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Dieser Anblick blieb auf seiner Netzhaut haften. Er vergaß den Fahrstuhl und ging zu Fuß nach unten, um seine Erregung abzubauen. Als er aus dem Haus trat, näherte sich die Siebzehn zum Nationaltheater, er hätte sie mühelos erreichen können. Er widerstand dem und entschied sich, zu Fuß in die Redaktion zu gehen, um sich unterwegs darüber klarzuwerden, was er ihnen versprochen hatte und was er tatsächlich machen konnte. Sich mit Hudeček beraten? Er war sein Chefredakteur, aber jeder wusste, dass der Posten eine Belohnung für den mährischen Kreisagitator der Vorkriegszeit war, welcher mit Klement Gottwald verschwägert war. Teringl! fiel ihm ein, ja, er würde sich mit Teringl beraten, das Ganze war immerhin sein Ressort ...

Im gleichen Augenblick überholte ihn ein schwarzer Tatra und bremste am Gehsteig dicht vor ihm scharf ab. Der Beifahrer schlug die Tür so heftig auf, dass Jan beinahe gegen sie geprallt wäre und rief laut.

»Honzik!!«

Er wurde unsicher, schaute sich Jan forschend aus der Nähe an, rief aber sogleich weiter.

»Du bist doch Honzik Soukup aus der Roten Einheit oder nicht?«

Da hatte er sich schon aus dem Auto gequetscht und schüttelte Jan kräftig die Hand.

»Ja und ich bin doch Kája! Ehre der Arbeit! Wohnst du immer noch bei deiner Mutter in Karlín?«

Jan wusste immer noch nicht, mit wem er sprach. Aber der Mann kannte ihn ganz sicher, und er selbst hatte stets achtgegeben, dass keiner der vielen Leute, die ihn ansprachen, jemals denken könnte, er sei hochmütig geworden.

»Ja ...«

»Also auf, steig ein!«

»Aber ich gehe noch ...«

»Wohin du auch willst, wir setzen dich dort ab! Du wirst mich doch nicht hängen lassen, ich will dich den Genossen hier zeigen!«

Er öffnete auch noch die Hintertür und drückte ihn hinein, so dass der dritte Mann, der dort saß, weiterrücken musste. Jan hatte schon mehr als einen Überfall von dieser Art überlebt, wo unbekannte Genossen ihn eine Weile lang für sich in Beschlag genommen hatten, um mit ihm woanders prahlen zu können. Das Auto fuhr los und überquerte jene Kreuzung hinter dem Café Slavia in Richtung Rudolphinum. Der Mann, der Jan überredet hatte, bekam seinen Mund nicht zu, während seine beiden Mitfahrer nicht nur schwiegen, sondern überhaupt nicht zuzuhören schienen. Jan kannte sich darin umso weniger aus, je mehr er feststellen musste, dass die Informationen des unbekannten Genossen aus der Jugendzeit zutrafen.

»Honzik war bei allen Reibereien mit den Faschos und der Polente unser roter Kommissar in Karlín, und obendrein konnte er jeden Reaktionär wegfegen mitsamt dem alten Fischer, der die Massen nur so mit Sozigeschwafel verblödete. Das Einzige, womit ihm Fischer je die Butter vom Brot nehmen konnte, war, dass er ihm den Fang wegschnappte, und der, Genossen, war kein geringerer als die schöne und berühmte Schauspielerin Kamila Nostitzová. Eine Bombe hätte Honzik im Reich gegen Kriegsende beinahe umgebracht, aber irgendwie hat sie ihm sein Hirn auch noch so zurechtgerückt, dass er heute nicht nur ein bekannter Poet ist, sondern auch Redakteur im ›Rudé právo‹ und sogar Mitglied im Zentralkomitee unserer Partei, falls ihr es nicht wisst, womit wir ihn also dienstlich fahren, nicht wahr Honzik? Oder soll ich dich jetzt eher mit Genosse anreden?«

Jan wurde es mittlerweile unangenehm und zudem merkte er, dass sie unerwartet vor dem Rudolphinum zur Brücke nach Klárov abgebogen waren.

»Das sicher nicht ... aber ich gehe noch in die Redaktion, ich steige hier in die Straßenbahn um ...«

»Ach wo, das kommt gar nicht in Frage!«

»Wieso denn ...?«

»Weil mir gerade eingefallen ist, dass ich dich dringend jemandem vorstellen muss, der mir nie und nimmer vergeben würde, wenn ich dich einfach so davonziehen lasse!«

»Aber ich möchte wirklich ...«

»Immer mit der Ruhe! Du wirst angenehm überrascht sein, stimmt’s, Genossen?«

Sein Nachbar wie auch der Fahrer nickten zustimmend. Der weiterhin unbekannte Kája quasselte und quasselte. Jan begann hastig zu überlegen. Eine Entführung? Die Reaktionäre drohten schon mehrere Wochen lang mit Gewalttaten, aber warum sollte er das erste Ziel sein? Das Gefängnis in Ruzyně!, schoss es ihm blitzartig durch den Kopf, er ist verhaftet worden! Aber sofort verwarf er diese absurde Idee wieder. Langsam beruhigte es ihn, dass ihm der Redselige weitere Komplimente machte. Sie hatten ihn offenbar aufgegriffen, um ihn den Genossen auf irgendeiner Sitzung vorzustellen und es dann ordentlich zu begießen. Aber wie hatten sie ihn gefunden ...?

Hinter dem runden Platz in Dejvice bogen sie an dem modernen Gymnasium nach rechts ab und fuhren ins Areal der ehemaligen Erzbischofskollegs. Der Fahrer hupte. Jan erinnerte sich, dass die Deutschen ’39 die Studenten von hier vertrieben hatten, aber er ahnte nicht, wer hier jetzt residierte. Die Milizionäre, die ihnen sofort das Tor öffneten und sie gleich danach durchwinkten, deuteten dies aber an. Das Auto blieb im nächsten Hof stehen.

»Endstation!«, verkündete fröhlich der laute Mann, »Honzik, aussteigen!«

Sein Nachbar war schon draußen. Jan quetschte sich also auch heraus und schaute sich um.

»Wo sind wir ...?«

»Das wirst du gleich erfahren«, versprach ihm sein angeblich alter Kamerad, »also bis dahin Ehre der Arbeit!«

Der Wagen wendete mit einem Schleudern und verschwand in der Gegenrichtung.

Jan sah den Mann, der übriggeblieben war, verwirrt an. Dieser war schon dabei, den nächstgelegenen Hauseingang zu öffnen. Sie stiegen das breite Treppenhaus des Gebäudes hinauf, welches menschenleer zu sein schien. Jan war sich schon sicher, dass sich alle hiesigen Genossen im Saal befänden, wo ihn alsbald ein Applaus empfangen würde. Er fürchtete sich nicht. Er hatte eine Reihe von Versen auswendig parat, genauso wie die, die er am Morgen im Rundfunk vorgetragen hatte.

Die Tür unmittelbar gegenüber dem Treppenhaus im zweiten Stock bestätigte ihn darin. Dicht vor ihr strich er sich gewohnheitsmäßig durch die Haare und atmete tief durch. Er wird nicht den dummen Honzik spielen! Sie würden nicht ihn, sondern er würde sie drankriegen, sobald er dort als Mensch eintreten würde, den man nicht aus der Fassung bringen konnte! Der Begleiter klopfte an, öffnete jene Türe, gab Jan den Vortritt und machte hinter ihm gleich wieder zu. Er selbst blieb draußen. Und Jan kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Der große, vornehm tapezierte Raum war spartanisch eingerichtet mit einfachsten staatseigenen Möbelstücken. Es stand hier nur ein gewöhnlicher Schreibtisch, drei miteinander verbundene Konferenztische, ein Kanzleischrank und ein altertümlicher Safe. Hinter dem Schreibtisch unter den Porträts von Stalin und Gottwald saß ein hagerer Mann in Zivil, mittleren Alters, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. Auch ohne Uniform wirkte er wie ein hoher Offizier. Er war in eine dünne Broschüre vertieft und hob seinen Kopf nicht, als er mit sichtlicher Freude zu rezitieren begann.

Er las Jans feurige Wahlkampfverse, die zusammen mit ähnlichen Werken weiterer junger Dichter vom Kulturkader herausgegeben worden waren. Dann legte er die Broschüre zur Seite, schnellte auf wie eine Feder, ging um den Tisch herum und drückte mit beiden Händen Jans Rechte.

»Genosse Soukup! Du bist der Erste unter den jungen tschechischen Poeten, der beschlossen hat, aus seinen Versen eine Waffe im Kampf für den Kommunismus zu schmieden. Und ich danke dir von mir aus und auch im Namen der ganzen Partei. Bitte, setz dich.«

Er zeigte auf die schlichten Stühle am Konferenztisch. Über diesem hing eine Weltkarte an der Wand, wo die kommunistischen Länder einschließlich der Tschechoslowakei rot markiert waren. Jan setzte sich. Er war aufgeregt. Das ganze Vorspiel bekam allmählich einen tieferen Sinn, als den, den er sich zuvor vorzustellen imstande gewesen war. Der Mann ging zum Schrank.

»Wodka?«

»Danke ... ich trinke nicht.«

»Zigarette?«

»Ich rauche auch nicht ...«

Der Mann nickte ihm beinahe lobend zu, kehrte zurück, setzte sich aber nicht an die Stirnseite des Tisches, sondern Jan direkt gegenüber, und schaute ihm so ganz tief in die Augen.

»Wer so viel erlebt hat, wer so viel schreibt und wer sich so viel engagiert wie du, Genosse Soukup, dem muss ich nicht erklären, dass unsere Partei gerade jetzt Organe braucht, die die zarten Setzlinge des Kommunismus schützen. Eines davon leite ich, und deshalb habe ich eine so ungewohnte Methode für deine Einladung gewählt. Die Partei schätzt dich so sehr, dass sie dir ihr außerordentliches Vertrauen kundtun möchte: dir eine Möglichkeit zu geben, für sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu kämpfen, und das an einer Front, die man nicht sehen kann, obwohl gerade dort entschieden wird, ob unsere junge Revolution siegen oder versiegen wird. Verstehst du nun?«

Jan wurde bewusst, dass er gleichermaßen nickte und den Kopf schüttelte. Der Mann lächelte verständnisvoll, erhob sich und zog aus seinem Schreibtisch ein Formular heraus, das er vor ihn legte. Jan las, und der Mann erklärte ihm gleichzeitig:

»Das ist die Verpflichtung und der Schwur für einen geheimen Mitarbeiter der Staatssicherheit, die wir momentan aufbauen wollen. Wir bieten sie lediglich eingefleischten, sattelfesten Genossen an. Es entsteht eine Elite der Partei, die, lass mich das in deiner Art sagen, die hehre Aufgabe hat, ihre Reinheit zu wahren und die Klassengerechtigkeit durchzusetzen, nachdem die bourgeoise zugrunde gegangen ist. Wir haben schon einen konkreten Auftrag für dich. Falls du allerdings ...«

Mit seinen Augen wies er auf das Papier. Jan versuchte es erneut zu lesen, aber vor lauter Aufregung nahm er den kurzen Text kaum wahr. Er kannte einige Burschen aus Karlín, die sogar ein paar Jahre jünger waren und die sich unlängst von einem Tag auf den anderen von ausgelassenen Gassenjungen in selbstbewusste Männer gewandelt hatten. Vorher hatten sie zu ihm beinahe mit Ehrfurcht aufgeschaut, und plötzlich war es so, als hätten sie jeglichen Respekt vor ihm verloren. Er ahnte, dass ihre Arbeit für die Partei sie derart verändert hatte, aber er wusste nicht, was für eine es war. Jetzt hörte er die Erklärung. Er verstand, dass er in diesem Augenblick unter die Auserwählten kam, und war davon so überrumpelt, dass er nicht normal denken konnte. Er kaschierte dies mit einer Frage.

»Soll ich das unterschreiben?«

»Nur, wenn du mit jedem einzelnen Wort einverstanden bist!«

»Aber selbstverständlich! Ich fühle mich dadurch ... ja, geehrt!«

»Das habe ich auch gesagt, als mich die Partei angesprochen hat. Deshalb muss ich darauf bestehen, dass du dir das ordentlich durchliest.«

Er versuchte es. Noch immer konnte er sich nicht auf die Wörter und umso weniger auf die Sätze konzentrieren, aber der Sinn der ganzen Sache schien ihm klar zu sein. Eine Weile tat er noch so, als würde er lesen, um nicht der Oberflächlichkeit bezichtigt zu werden. Schließlich beschloss er, dass es genug sei, zog einen Füllfederhalter heraus und setzte seine Unterschrift darunter. Der Mann stand zufrieden auf und streckte ihm über den Tisch seine Hand entgegen.

»Ich gratuliere dir, Genosse Soukup!«

Auch Jan erhob sich. Nach einem festen Händedruck setzten sie sich wieder.

»Dein Führungsoffizier wird jener Genosse sein, der dich zu mir gebracht hat, aber meine Tür steht dir immer offen. Ich werde dir auch deinen ersten Auftrag erteilen, und du wirst gleich sehen, wie maßgeschneidert er für dich ist. Eigentlich führst du ihn schon aus.«

Er verstummte, und Jan konnte sich nicht zurückhalten zu fragen.

»Was für einen?«

»Du sollst für die kommende Massenpartei den Genossen Fischer retten!«

Jan traute seinen Ohren nicht.

»Den Genossen ...«

»Ja, Felix Fischer, den du lange schon kennst, wie wir wissen, den großen Mann der Sozialdemokratie. Den wird die künftig vereinte Linke als einen ihrer führenden Köpfe brauchen!«

»Und wie soll ich ihn ... vor was soll ich ihn ...«

»Genosse Fischer hegt einige Bedenken gegen den Zusammenschluss, und einige Leute in seiner Partei haben Angst, dass sein Nein die Mehrheit unter den Sozialdemokraten beeinflussen würde. Daher mangelt es auch nicht an Stimmen, die sein Verschwinden fordern.«

»Wie bitte?«

»Ja, es ist an der Zeit, sich bewusst zu machen, dass der Krieg noch nicht zu Ende ist. Für den Westen hat der Nationalsozialismus nur eine stellvertretende Zielscheibe geboten, sein tatsächlicher Feind ist die Sowjetunion und von jetzt an auch alle Länder, die zusammen mit ihr gerade zu jenem Stern aufgebrochen sind, den du besingst.«

Er zeigte auf die Broschüre, die auf seinem Schreibtisch lag.

»Daher mobilisieren sie von neuem Deutsche, und darum bezahlen sie auch bei uns ihre Judasse, um die Bildung einer Einheitspartei zu verhindern.«

»Aber Genosse Fischer ...«

»... ist ein kritischer, aber ehrbarer Geist, eine Legende, die uns für die Nachwelt erhalten bleiben muss, und deshalb darf er sich nicht mit Abtrünnigen, wie es zum Beispiel Pýcha oder Laštovička sind, einlassen. Vorerst wird er zu ihnen gezählt, und daher ist er auch ernsthaft in Gefahr.«

»In welcher Gefahr ...?«

»Wir haben leider Anzeichen für eine physische Bedrohung.«

Jan war geradezu entsetzt.

»Um Gottes willen, dann greifen Sie ein! Es existiert doch so etwas wie eine Parteidisziplin!«

»Bei uns schon. Aber nicht bei denen!«

Jan verstand wieder nichts.

»Wer will ihn eigentlich ...«

»Seine Leute eben! Junge hitzige Sozis, die schon längst die historische Notwendigkeit unserer Vereinigung begriffen haben und die deren Gegner für bezahlte Feinde halten. Nur, diese Radikalen haben wirnicht unter Kontrolle, weil – wir sind ja noch nicht vereinigt, verstehst du? Also sind wir es paradoxerweise, die den Genossen Fischer vor ihnen schützen wollen. Und wir, damit bist du gemeint!«

»Aber wie ...?«

»Du warst heute bei ihm. Welchen Gesamteindruck hast du von ihm?«

»Wie Sie ...«, er verbesserte sich, »wie du schon sagtest, Genosse, er ist kritisch, aber verantwortungsbewusst.«

»Was wollte er von dir?«

»Ich habe ihm versprochen, dass ich es mit jemandem aus der Parteiführung bespreche. Ich habe mein Wort gegeben!«

Jan war darauf gefasst, gleich bedrängt zu werden, so schaute der Mann ihn an. Stattdessen vernahm er einen milden Ton.

»Ich verstehe. Aber vielleicht komme ich dem mit einer Botschaft aus dem Politbüro zuvor, die du Fischer gleich verbindlich weiterleiten kannst. Zusammen mit der Bekundung von Respekt seiner Person gegenüber ist es die dringliche Empfehlung, dass er jetzt – kannst du mir folgen? – jetzt, wo die drückende Mehrheit bei den Sozis ohnehin für einen Zusammenschluss ist, dass er im Interesse seiner Sicherheit wie auch seiner Aufgaben, die auf ihn in der Einheitspartei warten, hör mir gut zu! die Einladung nicht ausschlägt, die für ihn dank glücklicher Umstände auf dem Weg ist, und für eine Weile Vorlesungen an der Universität in Wien hält. Wann kannst du es ihm vertraulich übermitteln?«

»Morgen Abend ...?«

»Hervorragend. Das wär’s also vorerst ... ach! Für unseren Kontakt musst du auch einen Decknamen haben, der echte soll nur deiner Poesie vorbehalten bleiben. Welchen legst du dir zu?«

Da Jan auf die Schnelle nichts einfiel, schlug jener ihm mit wissendem Lächeln vor.

»Wie wär’s denn mit Kamil?«

Die Schlinge

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