Читать книгу Skratschko & Patsch - P.C. Friedrich - Страница 5

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1. Kapitel

in dem der Verfasser berichtet, wie er Skratschko und Patsch kennen lernte, und in dem er das Ende ihres unfassbaren, aber dennoch wahren Abenteuers vorweg nimmt. Dergestalt, dass der siegreiche Ausgang ihres Kampfes mit dem Bösen ohne großes Zaudern bekannt gegeben wird.

Ich bin einer der wenigen Menschen, die die beiden persönlich kannten. Skratschko und Patsch. Nicht, dass ich damit angeben will, ganz bestimmt nicht. Nein – wenn ich mich nun, im hohen Alter, entschlossen habe, mein Schweigegelübde zu brechen und ihre Geschichte niederzuschreiben, so einzig und allein, weil ich den Gedanken nicht ertragen kann, dass diese beiden und Skratschkos heldenhafte Taten in den endlosen Tiefen der Vergessenheit versinken. Auch wenn genau das ihr eigener Wille und der Grund für das Schweigegelübde war, das sie mir abnahmen, bevor sie von uns gingen. Vielleicht lade ich durch das Brechen dieses Gelübdes schwere Schuld auf mich – allein, ich kann nicht anders.

Nein, ich kann nicht anders. Selbst die Angst vor Hohlscheins Rache, die mir dadurch unweigerlich droht, kann mich nicht mehr davon abhalten. Schon oft im Verlauf der letzten Jahre hatte ich die Feder in die Hand genommen, doch kaum hatte ich die mit Tinte getränkte Spitze auf das stumme, weiße Blatt Papier gesetzt, fuhr mir die Angst vor Hohlschein wie ein eisiger Wind durch mein schlohweißes Haar und ließ meine Hand erstarren. Mehr als ein großer, schwarzer Fleck, der mir wie dunkelrotes Blut erschien, floss nie aus der Feder. Doch nun bin ich alt genug, dieser Angst zu trotzen. Mein Alter duldet keinen Aufschub mehr.

Ich war damals elf Jahre alt. Es war einer jener warmen Frühlingstage, an denen man nach langem Bitten und Betteln zum ersten Mal im Jahr kurze Hosen anziehen durfte. Ich stromerte alleine durch den Wald, der direkt hinter unserem Haus begann. Natürlich hatte meine Mutter mir verboten, alleine in den Wald zu gehen. Ich könne mich verirren in dem dunklen Wald und man wisse nie, wer sich da so herumtreibe. Nicht, dass ich ein unerschrockenes oder einfach fantasieloses Kind gewesen wäre. Im Gegenteil – in unserer Klasse gehörte ich eher zu den Ängstlichen. Aber das Dunkle, Geheimnisvolle des Waldes hinter unserem gepflegten Einfamilienhaus mit dem löwenzahnfreien, englischen Rasen und den akkurat abgestochenen Blumenrabatten war stets stärker als meine Angst – zog mich magisch an.

Meine Mutter ließ ich während meiner Streifzüge durch den Wald im Glauben, ich hätte mich in meinem Zimmer hinter meinen Büchern verkrochen. Sie hielt mich für einen fanatischen Bücherwurm und forderte mich immer wieder auf, doch lieber mit Karl-Jonas von nebenan zu spielen. Doch den fand ich langweilig. Entweder schaute er fern oder er wollte die ganz normalen Spiele spielen. Außerdem nannte er mich immer Lügner, wenn ich ihm die Geschichten aus den Büchern erzählte, die ich gerade las.

An diesem Frühlingstag ging ich so tief in den Wald, wie ich es noch nie gewagt hatte. Obwohl mir immer unheimlicher zu Mute wurde, kämpfte ich mich wie unter Zwang durch eine dichte Fichtenschonung. Als der Fichtenwald sich urplötzlich öffnete und ich auf eine große, sonnenüberflutete Lichtung trat, stand ich unvermittelt vor den beiden. Hatte mir zwei Sekunden zuvor das Herz noch bis in die Ohren geschlagen, war ich in diesem Augenblick so verblüfft, dass ich nicht einmal erschrak. Auch sie waren wohl völlig überrascht, sonst hätten sie einen ihrer Tricks angewandt und wären sofort verschwunden. Sie kannten eine Menge Tricks, schließlich gehörten sie zu den Eigentlichen.

Sie gingen mir gerade mal bis zur Hüfte. Patsch war sogar noch ein Kopf kleiner als Skratschko. Trotzdem hatte ich sofort so viel Respekt vor ihnen wie vor zwei Polizisten oder meinen strengen Großeltern. Irgendeine Ausstrahlung, die ich gar nicht beschreiben kann, ging von ihnen aus. Skratschko hatte einen äußerst breiten Oberkörper und trug eine Art Rüstung aus einem mit Rostflecken bedeckten, rötlich schimmernden Metall. Auf der einen Seite der Brust war die Rüstung stark ausgebeult, so als hätte er einen Buckel (aber eben nicht auf dem Rücken, sondern auf der Brust). Erst viel später sollte ich erfahren, was es mit diesem Buckel für eine Bewandtnis hatte. Diese Rüstung trug er immer. Nie habe ich ihn ohne gesehen. Die Beine, die im Vergleich mit dem Oberkörper fast spindeldürr waren, steckten lediglich in dünnen, halblangen Hosen, die gerade mal über die Knie reichten und unten zerschlissen waren. Und die Füße in leichten Sandalen aus Lederriemchen.

„Die Beine“, sagte Skratschko des öfteren, „müssen beweglich und die Füße stets kühl bleiben, in der Tat. Das hat mir schon in so manchem Kampf das Leben gerettet, in der Tat.“ (Immer wenn er mir lehrreiche Dinge mitteilte, beendete er jeden Satz mit In der Tat.)

Im Gegensatz zu dieser sehr nachlässigen Bekleidung der Beine trug er unter der Rüstung ein stets strahlend weißes Hemd mit Spitzenkragen, Puffärmeln und goldenen Manschettenknöpfen. Hierzu bemerkte er einmal: „Das Entscheidende sind Herz und Kopf. Diese Körperregionen sollten trefflich gepflegt und herausgeputzt werden, in der Tat. Diese Pflege wird jedoch umso lächerlicher, je weiter man an seiner Körperlichkeit abwärts geht. Beine und Füße sind Gebrauchsgegenstände, in der Tat. Sie sind zum Laufen und Treten. Und beim Treten kommt es nicht auf Anmut und Grazie an. Das wäre törichte Eitelkeit, in der Tat.“

Patschs Bekleidung war gänzlich anders. Es schien, als wolle dieser lässige Bursche bereits mit den Kleidern seinen zwanghaften Widerspruchsgeist gegen den überlegenen Skratschko ausdrücken. Er trug ein langes, graues Hemd aus grobem Leinenstoff, das nur sehr unordentlich in eine elegante Nadelstreifenhose gesteckt war. Die Füße steckten in schweren Wanderstiefeln. „Die trage ick“, so raunte er mir einmal hinter vorgehaltener Hand zu, „damit icke immer schön uffm Boden der Tatsachen bleibe. Im Gegensatz zu diesem Hochstapler da.“ Dabei nickte er verstohlen zu Skratschko.

Doch zurück zu meiner ersten Begegnung mit den beiden. Als ich so unvermittelt vor ihnen stand, begannen sie hektisch miteinander zu tuscheln. Bereits da fiel mir das nervöse Zucken des rechten Mundwinkels von Skratschko auf. Er konnte praktisch nicht reden ohne dieses Zucken. Von ihrem Getuschel konnte ich nur einzelne Worte aufschnappen.

„... ein Menschling ... zu spät ... nur ein Kind ...“

Schließlich stellte Skratschko sich breitbeinig vor mich, stützte sich mit beiden Händen auf ein – für seine Körpergröße – riesiges Schwert, das an seinem Gürtel gebaumelt hatte, grüßte mich durch ein angedeutetes Kopfnicken und sprach: „Was führt Ihn zu uns? Wird Er von Schnurks verfolgt oder hat ein Schleimbeutler seine Eltern geschändet? Irrt Er seit Tagen hilflos und vom Hunger ausgezehrt durch den finsteren Wald?“

Außer einem blöden „Äh?“ kam nichts aus meinem Mund.

„Wenn Er Schutz und Obdach für eine Nacht begehrt“, fuhr Skratschko fort, „so wird Er in unserer bescheidenen Behausung so sicher ruhen wie in Abrahams Schoß. Dafür stehen wir mit unserem Leben ein.“

Mit Behausung meinte er ein großes, altes Weinfass, das halb verdeckt in einer Brombeerhecke lag.

„Schutz und Obdach?“, stotterte ich. „Nein, das brauche ich eigentlich nicht. Ich wohn gleich da hinter dem Wald, im Erlenweg Nr. 17.“

Patsch stieß Skratschko mit dem Ellenbogen in die Seite, wobei die Rüstung schepperte, und raunte ihm zu: „Der iss noch völlig ahnungslos.“

Skratschko warf einen kurzen, schneidenden Blick zu Patsch und murmelte: „Überlass solch eindeutige Beobachtungen lieber meinem überwältigenden Scharfsinn.“

Patsch hob beide Arme, machte ein gelangweiltes Gesicht und sagte: „Okay, okay, Boss. Du bist hier für die Fehlentscheidungen zuständig.“

Skratschko beachtete ihn gar nicht und sagte mehr zu sich selbst als zu mir: „Du bist also noch keinem Eigentlichen begegnet?“

„Einem Eigentlichen?“, antwortete ich verwirrt.

Skratschko legte sein Schwert hin und setzte sich auf einen Stein. „Nun gut, Kleiner. Setzt dich zu meinen Füßen nieder und gewöhne dich erst mal an unseren betörenden Anblick.“

Schüchtern wagte ich zu fragen, was sie denn hier im Wald machten und ob sie hier wohnten. Patsch, der mittlerweile lässig im Gras lag und auf einem Grashalm herumkaute, bemerkte: „Iss bloß so ne Art Urlaub hier. En bisschen Erholung ham wa schließlich vadient nach unserm Kampf jejen die Wilde A...“

„Patsch!“, unterbrach Skratschko ihn heftig. „Will Er ihn umbringen? Der Schleier der Unwissenheit darf nur nach und nach gelüftet werden. Der unvermittelte Anblick der grausamen Wirklichkeit würde einen Ahnungslosen in Wahn und Verzweiflung stürzen.“

Patsch antwortete nur, in dem er auf eine ihm ganz eigene Art aus dem linken Mundwinkel spuckte. Ich habe nie mehr jemanden getroffen, der seitwärts aus dem Mund spucken kann.

Ja, Skratschko ging sehr behutsam mit mir um. Mir selbst dagegen ist nicht diese Engelsgeduld von Skratschko in die Wiege gelegt worden und ich kann mich nicht länger im Zaum halten, sondern muss gleich jetzt, nachdem diese erste Andeutung von Patsch gefallen ist, die Wahrheit hervorschlüpfen lassen und diesen stolzen Recken auf das Heldendenkmal emporheben, das ihm gebührt. Auch wenn mich Hohlscheins Rache in Gestalt eines jähen Blitzes treffen sollte, weil ich mein Schweigegelübde nun breche, es muss aus mir heraus: Skratschko war es – und niemand anderes, wie manche Sage uns inzwischen weiß machen will – er war es, der die Welt von der Wilden Annamarie befreit hat. Ja, ihr habt richtig gehört: Der Wilden Annamarie. Der Wilden Annamarie.

Falls der Leser zu denjenigen zählen sollte, die tatsächlich noch nichts von der Wilden Annamarie vernommen haben und, so wie ich damals, noch zu den Ahnungslosen gehören, so frage er seine Großeltern. Hat er sich nie gefragt, warum seine Oma so humpelt oder nur noch auf einem Auge sieht oder warum seinem Opa ein Finger oder ein Ohr fehlt? Aber wenn der Leser sie fragt – lass er sich nicht mit billigen Ausreden abspeisen! Frage er direkt nach der Wilden Annamarie, auch wenn sie dabei blass vor Schreck werden.

Ich muss meinen Bericht hier unterbrechen und die ersten zarten Blätter dieses Manuskriptes schnell verstecken. Ich höre Schritte auf dem Gang. Hohlschein hat seine Spitzel – überall.

Skratschko & Patsch

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