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7.

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Als Bernemann auf seiner Düne saß und ich im Strandkorb mit meinem Wildwestschinken residierte – mit dem Hölderlin stets in greifbarer Nähe –, fiel mir siedendheiß ein, daß ich vergessen hatte, den Kommissar anzurufen. Damals verfügte ich noch nicht über ein Mobiltelefon. Ich hätte natürlich auch Bullys Telefon benutzen können, aber ich konnte auch bis zum Nachmittag warten. Die Pistole würde ja nicht davonlaufen. Und es war doch wohl auch nicht zu erwarten, daß der Kleinkriminelle im Laufe des Tages in der Pension aufkreuzte und sich gewaltsam Zugang zu unserem Zimmer verschaffte. Oder vielleicht doch?

Die Handlung im wildwestlichen Laramie war zwar ungeheuer spannend und packend und faszinierend, aber irgendwie schlich sich während meiner Lektüre immer wieder unser realer Westentaschenganove in meinen Hinterkopf hinein. Ich klemmte den Roman unter unsere Strandtasche, ließ den Hölderlin gut sichtbar liegen und gesellte mich zu Bernemann auf die Einmeterdüne. Da hockten wir nebeneinander und schauten aufs Wattenmeer und auf die roten Backsteinhäuser der Insel Baltrum. Über uns keckerten vier, fünf Möwen und spielten Fangen im Wind.

Wahrscheinlich träumte Bernemann nun davon, wie er wieder mal an Bord von Leif Erikssons Wikingerschiff unterwegs war nach Nordamerika, um mit den Skrälingern das Kalumet des Friedens zu schmauchen, und es war ihm vermutlich dabei völlig piepschnurzwurschtegal, ob der Rauch ihn im Halse kratzte oder sogar Ursache für heftige Hustenanfälle wäre, denn er konnte ja vor den First Americans auf keinen Fall kneifen. So etwas war nicht die Art eines Bernemann Andersen, das war doch sonnenklar, da gab es keinen Zweifel …

Und ich schloß die Augen und ließ mich vorbeischweben an der Insel Sylt und an der dänischen Küste, ich zog weiter nach Norwegen und bewunderte die Berglandschaften und die Küstenorte mit ihren bunten Holzhäusern, ich bog in den Sognefjord hinein und umkreiste den Ort Kaupanger, und schließlich ging es nordwärts weiter, und ich landete auf der Inselgruppe der Lofoten.

Die Lofoten!, so fuhr es mir durch den Kopf, hohe felsige Berge und falunrote und babyblaue Holzhäuser, die harten Winter und das wilde Meer, immer schon wollte ich zu den Lofoten reisen, und obwohl ich im richtigen Leben schon vor Norwegen entlanggeschippert bin, mit der einzigen Seekranknacht meines Seereiselebens, ist es mir noch nie gelungen, auf einer Lofoteninsel zu landen, und ich stellte mir also auf meiner Neßmersieler Stranddüne vor, wie ich in dem Örtchen Skutvik den Besitzer eines Fischkutters bequatschte, mich hinüber nach Svolvaer zu bringen, und wir stampften durch die widrige See, der Wind pfiff uns um die Ohren, und der Gischt klatschte hoch über die Bordwand, und für einen Moment dachte ich, daß mich die Seekrankheit zum zweitenmal mit ihrer unüberwindlichen Übelkeit ergreift – nur fiel mir glücklicherweise gerade noch rechtzeitig ein, daß ich mich ja auf einem imaginären Trip befand –, und ich landete unversehrt und ohne Komplikationen auf den Lofoten. Ein Freund meines Kutterkapitäns nahm mich in seinem Holzhaus auf, und er zeigte mir in einer Art Geräteschuppen, wie er massenhaft Stockfisch zum Trocknen aufgehängt hatte, und am Abend vertilgten wir unvorstellbare Mengen dieser Spezialität und becherten ein angemessenes Quantum Aquavit, weil Fisch ja bekanntlich schwimmen muß. Und im Morgengrauen hielten wir nach Hulden und Trollen Ausschau, und wir entdeckten tatsächlich im Frühnebel ein paar dieser anderweltlichen Wesen, bis die Ehefrau meines Gastwirtes mutmaßte, daß der übermäßige Genuß von Aquavit an allem schuld sei …

Ich schaute nach Bernemann. Er schien sich nach wie vor mitten in seinem Wikingerabenteuer bei den Skrälingern zu befinden. Ab und zu hustete er trocken vor sich hin. So geht es einem, wenn man nicht auf die Experten hören will. Eine Nordseestranddüne ist wirklich ein prima Ort zum Träumen. Morgen würden Karla und ihre Mutter in Ostfriesland ankommen, und zwei, drei Tage später würde auch Marietta hier eintreffen.

Bernemann kehrte schon nach ein paar Minuten zurück von den Skrälingern, und wir gingen zu Bullys Imbissbude, aßen Pommes und tranken Limonade, plauderten ein wenig mit Bully und sprachen über die allgemeine Situation des Tourismus und der Fischwirtschaft an der Nordsee, bevor wir wieder zurück zu unserem Strand korb bummelten, wo ich mich intensiv den Schriften von Friedrich Hölderlin widmete.

Ich finde, Hölderlin hat es immer noch verdient, daß man sich intensiv mit seinen Schriften beschäftigt.

Bernemann sitzt auf der Düne

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