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Wir fuhren zu Mutter Gretchens Pension in Nesse, wo wir uns immer niederzulassen pflegen, wenn wir in Ostfriesland weilen. Mutter Gretchen leitete noch einen Gastronomiebetrieb, den man als alte Schule (oder auf Neuhochdeutsch auch: Old School) bezeichnen konnte, wobei man diese Bezeichnung aber auf gar keinen Fall als politisch betrachten darf, sondern kulturell zu verstehen hat. Es gab bei ihr eine klassische ostfriesische Küche, allerlei Fisch und Pinkel und Nordseekrabben mit Spiegeleiern und Bratkartoffeln in vielen fantasievollen Variationen, oft gab es abends dezente friesische CD-Musikuntermalung im Gastraum, also Godewind und Knut Kiesewetter und Fiede Kay und etliche regionale Nordmusik von der Küste mit urigen Künstlern. Interessant war auch Mutter Gretchens Festnetztelefon, ein uraltes Gebilde in einem schummerigen Vorraum, ein schwarzes Ungetüm mit einem schweren Hörer und einer Gabel, auf der dieser Hörer im Ruhestand lagerte, und mit einer Wählscheibe wie aus den 1960er Jahren. Mutter Gretchen ließ ihre Gäste ausschließlich mit diesem antiken Fossil telefonieren, ganz egal, ob jemand von hier aus anrufen wollte oder ob ein Anruf von draußen einging. Ich wußte allerdings, daß Mutter Gretchen in aller Klammheimlichkeit auch über ein modernes Mobiltelefon verfügte. Sie zelebrierte eben gern ihr Firmenbild als klassisch-altmodischen Pensionsladen von einiger Tradition.

Als wir vom Strand eintrafen, kam Mutter Gretchen aus dem Gastraum und gab uns ein Zeichen. Sie war eine kleine, dralle Person mittleren Alters mit hellwachen aquarellblauen Augen und einem geflochtenen Haarzopf, den sie rund um ihren Hinterkopf drapiert hatte.

»Du, hör mal, Peter«, sagte sie, »da sitzt ein Herr im Schankraum und wartet auf dich.«

»Aber Mutter Gretchen«, sagte ich, »ich kenne hier niemanden.«

»Ich auch nicht«, piepste Bernemann.

»Jaja, ich weiß«, sagte unsere Gastwirtin. »Aber es handelt sich gewissermaßen um einen offiziellen Besuch.«

»Habe ich was falsch gemacht? Hab ich einen Strafzettel kassiert oder was?«

»Nein, nein, nein«, beschwichtigte sie, »geh nur mal rein und sprich mit ihm. Ich bringe dem Bernemann ein Eis.«

»Cool!«

In der hinteren rechten Ecke des Gastraums saß ein Mann um die Vierzig, der einen zerknitterten Herbstmantel trug wie weiland Inspektor Columbo. Er hatte einen dichten schwarzen Schnauzbart.

Ich wunderte mich ein wenig, denn Bernemann und ich waren sommerlich gekleidet. Andere Gäste befanden sich momentan nicht im Raum. Ich trat an den Tisch des Mannes.

»Sie wünschen mich zu sprechen?«

»Wenn Sie Herr Andersen aus dem Zimmer 102 sind.«

»Peter Andersen, Zimmer 102«, bestätigte ich. »Mit wem haben wir das Vergnügen?«

»Nehmen Sie doch Platz. Bitte. Ich bin Kommissar Harald Hasenleder.«

»Oh«, machte ich, »und ich dachte, die Männer hier heißen alle Ubbo Poppinga und Enno Ostersand und so ähnlich.«

»Ich bin ein Zugereister«, sagte Herr Hasenleder. »Vor fünfzehn Jahren haben sie mich nach Ostfriesland versetzt.«

»Und? Kommen Sie gut zurecht?«

»Man gewöhnt sich, Herr Andersen. Ich gebe zu, manchmal geht es mir auf den Wecker, wenn ich die Jungs an der Theke nicht verstehe, die up platt snacken, das hat sich auch nach fünfzehn Jahren nicht gebessert, aber ich denke mir dann, daß ich immer am längeren Hebel sitze, weil ich diese Burschen ja jederzeit einfach festnehmen könnte.«

»Haben Sie das schon mal praktiziert?«

Er lachte leise vor sich hin und schaute dabei beiseite. »Tatsächlich hab ich das mal gemacht. Ich hab drei junge Männer in einem Küstendorf von der Theke weg verhaftet, hab die Kollegen angerufen und die drei nach Aurich schaffen lassen.«

»Welchen Grund haben Sie für die Verhaftung angegeben? Das Verwenden einer Geheimsprache? Verdacht auf Mitgliedschaft in der Fritz-Reuter-Bande?«

»Verdunkelungsgefahr«, sagte Kommissar Hasenleder trocken.

»Ist das heutzutage ein offizielles Delikt? Oder doch eher politisch nicht korrekt?«

»Das weiß ich selber nicht so genau«, sagte er. »In Aurich mußten wir die Jungs natürlich wieder laufen lassen, aber sie konnten erstmal sehen, wie sie in ihr Dorf zurückkamen. Tja«, er schüttelte den Kopf, »das war natürlich keine kriminalistische Glanztat von mir, und ich habe auch keine Ahnung, warum ich Ihnen diesen Schwank erzähle. Aber ich weiß jetzt immerhin, daß ich so etwas im Bedarfsfall noch einmal machen könnte.«

»Warum wollen Sie mich sprechen?«

»Ach so. Ja. Wir hatten letzte Woche, offenbar zwei oder drei Tage vor Ihrer Ankunft, einen Einsatz hier in dieser Pension. Ein bekannter Straftäter, ein Dieb und Trickbetrüger hat sich in dieses Haus geflüchtet, und wir haben ihn dann dingfest gemacht. Das fand im Zimmer 102 statt, das Sie jetzt bewohnen.«

»Cool!« warf Bernemann ein, der inzwischen ein großes Eis vor sich stehen hatte und daran herumlöffelte. »Echt voll cool!«

»Und wie«, erkundigte ich mich, »kann ich Ihnen helfen, Herr Hasenleder?«

»Nun«, sagte der Beamte, »nach unseren Informationen war der Dieb und Betrüger, den wir in diesem Haus gestellt haben, mit einer Pistole bewaffnet. Wir haben aber die Waffe weder bei unserem Mann noch irgendwo in Ihrem heutigen Zimmer gefunden. Ich wollte Sie daher bitten, die Augen offen zu halten. Vielleicht stoßen Sie ja zufällig auf die verschwundene Pistole.«

»Dürfen wir sie dann behalten?« trällerte Bernemann lauthals, bevor er einen neuen gehäuften Löffel Eis einfuhr.

»Das ist nicht ungefährlich, junger Mann«, warnte der Kommissar. »Du solltest die Waffe auf keinen Fall anfassen.« Er reichte mir eine Visitenkarte mit einer Polizeirevieranschrift in Aurich. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas auffällt. Und auch für Sie wäre es besser, wenn Sie die Pistole nicht anfassen, damit wir die Spuren sichern können.«

»Geht klar«, sagte ich und steckte die Visitenkarte ein.

Kommissar Harald Hasenleder erhob sich. Er streckte mir die Hand hin. »Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt in Ostfriesland. Und ärgern Sie sich nicht, wenn Sie einen Snack up platt nicht verstehen.« Und mit erhobener Stimme: »Junger Mann, laß dir das Eis schmecken.«

Damit stapfte er davon. In seinem zerknitterten Herbstmantel sah er tatsächlich ein wenig wie Inspektor Columbo aus.

Bernemann sitzt auf der Düne

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