Читать книгу Die Rache des Don Wiggerl - Paul Kavaliro - Страница 6

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Auf der Spur

Schon am nächsten Tag trat Ludwig seinen Dienst an. Als er morgens auf der Ranch eintraf, fand er den Empfang besetzt von einer älteren Dame vor. Elvira Karl stand auf ihrem Namensschild. Ludwig versuchte, sie in seinem verstaubten Namensgedächtnis von früher einzuordnen. Es misslang, es gab keine Treffer für Elvira Karl in der Datenbank. Aber er erkannte ihre Stimme vom gestrigen Telefonat wieder. Sie hatte ihn an Toni weitervermittelt.

Frau Karl hatte ein Kuvert im A4-Format für ihn parat. „Ihr Vertrag“, erklärte sie. Ludwig überlegte kurz, ob sein Gegenüber die Personalabteilung der Ranch verkörperte. Die Dame schien die Frage zu ahnen und ergänzte: „Direkt von Herrn Kohlbayr.“

„Aha, Chefsache“, scherzte Ludwig bemüht und erntete immerhin ein flüchtiges Lächeln von Elvira Karl.

Da er jetzt schon beinahe vertraut mit ihr war, roch er die Gelegenheit, gleich ein paar Fragen zur Sache loszuwerden.

Im Tatort im Fernsehen fragte der Kommissar als erstes, ob denn das Opfer Feinde hatte. Das Wort „Feind“ erschien Ludwig unpassend. Es hatte in diesem Ausschnitt der Welt, in dem die Ranch das A und O darstellte, keinen Platz. „Gibt es denn Konkurrenten, die für den Pferdediebstahl in Frage kommen?“, schwächte Ludwig ab.

Die Dame reagierte unangenehm berührt. „Sie fragen ja wie ein Tatort-Kommissar“, entrüstete sie sich sanft.

„Erwischt“, dachte Ludwig und hoffte trotzdem auf eine Antwort. Er bot sein aufmunterndstes Lächeln auf.

„Ich weiß ja nicht, woher Sie kommen“, spitzte sie ihre Zunge, „aber so etwas tun die Leute hierzulande nicht.“ Tja, die Gilde hatte ihre Ehre.

„Es hätte ja sein können. Ich frage nur zur Sicherheit, denn für die bin ich ja da“, schob er nach, damit er nicht mit einer Belehrung als einziger Aussage aus der Tür gehen musste.

„Zur Sicherheit“, griff Frau Karl dann doch noch den Gedanken auf, „hat Herr Kohlbayr ein paar Höfe in der Umgebung besucht.“

„Und?“, fand Ludwig langsam Gefallen an dem Katz-und-Maus-Spiel.

„Und nichts“, lautete die barsche Antwort, „unsere Pferde waren nicht dort.“ Ihre Stimme drückte Bestimmtheit aus. Sie schien sich hier in der Tat auszukennen und ihr lag daran, dass Ludwig ihre Kompetenz spürte. Sonst hätte sie ihn schon lange abgewimmelt.

Ihm fiel außerdem auf, dass sie nicht sagte „man konnte die Pferde nirgends finden“, sondern „sie waren nicht dort“. Also mussten sie sich diesbezüglich sicher sein. Vielleicht standen ja sogar Drohungen im Raum? Sätze, die mit „Wenn ihr meine Pferde versteckt, dann ...“ anfingen, konnte man Toni Kohlbayr absolut zutrauen. Diplomatisch zu sein, das war nicht seine Art.

Aber das mit der Einschüchterung bildete lediglich eine Theorie. Ludwig wollte hingegen Fakten. Und er war bis jetzt nur einen kleinen Schritt vorangekommen. Doch ein erster Schritt war immerhin ein Schritt und jede noch so lange Reise fing damit an.

Mit einem flüchtigen Gruß verließ er das Zimmer. Er hatte seine Mission begonnen.

Ludwig fühlte ein kurzes Aufbranden von Stolz. Er arbeitete jetzt als Detektiv – seine erste Zeugin Elvira Karl hatte er bereits vernommen. Und er bekleidete den Rang des Sicherheits-Verantwortlichen. Toni hatte das wenig überschwänglich in „pass auf, dass das hier nicht nochmal passiert“ eingewickelt. Aber sein Wort stand. Und Ludwig musste sich danach richten. Das bedeutete zunächst nachzusehen, ob es bereits Sicherheitsmaßnahmen gab. Auf Neudeutsch hieß das „evaluieren“. Und genau das wollte Ludwig jetzt angehen.

Im Hochgefühl seiner Betriebsamkeit trat er aus dem Gebäude nach draußen. Er schaute auf die Ranch, diesen Ameisenhaufen emsiger Arbeiter, die geschäftig mal hierhin liefen, mal dahin was schleppten, die Reiter und Pferde betreuten, und bei denen Toni die Strippen zog. Er symbolisierte die „Königin“.

Ludwigs Hochgefühl erhielt jedoch einen Dämpfer: Ihn ergriff die Erinnerung, dass er jetzt für jemanden arbeitete, den er nicht besonders mochte.

Toni hatte ihn früher vor seinen Freunden gedemütigt, vor Benny und Peter und vor noch ein paar mehr, eigentlich konnte man sagen: vor allen. Sie waren damals noch jung, sie waren halbstark, sie hatten gerade die Schule hinter sich gelassen. Das Leben steckte voller Chancen und Verlockungen. Bei Ludwig hörte diese Verlockung auf den Namen Barbara Zapf. Unbeholfene Spötter nannten sie Barbie. Aber das trieb sie ihnen schnell aus. Sie trat entschlossen auf. Und sie war sein Jugendschwarm. Sie war hübsch und elegant, sie wusste, was sie wollte. Das alles zusammen stellte für Ludwig eine ideale Kombination von Eigenschaften dar.

Das machte Barbara attraktiv. Und er rechnete sich Chancen aus. Sie konnten beide so nett miteinander plaudern. Und er empfing dabei diese Signale, die mehr verhießen als nur eine nette Bekanntschaft.

Barbara kam ihm nahe; er spürte eine Glut, einen Funken, der kurz vor dem Überspringen stand. Leider fehlte ihm das Draufgängertum, damit sich dieser Funke auch wirklich entlud.

Ludwig war ohnehin nicht der Willensstärkste – damals wie heute. Und so zögerte er als junger Mann zunächst. Er ging in sich, er grübelte. Alles wollte gut überlegt sein. Doch dann hatte er eines Tages seinen Entschluss gefasst: Er musste bei Barbara aufs Ganze gehen. Und die Gelegenheit schien günstig: Sie hatten sich fürs Kino verabredet. Ludwig zog sein bestes Hemd an und ging tausendmal im Geiste durch, was er sagen wollte. Das wurde sein Tag! Die Sehnsucht nach der ersten Freundin hatte Besitz von ihm ergriffen und sie ließ sein Herz hinauf bis zum Hals schlagen.

Das Kino lag im Ort. Als kleines und überschaubares Gebäude fügte es sich gut ein. Und wenn sich dort junge Leute trafen, dann konnte man gleich sehen, wer mit wem befreundet oder inniger befreundet oder wer gar verliebt war.

Ludwig wollte gerne zu dieser Kategorie dazugehören – sichtbar und im Duett mit Barbara. Doch ein Selbstläufer war das keineswegs, denn sie schien gleichzeitig auch ein Auge auf Toni Kohlbayr geworfen zu haben. Deshalb kam diesem Tag eine entscheidende Bedeutung zu: Ludwig musste dem Ranch-Sprössling zuvorkommen!

Er schlenderte zum Kino, denn er wollte Gelassenheit ausstrahlen. Soweit lief alles noch gut. Doch als er in Sichtweite zum Filmpalast kam, da nahm das Unheil seinen Lauf. Bereits aus der Distanz konnte er die Clique sehen. Da stand Benny, da wartete Peter. Da sah er auch Barbara! Schon wollte er seine Gelassenheit fallen lassen und winken, da passierte plötzlich etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: Toni – jugendlich, kräftig, als Kohlbayr wohlhabend und spendierfreudig – kam vom Kiosk im Kino zurück und ging auf Barbara zu. Er reichte ihr eine der beiden Colaflaschen, die er in den Händen hielt. Sie trank, sie scherzte, sie lachten. Dann schmiegte sie sich plötzlich elegant an ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Das zeigte den Dank für die Cola. Und es bildete außerdem das Zeichen genau der Art Verbundenheit, die Ludwig noch vor wenigen Augenblicken für Barbara und für sich selber erhofft hatte und die ihn jetzt, da er sie zwischen ihr und einem anderen sah, von einem auf den nächsten Moment vollkommen zerstörte.

Jetzt war Ludwig schon ganz nahe herangekommen. Er blieb stehen. Er konnte kein Wort sagen, kein Gruß kam über seine Lippen, gar nichts. Die Clique nahm ihn jetzt wahr. Benny und Peter schauten peinlich berührt nach unten.

Toni tat das nicht, so wie ihn auch sonst nie etwas beschämte. Er fragte nur abschätzig: „Ist was?“ Er zeigte sich seines Triumphs bewusst. Er führte ein Schauspiel auf.

Barbara wirkte hingegen neutral, nicht abschätzig, aber es glimmte auch kein bisschen Mitgefühl in ihren Augen. Und vor allem ließ sie keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sie jetzt zu Toni gehörte. Der schaute zu Benny und Peter, die seinen Blick erwiderten und dann wie auf Kommando grinsten. Sie stellten sich auf die Seite des Stärkeren.

The Winner Takes It All.

Ludwig hatte die Verliererkarte gezogen.

Seine Gedanken brodelten. Vor seinen Augen spielte sich die totale Provokation ab. Was konnte er unternehmen? Irgendwie musste er diesem Gernegroß eins auswischen, den völligen Triumph verhindern. Fieberhaft suchte er nach einer Entgegnung, soweit seine Aufregung es zuließ. Die beste, die ihm auf „Ist was?“ einfiel, lautete: „Nein, nichts. Noch nichts.“ Das klang wie eine Drohung und dieser Eindruck passte Ludwig auch ganz gut in den Kram. Er kehrte auf dem Absatz um. Das fiese Gelächter hinter ihm verstummte langsam mit zunehmender Entfernung.

Ludwig erwachte aus seinem trüben Tagtraum, als einer der Ranch-Traktoren ratternd an ihm vorbeifuhr und er zur Seite treten musste. Immer noch stand er inmitten des Ameisenhaufens, den das Volk der Ranch-Bediensteten formte. Er konnte froh sein, dass ihn als Grübler, Müßiggänger und Tagträumer keine der Ameisen in der Zwischenzeit weggeräumt hatte.

Ludwig erinnerte sich jetzt wieder an seine Bestimmung. Ach ja, er wollte ja Sicherheitsmaßnahmen evaluieren. Also machte er sich auf den Weg: Zufahrten, Zäune, Tore, gar eine Videoüberwachung? Er schlenderte über das Gelände. Da lagen die Pferdeställe: Geräumig, modern – nicht so schlicht wie damals, als das hier noch einen landwirtschaftlichen Zweckbetrieb darstellte und die Bauten allesamt zwei Nummern bescheidener ausfielen. Früher war ein Stall eng, heute legte man ihn ausladend an, mit Licht und Luft, fast ein bisschen wie ein Schaufenster. Kam ein Pferdenarr hierher, dann sollte ihm das Ambiente auf Anhieb gefallen. Darin bestand der Zweck.

Ludwig fragte sich, ob die Pferde was von der neuen Großzügigkeit hatten? Bestimmt, denn ein kuscheliger Stall mit frischer Streu kam gewiss besser an als eine muffige, feucht-schimmelige Pferdeabstellkammer. Aber hatte es Toni wegen der Pferde so gebaut oder um zu protzen? Wer hatte den höheren Rang inne – das Schaufenster oder die Seele des Tieres, welches darin stand?

Von den Ställen gab es gleich mehrere, also vermochte man hier eine größere Zahl von Pferden unterzubringen. Ludwig wollte die Tiere zunächst durchzählen, ließ das dann aber sein. Er konnte sich die Kapazität ja sagen lassen; das ging schneller. Außerdem lenkte ihn das Nachzählen zu sehr ab und er verpasste womöglich ein wichtiges Detail. Heute fühlte er sich noch frisch und noch nicht betriebsblind. Also lohnte es sich jetzt besonders, die Augen offenzuhalten.

Zwischen den Ställen hatte man jeweils ein Streifen Platz gelassen, der als Weg diente. Über den kamen die Tiere von ihren Boxen zur Weide und von dort wieder zurück. Diese Mini-Straßen besaßen immerhin eine solche Breite, dass ein Traktor bequem darauf fahren und Pferden auszuweichen vermochten. Somit konnte Futter schnell an- und Mist zügig abtransportiert werden. Vier Ställe gab es, also drei Wege dazwischen. Der mittlere war der breiteste davon. An seinem einen Ende prangte auch die größte Reithalle, die an anderen Stellen auf dem Gelände noch zwei kleine Geschwister hatte. Hier konnte der Reiter dann auch bei schlechtem Wetter seinem Hobby frönen.

Die Anlage hatte insgesamt einen industriellen Anstrich. Alles machte einen durchdachten Eindruck. Alles stand an seinem Platz. Ein Rädchen griff in das andere.

Gleich neben der großen Halle lagen die Reitplätze. Sie waren noch etwas ausladender als die Halle und für das Reitvergnügen bei gutem Wetter da. Diese Reitparcours lagen in der Nähe des Eingangs der Ranch, der Hauptzufahrt. Somit konnten Besucher die Objekte ihrer Begierde, die Pferde, gleich in Action sehen.

Ludwig hatte den Eingang flüchtig beim Einfahren in die Ranch wahrgenommen. Er wollte sich das später nochmals genauer ansehen, von wegen Absicherung und so weiter.

Zunächst wandte er sich aber dem anderen Ende der „Hauptstraße“ zu. Hier erstreckten sich die Weiden und nicht nur rein zufällig ging es hier ruhiger zu. Wie ein Arbeiter nach einem anstrengenden Tag im Büro oder an der Taktstraße den Ausgleich und die Stille brauchte, so sollte das auch den Tieren möglich gemacht werden. Fernab vom Zirkus des Reitens auf dem Platz oder in der Halle, über Hindernisse oder an der Longe konnten sie hier die Pferdeseele baumeln lassen.

Das Gelände war weitläufig, aber eingegrenzt; es gab überall Zäune. Und am Tor zur Weide prangte eine Überwachungskamera an einem Mast und nahm die Szenerie fest im Blick. Hatten die Ausläufe auch Tore an ihren hinteren Begrenzungen? Konnten Pferde dadurch heimlich abgezogen werden? Ludwig legte Gründlichkeit an den Tag, also machte er sich auf die Pirsch um die Weiden herum, um es herauszufinden. Gut, dass er heute gleich die Gummistiefel angezogen hatte. Mit denen blieb er geländegängig und konnte auch unwegsames Terrain unter die Lupe nehmen.

Nach einigen hundert Metern Entdeckungstour wurde klar: Ja, es gab zwar Tore, aber man hatte sie umsichtigerweise mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Wenn sich einer nachts oder in der Dämmerung daran zu schaffen machte, dann stand er im gleißenden Licht und womöglich sogar unter den Augen der Überwachungskamera. Ludwig erachtete das als eine effektive Absicherung. Man musste schon einige kriminelle Energie mitbringen, wenn man diese Maßnahmen überwinden wollte. Und wenn ein Dieb tagsüber antrat, dann hatte er durch all das Personal hier in dem Ameisenhaufen sogar noch eher mit Entdeckung zu rechnen als nachts.

Womöglich sollten diese Vorkehrungen ja auch bewusst abschreckend wirken? Das passte zu Toni: Widerstand eine Chance zu geben, das war nicht seine Art.

Jetzt hatte Ludwig schon so einen weiten Weg um die Weidefläche herum zurückgelegt, jetzt konnte er den Kreis auch noch vollenden. Herrlich in die Landschaft eingebettet lag diese Ranch ja wirklich. Im Wilden Westen konnte es kaum schöner sein. Wirkte sie sogar attraktiver als das Original aus den Westernfilmen? Die Chancen dafür standen gut.

Als Ludwig seine große Runde fast geschafft hatte, da stieß er auf das Ende des alten Geheimwegs, an dessen Anfang er sich gestern auf der Fahrt zum Vorstellungsgespräch erinnert hatte. Und er sah, dass es den Weg eigentlich gar nicht mehr gab. Die Natur hatte sich ihr Terrain hier an dieser Seite des Pfades zurückerobert. Hohes Gras der Vergessenheit wucherte. Ein Fußgänger konnte zwar darüber immer noch die Ranch erreichen, aber eine ganze Herde von Vierbeinern hätte hier nicht unbemerkt nach draußen schlüpfen können. Und das wilde Gras hätte ebenfalls gelitten. Nein, hier war schon lange niemand mehr entlanggegangen.

Doch wann er selbst hier zuletzt stand, daran konnte sich Ludwig nur zu gut erinnern. Das passierte damals in der Jugend, am Folgetag seiner öffentlichen Demütigung durch Toni, als der ihm Barbara entrissen hatte. Oder sie sich hatte entreißen lassen. Gleichgültig – das war beides schlimm.

Damals hatte sich Ludwig eine Träne der Wut aus dem Augenwinkel gewischt und kreuzte danach hier auf, ja genau hier, nach unbemerktem Anschleichen auf dem verborgenen Weg.

Er hatte zwar keinen Plan, aber er hatte düstere Absichten im Gepäck. Entweder wollte er Toni überraschen und eine auf sein Großmaul hauen oder die Tore der Weide öffnen oder die Luft aus dem Reifen eines Traktors lassen oder gar einen Strohballen anzünden. Das waren ganz schön viele Oder für ein einzelnes Entweder-Oder. Typisch Ludwig – stets „entschlussfreudig“.

Da stand er nun hier, damals, fühlte sich irgendwie beobachtet, auch wenn es noch keine Kameras gab, und sinnierte: Die Glut seiner Gedanken allein hätte schon gereicht, um eine ganze Scheune in Flammen aufgehen zu lassen. Wut und Glut, das passte gut zusammen, es war richtiggehend symbolträchtig. Wie im Westernfilm: Die Kleinen, Geschundenen nahmen Rache an ihren Schindern, meist Mächtige, Unverrückbare. Da war es nicht mit einer Ohrfeige getan.

Sabine würde es heute sicher auch gerne sehen, wenn Ludwig dem reichen Toni für den Unfall mit Iris eins auswischte. Aber das stand für ihn nicht auf dem Plan. Er war nun Tonis Angestellter. Und da rächte man sich nicht gleich am zweiten Tag. So etwas gab es in keinem Westernfilm.

Als Ludwig jedoch damals hier stand, als Jugendlicher, als Gedemütigter, da sah das anders aus. Da war die Handlung weit fortgeschritten und sie hatte mit der Begegnung vor dem Kino einen wichtigen Wendepunkt erreicht. Da war Rache angesagt. Nur wie?

Stroh anzuzünden stellte am Ende doch eine blöde Idee dar, dachte sich Ludwig. Da konnte nicht nur Toni zu Schaden kommen, sondern auch Unschuldige. Also legte er diese Option beiseite. Also doch Pferde aus der Weide in die noch größere Freiheit nach draußen entlassen? Rundum erstreckte sich nur die Graslandschaft, da konnte ihnen nicht viel passieren. Und für die Rancher bedeutete es jede Menge Mühe, Hektik und Zeit, alle wieder einzufangen. Das blieb gewiss im Gedächtnis. Ja, das wollte er machen!

Ludwig wandte sich damals frisch entschlossen in Richtung Weide. Doch er kam nicht weit. Hinter ihm ertönte ein Befehl: „He, bleib stehen!“ Er hatte also Recht behalten mit seiner dunklen Ahnung, beobachtet zu werden. Und der Beobachter und Kommandogeber war kein Geringerer als Xaver Bentheneder, der Dorfsheriff. Höchstpersönlich.

Ludwig erschrak, denn dem Gesetz in Person stand man nicht alle Tage gegenüber. Und es hielt sich gewiss nicht zufällig hier auf. Es hatte ihm aufgelauert. Und es verschwendete keine Zeit. „Was hast du hier zu suchen?“, prasselte die erste Frage auf ihn ein.

„Ich?“, wich Ludwig aus.

Bentheneder war damals noch nicht lange Polizist, aber er wusste, dass ein längliches Katz-und-Maus-Spiel keine Punkte brachte. Den Delinquenten weiter in die Enge zu treiben, konnte also nicht schaden, um die Schuldfeststellung abzukürzen: „Du lungerst schon eine Weile hier herum. Ich beobachte dich seit zehn Minuten.“ Also tatsächlich: aufgelauert. Und der Sheriff wurde noch direkter: „Du hast Toni Kohlbayr bedroht?“ Das war eine schwere Anschuldigung – notdürftig in eine Frage eingewickelt.

Eine unsichtbare Schlinge legte sich um Ludwigs Hals. Sie schnürte ihm die Kehle zu und ließ ihm keinen Atem für eine Antwort. Immerhin blieb er noch des Denkens mächtig. Und er dachte: „Aha, es gab also einen Tipp.“ Er war verpfiffen worden, nach Strich und Faden.

„Am besten kommst du mit auf die Wache zur Aufnahme deiner Personalien“, brachte das Gesetz neuen Schwung in seinen Monolog. Ein Besuch auf der Wache stellte einen beliebten Schuss vor den Bug für jugendliche Abweichler dar.

Es war ein abgekartetes Spiel: Bentheneder hatte sich den Text für seine Rolle zurechtgelegt und die spulte er jetzt herunter. Im letzten Akt der Handlung führte er Ludwig ab. Der Polizist kämpfte die Versuchung hinunter, ihm Handschellen anzulegen. Aber er tat das Zweitschlimmste, ach was, das Zweitdreckigste: Er bugsierte Ludwig wie einen Gefangenen öffentlich durch die Ranch hindurch. Und es gab genug Zuschauer. Unter ihnen befand sich auch der unvermeidliche Toni: „Sieh da, der Wiggerl“, schickte er ihm als Gruß hinterher. Das machte diesen Spitznamen für Ludwig endgültig verhasst.

Angeklagt wurde er zum Glück nicht. Der Hinweis zur angeblichen Bedrohung ging zuvor anonym ein. Und Zeugen, die sich zu erkennen geben wollten, gab es keine. Ludwig wusste bis heute nicht, wer ihn angeschwärzt hatte. Aber es gab da einen Hauptverdächtigen: Der hieß Toni. Und wenn der das schon nicht selber erledigte, dann hatte er gewiss den Denunzianten beauftragt. Es war nicht Tonis Art, sich eigenhändig die Finger schmutzig zu machen.

Wo es jedoch gar keinen Zweifel gab: Ludwig musste weggehen. Besser: weit weggehen. Das tat er dann auch. Einfach mit dem Planwagen gen Westen zu ziehen war aber nicht drin. Ein Austauschprogramm für Jugendliche kam da moderner und attraktiver daher und es ebnete ihm den Weg. Und der führte Ludwig nach Kalifornien. Dort fasste er Fuß, ergriff einen Beruf und kam erst viele Jahre später wieder zurück, als das Austauschprogramm schon lange zu Ende war.

Und nun stand er erneut hier, auf der Ranch.

Heute fiel es Fremden auch ohne Sheriff Bentheneders Präsenz schwer, sich auf dem Gelände auch nur zehn Minuten unbemerkt zu bewegen. Die Anlage trug Züge einer Festung: Tore, Schlösser, Videoüberwachung der Weide und von Ein- und Ausgängen der Ställe. Es wirkte leicht übertrieben.

Eine der Ameisen der Ranch eilte vorbei und Ludwig hielt den Mann kurz an: „Warum hängen denn hier überall Kameras?“

Der Gefragte kratzte sich hinter dem Ohr, während er nachdachte. Dann antwortete er: „Hier in der Gegend braucht man das eigentlich nicht. Die Leute sind ehrlich, da vertraut einer dem anderen, gell?“

Das war ein Widerspruch und Ludwig hakte nach: „Aber es gibt trotzdem Kameras?“

„Die Versicherung wollte das so. All die teuren Pferde.“

Das ergab Sinn.

Dann lächelte der Ameisenarbeiter: „Der Toni, der ist schlau, der investiert lieber in Technik als in Versicherungsbeiträge.“ Und mit einem verschmitzten Lächeln wandte sich der Mann ab, um sich wieder seiner Ameisenarbeit zu widmen.

OK, die Ranch hatte also ein gutes Sicherheitsniveau und kaum Schlupflöcher. Doch Ludwig war davon überzeugt, dass er – im übertragenen Sinne – das Loch im Zaun schon noch fand, nur eben nicht heute. Bestimmt gab es noch mehr Material zu erkunden und er musste sich auf der Suche nach der Wahrheit nicht nur auf seine bloßen Beobachtungen von heute stützen.

Und es gab ein paar Leute, denen er auf den Zahn fühlen konnte. Damit wollte er gleich morgen beginnen.

Die Rache des Don Wiggerl

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