Читать книгу Skratschko & Patsch - P.C. Friedrich - Страница 7

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3. Kapitel

in dem einige fast unglaubliche – und auch vom Verfasser nicht endgültig zu klärende – Bemerkungen Skratschkos über sein Alter und seine existenzielle Bedeutung widergegeben werden; nebst einem knappen Bericht über Patschs schwere Kindheit.

Vorsichtsmaßnahmen hielten mich eine Weile davon ab, den Bericht fortzusetzen. Ich musste die Spitzel, die hier im Haus überall herumschleichen, in die Irre führen, musste falsche Spuren legen und sie so auf entlegene Fährten locken. Ich denke, ich habe nun eine Weile Ruhe vor ihnen.

Aus Skratschkos Bemerkung über Paracelsus hatte ich schließen können, dass er ein wahrhaft biblisches Alter hatte. Aber er muss noch wesentlich älter gewesen sein, auch wenn seine zarten, feingliedrigen Hände und sein Haar, in denen nicht ein graues zu finden war, das nicht vermuten ließen. Eine eindeutige Aussage zu seinem Alter kann auch ich nicht machen. Und die einzige Äußerung, die Skratschko selbst einmal, als er in einer sehr melancholischen Stimmung war, dazu fallen ließ, scheue ich mich fast, hier niederzuschreiben. Zu unglaublich klingt sie. Doch aufgrund der Ernsthaftigkeit dieses Zwiegespräches, bei dem er mich so tief in seine Seele blicken ließ, wie nie zuvor und auch später nie wieder, fällt es mir schwer, anzunehmen, die Äußerung sei nur in einem irgendwie übertragenen Sinne gemeint.

„Ach, mein Junge“, seufzte er, und die Hand, die er mir väterlich auf die Schulter gelegt hatte, schien mir unendlich schwer zu sein, „das Leben kann eine schwere Bürde sein. Und ich lebe schon lange – sehr lange. Eigentlich gab es meine Wenigkeit schon immer. Wenn ich bloß über ein besseres Gedächtnis verfügte, würde ich mich wohl sogar daran erinnern, wie ich dem lieben Gott geholfen habe, die Welt zu erschaffen.“

Nach diesen Worten ließ er sofort ein kurzes, verlegenes Lachen hören. Er wollte nicht als Angeber dastehen, spielte deshalb die Sache herunter und tat, als sei es ein Scherz gewesen. Guter, alter Skratschko! Besäße jeder Mensch nur ein winziges Körnchen deiner Bescheidenheit, die Gier nach Macht, Ruhm und Reichtum wäre ein unbekanntes Laster auf dieser Erde.

Noch ein Gespräch mit Skratschko möchte ich hier einfügen, dass vielleicht – obwohl es sich eigentlich auf Patsch und mich selbst bezog – ein weiteres, wenn auch nicht restlos klärendes Licht auf das Geheimnis von Skratschkos Wesen wirft. Sein Wesen gänzlich zu erkennen, wird einem gewöhnlichen Menschen wohl nie vergönnt sein.

In diesem Gespräch behauptete Skratschko, Patsch gäbe es erst, seitdem er ihm begegnet sei. Denn alles würde erst dann existieren, wenn er – also Skratschko – es sehen würde.

„Alles, was meine entscheidende Wenigkeit noch nicht gesehen hat“, setzte er mir auseinander, „existiert nicht wirklich, in der Tat. Erst das Durch-mich-erblickt-Werden gibt den Dingen eine wirkliche Wesenheit. Vor der Seins-Werdung durch mein Erblicken ist alles auf dieser Welt bloß Idee, in der Tat. Ist bloß Erfindung. Erfunden von Leuten, die ein bisschen zu viel Fantasie haben. Und auch diese Leute sind meist bloß erfunden, in der Tat.“

Patsch, der etwas abseits auf der Wiese lag, spuckte aus und warf dazwischen: „Nimm dir nich so wichtig, Skratschko. Hab mich janz pudelwohl in meine Existenz jefühlt, bevor ick dir kennen lernen musste.“

Skratschko warf einen gelassenen Blick zu Patsch. „Hat Er Beweise dafür? – Na bitte. Er hat nicht.“

„Aber“, gab ich nun zu bedenken, „mich gab es schon, bevor ich dich kennen lernte. Und ich habe auch Beweise beziehungsweise Zeugen dafür. Meine Mama und mein Papa. Die haben mich vorher schon gesehen und auch mit mir geredet all die Jahre.“

Skratschko lächelte mild und klopfte mir auf die Schulter: „Ach, Junge! Dein jugendlicher Starrsinn hat etwas Herzerfrischendes. Du bist noch jung – sehr jung und du glaubst noch jedem dahergelaufenen Dummkopf. Aber überlege mal: Hab ich deine Mama – wie du sie nennst – etwa schon gesehen? – Nein. Also, einer Person, die ich nie gesehen habe und die es daher gar nicht wirklich gibt (zumindest noch nicht), glaubst du so einfach, dass es dich bereits seit Jahren gibt. Tss tss tss, Junge, ich muss mir wirklich Sorgen um dich machen, in der Tat. Ich muss fast annehmen, du bist auch einer von diesen Leuten mit überschäumender Fantasie, die jedes Traumgespinst für bare Münze nehmen.“

Er legte seine Hand auf meinen Kopf und wuschelte in meinen Haaren herum. „Na, zum Glück hast du ja mich kennen gelernt. Ich werde dich schon auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.“

An diesem Abend ging ich in sehr verwirrtem Zustand nach Hause. Mein Zuhause, mein Zimmer, ja selbst meine Mutter und mein Vater, die mir beim Gute-Nacht-Kuss die Hand auf die Stirn legten und mich besorgt fragten, ob ich Fieber habe, kamen mir seltsam irreal vor.

Ich hoffe, dem Leser geht es nun nicht ebenso, denn ich gebe es ganz freimütig zu: Mein eigener Geist ist zu klein und beschränkt, um die tiefen philosophischen Gedanken des großen Skratschko in einer auch nur annähernd verständlichen Sprache widergeben zu können. Diese Lektionen müsste der Meister euch selbst erteilen.

Wie wenig ich seine Gedankenwelt zu erfassen in der Lage bin und wie geduldig er trotzdem mit gegenüber war, soll schließlich noch folgendes Gespräch verdeutlichen, in dem Skratschko mir einige Einzelheiten aus der Kindheit des armen Patsch berichtete.

„Alles, was Patsch heute ist, habe ich aus ihm gemacht“, sagte Skratschko mit einem Lächeln und schlug Patsch mit einer kumpelhaften Geste auf den Hinterkopf. „Er war völlig verwahrlost, als ich ihn entdeckte. Seine Familienverhältnisse waren desolat und in mancher Hinsicht sogar desaströs. Seine Eltern – falls es überhaupt die seinen waren – ließen sich jeden Monat dreimal scheiden.“

„Blödsinn“, mischte sich Patsch ein, „bloß zweemal.“

„Sein Vater –“, fuhr Skratschko fort ohne auf Patsch zu achten, „– weil seine Mutter an einem grässlichen Ausschlag zu leiden geruhte, der die Haut am gesamten Körper in eine eitrige Kraterlandschaft verwandelt hatte, und sie, weil er krumme Beine hatte und einen Dialekt sprach, den niemand verstand. Außerdem war der Vater ein gewalttätiger Halunke, der in fünf Gefängnissen gleichzeitig saß und trotzdem jede Woche die Kutsche der Prinzessen Amalia von Schön und Schein zu überfallen sich erdreistete. Und wenn er zuviel Johannisbeersaft getrunken hatte – was rund um die Uhr der Fall war – verprügelte er den asthmatischen Hamster von Patsch. Die Mutter dagegen lag – von den Scheidungsterminen abgesehen – meistens in einer Art Koma. Eine Folge der vielen Tabletten, die sie gegen all ihre Krankheiten nahm. Wenn sie zwischendurch mal aufwachte, schüttelte sie Patsch kräftig durch, weil sie ihn für ihr Kopfkissen hielt (sie hatte die Geburt von Patsch wohl irgendwie nicht mitbekommen). – Und dann auch noch die Großeltern. Sein Großvater stahl ihm ständig sein Lieblingsspielzeugauto und machte damit Doktorspiele. Von der Großmutter erzähle ich dir besser nichts. Du würdest Albträume bekommen, mein Junge. Am schlimmsten aber waren für Patsch die Nächte, mussten sie doch alle zusammen in dem einzigen Bett ihrer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung schlafen. Da der kleine Patsch stets als erster, nämlich schon nach dem Mittagessen (das kaum so zu nennen war, denn niemand konnte Kartoffeln von Backsteinen und Spaghetti von Stacheldraht unterscheiden) – da er als erster ins Bett gehen musste, lagen die anderen auf ihm drauf.“

Ich schaute voll Mitleid zu Patsch herüber und hatte für eine Zeit lang mehr Verständnis für seine manchmal etwas abweisende und unangenehme Art. Dann ging mir ein anderer Gedanke durch den Kopf. „Sag mal, Skratschko. Du hast doch gesagt, Patsch gäbe es erst, seit du ihn das erste Mal gesehen hast.“

„Ja sicher“, entgegnete Skratschko und polierte mit dem Ärmel verlegen an seiner Rüstung herum. Dann machte er mit dem Arm eine ausladende Bewegung und sprach gedehnt: „Versteht – Er – wieder – etwas – nicht?“

„Nun ja“, fragte ich zaghaft, „wie kann Patsch dann vor eurer ersten Begegnung in einer Familie gelebt haben, wenn es ihn damals noch gar nicht gab.“

Patsch, der gerade bei seiner Lieblingsbeschäftigung war – er kratzte sich mit einem Messer den Dreck unter den Fingernägeln heraus – hörte damit auf, hob den Kopf und sah Skratschko erwartungsvoll an.

Doch der schüttelte nur den Kopf und stöhnte: „O, allmächtiger Skratschko! Warum bist du von so viel Dummheit umzingelt. In dem Moment, in dem ich geruhte, ihn anzusehen und er anfing, zu existieren, musste er natürlich auch eine Vergangenheit besitzen.“

„Und seine Familie?“

„Na, die habe ich doch im gleichen Augenblick gesehen. Das ließ sich nicht vermeiden.“

Patsch selbst äußerte sich nie negativ über seine traumatische Kindheit. Er tat so, als sei das alles ganz normal gewesen.

Ich hätte nicht sagen können, ob er Skratschko dankbar dafür war, dass er ihn aus diesem Sumpf gezogen hatte, oder ob er ihn nicht gerade deswegen hasste. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem zwielichtigen Kerl.

Nach diesen Auslassungen über Patschs Kindheit wird der ein oder andere Leser vielleicht das Bedürfnis spüren, auch über mich selbst, den Verfasser dieses Berichtes, ein paar wenige autobiographische Details zu erfahren. Doch diese Leser muss ich enttäuschen. Mein Name ist es nicht wert, neben dem des großen Skratschko zu stehen. Es wäre maßlose Anmaßung. Meine Hand soll auf der Stelle verfaulen, wenn sie es wagen sollte, in dieses Heldenepos auch nur ein Wort über meine Person einzufügen. Wer unbedingt Namen braucht, der nenne mich Vera Thies. Da ich keine Frau bin, steckt in diesem Namen genügend Selbstverleugnung und der gebildete Leser wird darin ein Anagramm meines höchsten Gebotes erkennen: Veritas – Wahrheit.

Skratschko & Patsch

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