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Das Jugendamt

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Unsere Verwandten hatten mit sich zu tun und nahmen uns nicht auf. Meine Mutter hatte fünf Geschwister, davon waren zwei noch jung und ledig. Im Sommer 1923 griff das Jugendamt ein und löste allmählich unsere Familie auf. Meine Schwester Rosa ging als erste weg. Sie kam zu einer alleinstehenden Frau nach Blankenheim bei Weimar. Männe und Alois wurden nach Berlstedt bei Weimar zu Pflegeeltern gegeben – Alois zum Schneider Sander und seiner Frau, ein älteres Ehepaar.

Männe kam zu Frau Röder. Frau Röder war die Tochter des Ehepaares Sander. Beide Brüder kamen einmal zu Besuch und brachten Stachel- und Johannisbeeren mit. Alfred und ich, wir kamen in das Feodora-Kinderheim in Weimar am Jacobsplatz. Mir hat es da gar nicht gefallen. Der Kakao schmeckte bitter. Die Tanten gaben sich ja große Mühe, aber ich wollte heim.

Bei einem Spaziergang in dem Goethepark kamen wir an der Ilmbrücke vorbei, die ich überqueren musste, wenn wir nach Oberweimar zu den Großeltern wollten. Ich hatte die Brücke gesehen und schon war ich fort. Weit kam ich nicht und an dieser Brücke führten unsere Spaziergänge nicht mehr vorbei. Nach wenigen Wochen wurden wir, Alfred und ich, in ein Kinderheim nach Stadtrode gebracht. Mir gefiel es dort besser. Der Kakao war schön süß. Die Schwestern waren nicht so stark eingespannt und hatten auch mehr Zeit für uns. Ich war das jüngste Kind und wurde von allen auch einmal gedrückt und auf den Arm genommen. Sehr gut hat mir eine Wanderung gefallen. Es ging an einem kleinen Bach entlang. Der Bach hatte ganz klares Wasser und rechts und links standen Bäume. Heute weiß ich, es waren Weiden. Die Schwestern lobten mich, weil ich den ganzen Weg gelaufen war. Ich sehe das Bild von dem Bach und dem Tal heute noch vor meinen Augen. An den Hof des Kinderheims grenzte ein großes Haus. Eine glatte Mauer ragte zum Himmel hoch und kleine vergitterte Fenster waren der einzige Schmuck. Aus einem dieser Fenster schaute oft ein rot angelaufenes Männergesicht durch das Gitter. Nur gut, dass es sehr hoch war, sonst hätten wir uns gefürchtet. Wenn es am schönsten ist, sollte man gehen - und so wurden wir, ich war ja nun fünf Jahre alt, in ein anderes Heim nach Ebeleben gebracht. Das war ein Gut - als Kinderheim eingerichtet - mit Landwirtschaftsbetrieb zur Eigenversorgung, einem großen Haus mit Stallungen und einer Scheune, die den Hof eingrenzten, sowie einem großen Park mit hohen Bäumen. Hier gab es eine grundlegend andere Ordnung. Außer dem Schulunterricht wurden die Heimkinder zu leichten Arbeiten eingeteilt. Je nach Jahreszeit zur Feldarbeit, im Herbst den Park von Laub zu säubern oder bei der Ernte helfen. Ganz genau erinnere ich mich noch an die Kartoffelernte. Es war meine erste Arbeit, das Kartoffellesen. Etwas ganz Neues, Kartoffeln nicht aus dem Keller, sondern aus der Erde herausholen, das machten die »Großen« und ich durfte auflesen. Bei der Arbeitseinteilung hat mich der Hausmeister zum »Mückenfangen« eingeteilt. Am Anfang hatte ich diesen Auftrag auch ernst genommen, denn am Fenster im Keller gab es viele.

Nach dem Oktober wurde auch geschlachtet. Der Fleischer nahm mich mit und zeigte mir das »Opfer«. Ich bekam von ihm den gekochten Schwanz! Das schönste Erlebnis war die Weihnachtsfeier. Wochen vor dem Fest wurde jedes Kind nach seinem Weihnachtswunsch gefragt.

Ich wünschte mir eine Mütze, Handschuhe und einen Schal. Am Heiligabend mussten wir unsere besten Sachen anziehen und uns in der Turnhalle versammeln. 18 Uhr wurden wir in das so genannte Herrenhaus geführt. In der Diele stand ein herrlich geschmückter Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen. Bis an die Decke reichte die Spitze! Wir sangen die bekannten Weihnachtslieder. Der Heimleiter wünschte uns ein schönes Fest und dann wurde der Speisesaal geöffnet. Wie staunten wir alle über die geschmückten Tische, die vielen Kerzen und die Geschenke!

An jedem Platz war eine Karte mit dem Namen, jeder hatte einen bunten Teller. Schön verpackt war das Geschenk, was gewünscht worden war. Es war mein erstes und auch letztes Weihnachtsfest in diesem Rahmen. Nach Neujahr gingen wir in den Ort, um nicht passende Kleidungsstücke umzutauschen. Auf diesem Weg wurde leider unser Schäferhund von einem PKW überfahren - er war gleich tot. Ich war am 23.12.1924 sechs Jahre alt geworden. Das war Anlass für das Jugendamt eine neue Etappe einzuleiten. Alfred und ich wurden am 25.01.1925 nach Stedten am Ettenberg

zu der Familie Karl Weber in Pflege gegeben. Nachdem meine Mutter ihre Operation überstanden hatte, wollte sie uns wieder zu sich nehmen. Das Jugendamt hatte ihr abgeraten und folgenden Vorschlag unterbreitet: Die Kinder seien jetzt gut untergebracht. Sie als Einzelperson sei in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten. Die Rente von ihrem verunglückten Mann wolle das Jugendamt nehmen und für die Kinder sorgen, so dass sie sich nur noch um sich selbst zu kümmern brauchte. Meine Mutter arbeitete dann wieder in verschiedenen Hotels in Weimar, Gotha und Waltershausen.

Unsere Reise nach Stedten ging per Bahn von Ebeleben nach Weimar. Von da mit der Kleinbahn, im Volksmund »die Laura«, nach Schwerstedt. Es hatte getaut und nach Stedten führte nur ein Feldweg. Durch knietiefen Schlamm stapften wir drei, die Tante vom Jugendamt, Alfred und ich, die vier Kilometer nach Stedten.

Mein Leben begann 1918 in Weimar

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