausdruck, um mit geradezu priesterlicher Attitüde fortzufahren. „Habe Sie also bekehrt. Saulus wird zum Paulus.“ Dann fügte er an: „Gehen Sie zu einem Lauftreff. Für Sie genau das Richtige.“ Schlussendlich offenbarte er sich noch als der Hohepriester tiefenpsychologischer Einsichten in die Seele eines eingerosteten Oldtimers auf zwei Beinen, wie ich einer war. Sicher wisse er, dass Spezies wie ich die spontane Neigung hätten, sich erst mal zurückzuziehen zum Laufen, Problem alleine angehen pipapo. Alles menschlich, aber falsch. Verstecken sei genau das Verkehrte. Offensiv angehen die Sache, schlug er nachdrücklich vor, Verbündete im Geiste der gemeinsamen Körperertüchtigung suchen, nur keine Scheu haben und so weiter und so fort … Zum Schluss gab er Ort und Zeit eines solchen Lauftreffs durch.

Zwei Tage später stand ich im halbwegs modischen Jogger-Outfit am Parkplatz vor einem heimeligen Waldstück. Was sich bei diesem „Lauftreff“ ereignete, kann ich nur gestrafft wiedergeben. Der Platz reicht für eine umfassende Schilderung nicht aus. Jedenfalls: Ich bin gelaufen. Vielleicht einen Kilometer. War danach natürlich völlig fertig. Körperlich. Tatsächlich vernichtet aber war ich seelisch, geistig, sozial. Nicht dass mich alle – es waren rund ein Dutzend weiterer Lauftreffteilnehmer da – in Grund und Boden gelaufen hätten. Oder mich hätten spüren lassen, wie sehr ich als unsportlicher Sack doch die Bürde des Außenseiters zu tragen habe. Was mich umbrachte, war genau das Gegenteil: Diese Zuwendung, diese Freundlichkeit, die Zartheit im Umgang miteinander, ja die Liebe aller zu jedem war es. Wie in gewissen anderen sozialen Biotopen gesagt wird: „Gut, dass wir drüber geredet haben“, so sagt der regelmäßige Teilnehmer beim Lauftreff: „Du, wirklich super, dass wir gemeinsam gelaufen sind.“ Männlein wie Weiblein fiel derart verbal über mich her. „Ehrlich, du, ich freu mich riesig auf die nächste Woche.“ Dreimal habe ich diese Formulierung gehört.

Ich geh da nie wieder hin. Ich will nicht, dass mir eine Dame mit lila Stirnband in einer, auch noch aufgrund meiner Schwäche eingelegten Pause unaufgefordert die Wade massiert. Ich mag es auch nicht, dass mir ein etwas anämischer Kerl dabei das andere Bein hebt und die Wade hin und her schüttelt, so stressig und mit einer Frequenz wie man sonst vielleicht an einem dünnen Bäumchen rumrüttelt, in der Hoffnung, es könnte ein Maikäfer runterfallen.

Als ich da so auf dem frühlingsweichen Waldboden lag, an der einen Wade die Dame in Lila, an der anderen den Kerl, der meinen verkrampften Muskel wie verrückt schüttelte, da kam mir ein Gedanke: Besser als zu laufen wäre für mich wohl, ich würde eine Selbsthilfegruppe für unsportliche und übergewichtige Männer gründen.

Lasse Laufen

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