Читать книгу Skratschko & Patsch - P.C. Friedrich - Страница 6

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2. Kapitel

enthält eine Beschreibung der beiden ungleichen Helden sowie erste Enthüllungen über die Eigentlichen.

Hätte ich damals auch nur geahnt, welche Enthüllungen mir bevorstanden, ich wäre wahrscheinlich nie wieder zu den beiden in den Wald gegangen, sondern hätte mich zitternd für den Rest meines Lebens im Bett verkrochen. Aber so ging ich gleich am nächsten Tag wieder zu ihnen. Ich hielt sie immer noch für etwas schrullige und zwergwüchsige, aber trotz allem normale Menschen.

Anfangs besuchte ich sie aus purer Neugier und weil es bei ihnen nie langweilig war. Sie hatten immer etwas zu erzählen. Dass heißt, Skratschko hatte immer was zu erzählen. Patsch dagegen, erklärte mir Skratschko schon bei meiner zweiten Begegnung mit ihnen, könne keine wahrhaft wirklichen Geschichten erzählen. Er würde die Dinge stets verdrehen oder Sachen erfinden. „Seine Fantasie“, sagte Skratschko oft, „ist ein von einer Wespe gestochenes Wildpferd, das davon stürmt, sobald er den Mund auf macht.“

Meist gab es gleich eine Balgerei, wenn Skratschko dies sagte, denn in diesem Punkt war Patsch sehr empfindlich. Überhaupt gehörten Balgereien bei den zweien dazu wie bei uns das tägliche Zähneputzen. Obwohl es dabei nicht gerade harmlos zuging. Das Geringste war noch, wenn sie sich ihre Nasen verbogen oder sich gegenseitig Knoten in ihre bis zu den Schultern herabhängenden Ohrläppchen machten. Doch wie übel sie sich auch zurichteten, anschließend waren sie stets bester Laune.

Da ich gerade die langen Ohrläppchen erwähnt habe, möchte ich kurz noch die markanten Gesichter der beiden beschreiben, von denen es weder Fotos noch Gemälde gibt (Skratschko sagte, es diene ihrem eigenen Schutz, dass niemand ihr Gesicht kenne; aber in erster Linie war es seine übergroße Bescheidenheit, die ihn jede Öffentlichkeit scheuen ließ).

Skratschkos Gesicht strahlte eine tiefe Würde aus, obwohl es im Grunde eher als hässlich zu bezeichnen war. Es war über und über von Falten zerfurcht und auf der rechten Nasenseite befand sich eine dicke, rote Warze, aus der drei lange, sich kräuselnde Haare wuchsen. Die üppigen, schwarzen Haare auf seinem Kopf machten einen verwahrlosten Eindruck, doch mittlerweile habe ich Gründe zu glauben, dass diese in unseren Augen völlig verschnittene Frisur bei den Eigentlichen eine tiefe symbolische Bedeutung hat. Der Schnurrbart dagegen war auch in unseren Augen eine wahre Pracht. Skratschko zwirbelte die beiden Hälften jeden Morgen auf und machte sie mit Hilfe einer speziellen Pomade so steif, dass er sie in einem rechten Winkel nach oben knicken konnte. Die dünn auslaufenden Spitzen der beiden Schnurrbarthälften endeten in Höhe der stahlblauen Augen, die dadurch einen wahrhaft stechenden Blick bekamen. Das bereits erwähnte nervöse Zucken des rechten Mundwinkels beim Sprechen ließ diese Schnurrbarthälfte ständig hin und her wippen. Ich kann nur vermuten (denn natürlich verrieten die beiden mir nicht alle ihre Tricks), dass dieses Zucken mit so einer Art hypnotisierender Fähigkeit zusammenhing, die Skratschko bei Bedarf auf sein Gegenüber anwenden konnte.

Doch wichtiger als alle Äußerlichkeiten dieses markanten Gesichts war die Ausstrahlung. Das Gesicht – nein, die ganze Person Skratschkos – strahlte eine solch tiefe Würde aus, dass man gar nicht anders konnte, als ihm mit Ehrfurcht und Respekt gegenüber zu stehen.

Im Gegensatz zu Skratschko wäre Patsch als außerordentlich schön zu bezeichnen gewesen, wenn er bloß mehr Wert auf sein Äußeres gelegt hätte. Eine ordentliche Haarwäsche hätte wahrscheinlich genügt und jedes Opernhaus hätte ihn ohne Prüfung seiner Gesangsstimme als blonden, jugendlichen Helden engagiert. So aber floss sein langes, blondes, vor Fett triefendes Haar wie kümmerliche Rinnsale an Kopf und Schultern hinab. Skratschko sagte einmal: „Patsch ist und bleibt ein verwahrlostes Objekt. Dabei habe ich schon mächtig an ihm zurechtgebogen und poliert. Du hättest ihn sehen müssen als ich ihn gefunden habe. Ein schmieriger, stinkender Dreckhaufen in Form einer zu kurz geratenen Bohnenstange. Ein unverständlich lallender, lausiger Lump, dem unentwegt der Sabber aus dem Munde floss.“

Patsch, der diese Bemerkung gehört hatte, verdrehte die Augen und machte mit der Hand ein Zeichen, das mir bedeuten sollte, ich solle Skratschko nicht ernst nehmen. Aber weiter regten ihn abfällige Bemerkungen über sein Äußeres nicht auf.

Das einzige, worauf er achtete, war, die Augenbrauen hoch zu bürsten, damit er etwas wilder aussah. „Muss ja nich gleich jeder merken“, erklärte er mir, „dass icke im Grunde von meim Herzen janz zartfühlend bin.“

Aus dem gleichen Grund malte er sich gelegentlich mit Kohle einen schwarzen Bart an. Das passte natürlich nicht zu seinen blonden Haaren, aber ein blonder Bart wäre kaum aufgefallen. Daneben gab es nur eins, was seine so grazilen Gesichtzüge verunzierte. Eine große Narbe auf seiner linken Wange.

Das eitle Gehabe mit seinen Augenbrauen und seinem angemalten Bart, das in so merkwürdigem Kontrast zu seinem ungepflegten, schmierigen Äußeren stand, war es jedoch nicht, was in mir von Anfang an ein Gefühl des Unbehagens auslöste. Ich hätte damals nicht sagen können, was dieses Unbehagen, dieses Misstrauen eigentlich hervorrief. Auch war ich mir dieses Gefühls lange selbst kaum bewusst, da ich viel zu sehr im Bann von Skratschkos Persönlichkeit stand, um über Patsch groß nachzudenken.

Doch lassen wir jetzt mein Verhältnis zu Patsch beiseite. Ich denke, die Zeit ist nun reif, mich etwas deutlicher über das Wesen der beiden auszulassen. Ich selbst war damals noch sehr naiv und brauchte eine Weile, bis ich mir nach und nach – aufgrund ihrer Erzählungen, die ich anfangs nur für lustige Geschichten gehalten hatte – eingestehen musste, dass ich es nicht mit gewöhnlichen Menschen zu tun hatte. Irgendwann war jedoch meine Verunsicherung so groß, dass ich es wagte, sie zu fragen, ob sie so etwas wie Kobolde oder Elfen wären.

Skratschko holte tief Luft und wurde so aufgebracht, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. „Mein hitziges Blut gerät in wogende Wallung, wenn ich diesen Quatsch höre, in der Tat“, schrie er mich an. „Diesen zehnmal durchgewalkten Schwachsinn, den sich schwadronierende Schreiberlinge seit Jahrhunderten aus der Feder quetschen und auf Papier klecksen. – Und Ihn haben sie also auch schon eingewickelt.“

„Dann vielleicht Hobbits?“, fiel ich ihm ins Wort – in der irrwitzigen Hoffnung, meine lächerliche und Skratschko offensichtlich zutiefst beleidigende Bemerkung damit gut zu machen.

Skratschko erstarrte. Sein Kopf nahm die Farbe eines glühenden Feuerballs an. „HO – BBITS? Will er mich zu wahrhaft infernalisch glühender Weißglut bringen? Hobbits! Diese missgestalteten Kopfgeburten dieses phantasiezerfressenen englischen Professors, dieses irrlichternden Geschichtendichters, dieses Elfen-Legasthenikers, dieses mickrigen Mythenquacksalbers, dieses – dieses – J. – R. – R. – Tollkirsch!“

Er stieß mir mit seinem Zeigefinger so heftig gegen die Brust, dass ich einen Schritt rückwärts stolperte.

„Gib Er zu, Er hat viel zu viele dieser schändlichen Bücher gelesen.“ Wenn er ganz besonders streng sein wollte, redete er einen mit Er und Ihn an. Dann war wirklich nicht mit ihm zu spaßen.

„Aber ... aber Lesen ist doch wichtig“, versuchte ich mich zu verteidigen. „Das sagt auch mein Deutschlehrer.“

„Lehrer! Lehrer!“, fuhr Skratschko auf und tippte mir wieder so heftig mit dem Finger gegen die Brust, dass es schmerzte. „Wären Lehrer doch auch bloß solch Fantasiegezücht wie Elfen, Kobolde, Feen, Zyklopen, Glasmännchen und wie sie alle heißen. Diese Bücher wollen Ihn einwickeln und seine Fantasie vertrocknen. Schon der alte, wackere Merlin hat versucht, euch Menschlinge vor diesem Laster zu bewahren, in der Tat. Merk Er sich die Warnung, die Merlin in der Höhle der unerreichbaren Wahrheiten in Butter meißeln ließ:

Ein Buch, sie zu knechten, eins sie zu binden

Ins Dunkle zu schreiben, in Nebel zu winden.

Buch um Buch und Seite für Seite

Führt die Lämmer in ganz leere Weite.

Viele dergleichen, das Hirn zu beschleichen.

Fantastisches in maßloser Fülle

Und Fantasie wird leere Hülle.“

Ich war ziemlich verwirrt und sagte zaghaft: „Aber mein Deutschlehrer sagt, viel lesen würde die Fantasie anregen.“

Skratschko strafte meinen kindlichen Widerspruchsgeist, indem er mir erneut seinen Zeigefinger in die Brust bohrte und wütend schnaubte. „Er soll mir von diesen liederlichen Lehrern und quacksalbernden Querulanten schweigen. Diesen schamlosen Scharlatanen und berufsmäßigen Dummschwätzern.“ Er holte tief Luft, schloss die Augen und bemühte angestrengt, sich zu beruhigen. Mit etwas gedämpfter Stimme fuhr er fort: „Eins dieser Bücher mag vielleicht noch angehen, in der Tat. Aber die Dosis macht das Gift!“

„Den Spruch kenn ich“, entgegnete ich schnell, froh, endlich was Zustimmendes sagen zu können. „Der Spruch stammt von irgend so einem berühmten Arzt aus dem Mittelalter. Para... Para...lyse oder so ähnlich hieß der.“

Ein Schmunzeln huschte über Skratschkos Mund und mit wieder freundlich-väterlicher Stimme verbesserte er mich: „Paracelsus.“ Er machte eine leichte Verbeugung. „Er steht vor dir.“

Verdutzt rieb ich mir die Augen. „Wie, ich denke, du heißt Skratschko?“

„Sicher, mein Kleiner. Paracelsus war im Mittelalter bloß eine zeitlang mein Künstlername. Damals grassierte überall diese grässliche Latein-Mode. Seit Jahrhunderten lebte kein Lateiner mehr, aber jeder, der was auf sich hielt, redete nur noch lateinisch. Ohne lateinische Namen ging nichts mehr. Ohne lateinischen Namen hätte wahrlich kein Pestkranker sich von mir heilen lassen, in der Tat. Wenn ich die dahinsterbende Menschheit nicht ihrem Schicksal überlassen wollte, so war ich gezwungen, mich dieser kindischen Mode zu beugen.“

Nun war ich vollends verwirrt und fragte: „Seid ihr also doch ganz normale Menschen, bloß etwas älter?“

Skratschko zuckte zurück und rief angewidert: „Igitt igitt igitt. Wir und Menschlinge? Zügle Er sein liederliches Mundwerk!“

Patsch, der wie meist auf seine übliche, lässige Art auf der Wiese gelegen hatte, war wie ein Blitz aufgesprungen und drückte mir ein langes Messer an die Kehle. Das Messer hatte er, schneller als meine Augen es wahrnehmen konnten, irgendwo aus verborgenen Taschen seiner Nadelstreifenhose gezückt. Im Umgang mit seinen Messern war Patsch ein wahrer Zauberkünstler. Ich sah mein letztes Stündlein gekommen, doch Skratschko packte Patschs Handgelenk und sagte: „Beruhige dein aufschäumendes Gemüt, Patsch. Er kann ja nichts dafür, dass die Erwachsenen aus lauter Angst nie die Wahrheit erzählen.“

„Welche Wahrheit?“, brachte ich stotternd hervor. „Wovon redet ihr?“

Skratschko und Patsch verständigten sich kurz mit Blicken, dann meinte Skratschko mit einem Kopfnicken zu Patsch: „Erzähl du’s ihm. Du redest doch so gern. Aber keine fantastischen Ausschmückungen. Immer hübsch bei der Wahrheit bleiben. Hast du mich verstanden, Patsch?“

Dieser antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung und wandte sich an mich: „Okay, Milchbubi! Jetzt janz locker bleiben. – Es gibt euch Menschlinge – die kennste ja zur Jenüge – und es gibt die Eijentlichen. Det sind nich alles solche Prachtexemplare wie icke, es jibt darunter sogar ausjesprochen fiese Arten wie etwa die Schleimbeutler, die Schnurks oder den Tanz-Wüterich. Die meisten erwachsenen Menschlinge wissen ooch einigermaßen Bescheid über die Eijentlichen und vor allem über die ...“, er versicherte sich mit einem Blick zu Skratschko, bevor er mit gesenkter Stimme weiter redete, „... über die Wilde Annamarie. Aber sie ham so viel Schiss vor ihr, dass sie wie jelähmt sind, wenn sie nur an sie denken. Keener wagt, ihren Namen auszusprechen. Nich mal mit andern Erwachsenen sprechen sie über uns Eijentliche. Jeder weeß, dass jeder Bescheid weeß. Aber das Grauen lässt ihre Zunge jefrieren. Und selbst die, denen die Wilde Annamarie en Bein oder en Arm abjebissen hat, erzählen noch heute sojar ihrem engsten Freund, es sei ein Unfall mit der Motorsäge jewesen.“

Skratschko klatschte bedächtig in die Hände und sagte anerkennend: „Fürwahr, ich staune, Patsch. Wenn es sein muss, kannst du ja tatsächlich deine notorische Flunkerei sein lassen.“

Patsch spuckte bloß aus und grummelte: „Ach, wat weeßt du denn schon.“

Das Lob von Skratschko war ehrlich gemeint, doch er hatte Patsch auch unterbrochen, um ihn daran zu hindern, mir zu viel auf einmal zu erzählen. Denn natürlich war das noch nicht die ganze Wahrheit. Skratschko wollte mir die Qualen der Erkenntnis nur nach und nach zumuten. Er wollte mich immer noch schonen. Und auch ich will die Ahnungslosen unter meinen Lesern noch eine Weile schonen. Ihr solltet mir dankbar dafür sein.

Skratschko & Patsch

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