Читать книгу Die Zukunft von Messen, Kongressen und Events - Peter Borstel (Hrsg.) und 28 Top-Experten - Страница 13

Die Antworten auf Veränderungen: Wohin entwickeln sich Messeformate?

Оглавление


KAI HATTENDORF


Geschäftsführer des Weltmesseverbandes UFI

Lange Erfolgsgeschichte

Die Messewirtschaft blickt auf eine sehr lange Erfolgsgeschichte zurück. Sie hat ihre Veranstaltungsformate über viele Jahrzehnte immer wieder an veränderte Bedürfnisse von Angebot und Nachfrage anpassen können. Auch auf Krisen wurde schnell reagiert. So sind in der Folge von 9/11 zügig Sicherheitskonzepte entwickelt und umgesetzt worden. Die aktuelle Corona-Krise führt dazu, dass Messen zudem hygienisch sicherer sind. Durch diese schnellen Reaktionen sind ein paar neue To-do-Elemente auf der Checkliste hinzugekommen, ohne dass sich Messen systemisch verändert haben.

Mittelfristige Megatrends

Wenn die Auswirkungen der Pandemie überwunden sind, werden mittelfristig die Megatrends „Globalisierung“ und „Digitalisierung“ wieder in den Fokus rücken – Covid-19 beschleunigt dabei die Entwicklungen. Schauen wir zunächst auf die Globalisierung: Ab dem Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts ging es lange Zeit nur in eine Richtung. Gut 25 Jahre lang haben sich Märkte geöffnet, es wurden Handelsschranken abgebaut. In den letzten fünf Jahren hat sich dieser Prozess verlangsamt, teilweise sogar rückentwickelt – Nationalismus und Protektionismus haben zugenommen, wie der jüngste Handelsstreit zwischen den USA und China zeigt.

Automatisch stellt sich da die Frage, ob die Globalisierung ihren Zenit mit ihren maximalen Auswirkungen erreicht oder überschritten hat. Kommt es zu einer Renationalisierung und/oder verändert sich der Prozess der Globalisierung? Letzteres könnte das Ergebnis aus den während der Covid-19-Krise gewonnenen Erfahrungen sein. Exemplarisch lassen sich hier die Lieferketten im Pharmabereich anfügen, die wahrscheinlich partiell neu überdacht werden. Im Messebereich dürfte sich das klassische Modell „eine Leitmesse für jede Branche weltweit“ verändern – hin zu mehr kontinentalen Leitmessen: Das heißt, dass es in jeder Branche eine internationale Leitmesse auf unterschiedlichen Kontinenten gibt; zum Beispiel unter dem Dach einer Marke in Europa, Asien und Nordamerika. Dieser verstärkte Trend zur Georegionalisierung hat schon vor der Corona-Krise eingesetzt. Angesichts von anhaltenden Reisebeschränkungen dürfte er sich weiter verfestigen.

Als Folge trifft sich die Branche nicht mehr nur einmal im Jahr. Vielmehr kommen relevante Teile der Community dann mehrmals pro Jahr zum Austausch zusammen. Das geht einher mit der Digitalisierung, durch die sich Kunden wesentlich dauerhafter erreichen lassen. Dieser Dialog in der Community verstetigt sich zunehmend ganzjährig, beispielsweise über Kundenplattformen und Matchmaking-Aktivitäten. Für Messe-Veranstalter bedeutet dies eine große Chance, zumindest Teile ihres Geschäfts ins Digitale zu verlagern. So geben in Deutschland kleine und mittelständische Unternehmen rund 40 Prozent ihres Marketingbudgets für direkte Wirtschaftskommunikation aus; darunter fällt insbesondere auch die Beteiligung an Messen. Gelänge es Veranstaltern, über digitale Angebote von den übrigen 60 Prozent lediglich zehn Prozent zu absorbieren, bedeutete das ein Riesenumsatzpotenzial – ohne dass dabei das klassische Geschäftsmodell von Messen kannibalisiert würde.

Darüber hinaus ist Veränderung oft gleichbedeutend mit Vereinfachung. Digitale Dienstleistungen bringen den Zielgruppen einen größeren Nutzen, etwa wenn sie auf analogen Angeboten aufbauen und sie weiterentwickeln. Beispiel Messekatalog: Früher mussten Besucher den ganzen Veranstaltungstag ein schweres, gedrucktes Exemplar durch die Hallen schleppen. Längst gibt es alternativ digitale Kataloge oder entsprechende Messe-Apps. Damit lassen sich Daten schneller abrufen und über eine Kontaktfunktion leichter Gespräche anbahnen. Prinzipiell handelt es sich um das gleiche Medium („den guten alten Katalog“), jedoch in neuer, verbesserter Form. Ein anderes Beispiel sind messebegleitende Konferenzen: Deren Inhalte werden zunehmend breiter verfügbar sein, weil sie nicht nur live erlebbar, sondern immer stärker online abrufbar sind. Anhand der Klicks lässt sich zudem das Interesse an bestimmten Themen noch messbarer machen.

Neben den Megatrends Globalisierung und Digitalisierung ist die Nachhaltigkeit ein weiterer Megatrend. Hier hat die Messewirtschaft noch Hausaufgaben zu erledigen. Das betrifft einerseits die Kommunikation, im Sinne von Aufklärung, denn Messen gelten landläufig als wenig umweltfreundlich. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wenn sich die internationalen Entscheider auf einer Messe an einem Ort treffen, schont das Ressourcen. Schließlich brauchen sie nicht vieltausendmal hin- und herzujetten, um sich zu treffen. Der größte Hebel in Sachen Nachhaltigkeit liegt allerdings beim Abfallmanagement rund um die Messeauftritte von ausstellenden Unternehmen. Hier gilt es, künftig intelligent damit umzugehen und effektive Lösungen umzusetzen. Bedeutet: möglichst alle eingesetzten Elemente und Materialien wiederzuverwerten und/oder zu recyceln.

Noch ein Trend, aber sicher kein Megatrend ist die Erlebnisorientierung. Stärker als vor zehn oder zwanzig Jahren spielt sie auf Messen eine Rolle. In diese Richtung ist ein leichter Swing festzustellen, jedoch kein dramatischer: Messen sind und werden kein Oktoberfest! Natürlich will sich kein Mensch auf der Messe quälen, insofern ist Wohlfühlen aktuell und in Zukunft ein Hygienefaktor. Dazu passt, dass sich Messebesucher im Zuge der verstärkten Individualisierung ihren Rahmen selbst zusammenstellen möchten. Der Wohlfühlfaktor betrifft ebenfalls die laufende Verbesserung der Veranstalterangebote – beispielsweise die Anmeldeprozeduren wesentlich leichter und damit angenehmer zu gestalten. Hier kommt dann wiederum die Digitalisierung ins Spiel.


Erweiterte Messeformate

In der Zeit nach Covid-19 dürfte es im Rahmen von Messen vor allem um Transaktion gehen. Den Veranstaltern kommt dabei weiterhin die Kernaufgabe zu, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Da sich Messen längst von einer Produktschau zur Dialogplattform entwickelt haben (und weiter entwickeln werden), gerät das klassische Messe-Geschäftsmodell – Aussteller sorgen über das Anmieten von Standfläche für den überwiegenden Teil der Einnahmen – unter Druck. Gesucht wird eine zweite Ertragsquelle, mit der etwa Transaktionen auch vor und nach einer Messe initiiert werden. Matchmaking, die gezielte Zusammenführung von Angebot und Nachfrage, wird durch digitale Unterstützung immer professioneller gestaltet. Schon jetzt gibt es Veranstalter, die damit sehr erfolgreich sind und Rechnungen nach vermittelten Kontakten stellen.

Veränderung bedeutet auch Weiterentwicklung. Beim Vergleich mit den Vorjahren erscheinen Hallenpläne häufig auf den ersten Blick ähnlich. Doch wer nach fünf Jahren Pause wieder zu einer Messe geht, hat ein völlig anderes Erlebnis. Die Messe erfindet sich neu, sofern Veranstalter die richtigen Antworten auf Veränderungen innerhalb einer Branche haben. Entscheidend ist, dass es Messeveranstaltern künftig gelingt, nicht nur operativ die Messehallen zu füllen – sondern auch strategisch mit den richtigen Maßnahmen das Angebot und die Nachfrage zielgenau und marktgerecht zusammenzuführen. So bleiben sie weiterhin im Spiel. Denn genau das ist die eigentliche Schlüsselkompetenz, auf die es ankommt: Natürlich bleibt die professionelle Organisation von Messen bedeutsam. Diese Fähigkeit kann allerdings auch von Dritten erlernt oder kopiert werden. Elementar für den Erfolg ist das Branchen-Know-how – sprich die Kontakte/der Zugang in eine Branche und die Fähigkeit, diese Branche als Community zu verknüpfen.


Aktivieren von Transaktionen

Dieses Know-how und das entsprechende Netzwerk führen dazu, dass die Markteintrittsbarriere für externe „Player“ nur äußerst schwer zu überwinden ist – die virtuelle Konkurrenz hat es in der Vergangenheit häufiger versucht, sich jedoch bislang ihre Zähne ausgebissen. Anders als in der sich ebenso wandelnden Automobilindustrie scheint ein „Tesla der Messewirtschaft“ nicht in Sicht. Und: Letztlich werden Verträge immer noch von Menschen unterzeichnet. Dadurch befinden sich Messeveranstalter in einer ziemlich guten Position. Solange ihr Fokus auf dem „Aktivieren von Transaktionen – verknüpft mit Umsetzungskompetenz“ bleibt, haben sie es selbst in der Hand, ihren Vorteil zu nutzen.

Die Zukunft von Messen, Kongressen und Events

Подняться наверх