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Wohlstandsfaktor Messe

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WOLFGANG MARZIN


Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt

Die anhaltende Corona-Krise und das damit verbundene Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens hat auch die Messe-, Kongress- und Eventbranche hart getroffen. Vor der Krise befand sich die Messewirtschaft in einem erfolgreichen Zustand. Alle Prognosen ließen auch für die nächsten Jahre einen wachsenden Bedarf an Veranstaltungen erwarten. Die auferlegten Beschränkungen für zahlreiche Veranstaltungsformen haben große Teile der Branche über Nacht zum Erliegen gebracht. Deshalb fällt es aktuell nicht leicht, in dieser Krise auch Chancen zu sehen – denn die allgemeine Lage ist volatil. Trotzdem müssen Mittel und Wege gefunden werden, die Veranstaltungsbranche durch diese Krise zu führen und sie in diesem Zuge weiter zu entwickeln.

Zahlreiche Wirtschaftszweige und -branchen – wie unsere Industrie auch – sind durch die Pandemie unverschuldet in große Not gekommen. Deshalb stellt sich für den Außenstehenden häufig die Frage, was gerade an der Messewirtschaft so besonders sein soll? Ganz einfach: Messen und Ausstellungen sind – und waren schon immer – bewährte Motoren der Wirtschaft. Enorm wichtig, gerade in und nach Krisen. So waren sie beispielsweise auch die getreuen Wegbegleiter des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die deutschen Messeplätze sind seit Jahrzehnten die Schaufenster und Treiber der Wirtschaft. Dabei machte die Messewirtschaft auch alle Krisen und Zeitläufe der unterschiedlichsten Branchen mit und war, als zentrales Element der wirtschaftlichen Entwicklung, immer zugleich auch Indikator und Stabilisator des Kreislaufs. Messen, Kongresse und Events tragen somit in erheblichem Maße zum wirtschaftlichen Wohlstand unserer Gesellschaft bei.

Dass die wirtschaftliche Bedeutung der Messewirtschaft von großen Teilen der Öffentlichkeit nicht gesehen wird, ist keine neue Erkenntnis. Und dies obwohl die gesamte Veranstaltungsbranche den sechstgrößten Wirtschaftszweig in Deutschland stellt. Dies hat eine aktuelle Studie des R.I.F.E.L. (Research Institute for Exhibition and Live-Communication) im Auftrag der Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft (IGVW), des FAMAB Kommunikationsverband und aller relevanten Verbände der Veranstaltungsbranche erneut bestätigt. Darin wurde die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungsbranche in Deutschland in Zahlen und Fakten, gewissermaßen schwarz auf weiß, abgebildet.


Hochkomplexe Wertschöpfung

Insgesamt werden etwa 1,5 Millionen Mitarbeiter beschäftigt und knapp 130 Milliarden Euro Umsätze erwirtschaftet. Allein im Bereich der wirtschaftsbezogenen beziehungsweise Business-Veranstaltungen, al-so in der Event- und Messebranche als sehr personalintensive Dienstleistungen, arbeitet etwa eine Million der 1,5 Millionen Beschäftigten.

Wesentliche Ursachen dieser hohen Beschäftigtenzahlen im Bereich der Business-Veranstaltungen sind die Komplexität und die Vernetzung der Akteure. Sie greifen auf viele Wirtschaftsbereiche und Kompetenzen zurück, um so erfolgreich hochkomplexe, personal- und materialintensive Messen und Events planen und umsetzen zu können.

Dabei sind der Branche alle Unternehmen und Selbstständige zuzurechnen, die an der Konzeption, Planung und Durchführung von Business-Veranstaltungen mitwirken. Die Kernakteure sind Unternehmen, die auf Basis eines eigenen Konzepts (Messeveranstalter, Tagungs- und Kongressveranstalter) oder im Auftrag von Kunden aus Wirtschaft und Gesellschaft (Event-/Live-Kommunikationsagenturen, Messebauer) Veranstaltungen planen und durchführen. Zu den Akteuren im engeren Sinn gehören auch alle unmittelbaren Veranstaltungsdienstleister (zum Beispiel Venue-Betreiber, Veranstaltungslogistik, Entertainment et cetera), die entweder im Auftrag von Kernakteuren arbeiten oder durch Kunden direkt beauftragt werden.

Aufgrund der komplexen Wertschöpfung hat sich um die eigentliche Kernbranche herum ein funktionales Ökosystem von unterschiedlichen Partnern, Zulieferern und Dienstleistern gebildet. Damit erzeugen Business-Veranstaltungen hohe Wertschöpfungseffekte in benachbarten Branchen wie im Tourismus und in der Gastronomie, aber auch im Verkehrs- und Mobilitätsbereich sowie im Bereich Marketing, PR, Kommunikation sowie bei Sport- und Kultureinrichtungen. Nicht zuletzt erzielen auch Kommunen, Gemeinden, Städte und Regionen nennenswerte Teile ihrer (Steuer)-Einnahmen durch Business-Veranstaltungen wie Messen, Events und Kongresse.

Diese Tatsache belegt auch eine Studie des ifo-Instituts aus dem Jahr 2018. Danach generieren Veranstaltungen der Messe Frankfurt in Deutschland jährlich eine Kaufkraft von 3,6 Milliarden Euro. Im Umkehrschluss werden dadurch aber auch die Auswirkungen der Corona bedingten Einschränkungen deutlich. Dies zeigt einerseits, wie groß der wirtschaftliche Schaden ist, wenn keine Messen stattfinden können. Gleichzeitig zeigt diese Zahl auch, welchen Stellenwert Messen für die Erholung der Wirtschaft einnehmen können, sobald die persönliche Begegnung wieder möglich ist.

Die neue Normalität wird hybrid

Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass nach Corona wieder alles so sein wird wie zuvor. Der Normalzustand unmittelbar nach Corona wird ein anderer sein. Was jedoch bleibt, ist unser Auftrag, unseren Kunden die bestmöglichen Begegnungsplattformen für ihre Branchen zu bieten. Denn eines macht diese Pandemie klar: Menschen brauchen die persönliche Begegnung. Sie kann durch nichts ersetzt werden. Die Komplexität von Sinneseindrücken und spezifischen Reizen kann man nicht digitalisieren. Entsprechend gibt es keinen Ersatz für Messen.

Messen sind Spiegel ihrer Branchen – passgenaue Sonderanfertigungen, die Innovationen zeigen und Zukunft abbilden und keine Konfektionsware. Sie bieten nachhaltige Geschäftsbeziehungen und erzeugen enorme wirtschaftliche Effekte. Deshalb ist es unumgänglich, auf Messen die neuesten Produkte zu erleben und die Menschen dahinter Face-to-Face kennenzulernen. Die persönliche Begegnung schafft Vertrauen, Netzwerke und Inspiration. Die persönliche Begegnung lässt sich auch nicht digitalisieren – nur digital ergänzen, durch Webseminare, Videos, Podcasts. Diese digitalen Tools geben Hilfestellung und Orientierung in der Vor- und Nachbereitung eines Messebesuchs. Deshalb gewinnen komplementäre Ergänzungsformate in virtueller Form an Bedeutung im Marketing-Mix.

Das zeigt beispielsweise der große Zuwachs auf dem digitalen B2B-Marktplatz „Nextrade“ für die Home & Living Branche, den wir bei der Messe Frankfurt unter anderem für unsere Konsumgütermessen nutzen. Dort haben unsere Kunden die Möglichkeit, ihr Order-Management aufrecht zu erhalten und gleichzeitig Geschäftsbeziehungen zu pflegen. „Nextrade“ bietet gerade jetzt unseren Kunden eine digitale 24/7-Geschäftsbeziehung zwischen den Messeteilnehmern und damit neue Chancen. Die Händler können rund um die Uhr und damit unabhängig von aktuellen behördlichen Maßnahmen ihre Order bei den angebundenen Lieferanten platzieren. Die Besucher unserer teilnehmenden Messen nehmen den zusätzlichen Service der Messe Frankfurt aktiv an. Dies beweisen die aktuellen Wachstumszahlen: Mehr als 3.500 Händler, über 300 Lieferanten und rund 400.000 Artikel sind derzeit registriert.

Eine weitere digitale Ergänzung für Fachmessen bietet die Automechanika Frankfurt an, bei der traditionell zertifizierte Branchenworkshops angeboten werden. Damit unsere Kunden aus dem Werkstattbereich diese trotz der Verschiebung der Veranstaltung nutzen können, wird ein Teil der Schulungen im Videoformat verwirklicht. Ähnliche Aktivitäten werden auch bei unseren Tochtergesellschaften realisiert. Etwa bei der SMT Connect und der PCIM Europe, Veranstaltungen unserer Tochtergesellschaft Mesago, die ihren Kunden digitale Formate anbieten.

Ähnlich verfahren wir auch im Sektor Technology: Auf dem Online-Panel ‚Building Technology Experts‘ zeigen hochkarätige Branchenvertreter und Spezialisten in Podcasts, Videos, Grafiken und Umfragen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der technischen Gebäudeausstattung Profil – zu immer wieder neuen Themen. Von Licht und Design über Automatisierung und Sensorik bis hin zu vernetzter Sicherheit.

Alle diese digitalen Formate zahlen zwar mit guten Kommunikationswerten auf unsere Messen ein, sind jedoch keine Alternative zur persönlichen Begegnung. Alle diese Elemente zeigen, dass die Zukunft der Normalität hybrid wird: physisch, wenn möglich, digital, wenn nötig, und beides gleichzeitig, wenn sinnvoll.


Fundament für den Neustart

Auch wenn der Verlauf der Pandemie keine schnelle vollständige Erholung der Event- und Messebranche erwarten lässt, bieten die sehr gut ausgebildeten, kreativen Fachkräfte und das vorhandene Know-how doch ein hervorragendes Fundament für einen erfolgreichen Neustart.

Die digitale Transformation hat durch die Krise eine deutliche Beschleunigung erfahren. Die Digitalisierung wird das persönliche Treffen nicht ersetzen, sondern noch wertvoller machen. Das reale Treffen in anregender Umgebung hilft, Vertrauen zu bilden und positive Geschäftsabschlüsse zu tätigen. Nicht umsonst werden viele Geschäftsabschlüsse direkt auf der Messe getätigt und nicht umsonst sagen viele Unternehmen, das Live-Events wie Messen und Tagungen für ihr Geschäft unverzichtbar sind. Nach der Krise werden die Kunden die Kommunikationsqualität von Events und Messen ganz besonders schätzen. Aber es gilt auch, dass sich die digitale Transformation weiter beschleunigt und die Branche voran bringt. Neue Messe- und Eventformate müssen gemeinsam mit den Kunden entwickelt, reale und virtuelle Erlebniswelten wirkungsvoll verzahnt werden – ein Vorgehen, mit dem innovative Messemacher glücklicherweise seit jeher sehr erfahren sind.

Die Zukunft von Messen, Kongressen und Events

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