Читать книгу Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode - Пауль Наторп - Страница 15

Vorwort

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Allgemeine Psychologie“ will dies Buch begründen und lehren, nicht Psychologie schlechtweg. Nicht in die psychologische Forschung will es unmittelbar einführen, sondern über deren logische Grundlagen Klarheit schaffen.

Es ist nicht eine Eigenheit dieser Wissenschaft, sondern allen Erfahrungswissenschaften gemein, dass sie anfangs auf nicht zulänglich geprüftem und gefestetem logischem Grund und Boden ihren Bau zu errichten unternehmen und erst hinterher, wenn Schwankungen eintreten, ja Einsturz droht, auf das Erfordernis fest und tief gelegter begrifflicher Fundamente sich besinnen. Zwar in der empirischen Forschung steckt allemal auch ein gut Teil Logik. Es muss ja in der Fortarbeit der Empirie das Bedürfnis genau und einhellig bestimmter und in Strenge festzuhaltender Begriffe sich auf Schritt und Tritt fühlbar machen. Daher kann eine Wissenschaft es in der Richtung der Spezifikation sogar zu einem hohen Grade von Klarheit und Feinheit auch des logischen Aufbaues gebracht haben und doch, je näher man den Fundamenten kommt, um so mehr die Strenge und Sicherheit leitender Begriffe vermissen lassen. Dass es nun mit der Psychologie in der Tat so bewandt ist, verrät sich deutlich darin, dass in letzter Zeit immer dringlicher, und nicht von den unbedeutendsten Forschern, das Bedürfnis einer Revision der Fundamente empfunden, und nicht selten schon gegen das Ganze dieser Wissenschaft, so wie sie bis dahin betrieben worden, eine tiefeinschneidende Kritik gerichtet wird.

Ich nannte es einmal die „Vorfragen“ der Psychologie. Jemand erhob dawider den Einwand: ob es nicht vielmehr Nachfragen seien? Eben das kennzeichnet das Bedenkliche der Lage: die Frage nach den Fundamenten soll zurückgeschoben werden, bis der Bau – wie soll man sagen: fertig ist? Fertig wird er doch nie! Also: bis er stockt, oder gar einstürzt? Wie dem auch sei: jedenfalls gibt es, hier wie in aller Wissenschaft, das was Aristoteles als das „an sich Frühere“ von dem „für uns Früheren“: dem Empirischen, unterscheidet1; und jedenfalls ist, hier wie überhaupt, Gegenstand der Philosophie das , das nicht bloß (vergleichsweise) Frühere, sondern (schlechthin) Erste in einem jeden Erkenntnisgebiet, die , der logische, obgleich nicht empirische „Anfang“ der Wissenschaft2; jener Anfang, der richtiger „Ursprung“ heißt. „Für uns“, das heißt für den Standpunkt der Erfahrung, von der ja alle „unsere“ Erkenntnis anfängt, obgleich nicht entspringt3, sind alle philosophischen Fragen „Nachfragen“: das ändert aber nichts daran, dass sie die „an sich“ voraufgehenden, dass sie die Fragen des echten „Anfangs“: des Prinzips, oder, was wiederum nichts anderes besagt, des „A priori“ sind. Unsere Psychologie aber will philosophische, sie will, wenn man diese Bezeichnung als die deutlichere vorzieht, Philosophie der Psychologie sein; also überhaupt nicht Psychologie, wofern man darunter empirische Forschung und nichts anderes versteht. Indessen, wie allgemein die Philosophie mit der empirischen Forschung das Problemgebiet gemein hat, nur in zentraler, nicht peripherischer Richtung es bearbeitet, so darf unsere „Allgemeine Psychologie“ eben diesen Namen sich wohl beilegen, weil sie im Problemfelde der Psychologie in der Tat arbeitet, nur selbst nicht, wenigstens nicht unmittelbar, an ihrem Aufbau mitschafft, sondern auf Prüfung – wenn es sein kann: Sicherung, wenn es sein muss: Umbau – der Fundamente wesentlich bedacht ist. Sie gerade sucht den Logos der Psyche; also hat sie wohl auch ein Recht, sich „Psychologie“ zu nennen, nur eben „allgemeine“; allgemein im Sinne des Fundamentalen. Den Weg zur Begründung einer Wissenschaft über die Untersuchung ihrer logischen Grundlagen aber nennt man, seit Kant, den kritischen, insofern er die Krisis vollzieht zwischen dem, was Wissenschaft ist, und was nicht. Also deckt sich die „Allgemeine Psychologie“ mit der Psychologie „nach kritischer Methode“.

Die Notwendigkeit aber einer solchen „kritischen“ Grundlegung zur Psychologie ist am dringlichsten bei der Frage, was überhaupt ihr Objekt sei, und was ihre Methode. Das eben ist der unwidersprechliche Beweis der bisherigen Fundamentlosigkeit der Psychologie, dass sie über keine Frage so wenig wie über diese sichere und einmütige Rechenschaft zu geben vermag. Als ich vor nun fast einem Menschenalter diese merkwürdige Beobachtung machte und dadurch veranlasst wurde, die Frage nach Objekt und Methode der Psychologie mir zu besonderer Untersuchung vorzunehmen4, konnten meine Skrupel befremdlich neu erscheinen und fanden nur wenig Beachtung. Aber seitdem ist dieselbe Frage wieder und wieder, und in zunehmend radikalem Sinne gerade von einigen der eifrigsten und anerkanntesten Empiriker der Psychologie erhoben worden. Dass eine bloße, äußerst knapp gefasste „Einleitung“ in die Psychologie, von einem Verfasser zumal, der empirische Forschungen auf diesem Gebiet nicht aufzuweisen hatte, nicht sonderlich beachtet wurde, ist nichts, worüber man sich zu verwundern hätte; zu verwundern ist eher, dass das kleine Buch vom Jahre 18885, nachdem es schon lange vergriffen ist, noch immer begehrt wird und der Wunsch seiner Erneuerung wieder und wieder an mich herantrat. Aber es widerstrebte mir, es in der früheren Gestalt, allenfalls überarbeitet, nochmals herauszugeben. Dem Programm musste endlich die Ausführung folgen; die aber bedurfte einer langen Vorbereitung. Denn so, wie sich die Aufgabe der Psychologie mir ergeben hatte, mussten voraus die Grundlagen der Logik, Ethik, Ästhetik und Religionsphilosophie6 genügend gesichert sein, ehe die neue Fundamentierung der Psychologie gewagt werden durfte. Der dadurch bewirkte lange Aufschub ist aber meiner Arbeit in mancher Hinsicht zustatten gekommen. Das inzwischen sehr gesteigerte Interesse an philosophischer Fragestellung überhaupt und so auch an der Klärung der Fragestellung der Psychologie im ganzen Zusammenhange der philosophischen Systemfragen lässt eine ganz andere Teilnahme für diese Neubearbeitung hoffen, als der ihrerzeit die Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode begegnet ist. Doch war nach so langer Zeit natürlich auch der Teil der Grundlegung, der der alten „Einleitung“ entspricht: die Untersuchung eben über Objekt und Methode der Psychologie, gänzlich neu anzulegen und auszuführen. Denn wenn auch von den früheren Aufstellungen das Wesentliche stehen geblieben ist, so haben doch in der weiteren Durcharbeitung der Grundfragen auch diese letzten Entscheidungen sich mir noch wesentlich geklärt, gefestigt und vertieft. Zugleich bietet die gerade in der Richtung der prinzipiellen Begründung weit fortgeschrittene Arbeit der führenden Psychologen reichen Anlass zu Auseinandersetzungen, die deshalb fruchtbarer werden können, als kritische Auseinandersetzungen unter Philosophen es sonst zu sein pflegen, weil auf der einen Seite man hier eigentlich erst in den Anfängen steht, daher die Gefahr einer dogmatischen Verhärtung minder groß ist, auf der andern aber eine Übereinstimmung wenigstens über die allgemeine Richtung, in der die Sicherung des Fundaments allein gelingen kann, schon erreicht ist. Denn nicht bloß in der Problemstellung überhaupt: in der Forderung der reinen Herausarbeitung der Subjektivität als solcher, sondern auch in einer Reihe charakteristischer Thesen im Besondern, stimmen Forscher wie Lipps und Husserl, Münsterberg und Bergson mit meinen Aufstellungen von 1888 wesentlich überein und scheiden sich scharf von der ganzen herrschenden, objektivistisch gerichteten Psychologie. Es dürften daher die kritischen Auseinandersetzungen, denen vornehmlich, aber nicht allein, die beiden letzten Kapitel des vorliegenden ersten Buches gewidmet sind, auf besondere Beachtung seitens der Mitforschenden wohl rechnen.

Wegen der überragenden Wichtigkeit dieser allgemeinsten der allgemeinen Fragen der Psychologie aber schien es angemessen, die auf diese bezügliche, ganz in sich geschlossene und eigengeartete Untersuchung in diesem Bande gesondert zu liefern. Dieser tritt also ganz an die Stelle meiner Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode und mag als deren Neubearbeitung immerhin angesehen werden, obgleich er nur zum kleineren Teil die früheren Gedankengänge wiederholt und auch insoweit fast nur ausnahmsweise die alten Formulierungen unverändert übernehmen konnte. Es ist diesem Bande auch ein eigenes, mit besonderer Sorgfalt ausgearbeitetes Register beigefügt; es soll dadurch dem ernstlich prüfenden Leser die Mühe erleichtert werden, zu jedem besonderen Fragepunkte die nach der Natur so fundamentaler Untersuchungen meist nicht nur an einem Ort zu findenden Stellen zusammenzubringen.

So ist es nun freilich wiederum nur die Grundlegung zur Grundlegung der Psychologie, was in diesem ersten Bande dem Leser vorliegt. Aber ihre fernere Durchführung ist jetzt soweit vorbereitet, dass ich sie, wenigstens ihrem erstwichtigen Teile nach, für das nächste Jahr in bestimmte Aussicht stellen darf. Nach meiner Disposition (Kap. X) hat sich die Grundlegung der Psychologie gleichsam in zwei Dimensionen zu erstrecken: sie hat einerseits, als „Allgemeine Phänomenologie“ des Bewusstseins, dessen Bestand überhaupt, seiner Art nach, in systematischem Aufbau zu entwickeln, andererseits für die Stufenfolge der Erlebniseinheiten das logische Grundgerüst zu liefern. Die erstere Untersuchung betrifft den logischen Aufbau der Psychologie nach der ontischen, die letztere nach der genetischen Seite. Die erstere ist noch fundamentaler als die letztere und muss in geschlossener Ganzheit gegeben werden können; was in gleichem Grade von der letzteren nicht gefordert werden kann. Der zweite Band soll die Phänomenologie in Vollständigkeit erbringen; ob auch schon die Systematik der Erlebniseinheiten, vermag ich in diesem Augenblick noch nicht zu übersehen.

Marburg, im Oktober 1912.

Der Verfasser.

1 Nach Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1139b – Anm. d. Hrsg.

2 Nach Aristoteles, Metaphysik, 1019a – Anm. d. Hrsg.

3 Nach Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 1. – Anm. d. Hrsg.

4 1887 erschien von Natorp der Aufsatz „Ueber objective und subjective Begründung der Erkenntniss“ und 1888 die Schrift Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode. – Anm. d. Hrsg.

5 Gemeint ist die Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode. – Anm. d. Hrsg.

6 Einen Überblick über diese Disziplinen gibt Natorps Programmschrift Philosophie. Ihr Problem und ihre Probleme. – Anm. d. Hrsg.

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