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Die Eltern

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Als fünftes Kind meiner Mutter wurde ich am 23. Dezember 1918 in Weimar geboren. Meine Mutter, Martha Kübler, war das zweite Mal verheiratet. Ihr erster Mann, Streipardt, ich kenne nicht einmal seinen Vornamen, ist schon 1914 in Frankreich gefallen. Mit ihm hatte

meine Mutter drei Kinder: Alfred, Rosa und Hermann. Er wurde nur Männe genannt. Während des

Krieges lernte meine Mutter den verwundeten Soldaten Alois Kübler kennen.

Sie heirateten und hatten zusammen weitere zwei Kinder, Alois und Paul - das bin ich, der Jüngste. Als mein Vater tödlich verunglückte, war meine Mutter 28 Jahre und hatte fünf Kinder.

Und das in der schweren Zeit nach dem ersten Weltkrieg.

Dieser Zustand beeinflusste den Ablauf unseres Lebens. Meine Mutter, verwitwete Streipardt, geb. Reinhardt, war etwa 1,55 Meter groß. Sie hatte dunkle Haare mit Naturlocken und bis

zu ihrem Tod kein graues Haar. 1894 wurde sie geboren. Ich kannte sie als eine lebenslustige Frau mit Humor, die immer optimistisch war. Zu ihren Nachbarn und Mitmenschen fand sie schnell Kontakt. Von Charakter war sie gutmütig, doch sie konnte auch recht eigensinnig sein.

Mein Vater stammte aus dem Oberelsass und war zwei Jahre jünger als meine Mutter. Er war

bei der Reichsbahn als Streckenarbeiter tätig.

Sein Humor war beliebt und er konnte bei Familienfesten für Stimmung sorgen.

Ich bin im Zentrum von Weimar in der Schlossgasse geboren. Meine Erinnerungen reichen bis in mein drittes Lebensjahr zurück. Damals wohnten wir in Notwohnungen am Schießhaus.

Das Schießhaus war Eigentum des Schützenvereins und dazu gehörte auch eine Gaststätte. Davor war ein großer Platz, teilweise mit kurzem Rasen bedeckt.

Dort wurden die Frühlings-, Sommer- und Herbstfeste gefeiert. Er war groß genug für alle möglichen Schaubuden, Karussells und andere Belustigungsanlagen. Das Pferdekarussell stand immer gegenüber unserer Wohnung. Es war mein liebstes Spielzeug, besonders weil ein Pferd das Karussell zum Drehen bringen musste. Manche Runde durfte ich umsonst fahren. Ich aß gern

Oblaten und Eis.

Von der Stadt aus kam man zum Schießhausplatz, wenn man die Jenaer Straße über die Ilmbrücke beim Schloss hoch lief, in der ersten Kurve die Straße verließ und zwischen Bäumen an der linken Seite und Gärten mit Häusern an der rechten Seite weiterging. Das war dann auch der Weg zum Schießhaus. Kam man auf den Platz, lag links ein kleiner Wald, der den Abhang

bis zur Ilm bedeckte. Rechts stand eine Reihe von eingeschossigen Baracken, das waren damals Notwohnungen.

Unsere Wohnung war vom Anfang des Platzes gesehen die letzte Baracke, gegenüber dem Schützenhaus. Wir hatten zwei Zimmer und einen kleinen Teil des Kellers. Das Wohnzimmer

war groß. Ich schätze, es hatte etwa 18 Quadratmeter. Das Schlafzimmer war genau so groß. Wir waren sieben Personen. Im Wohnzimmer stand ein Herd, dieser war Küche und Heizung

zugleich.

Den Weg zur Stadt konnte man abkürzen, indem man durch ein Waldstück abwärts Richtung Ilm lief. Dieser Weg endete am alten Elektrizitätswerk. Daneben war die Pferdeschlächterei

Anton. Für jeden Groschen, den ich geschenkt bekam, kaufte ich mir ein Stück frische Knackwurst.

Kinder gab es in dieser Barackensiedlung, die als Notwohnungen bezeichnet wurden, reichlich. Familie Mackedei hatte mehrere Kinder, mit denen wir gern spielten.

Mein Vater ging einmal in der Woche, wenn Zahltag war, auf den Markt und kaufte ein. Dazu nahm er den Tragkorb. Meine Mutter hatte mit uns Kindern zu tun. Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf den Tisch kletterte und in diesem Tragekorb nach Bonbons suchte. Jede Tüte untersuchte ich.

Mein Vater sagte, das seien Zwecken oder Täckse. Er reparierte unsere Schuhe selbst und brauchte die dazu. Von seinen Charaktereigenschaften habe ich einiges geerbt. Ich denke dabei an seine Energie, seine Gutmütigkeit und seinen Humor.

Zahltag

Meine Mutter hatte sich ein Kleid gewünscht. An einem Zahltag gab ihr mein Vater Geld für das Kleid. Weil dies meiner Mutter zu wenig war, warf sie es verärgert auf den Boden. Mein Vater sagte in einem ruhigem Ton: »Marta schämst Du dich nicht? Mein sauer verdientes Geld wirfst Du mir vor die Füße.« Dabei kniete er nieder und las alles auf.

Meine Mutter ging in das Schlafzimmer und heulte sich aus. Sie sagte, sie hätte sich so geschämt. Sie trotzte mehrere Tage und gab ihm keine Antwort. Da hat er an einem freien Nachmittag angefangen, den Kleiderschrank auszuräumen. Ein Fach nach dem anderen machte er leer und legte alles, was er herausnahm, auf die Betten. Meine Mutter sah wütend zu und sagte zunächst nichts, bis ihr das Tun doch zu viel war.

»Was suchst Du denn?« fauchte sie. Mein Vater hielt inne und sagte hoch erfreut: »Marta, ich habe es schon gefunden. Deine Sprache.«

Da war alles wieder in Ordnung und gemeinsam räumten sie den Schrank wieder ein.

Für uns Kinder hatte er auch ein gutes Herz. Obwohl sein Verdienst damals als Streckenarbeiter nicht so hoch war, brachte er für jeden von uns vom Einkauf eine Kleinigkeit mit.

Ich hatte die Angewohnheit, nachts zu weinen und um Brot zu betteln. Meine Mutter wollte es mir abgewöhnen und erbat sich Ruhe. Mein Vater holte mir ein Stückchen Brot und es war Ruhe. Seine Meinung war, ein Kinderhändchen sei doch schnell gefüllt.


Mein Leben begann 1918 in Weimar

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