Читать книгу Skratschko & Patsch - P.C. Friedrich - Страница 9

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5. Kapitel

in dem Anlass und Ausgangspunkt von Skratschkos Kampf gegen die Wilde Annamarie ausführlich geschildert werden, auch wenn noch einiges im Unklaren bleibt. Nebenbei erfährt der Leser Wissenswertes über die Chinesische Mauer.

Der aufmerksame Leser weiß bereits, dass die beiden in der ersten Zeit meiner Bekanntschaft mit ihnen peinlich darauf bedacht waren, mir nichts von ihrem Kampf gegen die Wilde Annamarie zu erzählen. Allenfalls dunkle Andeutungen schlüpften ihnen hier und da über die Lippen. Andeutungen, die ich damals kaum verstehen konnte und deshalb nicht weiter beachtete. Auch bei dem folgenden Erlebnisbericht ließ Skratschko nicht ein einziges Mal den Namen der schreckenerregenden Wilden Annamarie fallen. Erst viel später sollte ich merken, dass es sich hierbei nicht um eine beliebige Episode aus ihrem lebenslangen Kampf gegen das Böse handelte, sondern dass mit diesem Ereignis der erbarmungslose Kampf zwischen den beiden ungleichen Gefährten und der Wilden Annamarie letztlich seinen Ausgang nahm.

Apropos Namen: Der Ehrlichkeit halber muss ich gestehen, dass mein Pseudonym Vera Thies und das Verschweigen jeglicher Details zu meiner Person nicht alleine (wie ich vor einigen Seiten schrieb) meiner Bescheidenheit geschuldet ist. Nein – und der Leser wird es sich schon längst gedacht haben – auch die Angst vor Hohlschein lässt mich diesen Schleier um mich selbst weben. Wenn es auch unmöglich sein wird, am Ende seiner Rache zu entgehen, so will ich es ihm nicht zu leicht machen.

Doch zurück zu Skratschkos Bericht. Skratschko tat alles, damit ich nicht auf die Idee kam, dieses Abenteuer sei von besonderer Bedeutung. Es war einer der ersten richtig heißen Sommertage. Als ich auf die Lichtung kam, lagen die beiden im Schatten der großen Eiche und dösten mit offenen Augen vor sich hin.

Wie so oft überfiel ich Skratschko gleich mit der Aufforderung, wieder etwas Spannendes aus ihrem Leben zu erzählen. Doch an diesem Tag schien er keine Lust zu haben.

„Carpe diem, mein Junge“, sagte er, „pflücke den Tag! Niemand kann sagen, ob es nicht der letzte im Leben des listenreichen Skratschko ist. Auch der tapferste Recke sollte das Glück genießen, wenn es ihn einmal umfängt, in der Tat.“

Patsch spuckte seitlich aus dem Mund und sagte zu mir: „Wär mir ooch janz recht, wenn die Quasselstrippe noch ne Weile still sein könnte. Wie heeßt et so schön: Reden is Schweigen unn Silber iss och keen Gold.“

„Wohlan denn“, erwiderte Skratschko daraufhin und richtete sich langsam auf, „man sollte auch keinen Tag der Vergänglichkeit preisgeben, ohne etwas Lehrreiches aus früheren Zeiten zu vernehmen, in der Tat. Auch wenn es nur ein so unbedeutendes Ereignis ist, wie mein Duell mit Johnny, dem Maurer.“

Patsch lachte laut auf. „Ja, det erzähl ruhig ma. Hatt er nämlich valorn, das Duell, unser großer Held hier.“ Dabei schlug er Skratschko so heftig auf den Rücken, dass die Rüstung laut schepperte.

Ich zuckte leicht zusammen, denn ich erwartete eine lautstarke und zornige Zurechtweisung Patschs. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen senkte Skratschko den Kopf und stützte die Stirn mit den Fingern seiner rechten Hand ab.

„Ja, Patsch hat recht“, sagte er mit schwerfälliger Stimme, wobei das Zucken seines rechten Mundwinkels die Schnurrbarthälften besonders stark wippen ließ. „Auch ich, mein Sohn, habe in meinem Leben Niederlagen verkraften müssen. Ich habe dieses Duell – verloren. Doch sollte dies auch beschämend für den unvergleichlichen Skratschko sein, noch beschämender wäre es, alleine dem berechtigten Stolz zu huldigen und diese Niederlage zu verheimlichen. Darin, wie man zu seinen Niederlagen steht, zeigt sich die wahre Größe eines edlen Geistes, in der Tat.“

Skratschko zwirbelte seine Schnurrbartspitze und hob den Kopf: „Außerdem habe ich Johnny, den Maurer, trotz meiner Niederlage im Duell besiegt. Das sollte man nicht außer Acht lassen.“

„Wer war denn dieser Johnny, der Maurer?“, fragte ich voller Ungeduld.

„Johnny, der Maurer“, antwortete Skratschko und legte seinen linken Arm bequem auf die Ausbeulung seiner Rüstung, „war der schnellste Maurer des bebauten Westens. Er zog schnell. Verdammt schnell. Wenn er sein Maurerkäppi tief in die Stirn schob, war es schon zu spät. Niemand hatte eine Chance gegen ihn. Er war der Schrecken aller Einfamilienhausbesitzer westlich des Mississippi-Nil-Kanals. Wenn er sich breitbeinig vor ein Haus stellte und mit den Fingerspitzen zärtlich über seine beiden Pistolenhalfter strich, die er mit einem breiten Ledergürtel um seine Hüfte gegurtet hatte, gab es kein Entkommen mehr. Mit einem hämischen Lächeln bohrte er seinen gnadenlosen Blick durch die Hausfenster, hinter denen die Bewohner des Hauses starr vor Entsetzen standen. Dann zog er mit einem Mal die ersten beiden Backsteine aus seinen Pistolenhalftern und begann sein grausames Werk. Seine Spezial-Pistolenhalfter waren mit magischen Kräften ausgestattet. Sobald Johnny einen Backstein gezogen hatte, war der Halfter schon mit einem neuen Stein geladen. Schneller, als eines der Opfer mit der Wimper zucken konnte, hatte Johnny alle Öffnungen des Hauses zugemauert. Fenster, Türen, Schornsteine, unterirdische Geheimgänge und selbst Kloschüsseln. Es gab kein Entrinnen für die Bewohner. Wahllos mauerte er jedes Haus zu, ohne Rücksicht auf gebrechliche Babys, verarmte Hausmäuse oder zwergfüßige Dachdecker. Hatte Johnny den letzten Stein verfugt, so sagte er verächtlich: ‚Ich hasse Löcher’, spuckte aus und spielte auf seiner Mundharmonika das immer gleiche durchdringende Lied.

Ich war damals vorübergehend Marshal und sollte überall für Recht und Ordnung sorgen. Die Leute nannten mich schlicht Skratschko, the Big, und Patsch war mein hilfloser Hilfssheriff. Monatelang jagten wir hinter Johnny her, durch die endlose Weite der Prärie, über schneesturmumtoste Gebirge und durch reißende Flüsse. Wir folgten seiner Spur der Verwüstung, aber immer, wenn wir auftauchten, hatte er sich schon davon gemacht. Doch eines Tages – wir näherten uns langsam einer schwerwiegenden, depressiven Verstimmung – gingen wir auf der Suche nach einem Tropfen Wasser durch die gottverlassene Geisterstadt Kleinbittersdorf-City.“

„Hey, Alter“, fiel Patsch ihm ins Wort und zog geräuschvoll die Nase hoch, „dein Jedächtnis lässt dir langsam im Stich. Es war nich Klein-, sondern Großbittersdorf-City.“

Skratschko hielt inne, betastete seine Warze und zog sacht an den gekräuselten Haaren darauf. Das tat er meist, wenn er nachdachte. „Du hast recht, Patsch. Großbittersdorf-City. – Wir gingen also über die staubige Straße, da hörten wir auf einmal eine Mundharmonika. Als wir um die nächste Straßenecke bogen, sahen wir ihn. Johnny, der Maurer, saß auf den Holzstufen, die von der Straße zum Saloon führten, den rechten Fuß lässig auf die untere Latte eines Geländers gestützt und spielte sein Lied. Er war in keiner Weise überrascht. Im Gegenteil, er hatte auf uns gewartet. Er war das ewige Gejagt-werden leid und wollte eine Entscheidung. Er spielte sein Lied zu Ende, dann stand er auf und ging langsam in die Mitte der Straße. Ich stellte mich dieser Herausforderung und befahl Patsch, sich aus der Sache rauszuhalten. Langsam ging ich auf Johnny zu, bis wir nur noch zwanzig Schritte voneinander entfernt waren. Die gleißende Sonne stand hoch am Himmel und ein leichter Wind wirbelte vertrocknete Distelsträucher über die staubige Straße. Vom Saloon her war das Klappern eines hin und her schlagenden Fensterladens zu hören. Über uns kreisten bereits zwei ungeduldige Geier.“

Weil ich vor Anspannung wahrscheinlich so ungeduldig war wie damals diese beiden Geier, konnte ich nicht länger ruhig bleiben und fragte Skratschko: „Hattest du auch solche Backstein-Pistolen?“

Skratschko sah mich mitleidig an und meinte: „Du solltest mich langsam gut genug kennen, um zu wissen, dass ich stets nur mit ehrlichen Waffen kämpfe.“

Diese Bemerkung konnte der Maulheld Patsch mal wieder nicht ohne Kommentar stehen lassen. „Kann er sich aber bloß leisten, weil er mich immer im Hintergrund weiß.“

Skratschko schüttelte nur kurz den Kopf und fuhr fort: „In meinem Halfter steckte ein Flitzebogen mit Saugnapfpfeil. Der Häuptling der Spielzeugindianer hatte mir diese stolze Waffe geschenkt, weil ich seine Tochter Tscho-Tschi ... – doch ich will nicht abschweifen. Ich und Johnny, der Maurer, standen uns also gegenüber. Zwei Tage, 13 Stunden und 27 Minuten standen wir bewegungslos da und starrten uns in die Augen, die Hände griffbereit in Hüfthöhe. Jeder wartete darauf, dass der andere zuerst zog. Wer würde zuerst die Nerven verlieren? Johnny, der Maurer, wurde schließlich ungeduldig und rief: ‚Nun zieh schon, Skratschi!’ Ich fixierte ihn noch fester mit meinen Augen und antwortete trocken: ‚Skratschko zieht nicht zuerst. Skratschko ist nicht so ein elender Feigling wie du Johnny. Und vor allem: Nenn mich nicht Skratschi.’

Wir warteten noch eine Weile, bis ich plötzlich daran dachte, dass ich ja auch noch andere Aufgaben hatte, und – und zog. Schneller als der Blitz hatte ich meinen Flitzebogen gezogen und den Saugnapfpfeil abgeschossen. Das Ende des Pfeils war, wie die Harpune eines Walfängers, mit einem Seil verbunden. An wessen Stirn sich die Saugnapfspitze meines Pfeiles einmal festgeploppt hatte, der konnte mir nicht mehr entrinnen. Der Pfeil flog unbeirrt in gerader Linie auf Johnnys Stirn zu. Doch Johnny war schneller. In dem kurzen Augenblick, in dem der Pfeil auf Johnny zuflog, zog dieser einen Backstein nach dem anderen und mauerte eine Mauer vor sich auf. Die schmale Mauer war gerade bis in Kopfhöhe gewachsen, da klatschte der Pfeil mit einem dumpfen Plopp gegen den obersten Backstein.“

Skratschko senkte seinen Kopf und stöhnte schwer: „Ja, ich muss es eingestehen. Ich habe das Duell gegen Johnny, den Maurer, verloren.“

Patsch grinste mich breit an, strich sich über seinen angemalten Bart und meinte lachend: „Hat bestimmt nischt jeschadet, dass du mal einen Dämpfer abbekommen hast. Was, Skratschi! Hochmut kommt vor dem Knall, sage ick da immer.“

Skratschko knirschte laut mit den Zähnen und fauchte: „Nenn Er mich nicht Skratschi!“

Dann hob er stolz seinen Kopf, lächelte und gab mir scherzhaft einen angedeuteten Kinnhaken. „Aber Skratschko wäre nicht Skratschko, wenn er nicht auch mit dieser erniedrigenden Situation fertig geworden wäre. Nach einer Sekunde hatte ich mich vom Schock der Niederlage erholt und wusste, was ich tun musste. Ich befahl Patsch, hier die Stellung zu halten, drehte mich auf meinen Absätzen um und rannte los. Ich rannte einmal um den ganzen Erdball und wollte Johnny in den Rücken fallen, indes Patsch vor Johnnys stetig länger werdender Mauer hin und her lief, so dass dieser weder rechts noch links zu entkommen vermochte. Bevor ich den wie wild mauernden Johnny von hinten ergreifen konnte, bemerkte er mich. Blitzschnell drehte er sich um und begann unmittelbar vor mir eine zweite Mauer hochzuziehen. Durch zwei parallel verlaufende, nur wenige Meter voneinander entfernte Mauern war er nun nach beiden Seiten geschützt. Doch Patsch und ich ließen die Hoffnung nicht fahren und liefen pausenlos hin und her, so dass Johnny beide Mauern unentwegt verlängern musste. Johnny mauerte und mauerte, bis er einmal um die ganze Erdkugel gemauert hatte und jede der beiden Mauern sich zu einem Ring um den Globus schloss. Johnny jubelte und rief höhnisch lachend: ‚Ha ha, Skratschi. Jetzt könnt ihr mich nicht mehr kriegen. Ihr seid einfach zu langsam für mich. Ha ha ha.’

Nachdem ich einen Moment ratlos vor der Mauer gestanden hatte, begann ich zu lachen und rief: ‚Danke, Johnny, dass du mich der Mühe enthoben hast, dir ein Gefängnis zu mauern. Du hast es selbst gemauert.’ Sein hämisches Lachen erstarb, denn jetzt wurde auch ihm klar, dass er zwar einmal um den ganzen Erdball laufen konnte, aber nur auf einem etwa zwei Meter breiten Streifen zwischen seinen Mauern. Johnny war für immer unschädlich gemacht, und ich hatte eine Tat vollbracht, dir mir zum Ruhme und der ganzen Menschheit zum Nutzen gereichte. Gelassen schüttelte ich mir den Staub von der Rüstung. Dabei fiel mein Blick auf ein weißes, mit Spitzen besetztes Seidentaschentuch, das ganz offensichtlich Johnny in der Hitze des Gefechtes verloren hatte. In einer Ecke war ein rotes „A“ kunstvoll aufgestickt. Ich hob es auf und als wohlverdiente Trophäe steckte ich es in den Ausschnitt meiner Rüstung.“

Ich musste wohl schon eine Weile etwas skeptisch geguckt haben, denn Skratschko hielt plötzlich inne mit Erzählen und betrachtete mich prüfend.

„Du glaubst mir die Geschichte nicht“, sagte er schließlich. „Du kannst es ruhig zugeben. Ein kritischer Zuhörer, der die Dinge hinterfragt, hat bei mir keinen Tadel zu fürchten.“

„Nun ja“, begann ich zaghaft, „dass du Johnny, den Maurer gekriegt hast, glaube ich dir gerne. Aber die Sache mit der Mauer um den Erdball ... Also ich weiß nicht ... Davon müsste man doch wissen ...“

„Ich sehe“, antwortete Skratschko und klopfte mir auf die Schulter, „du denkst mit. Das freut mich. Und du hast ganz recht. So eine Mauer kann man nicht übersehen.“ Er strich über seine beiden Schnurrbartspitzen. „Hast du schon mal etwas von der Chinesischen Mauer gehört?“

„Natürlich.“

„Siehst du, das ist der Rest von Johnnys Mauer.“

„Aber ich dachte, die Chinesen haben die Chinesische Mauer gebaut.“

„Das erkühnen sich deine zu kurz denkenden Erwachsenen zu behaupten. Als Johnny irgendwann den schmachvollen Hungertod gestorben war, wurde die Mauer ein Opfer der Vergänglichkeit und verfiel nach und nach. Und bloß, weil das einzig erhaltene Stück zufällig in China steht, gibt es für euch Menschlinge keine andere Erklärung, als dass die Chinesen sie errichtet haben. Euch gebricht es einfach an Fantasie und Einfühlungsvermögen.“

Skratschko & Patsch

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