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Das neoklassizistische Haus, am Kai zwischen dem Nationaltheater und dem Gebäude des Künstlervereins Mánes gelegen, gehörte zu den stolzen Patrizierbauten aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Der mit Edelholz verkleidete Fahrstuhl war nur ein wenig kleiner als Jans Zimmer in der Karlíner Wohnung. In der dritten Etage öffnete ihm eine ältere Hausdame in Schürze, als käme sie aus einem Singspiel der tschechischen Wiedergeburtsepoche. Sie ging leicht in die Knie und trippelte vor ihm in den Salon, wo sie ihn mit einem weiteren Knicks der anwesenden Gesellschaft übergab und verschwand.

Das geräumige Zimmer wurde von einer Schiebetür geteilt, die durch das kunstvoll gestaltete Muster des Musselinglases undurchsichtig war. Das vierteilige Fenster des Eingangsbereichs erinnerte an eine längliche Postkarte vom Petřín, Strahov und Hradschin. Vom runden Tisch erhoben sich drei Männer, die er gut kannte, entweder persönlich oder aus den Zeitungen und Filmwochenschauen, und grüßten ihn mit einer leichten Verbeugung. Der schlanke und hochgewachsene Fischer sah mit seinen sechzig Jahren immer noch sportlich aus, nur die grau werdenden Haare hatten ihn verändert. Kamila hat übertrieben, dachte er sich eifersüchtig.

»Ich freue mich, dass ich Sie endlich wiedersehe!«

»Es freut mich auch, Herr Fischer ...«

»Wir können uns doch auch ohne Fusion mit Genosse anreden, nicht wahr? Und einander duzen!«

»Das stimmt ...«

Fischer stellte ihm einen Siebzigjährigen mit Brille und danach noch einen robusten Mann in den Fünfzigern vor.

»Genosse Pýcha ist der Begründer der Sozialdemokratie ...«

»Ich weiß. Freut mich sehr ...«

»Und Genosse Laštovička ist wie ich stellvertretender Vorsitzender.«

»Aber erst der zweite ...!«, verbesserte ihn der Jüngste in der Runde.

Während Jan ihnen die Hände schüttelte, öffnete Fischer die Durchgangstür einen Spalt weit und rief in die benachbarte Raumhälfte.

»Liebling, Genosse Soukup ist hier!«

Kamila kam in Alltagskleidung heraus, aber dennoch elegant, und gab Jan herzlich die Hand.

»Jan! Ich bin unheimlich froh, dass ich dich hier bei uns zu Hause sehe!«

»Ich auch ...«

Sie meisterte die Sache perfekt. Nur mit Mühe konnte er glauben, dass das dieselbe Frau war, die er so oft leidenschaftlich in seinen Armen gehalten hatte. Fischer umarmte beide spontan.

»Kamila hat mir erzählt, wie großartig du dich im Reich um sie gekümmert hast. Entschuldige bitte, dass ich dir erst heute dafür danke. Ich werde bis an mein Lebensende in deiner Schuld stehen.«

Jan brachte einen Satz heraus, der ihm angemessen erschien.

»Es war mir eine Ehre, Ophelia und Julia gleichzeitig dienen zu können.«

Sie gab den Männern einen Wink, wieder Platz zu nehmen, und forderte Jan in gleicher Weise auf, sich mit einem der bereitgestellten Getränke zu bedienen. Danach verabschiedete sie sich.

»Felix, unserer Stáňa habe ich lieber frei gegeben. Und mich entschuldigen Sie jetzt bitte, ich muss meinen Text lernen.«

Jan fühlte, dass er noch etwas sagen sollte, um natürlich zu wirken.

»Wen sollst du spielen?«

»Lady Macbeth. Ich überlebe keine meiner Rollen! Kommst du diesmal endlich zu meiner Premiere?«

»Sehr gerne.«

Sie ging weg, zog aber die Durchgangstür nicht ganz zu. Die Angst in ihm, er könnte seine Rolle nicht erfolgreich spielen, löste sich wieder. Die Männer setzten sich hin.

»Nehmen Sie auch einen Whisky?«, fragte Fischer.

»Verzeihung, aber ich trinke nicht ...«

»Ganz nach Ihrem Belieben.«

Fischer schenkte ihm Fruchtsaft ein. Schweigend und angespannt stießen sie an.

»Genosse Soukup«, sprach der Gastgeber, und auch Pýcha und Laštovička hingen an seinen Lippen, als würden sie einen vorgefassten Text kontrollieren, »wir beide haben vor dem Krieg, als du Sprecher der Jungkommunisten warst, mehr als eine Auseinandersetzung ausgetragen, aber schon damals hattest du einen Sinn furs Fair Play. Manches hört nicht auf, uns zu trennen, aber eines verbindet uns immer noch: der Glaube an den Sozialismus als Zukunft für die Welt. Empfindest du es auch so?«

Er nickte.

»Nun, ich möchte auch dank deiner Fürsorge um Kamila ganz offen sein. Wir drei hier haben ein großes Problem. Wir befürchten, dass der geplante Zusammenschluss eurer Partei mit der unsrigen eine Falle sein könnte.«

»Eine Falle ...?«

»Bei euch haben jetzt Leute die Oberhand, die mit Gottwald aus Moskau gekommen sind. Und wie es mit der Sozialdemokratie in der UdSSR ausgegangen ist, ist ja hinlänglich bekannt. Um nicht weiter auszuholen: Sie ist einfach von der Bildfläche verschwunden! Auch du warst bei unseren damaligen Disputen der Meinung, dass eine verstärkte Kritik aus den eigenen Reihen an die Stelle der bourgeoisen Opposition treten müsste, damit sich keine Usurpatoren der Revolution bemächtigen können.«

Er konnte dies bestätigen.

»Du bist zum Dichter und Journalisten deiner Partei geworden, du hast einen guten Draht zu ihrer Führung. Können wir denn den Zusagen immer noch vertrauen, dass wir bei uns in der Tschechoslowakei tatsächlich einen eigenen Weg gehen werden, der unseren demokratischen Traditionen entspricht?«

Jan war offenkundig verwundert.

»Nun, natürlich ... Unser Zentralkomitee ist doch ...«

»... ein genauso formales Plenum wie das unsrige. Entschuldige, aber zurzeit entscheidet doch bei euch das Politbüro über alles und alle! Kann ich dein ...«

Er schaute seine Gefolgsleute fragend an. Beide nickten. Er wandte sich wieder zu Jan.

»Kann ich dein Wort haben, dass du unser Gespräch direkt und ausschließlich den obersten Genossen, denen du selbst vertraust, dolmetschen wirst? Es soll der gemeinsamen Sache dienen.«

»Ja ...«

»Wir drei vertreten den starken Parteiflügel, der im Falle schwacher Garantien eine Vereinigung nicht zulassen wird. Wir wollen die Sicherheit haben, dass wir uns auch danach noch genügend Unabhängigkeit bewahren können, damit wir, falls es nötig sein wird, eure genossenschaftliche Opposition bilden können. Dass der Begriff ›Demokratie‹ nicht mit dem Namen unserer Partei verschwindet, sondern auch mit in eure Partei übergeht, wie ihr es uns im Februar diesen Jahres verbindlich zugesichert habt, als ihr die Rechten nicht ohne uns schachmatt setzen konntet. Könntest du, und vor allem willst du derjenige sein, der uns hilft, das herauszufinden und ... zu garantieren?«

Erst jetzt bemerkte er, dass Kamila die Schiebetür so offen gelassen hatte, dass genau nur sie beide sich sehen konnten. Sie schaute ihn unverwandt aus ihrem Schaukelstuhl an, ihr Textbuch hatte sie auf dem Schoß und die Arme genau so hinter ihrem Kopf verschränkt, wie wenn sie sich mit ihm liebte. Er riss seinen Blick von ihr.

»Natürlich ... Ich werde alles tun, was ich kann ...«

Die Schlinge

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