Читать книгу Skratschko & Patsch - P.C. Friedrich - Страница 8

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4. Kapitel

Skratschko berichtet von einem in seinen Augen – aber nicht in denen des Verfassers – vergleichsweise harmlosen Abenteuer. Des Weiteren wird ein Beispiel von Patschs haarsträubenden Geschichten gegeben.

Es dauerte noch lange, bis sie mir über ihr größtes Abenteuer, ihren Kampf gegen die Wilde Annamarie berichteten. Skratschko hüstelte sofort oder trat Patsch heftig gegen das Schienbein, wenn dieser in seiner unbedachten Art ins Plaudern geriet und unvorsichtige Andeutungen machte. Nein, lange erzählte Skratschko nur von eher unbedeutenden Kämpfen. Aber mir erschienen diese Abenteuer damals in keiner Weise unbedeutend oder gar langweilig. Denn noch wusste ich ja kaum etwas von der Wilden Annamarie und schon gar nichts von ... – doch dafür ist es noch zu früh.

So berichtete Skratschko zum Beispiel eines Tages – wir hatten alle drei eine gute Stunde dösend in der Nachmittagssonne gelegen und fingen gerade an, wieder etwas munter zu werden – von seinem blutigen Sieg über den heimtückischen Duschkopfzüngler.

„Zu jener Zeit“, begann er seinen Bericht und kratzte etwas Rost von seiner Rüstung, „hielt jedermann den Duschkopfzüngler für längst ausgestorben. Das einzige erhaltene fossile Exemplar war in schwere Ketten gelegt und seit Jahrtausenden war kein Bericht über einen tödlichen Zwischenfall in einer Hoteldusche an mein huldvolles Ohr gedrungen. Deshalb ging ich auch an diesem Tag – ich und Patsch waren die einzigen Gäste in dem kleinen Hotel Psyche, einem bescheidenen Nachtlager für durchreisende Ritter, – völlig unbekümmert und ohne jegliche Vorsichtsmaßnahme unter die Dusche. Zuerst merkte ich nichts, denn ich hatte genießerisch die Augen geschlossen und intonierte lauthals die alte Ritterballade Puff, the magic dragon. Ob dieses meines Gesanges geriet ich so in Verzückung, dass ich mir erst, als meine Stimme immer leiser wurde, bis sich am Ende kein Ton mehr meinen Lippen entfleuchte, bewusst wurde, dass mich etwas würgte. Nur eine Sekunde später und die Lebensgeschichte von Skratschko hätte ein verfrühtes und unerquickliches Ende gefunden. Hier schau!“

Skratschko reckte den Kopf hoch und zog mit der Hand den Spitzenkragen seines Hemdes so weit herunter, wie es seine Rüstung erlaubte. Eine dünne, striemenartige Narbe zog sich quer über den ganzen Hals.

„Der Duschkopfzüngler, der verborgen in Wasserleitungen lebt, hatte tausende spaghettidünner Fangarme durch die Düsen des Duschkopfes auf mich herabgleiten lassen und einer dieser gummiartigen, aber stahlharten Fäden hatte sich um meinen schwanengleichen Hals gewunden. Eigentlich gibt es kein Entrinnen mehr, wenn man einmal in diesem Griff des Duschkopfzünglers steckt. Aber geistesgegenwärtig, wie es sich mir geziemte, machte ich eine Hochgeschwindigkeitspirouette, wodurch der Fangarm meinem Hals entwunden wurde. Zu allem entschlossen, packte ich mit beiden Händen die herabhängenden und nun verdrillten Fangarme und – biss hinein.“

Skratschko holte durch die Nase tief Luft und verzog das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. „Es schmeckte ekelerregend. Mich befällt jetzt noch eine alle Sinne folternde Übelkeit, wenn meine Erinnerung daran erwacht. Aber es war meine einzige Chance, mich selbst dem Leben zurück zu gewinnen. Mit ein oder zwei Bissen war es allerdings nicht getan. Die Fangarme eines Duschkopfzünglers sind unendlich lang und gleiten unaufhaltsam sich verlängernd aus dem Duschkopf. Hatte ich ein Stück abgebissen und hinunter geschlungen, waren die Fangarme von oben bereits um die doppelte Länge nachgewachsen. Ich aß um mein selbstloses Leben. Ich musste schneller essen, als die Fangarme aus dem Duschkopf wuchsen. Der Kampf dauerte Stunden und als ich kurz davor stand, zu verzagen und mich meinem Schicksal zu ergeben, weil mein um das Dreifache angeschwollener Bauch zu zerbersten drohte, gab es mit einem Mal ein schmatzendes Geräusch. Der Duschkopfzüngler hatte den Rest seiner verstümmelten Fangarme zurück schnellen lassen und war verschwunden.“

Skratschko hielt inne und schaute mit leerem Blick in die Ferne. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er schien so erschöpft zu sein, als habe er beim Erzählen den Kampf ein zweites Mal ausfechten müssen. Schließlich erhob er sich schwerfällig und tat einen tiefen Atemzug. „Seit diesem Ereignis ist die Welt sicher vor dem Duschkopfzüngler. Er lebt zwar noch, aber er getraut sich aus keiner Dusche mehr heraus. Zumindest, solange ich lebe.“

Mit ernster, nachdenklicher Miene ging er ein paar Schritte hin und her. „Hm“, brummte er vor sich hin, „vielleicht sollte ich in meinem Testament verfügen, dass man mich nach meinem Dahinscheiden ausstopft und mich vor eine Dusche stellt. Darauf müsste der Duschkopfzüngler eigentlich hereinfallen ...“ Dann schüttelte Skratschko sich und sagte zu uns: „Jetzo wollen wir nicht mehr diesen in der Tat das Gemüt beschwerenden Gedanken nachhängen. Noch weile ich ja unter euch.“

Patsch, der wieder einmal gelangweilt mit seinem Messer den Dreck unter seinen Fingernägeln herauskratzte, gähnte und meinte: „Mein lieber Skratschko! Du hast vajessen zu erwähnen, dass der Duschkopfzüngler sich bloß zurückjezogen hat, weil icke den Wasserhahn zujedreht hab.“

Skratschko warf einen vernichtenden Blick auf Patsch. „Elender Verleumder.“ Und zu mir gewand, fügte er hinzu: „Hör Er nicht auf diesen krankhaften Hochstapler, der an keiner fremden Ruhmesfeder vorbeigehen kann, ohne sich selbst damit zu schmücken.“

Um nicht dem Vorwurf der Einseitigkeit ausgesetzt zu werden, habe ich diese beleidigende Bemerkung von Patsch nicht verschweigen wollen. Jeder Leser möge sich selbst ein Urteil bilden. Doch sollte man wissen, dass Patsch es mit der Wahrheit nicht immer sehr genau nahm. Er war ein Ironiker, ein Fabulierer, der kein Maß kannte. Insbesondere sein, bereits erwähnter, krankhafter Zwang zum Widerspruch, ließ ihn oft abstruse Äußerungen machen.

Wenn er allerdings, was nicht allzu oft vorkam, ungewöhnlich gut gelaunt war und sich selbst auf seinem sonst so griesgrämigen Gesicht ein Lächeln abzeichnete, dann war es schlicht und einfach die Freude am Spaß, die Patsch aufschneiderische Geschichten erfinden ließ. Dann waren seine Geschichten so abstrus, dass sofort klar war, er hielt uns jetzt nur zum besten. So erzählte er einmal eine wahrhaft haarsträubende Geschichte.

Er nahm mich beiseite und gab mir einen Grashalm, auf dem ich dann genauso herumkauen sollte wie er. Das tat er gelegentlich, wenn er besonders guter Laune war. Er schaute mich mit verschmitzten Augen an und strich sich über seine Narbe und seinen angemalten Bart. „Pass mal uff, Kleener. Iss doch alles Ringelpietz mit Anfassen, was Skratschko dir immer erzählt. Nu will icke dir mal von nem richtig jefährlichen Abenteuer was vaklickern. Ick war grade uff Expedition in Spitzbergen. Hatte den Auftrag, alle Berge ma wieder anzuspitzen. Unn uff eemal steht er vor mir. En leibhaftiger feuerspeiender Schneemann. Wenn de so eenem bejegnest, haste bloß noch die Wahl, ob er dir verbrennen oder erfrieren soll. Mit em Streichholz oder so brauchste dem nich zu drohen. Da lacht der sich nur schlapp.“

„Aber wie bist du ihm dann entkommen?“, fragte ich, um Patsch den Spaß nicht zu verderben.

„Ick hab ihm einfach erzählt, ick würd ihm nen Vollbart bis zu seim Bauch anhexen. Da iss er natürlich wie der Blitz wegjeloofen.“

„Wieso das denn?“

„Na, hasde schon ma en feuerspeienden Schneemann mit em Vollbart jesehen? Alleene die Vorstellung von dat iss lächerlich. Unn wie jeder weeß, sind feuerspeiende Schneemänner furchtbar eitle Dinger. Stundenlang stehn se jeden Tag mit die Pinzette vorm Spiejel, um sich en Haar, das aus Vasehn mal uff ihrer schneeweißen Haut wachsen sollte, sofort rauszureißen. Natürlich wird auf einem feuerspeienden Schneemann nie ein Haar wachsen – det lernt ma ja schließlich schon im Kinderjarten – aber feuerspeiende Schneemänner sind nicht nur furchtbar eitel, sondern ooch furchtbar dumm.“

„Kannst du denn einem Schneemann wirklich einen Vollbart anhexen?“, fragte ich Patsch, wobei ich ein leichtes Grinsen nicht ganz unterdrücken konnte.

„Natürlich nich. Nich die Bohne. Aber ick sagte ja: Die sind furchtbar dumm.“

Patsch hatte die Geschichte noch mit zahlreichen Details zu Zeit und Ort geschmückt, um sie glaubhafter erscheinen zu lassen. Wahrscheinlich war sich Skratschko deshalb nicht sicher, ob ich Patsch nicht doch auf den Leim gegangen war. Denn er rief plötzlich entrüstet vom anderen Ende der Lichtung: „Feuerspeiender Schneemann! Da könntest du ihm genauso gut von fliegenden Unterwassermaulwürfen erzählen. Mensch, Patsch! Beherrsch Er sich! Der Knabe glaubt doch noch alles, was man ihm erzählt.“

An mich gewandt sprach er in seinem milden, väterlichen Tonfall: „Du darfst Patsch nicht jeden Unsinn glauben. Du weißt doch ...“ Dabei nickte er mit seinem Kopf in Richtung Patsch und machte mit seinem Zeigefinger kreisende Bewegungen neben seiner Schläfe. Patsch ist nicht ganz richtig im Kopf, sollte das bedeuten.

Patsch hatte diese Geste bemerkt, aber er tat, als hätte er nichts gesehen. Es war schon erstaunlich mit ihm. Wenn er keine Lust hatte, ließ er sich durch nichts provozieren. Er steckte seinen Grashalm wieder zwischen die Zähne, setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an den mächtigen Stamme einer Eiche, zog sein langes Messer aus der Hose und widmete sich seelenruhig seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Säubern seiner Fingernägel. Wie meistens kam dabei schnell ein ganzer Eimer Dreck zusammen. Wenn der Eimer voll war, drückte er den Dreck fest, stülpte den Eimer um und baute einen weiteren Turm für seine Sandburg, die er mitten auf der Lichtung errichtete. Patsch behauptete stets: „Fingernageldreck iss zum Burgenbauen viel besser als jewöhnlicher Sand.“

Das wollte ich natürlich auch irgendwann testen, aber ich bekam nie genügend Fingernageldreck zusammen. Und warum nicht? Weil meine Mutter mir jeden Samstag – jeden Samstag! – die Fingernägel schnitt. So kurz, dass gar kein Platz blieb, um eine ansehnliche Menge Dreck zu sammeln. Das nehme ich meiner Mutter heute noch übel.

Als ich das bei Gelegenheit erzählte und zum Beweis meine Fingernägel zeigte, rief Skratschko ganz aufgebracht: „Mütter! Mütter sollten per Dekret verboten werden – und nicht nur fingernagelschneidende Mütter. Es befällt mich immer wieder mit Wunderlichkeit, dass es diese altertümliche Einrichtung noch gibt. Mütter! Wie das schon klingt. Irgendwie wie Stinkmorchel, in der Tat.“

„Ja, hast du denn keine Mutter gehabt, Skratschko?“, fragte ich verwundert.

Skratschko zuckte zusammen und umfasste mit beiden Händen den Buckel seiner Rüstung auf der linken Seite, als schmerzte ihn seine Brust. „Gott bewahre! – Einmal ist eine herausgeputzte Dame in Stöckelschuhen, die so hoch waren, dass sie sie gleich als Stuhl benutzen konnte, zu mir vorgedrungen und wollte sich weder durch Milde noch durch Strenge davon abbringen lassen, meine Mutter zu sein.“ Skratschko strich über seinen hochgebogenen Schnurrbart. „Eine fürwahr unangenehme Situation. Schließlich war ich gezwungen, sie in ihrem Glauben zu lassen und in ein Kloster für schwer erziehbare Mütter zu stecken.“

Skratschko & Patsch

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