Читать книгу Mein Leben begann 1918 in Weimar - Paul Kübler - Страница 8
Alte Schule
ОглавлениеDas erste Schuljahr war auch für mich etwas Neues und Ungewohntes. Die Disziplin wurde noch durch den Rohrstock dirigiert. Aber der Lehrer befasste sich mit jedem Schüler und hatte viel Geduld. Ich lernte schnell. An einem Tag im ersten Schuljahr hatten wir Rechnen. Dieses Mal übten wir das Kopfrechnen. Wir hatten ja das Einmaleins bis zehn schon gelernt und in diesem Bereich bewegten sich auch die Aufgaben, die uns der Lehrer stellte. Wir waren nur sechs Schulanfänger und da kam jeder auch dran. Doch als der Lehrer mit seinen Aufgaben über die Zehn hinausging, wurde die Teilnahme weniger und der Teilnehmerkreis schrumpfte auf zwei Schüler zusammen. Das waren Hans und ich. Auf den letzten zwei Bankreihen saß die siebente und achte Klasse und Alfred, mein Bruder, saß mittendrin. Ich schaute mich einmal um, wir waren schon bei Aufgaben zwischen 60 und 70 angekommen. Alfred saß da und bekam den Mund nicht zu, so erstaunt war er über seinen kleinen Bruder. Wir schafften die Aufgaben bis 100 zu lösen. Dabei waren wir gleich stark. Als Belohnung bekamen wir beide jeder einen großen Apfel. Diese Leistung sprach sich im Dorf herum. Ich wurde von mehreren Eltern gefragt: Na, Paul, wer kann nun von euch beiden am besten rechnen? Im Sommer 1925, Alfred und ich, wir waren im Hof, als zwei Jungen durch die Hoftür kamen. Der Hund bellte laut und wir schauten erstaunt auf von unserer Beschäftigung. Das sind ja unsere beiden Brüder, Männe und Alois. Wir wussten, dass die beiden in einem Dorf waren. Aber das dieses Dorf nur einen Kilometer von Stedten entfernt war, dass wussten wir bis dahin nicht. Das war natürlich eine große Freude. Wir liefen sofort hin und das Umarmen war der Freude Ausdruck. Nun ging es an das Erzählen. »Wir hörten von Leuten, dass hier zwei Jungen, ein großer und ein kleiner, sind, welche die gleichen Namen haben wie wir - Streipardt und Kübler. Da mussten wir doch einmal nachsehen«, sagte Männe. Das war nach fast zwei Jahren unser erstes Wiedersehen. Doch, da wir wussten, wie nahe wir beieinander sind, war das nicht die letzte Zusammenkunft. Die Jahre vergingen ohne besondere Zwischenfälle. In der dritten Klasse hatte ich Schwierigkeiten eine bestimmte Rechenart zu begreifen. Ich habe meinen Pflegeonkel gefragt, doch ich blieb eben dumm. Im Unterricht war Wiederholung an der Tafel.
Ich meldete mich, obwohl ich keine Ahnung hatte, aber ich hatte Vertrauen, dass mir die Klasse helfen würde und so war es auch. Beim Singen hatte ich als erster die Melodie im Kopf und musste dann auch noch vorsingen. Bei größeren Veranstaltungen mit den Eltern wurde ich beauftragt, etwas vorzutragen. Das war ganz anders als im Hof und auf den Feldern. Da wurde ich als fauler Hund deklariert, obwohl ich immer nur gearbeitet habe. Doch Anerkennung gab es nicht.
Zu den Weihnachtsfesten haben wir unter der Leitung des Lehrers und einiger Eltern kleine Programme eingeübt. Das war immer aufregend. In einem Jahr wurde der gestiefelte Kater einstudiert. Zur Vorstellung kam es nicht, ein Schüler, der den Kater spielen sollte, war nicht zu finden. Ich hatte nicht mitgemacht, um mir Ärger zu Hause zu ersparen. Ich war ja schon unentbehrlich geworden. Im Sommer des anderen Jahres besuchte der Herr Lehrer meinen Pflegeonkel Karl Weber und bat darum, dass ich doch mitspielen dürfte. Er wunderte sich, dass ich mich weigerte. Natürlich wurde ich gerufen und erhielt den Auftrag mitzumachen. Ich musste natürlich die Hauptrolle, den gestiefelten Kater, spielen. Die Vorführung fand vor Weihnachten statt. Ich musste mein »Kostüm« selber machen. Mäuse habe ich mir im Schokoladengeschäft gekauft. Ich aß ja damals schon gern etwas Süßes. Die Vorstellung war ein großer Erfolg. Wir hatten nicht nur die Eltern, sondern das ganze Dorf eingeladen. Der Turnverein wurde aufmerksam auf mich und nahm mich mit in ein Theaterspiel. Ich war Sohn eines Ehepaares. Auch das lief gut. So hatte ich in der Schulzeit auch etwas Freizeit, die mir Spaß machte. Ein Höhepunkt in jedem Jahr war für uns Kinder das Kreissportfest der Schulen. Es fand immer am Bismarckturm auf dem Ettersberg statt. Jede Schule stellte eine Mannschaft, die an den Sportkämpfen teilnehmen musste. Im Laufe des Jahres wurden die Teilnehmer ermittelt. Das geschah in den Stunden des Sportunterrichts. Disziplinen waren: Ballweitwurf (Lederball so groß wie ein Tennisball), 60- und 100-Meter-Lauf, 60 Meter für die Mädchen, Weitsprung und Kugelstoßen. Für jede Disziplin gab es einen Wanderpokal und die Schulmannschaft mit dem besten Gesamtergebnis erhielt den Wanderpokal der Schulen. Die Kinder, die nicht an den Wettkämpfen teilnahmen, konnten Zuschauer sein oder andere Spiele machen. Erst am Nachmittag ging es wieder nach Hause. Das Rittergut stellte für diesen Tag zwei bis drei Pferdewagen mit Kutscher und Gespann zur Verfügung. Die Wagen waren mit Bänken versehen und mit Grün geschmückt. Zur Aufsicht fuhren einige Mütter mit. Natürlich sangen wir auf der Fahrt alle Lieder, die wir gelernt hatten. Für mich war das immer eine schöne Abwechslung und ich habe mich das ganze Jahr auf diesen Ausflug gefreut. Die Fahrt mit dem Pferdewagen dauerte hin und zurück je fast eine Stunde.