Читать книгу Emmentaler Alpträume - Paul Lascaux - Страница 13
Donnerstag, 16.5.2019
ОглавлениеMit überraschender Dringlichkeit hatte Markus Forrer den Detektiv in sein karges Büro der Police Bern am Nordring in der Lorraine bestellt.
»Haben wir einen Notfall?«, wollte Heinrich Müller wissen, als er sich in den Bürostuhl dem Kommissar gegenüber gesetzt hatte.
»Gewissermaßen«, sagte dieser und legte einen einfachen goldenen Ring auf das Pult.
»Ein Ehering«, erkannte der Detektiv, als er ihn in die Hand nahm. »Mit der Inschrift ›Kathrin & Rudolf für immer‹. Und? Wer sind die beiden Glücklichen?«
»Keine Ahnung«, sagte Forrer. »Ich weiß noch nicht einmal, wie alt der Ring ist.«
»Woher stammt der Schmuck?«
»Jetzt, da du fragst …«, neckte Markus. »Spannende Geschichte. Sie beginnt letzten Sonntag, am zwölften Mai. Ein Mann langweilt sich.«
»Gegen die Langeweile gibt es Hobbys?«, mutmaßte Müller.
»Genau. Und dieser Mann, dessen Name für einmal nichts zur Sache tut, hat eine exklusive Freizeitbeschäftigung. Er besitzt einen Metalldetektor. Und weil er sich verpflichtet hat, seine Funde zu melden, hat er sogar eine behördliche Genehmigung.«
»Nun gut«, sagte Heinrich. »Ein alter Ehering wird die Behörden nicht interessieren, schon gar nicht, wenn der Besitzer nicht bekannt ist. Geht es um die Fundstelle?«
Der Kommissar meinte: »Nicht so ungeduldig. Der in Konolfingen wohnhafte Mann mag die Hügellandschaft um seinen Wohnort herum, weil er sich auf diese Weise genügend Bewegung verschaffen kann. Ein Bauer hat einen abschüssigen Hang frisch gemäht und den Sondengeher angerufen, sodass er nun seinem Hobby nachgehen kann, was mit etwas Glück beiden zugutekommen würde, denn den Gewinn aus einem Fund würde er mit dem Grundbesitzer teilen. Das ist die Abmachung, von der man nur bei archäologisch wertvollen Artefakten abweichen muss. So steigt er ins Auto und fährt nach Linden. Er parkt den Wagen bei der Reformierten Kirche, geht zu Fuß nach Reckiwil und sucht von dort aus die Abhänge des Grossgrabens ab. Nach zwei Stunden und einer Sammlung alter Kronkorken und rostiger Nägel von Weidezäunen: Bingo! Ein Ring aus echtem Gold.«
Forrer machte eine Kunstpause.
»Dumm nur, dass aus dem Ring ein Knochen kullert. Als der Mann ein wenig Erdreich aushebt, wird daraus eine ganze Hand.«
»Und jetzt kommt die Police Bern ins Spiel?«
»Leider nein. Nach seiner Gewohnheit markiert der Mann den Fundort, informiert den Bauern, dem das Gelände gehört, fährt nach Hause und benachrichtigt am nächsten Morgen den Archäologischen Dienst.«
Der Detektiv brummte: »Klassische Fehleinschätzung.«
»Wie auch immer. Die schicken ein Team, das am Nachmittag das Gelände weiträumig absperrt und mit der akribischen Ausgrabung beginnt. Schnell legen die Leute ein ganzes, leicht verschobenes Skelett frei, finden aber rundherum nichts anderes. Und da sie sehr wohl bemerken, dass der Fund nicht besonders alt ist, bringen sie die Knochen in die Rechtsmedizin.«
»Wo wir wie üblich sofort vorbeigehen und uns Theorien von barocker Musik für Dunkelmessen anhören.«
Der Kommissar korrigierte: »Wo wir morgen vorbeigehen, weil das Skelett noch in Bearbeitung ist. Dr. Augsburger hat noch ein paar frischere Klienten, auf deren Untersuchung dringend gewartet wird.«
»Wieso war das Skelett verschoben?«, wunderte sich Müller.
»Zuerst hat man gedacht, dass das wegen der Schräglage des Hanges sei. Aber der Bauer hat erzählt, dass es vor zwanzig Jahren durch den Sturm Lothar einen kleinen Murgang gegeben habe. Denn der Körper lag ursprünglich wesentlich tiefer vergraben.«
Heinrich fragte: »Wie kommst du ins Spiel? Weisen die Knochen bereits Hinweise auf ein Verbrechen auf?«
»Nein. Der Archäologische Dienst besitzt allerdings auch einen Metalldetektor. Und der fand das hier.«
Er legte eine abgeplattete Patrone auf das Pult.
»Lag unter dem Brustbein.«
»Ein Steckschuss«, erkannte der Detektiv. »Und die Ballistik?«
»Weiß noch nichts von ihrem Glück.«
Müller fragte: »Irgendwelche voreiligen Schlüsse?«
»Nein«, antwortete Markus. »Professionelles Vorgehen ist gefragt.«
»Dann brauchst du ja mich nicht dafür«, frotzelte Heinrich.
»Doch. Ich bin zu jung.«
Der Detektiv wirkte überrumpelt. »Wie meinst du das?«
Der Kommissar wollte wissen: »Was verbindest du mit Linden?«
»Nicht viel. Das Wallfahrtskirchlein Würzbrunnen?«
Forrer schüttelte den Kopf. »Gehört zur Nachbargemeinde Röthenbach.«
»Chuderhüsi mit dem Aussichtsturm?«
»Nein. Ebenfalls Röthenbach. Du weißt, was ich meine.«
»Die Methernitha?«, fragte Müller.
»Genau.«
»Damit habe ich nichts zu tun. Und ich glaube auch nicht, dass sie in Linden so begeistert sind, wenn sie immer wieder daran erinnert werden.«
Forrer sagte: »Schon klar. Aber es geht hier um Mord. Und du hast die Siebzigerjahre erlebt.«
»Ist das so lange her?«, sinnierte Müller.
»Ja. Paul Baumann, der Gründer der religiösen Gemeinschaft Methernitha, wurde im Oktober 1976 von einem Geschworenengericht wegen qualifizierter Unzucht mit minderjährigen Mädchen zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.«
»Daran kann ich mich erinnern. Es warf hohe Wellen. Aber von Tötungsdelikten war in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Ein Geschworenengericht wird jedoch im Kanton Bern nur bei äußerst schwerwiegenden Verbrechen eingesetzt. Aber weshalb glaubst du, der Ring stamme aus den Siebzigerjahren?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich habe noch etwas gefunden: Erdgas.«
Müller kramte in seinen Erinnerungen. »Ging es damals nicht um Erdöl?«
»Wahrscheinlich schon. Man findet kaum Details im Netz. Einzig auf der Gemeindehomepage erfährt man unter ›Geschichte‹, dass ein ›Berner Erdöl-Konsortium‹ mit Beschluss vom 10. Dezember 1968 eine Schürfbewilligung für Erdöl erhalten habe. Im Gebiet Grossgraben wurde eine Probebohrung durchgeführt. Das Bohrloch soll damals einen Schweizer Rekord aufgestellt haben.«
»Aber Erdöl haben sie nicht gefunden?«
Forrer erklärte: »Nein. Hör zu: ›Nachdem am 16. Dezember 1972 das Anbohren einer Erdgaskammer mit lautem Knall die Bevölkerung um ein Uhr in der Früh aus dem Schlaf geschreckt hatte, schien die Zukunft unseres idyllischen Hochtals besiegelt, zumal in der Folge rund 12.000 Liter bestes Gasolin abgefackelt wurden.‹ Das war’s dann aber auch. Noch heute nennt die Bevölkerung den Flecken ›Ölbohrgelände‹.«
»Und? Lass dir nicht alle Würmer aus der Nase ziehen!«
»Am Rande dieses Geländes wurde das Skelett gefunden.«
»Du meinst …«
»Ja, ich denke, jemand hat die Gunst der Stunde genutzt und in der bereits ausgehobenen Grube, die bald darauf wieder zugeschüttet werden sollte, eine Person erschossen oder eine Leiche deponiert.«
»Die man nie mehr gefunden hätte, wenn es diesen Murgang nicht gegeben hätte«, sagte Müller. »Aber was machen wir jetzt damit?«
»Ich bin noch unschlüssig«, erklärte der Kommissar. »Ich würde gerne im Fall von Nicole Himmel weiterermitteln, aber da uns neue Erkenntnisse fehlen und sie sich an keine Details erinnert …«
»Beugen wir uns über ein altes Skelett«, schloss der Detektiv.
»Mal sehen, was die Rechtsmedizin dazu meint.«