Читать книгу Stille Bylle - Paula Grimm - Страница 10
4 Kapitel
ОглавлениеDie Wohnungstür wurde sofort geöffnet und Gesken stand einer großen, alten Frau mit vollem, weißem Haar gegenüber, das sie zu einem Bauernzopf geflochten trug.
„Moin, Gesken Paulsen, Kriminalpolizei.“
„Moin, Bente Piepenbrink“, erwiderte die Frau mit ihrer angenehmen, tiefen Stimme.
Und einen langen Augenblick sahen sich die beiden Frauen in die blauen Augen. Der Blick der alten Frau war scharf und prüfend. Doch Gesken hielt ihm ruhig stand. Schließlich nickte Frau Piepenbrink Gesken zu. Sie spürten, dass die jeweils andere Frau keineswegs blauäugig durch das Leben ging, und dass sie gut miteinander auskommen würden, was immer auch in der nächsten Zeit geschehen sollte.
Frau Piepenbrink zeigte schließlich auf die Tür zu ihrer Privatküche. „Einen Friesengeist?“
„Wenn die Arbeit getan ist, gern!“ Und beide lächelten sich an.
Damit Bente Piepenbrink gar nicht erst damit anfing, sich Sorgen um ihre Zeugenaussage zu machen, sagte Gesken: „Der Kollege Winkler nimmt Ihre Zeugenaussage auf. Sie und Ihre Gäste werden am Vormittag abgeholt und ins Präsidium gefahren. Es wäre gut, wenn Sie uns danach ein Büro oder Zimmer für Besprechungen zur Verfügung stellen könnten. Das Zimmer, in dem Sibylle Leuchteblau gewohnt hat, wird versiegelt. Ansonsten können Sie und Ihre Gäste sich überall frei bewegen.“
„Sie können mein Büro haben dafür.“
„Und ich brauche ein Zimmer, viel Kaffee, ordentlich was zu beißen und was für die Bläss.“ Diesmal nickte Frau Piepenbrink nur.
Die beiden Frauen und Bläss gingen zur Rezeption. Frau Piepenbrink legte Gesken eine Anmeldung auf den Tresen und gab ihr einen Schlüssel. „Die 212 ist noch frei. Das ist direkt über dem Zimmer, in dem die Bylle, ähm, die Frau Leuchteblau gewohnt hat. Die Frau Leuchteblau und die Frau Fuchs kamen seit vielen Jahren zweimal im Jahr zu uns. Und die Bylle kam manchmal am Wochenende aus Hamburg und hat bei uns im Speisesaal und im Gemeindehaus Konzerte gegeben. Aber zu diesem Treffen wollte sie eigentlich nicht kommen. Sie wollte nächsten Dienstag ins Krankenhaus gehen, um sich die Polypen herausnehmen zu lassen. ,Es tut mir leid, Bente, dass ich Deine gute Küche nicht richtig genießen kann, weil ich nicht riechen kann!‘, hat sie gesagt, als sie gestern Nachmittag da stand, wo Sie jetzt stehen.“
„Wer wusste darüber Bescheid, dass sie dieses Problem hatte?“
„Alle wussten das. Diese Albertine Kohlmeier, die das Treffen organisiert hat, hat das überall ’rumposaunt, warum die Frau Leuchteblau nicht kommen wollte, wie unmöglich sie das findet, und wie sie sie überzeugt hat, doch zu kommen.“
Gesken unterschrieb das Anmeldeformular und steckte den Zimmerschlüssel in ihre Hosentasche. Bente Piepenbrink beugte sich vor und machte eine Handbewegung in Geskens Richtung. Die Polizeibeamtin, die schon hatte gehen wollen, hielt inne.
„Ich hätte besser aufpassen sollen, als die Kohlmeiers, das Ehepaar von Hohlberg, die kleine Flora May mit Mann und die Bylle im kleinen Salon Amaretto getrunken haben. Das Fest sollte erst heute Abend stattfinden. Im Moment führe ich das Hotel ja allein. Mein Mann ist im Mai plötzlich verstorben. Und mein Sohn und meine Schwiegertochter wollen erst Anfang nächsten Jahres übernehmen.“
„Wann machen Sie ganz zu?“
„Am ersten September.“
„Wer hat den Amaretto bestellt und bezahlt?“
„Bestellt hat Albertine Kohlmeier und die Getränke stehen auf der Rechnung von der Bylle.“
„So was habe ich mir gedacht. So sind die Rollen klar verteilt in einer Schicksalsgemeinschaft“, dachte Gesken. „Herzlichen Dank dafür, dass Sie den Verschluss der Flasche und das kleine Fläschchen meinem Kollegen gegeben haben.“
„Ich hab’ die Sachen nicht angefasst.“
„Das war richtig so“, erwiderte Gesken. Damit war alles gesagt. Aber es war noch nicht alles getan. Gesken schenkte Frau Piepenbrink einen langen, tröstenden Blick, um Schuldgefühlen und Selbstzweifeln, die der Frau gekommen waren oder die noch in einem seelischen Hinterhalt lauerten, etwas entgegenzusetzen, und um ihrem Beileid bezogen auf Frau Piepenbrinks persönlichen Verlust Ausdruck zu geben. Dann wandte sie sich mit einem kurzen Gruß ab und ging mit Bläss, die nicht von ihrer Seite wich, aus dem Hotel, um ein paar Sachen aus ihrem Auto zu holen.