Читать книгу ROOTS - Ein Mann auf der Suche nach seinen Wurzeln - Peter Frantz - Страница 9

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KAPITEL I

I.1

Diese Geschichte wäre nicht geschrieben worden, wenn Marie Verkeste an diesem Abend des späten Frühjahrs 1963 so getan hätte, als ob sie taub auf den Ohren oder mit Blindheit geschlagen wäre. Und dass sie, falls ihr dieses schon nicht gelang, ihren Mund über das gehalten hätte, was sie hörte und sah. Aber Marie traf eine andere Wahl, sie biss sich nicht auf die Zunge, wodurch es kein Entrinnen mehr gab.

Schweigen und arbeiten, das waren die Bedingungen für Marie und ihren Mann, um ihre Arbeit auf 'De Stiershoek' zu behalten, dem Hof, wo er als erster Knecht und sie als Magd ihr tägliches Brot verdienten. Ein kärgliches Butterbrot - aber doch mit Zufriedenheit. Und schweigen, so hatten sie es durch Schaden und Schande gelernt, war vielleicht das Allerwichtigste, um in der Gunst ihres Brotherren und damit abgesichert in ihrer Existenz zu bleiben. Also schwiegen sie wie ein Grab über alles, was sich auf dem Hof abspielte und sprachen sogar zu Hause kaum darüber. Das bisschen Energie, das nach einem Tag harter Arbeit noch übrig war, sparten sie lieber für andere Dinge auf als über das Leben ihres Herrn und ihrer Herrin zu tratschen.

Aber Marie konnte dieses Mal nicht schweigen, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles ist ihre Geschwätzigkeit mehr als zu verstehen. Sie hatte wirklich überlegt, nichts über die Affäre, deren stiller Zeuge sie gewesen war, auszuplaudern. Sie hatte dabei die Worte des Pastors intensiv auf sich einwirken lassen.

Dieser hatte es vor ein paar Sonntagen in seiner Predigt über üble Nachrede gehabt und gesagt: ‘Ein Wort, welches einmal aus seinem Käfig herausgelassen wurde, kann nicht mehr zurückgepfiffen werden.‘

Sie fand diesen Spruch derart treffend, dass dieser hängen geblieben war. Die weisen Worte brachten sie in Zweifel, ob darüber zu sprechen in diesem Fall wirklich die richtige Wahl war. Ob es nicht viel besser war die Lippen fest aufeinander zu pressen.

Zur Sicherheit besprach sie es zuerst mit ihrem Mann Peter, der von jedem im Dorf Peetje genannt wurde. Aber dass auch er treu die Sonntagsmesse besuchte, bedeutete nicht, dass er ihr hierbei helfen konnte, nicht einmal ein bisschen. Ja, er hatte den Spruch nicht einmal gehört, denn sobald er sich in der Kirchenbank niederließ, fühlte er, wie ihn die Müdigkeit einer ganzen Woche Arbeit auf dem Land übermannte. Er kämpfte gegen den Schlaf, aber meistens war er lange vor der Predigt schon eingenickt. Es war dann auch nicht seine Deutung des Textes, die sie überzeugte, sondern sein praktischer Ansatz.

„Hier kann von Tratschen keine Rede sein“, sagte er, „denn es geht doch nicht um den Herrn und die Herrin, sondern es geht uns wirklich an und nicht nur so ein bisschen. Und Marie, du hast es dir doch nicht ausgedacht, du hast es doch selbst aus nächster Nähe gesehen und gehört?“ Und für ihn ungewöhnlich gesprächig und mit einem Versuch, sie zu überzeugen, fügte er hinzu: „Falls du es gar nicht erzählst, dann wird uns der Bauer Cyriel Dhondt im Nachhinein sicherlich für das Stillschweigen in dieser Sache bestrafen, schlimmstenfalls mit Entlassung. Und mit dem Verlust unserer Arbeit werden wir unsere Wohnung loswerden, so ärmlich diese auch ist.“

Sie betrachteten es von allen Seiten und konnten keinen anderen Schluss ziehen, als dass es eher zu ihrem Vorteil als zu ihrem Nachteil sein würde, wenn sie das Geheimnis preisgaben.

So kam es, dass Marie und Peetje sich einen Tag nach dem Ereignis in ihrer Sonntagskleidung und völlig mit den Nerven am Ende an der Hintertür des Hofes 'De Stiershoek' meldeten, wo der Bauer Cyriel und seine Frau Magda ihnen bestürzt lauschten. Als die entscheidenden Worte gefallen waren, gab es kein Entrinnen mehr und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Dass es anders gekommen wäre, wenn Marie geschwiegen hätte, ist eine Sache, die sicher ist. Ob das besser gewesen wäre?

I.2

Wenn der Abend und die Nacht dieses Tages im späten Frühjahr 1963 für Marie so verlaufen wären, wie diese immer verliefen und es danach auch wieder tun würden, dann hätte sie noch nicht einmal überhaupt etwas hören und sehen können. Dann hätte sie seit Stunden im Bett neben ihrem schnarchenden Peetje gelegen. Sie hätte dann nichts davon mitbekommen, was sich in den Büschen und Sträuchern abspielte, die zusammen mit den Bäumen und dem Wassergraben die Grenze zwischen dem kleinen Anwesen ihrer Wohnung und den Ländereien von 'De Stiershoek' bildeten. Auch hätte sie dann kein Geheimnis mit sich herumtragen müssen, welches sie und Peetje vor die sehr unangenehme Entscheidung stellte, darüber zu sprechen oder zu schweigen. Ihre Welt wäre geblieben, so wie diese war, und sie hätte das Glück einiger Menschen nicht rau und bleibend zerstört. Aber an dem bewussten Abend bekam Marie akuten Durchfall, wodurch sie sich lange und bis spät in die Nacht in dem Toilettenhäuschen draußen aufhielt. Schmerzhafte Bauchkrämpfe und heftige Diarrhoe bekamen dadurch große Folgen.

Marie hatte noch niemals Unannehmlichkeiten mit Durchfall gehabt. Sie war immer eine starke Frau gewesen und – abgesehen von einer starken Erkältung ab und zu – niemals krank. Sie hatte vier Kinder zur Welt gebracht und hatte bei allen vier Schwangerschaften weiter auf dem Land mitgearbeitet, sogar bis einige Stunden vor der Entbindung. Bei der Geburt des vierten und letzten Kindes hatte sie sich verrechnet und dieses Kleine wurde im Feld geboren. Peetje blieb nichts anderes übrig als nach dem Durchschneiden der Nabelschnur Mutter und Kind mit Pferd und Wagen nach Hause zu bringen. Einige Tage nach der Geburt war sie wieder zwischen den Heuhaufen zu finden, als ob nichts geschehen wäre.

Dieser Anfall von Diarrhoe hatte sie jedoch ausgeschaltet. Zu Anfang rannte sie jedes Mal ganz schnell in Richtung des Häuschens, nachdem sie aber einmal zu spät ankam, beschloss sie dort zu bleiben.

So wurde sie wider Willen Zuhörer von etwas, was sie zuerst nur schwer glauben konnte. Flüsternde Stimmen, Gekicher und das Rascheln von Kleidern erregten ihre Aufmerksamkeit. Sie spähte durch das kleine Herz, das in der Tür des wenig komfortablen Plumpsklos ausgesägt war. Es war nicht einfach, im Dunkeln die Konturen zu unterscheiden. Mondschein jedoch, der ab und zu in schmalen Streifen durch die Bewölkung schimmerte, und auch die Stimmen und Geräusche erlaubten, dass sie sich allmählich ein Bild machen konnte.

Sie hatte es kaum gewagt, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, aber jetzt wurde es deutlich: Es waren tatsächlich Bernadette, die Tochter ihres Brotherren Cyriel Dhondt vom Hof 'De Stiershoek' und David, der Sohn von Leendert Quaak vom Hof 'Het Kraaijennest' die sich ganz offensichtlich nichts aus der Fehde machten, die ihre Eltern seit Jahren austrugen. Marie saß versteinert da, sah und hörte dem Schauspiel zu, welches nicht für ihre Augen und Ohren bestimmt war. Es dauerte lange genug, um sich ihrer Sache absolut sicher sein zu können. Das Pärchen ordnete die Kleidung und nach einigen innigen Umarmungen ging jeder seines Weges.

Marie blieb völlig verwirrt zurück, in dem Moment war der Durchfall vergessen. Sie saß da und überlegte. Mussten der Bauer Cyriel und seine Frau Magda dies nicht wissen? Und musste sie es ihnen nicht so rasch wie möglich erzählen bevor Dinge geschahen, die nicht wieder gut zu machen waren? Sobald es ihre Beschwerden zuließen, erhob sie sich von den Planken des Plumpsklos, rannte nach drinnen, schüttelte den schnarchenden Peetje wach und machte ihn zum Mitwisser von dem, was sie soeben wahrgenommen hatte .

I.3

Der Name Dhondt, so wird vermutet, ist abgeleitet von einem alten Namen für die Westerschelde10: die Honte. Kein Wunder also, dass der Name in Zeeuws-Vlaanderen, und dann auch noch in mehreren Variationen, vorkommt. Es war dann auch zu erwarten, dass der Name in Aardenburg nicht fehlte und Cyriel Dhondt war hierfür der lebende Beweis. Er gehörte zur soundsovielten Generation eines Geschlechtes, in dem 'De Stiershoek' immer vom Vater auf den Sohn übergegangen war. Eine streng katholische Familie, die die Tradition in Ehre gehalten hatte, dass der älteste Sohn für ein Leben als Priester vorbestimmt war, meistens als Missionar.

Cyriel war als zweiter Sohn diesem Los entgangen und er hatte dies niemals bedauert, genoss noch jeden Tag seines Daseins als Bauer. Er liebte die Polder mit ihren Wasserarmen, Deichen und dem Weideland, mit den nahezu unbefestigten Landwegen und ruhigen Verbindungswegen. Er wurde noch immer durch das Bild von ruhig wiederkäuenden Kühen berührt, die mit ihrer schwarz-weißen Zeichnung einen schönen Kontrast zum frischen Grün der Weiden bildeten. Der Anblick dampfender Pferde, die wie Standbilder im frühen Morgennebel auftauchten, munterte ihn auf. Aber am meisten lag ihm das weite Ackerland mit seinem fruchtbaren Lehmboden am Herzen. Land, das zu jeder Jahreszeit und bei jeder Wetterlage ein anderes, jedoch nicht weniger schönes Schauspiel bot. Im Winter kahl und leer mit verhaltenen Farben, im Sommer mit dem überschwänglichen Gelb, Grün und Braun von erntereifen Gewächsen. Am Ende der Erntezeit zusätzlich mit Stoppelfeldern und umgegrabenem Kartoffelland, wo die Stille nur durch brummende Traktoren, die mit ihren scharfen Pflugscharen den Boden aufrissen, unterbrochen wurde. Die schönste Malerei konnte, was ihn anbelangte, das Bild frisch gepflügter Furchen mit Dutzenden von Möwen, die in ihrer Jagd nach Futter kreischend miteinander um den besten Platz kämpfen, nicht überbieten.

Cyriel Dhondt war stolz auf seinen Hof, sein Vieh und seine Ländereien, die ihm zu Ansehen verholfen hatten: Gemeinderatsmitglied und Vorsitzender der Fraktion der KVP11, Vorsitzender des Katholischen Bauern- und Gärtnereiverbundes und Vorsitzender des Pfarrgemeinderates. Es machte ihn zu einem herausragenden und respektierten Aardenburger und verlieh ihm ein Gefühl von Unantastbarkeit.

Dennoch gab es zwei Dinge, die an diesem Gefühl nagten und ihn immer mehr bedrückten, obwohl er dies niemals öffentlich zugeben würde. Da war zuallererst sein Nachbar in den Poldern: Leendert Quaak von 'Het Kraaijennest', wirklich in allem sein Gegenteil. Und da war die Zukunft von 'De Stiershoek', da er keinen Sohn hatte, der den Bauernhof einmal übernehmen konnte. Er war zwar vernarrt in seine hübsche Tochter, aber er bedauerte es bis zum heutigen Tag, dass seine Frau Magda ihm keinen Sohn geschenkt hatte, wenn auch nur einen einzigen. Er hätte gerne mit dem Bischof einen Streit ausgefochten, diesen einzigen Sohn nicht der Kirche zu geben, sondern auf dem Hof zu belassen. Nun war sein ganzes Tun und Streben darauf ausgerichtet, einen guten Mann für seine Tochter zu finden. Einen katholischen Bauernsohn, wodurch 'De Stiershoek' in Händen eines Dhondt blieb, auch wenn der Name des Bauern nicht Dhondt sein würde. Auf jeden Fall musste vermieden werden, dass einer der Söhne von Quaak den Bauernhof in die Hände bekam, wie es irgendwann in vergangenen Zeiten mit 'Het Kraaijennest' geschehen war.

Cyriels Vater hatte einmal den Traum gehabt, den Polder mit den beiden prächtigen Höfen darin ganz im Besitz eines Dhondt zu sehen. Dieser Plan war jedoch missglückt, vollständig durchkreuzt durch die Quaaks. Der alte Izak, Leenderts Vater, der in jungen Jahren nach Frankreich gegangen war und der dort eine Frau aus einer vermögenden Familie geheiratet hatte, hatte dem einen Riegel vorgeschoben.

Seit dieser Zeit befanden sich die Dhondts und die Quaaks auf dem Kriegspfad. Wegen dieses Traumas hatte Cyriel große Angst, dass sich die Geschichte wiederholen würde und auch Leendert auf eine hinterlistige Art und Weise 'De Stiershoek' in die Hände bekäme. Es konnte und durfte doch nicht so sein, dass die Quaaks Alleinherrscher über den Polder wurden.

Deshalb setzte Cyriel seine Hoffnung auf eine gute Partie für seine Tochter, die in Kürze ihren achtzehnten Geburtstag feierte. Ein schönes Alter, aber auch ein verletzliches, in dem man mit allem rechnen konnte. Es war somit höchste Zeit, um etwas zu unternehmen und seine Hoffnung zu versilbern.

Hoffnung, die bis zu dem Tag unangetastet blieb, an dem sich Marie Verkeste und ihr Mann Peetje nervös an seiner Hintertür meldeten.

I.4

Leendert Quaak war nicht der Mann, der jemandem aus dem Weg ging. Falls er doch derartige Absichten hatte, dann gab es nur eine Person, die dafür in Betracht kam und das war sein Nachbar. Nicht dass dies irgendeinen Sinn machte, so viel wusste er mittlerweile schon. Es wäre aussichtslos, denn auf Grund seiner Rolle in der Politik und in einer Anzahl von Vereinigungen und Organisationen, immer im Zusammenhang mit der Reformierten Kirche, musste Leendert häufiger als es ihm lieb war mit seinem Nachbarn die Klinge kreuzen.

Und wo und wann auch immer ließ Cyriel keine Möglichkeit ungenutzt, um öffentlich seine Feindschaft zu zeigen. Etwas das so zu diesem Mann gehörte, dass sich die Leute fragten, falls er es einmal unterließ, ob mit ihm alles in Ordnung war. Dies taten sie übrigens auch bei Leendert, wenn dieser -wohl in einem äußerst seltenen Fall- seine reservierte Haltung aufgab.

Es war kaum ein größerer Unterschied denkbar als zwischen diesen beiden Streithähnen in den Poldern. Auf dem einen Hof Cyriel - der kurze, gedrungene und cholerische Hitzkopf, der wenig brauchte, um zu explodieren und der jederzeit direkt reagierte. Auf dem anderen Leendert - der lange, magere und bedachtsame Mann, der selten etwas von seinen Gefühlen durchschimmern ließ und mit seinen sekundären Reaktionen Cyriel bis aufs Blut reizte.

Es gab keine Frage, aus der Cyriel nicht einen Wettkampf gemacht hätte und zwar einen, den er jedes Mal gewinnen wollte. Und wenn es ihm nicht mit Argumenten glückte, dann suchte er mit viel Geschrei seine Zuflucht bei unsportlichem Verhalten. Halbe Wahrheiten, hinterlistige Winkelzüge und wenn dies auch nicht mehr ausreichte, dann zauberte er den letzten Trumpf aus seinem Ärmel - einen Standardsatz, womit er Leendert versuchte ins Abseits zu stellen als jemanden, mit dem nicht gerechnet werden musste.

Er machte dann nur zu gerne Missbrauch aus dem Spitznamen, den die Aardenburger haben – 'Kikkers'12 - indem er sagte: ‘Wir haben wieder gehört, dass Leendert Quaak gequakt hat, aber das war sicherlich nicht der Klang, den unsere Stadt von einem echten 'Kikker' erwarten darf.‘

Cyriel hatte zwischenzeitlich so häufig nach dieser Rettungsboje gegriffen, dass es Leendert völlig kalt ließ. Er warf den Ball mit einer subtilen, gemeinen Bemerkung gewieft zurück, womit er unbeabsichtigt die Lacher auf seine Seite bekam. Cyriel, dem der Tenor meistens entging, brach über das, was er als Auslachen empfand, in Wut aus. Energieverschwendung, denn sein Wutanfall prallte an der Sphinx Leendert ab, verpuffte im luftleeren Raum, erlosch wie eine Kerze in der Nacht. Falls es Cyriels Absicht war, nur zu betonen, dass erst Leenderts Vater der erste Quaak in Aardenburg gewesen war, dann hatte er gepunktet. Dies war jedoch allgemein bekannt und dadurch so vollkommen überflüssig, dass mehr dahinter stecken musste.

Auch das Kultivieren des Zorns der Dhondts über den fehlgeschlagenen Ankauf von 'Het Kraaijennest' seinerzeit, übertrumpft durch Leenderts Vater Izak, war so unnötig wie unbegründet. Vater Izak hatte einfach ein besseres Angebot gemacht, zwar unterstützt von seinem steinreichen französischen Schwiegervater, das schon. Die Dhondts, die auf ihre Verbindungen vertraut hatten, hatten das Nachsehen gehabt. Geld hatte Beziehungen geschlagen, so war es gegangen, alles offen und ehrlich, und das wussten die Dhondts selbst wie kein anderer.

Ob also diese alten Geschichten die wirkliche Ursache waren, weshalb Cyriel den Quaaks nicht wohlgesonnen war, das bezweifelte Leendert sehr. Er konnte den wahren Grund nur vermuten, aber für ihn lag es auf der Hand, dass der Mann eifersüchtig war und sich bedroht fühlte.

Denn Leendert hatte zwei Söhne, die beide in die Fußspuren ihres Vaters treten konnten, von denen David der Älteste war. Cyriel konnte da nur seine einzige Tochter gegenüberstellen und diese schien sich für alles andere als für den Bauernhof ihres Vaters zu interessieren.

Dann war da noch die Frage des Grundstücks. Die Polder waren insgesamt 965 Hektar groß, wovon Cyriels 'Stiershoek' 450 Hektar maß. Folglich war Leenderts 'Kraaijennest' unbestritten der Größte von beiden, was Cyriel wohl nur schlecht verkraften konnte.

Außerdem war kürzlich noch das politische Interesse aus Den Haag an Leendert dazugekommen, der Aussicht auf einen Sitz in der Zweiten Kammer hatte. Es würde Leenderts ARP13 zu mehr Ansehen im Gemeinderat verhelfen als Cyriels KVP. Cyriels Seitenhiebe in diese Richtung bewiesen, wie schwer es dem katholischen Anführer fiel, dies zu verdauen.

Es war sogar für einen oberflächlichen Zuschauer nicht schwierig zu erkennen, dass Cyriel und Leendert jeweils eine andere Welt vertraten.

Die katholische Welt, die größte in Aardenburg, mit dem Papst, der Marienverehrung und Cyriel als ungekröntem König auf der einen Seite. Und die kleinere, reformierte Welt, mit den engstirnigen, durch Dogmatik verblendeten 'Brüder' und ihrer 'Sprache Kanaans'14 und Leendert als Anführer auf der anderen Seite. Welten, die in Ursprung, Überzeugungen und Gebräuchen so weit auseinander wichen, dass sie nicht zusammenkommen konnten. Vorurteile über den anderen schlossen jeden Versuch der Annäherung aus. Cyriel, der Leendert mit seinen unverrückbaren Prinzipien lediglich für einen starren Reformierten hielt, keinen Mann mit dem man gemütlich einen Schnaps trinken konnte. Sicherlich nicht am Sonntag, wenn dieser Mann zwei Mal in düsterer Stimmung zur Kirche ging und darüber hinaus nicht mehr nach draußen kam. Ein Mann für den viel, wenn nicht alles, 'sündig' war und der überall Probleme zu sehen schien.

Leendert hingegen sah, wie Cyriel sonntags zur Messe ging, um danach schnurstracks in der Wirtschaft zu versacken, während seine Frau im Dorf die Einkäufe erledigte. Geschäfte, die am Sonntag geöffnet waren, ein Gräuel in Leenderts Augen, wogegen er seit Jahren vergeblich gekämpft hatte. Cyriel, der ziemlich einfach über Sünde und Vergebung dachte und der nach der Beichte fröhlich zum Tagesablauf überging, um darauf folgend die gleichen Sünden wieder zu begehen.

Welten kurzum, die nicht zueinander passten.

Leendert war deshalb auch wie vor den Kopf geschlagen, als er an diesem Frühjahrsmorgen des Jahres 1963 sah, dass Cyriel auf seinen Hof fuhr. Der frühe Zeitpunkt, der unnötig laute Schlag, mit dem die Autotür zugeworfen wurde, und die hastigen Schritte, mit denen er sich näherte, konnten nicht viel Gutes bedeuten.

Cyriel benötigte nicht viele Worte für seine Botschaft. Wenngleich sie sich niemals über etwas einig waren, war es hier nicht notwendig, sich gegenseitig auszustechen. In Nullkommanichts erreichten sie Übereinstimmung. Cyriel fuhr mit einem Gesichtsausdruck weg, an dem überdeutlich zu sehen war, dass er Leendert endlich einmal hatte überzeugen können, dass er Recht hatte. Leendert zurücklassend mit demselben Gefühl, aber das war diesem so wie gewöhnlich nicht anzusehen.

Wenn sie den Verlauf der Geschichte gekannt hätten, wären sie beide weniger von ihrem Recht überzeugt gewesen.

I.5

Ein tot geborenes Kalb, ein plötzlich einstürzender Milchpreis oder ein lahmendes Pferd sind sicher keine angenehmen Dinge für einen Bauern. Aber wie ärgerlich dies auch sein konnte, Cyriel und Magda Dhondt hätten diese Art von Rückschlägen gerne der Botschaft vorgezogen, die Marie und Peetje Verkeste präsentierten.

An der nervösen Art und Weise, in der sie diese an ihrer Hintertür stehen sahen, Marie, die an ihrer besten Schürze zupfte, und Peetje, der seine Sonntagsmütze in den Händen hin und her drehte, bemerkten sie schon, dass es keine guten Nachrichten waren, die ihnen diese brachten.

Aber mit dem, was sie jetzt offenbarten, konnte es keine einzige andere Katastrophe aufnehmen. Dass Marie ihnen ihre Botschaft in wenigen Worten und ohne Vorwarnung an den Kopf warf, während die Tür noch nicht einmal geschlossen war, half dabei nicht. Sie hatte auf dem Weg zu 'De Stiershoek' noch eine Anzahl mildere Variationen geübt, aber diese sofort vergessen, sobald sie Cyriel und seine Frau ins Blickfeld bekam. Ängstlich, dass sie es sich sonst nicht mehr trauen würde, erlöste sie sich so schnell wie möglich von ihrer Neuigkeit.

Nachdem sie ihre Mitteilung gemacht hatte, standen sie und Peetje da wie Statisten in einem schlechten Theaterstück. Dass der Bauer Cyriel in kürzester Zeit fuchsteufelswild werden konnte, damit hatten sie zwischenzeitlich genug Erfahrung. Aber was sie hier erlebten, das hatten sie noch niemals mitgemacht. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, und hatten Angst, dass sich die Wut des fluchenden Cyriel auch gegen sie als Überbringer richten könnte.

Bäuerin Magda rettete die Situation. Sie beförderte Marie und Peetje nach draußen, murmelte währenddessen zwischen den Zähnen einen Dank und schloss mit einem ängstlichen Blick auf ihren Mann schnellstmöglich die Tür. Folglich erlebten sie nicht, was sich hinter den Türen von 'De Stiershoek' abspielte. Es war auch nicht für ihre Ohren bestimmt, aber sie konnten sich da schon das Unvermeidliche vorstellen.

Sobald Magda die Tür hinter Marie und Peetje abgeschlossen hatte, legte sich tiefe Stille über das Haus Dhondt. Magda schwieg, zu Tode verängstigt, dass jedes Wort von ihr zu einem neuen Wutanfall von Cyriel führen würde und Cyriel hatte vorläufig seine ganze Energie durch Schimpfen und Toben verbraucht. Mitten in der Stille dämmerte es ihm, dass das Subjekt des Geschehens nirgendwo zu sehen war. Er schaute sich um und schrie mehr zu sich selbst als zu Magda: „Wo ist das Mädchen eigentlich?“

Magda eilte aus dem Zimmer, um Bernadette zu suchen. Diese hatte wohl die laute Stimme ihres Vaters gehört, aber es erschien ihr klüger sich vorläufig zurückzuhalten. Leider war dies nur kurz geglückt und als ihre Mutter mit feuchten Augen vor ihr stand, begriff Bernadette allmählich, dass etwas Schlimmes geschehen war, aber was es war, das konnte sie so schnell nicht bedenken. Rasch wurde sie eines Besseren belehrt.

Magda schaute ihre Tochter zutiefst traurig an und flüsterte: „Kind, ist das wahr, was Marie und Peetje uns erzählten, dass du etwas mit dem Jungen von Quaak hast?“

Die Frage fühlte sich für Bernadette wie ein Schlag ins Gesicht an. Sie war getroffen, wusste nichts zu sagen. Hier konnte keine einzige Ausrede mehr helfen. Sie war nicht mehr imstande, die Antwort laut auszusprechen und nickte daher nur. Das war bereits mehr als genug, um ihre Mutter in Schluchzen ausbrechen zu lassen.

Zwischen ihren Tränen brachte Magda noch soeben verständlich heraus: „Mädchen, was tust du uns an. Dein Vater ist völlig aus dem Häuschen. Komm einmal mit, dann kannst du es von ihm selbst hören.“

Mit einem tiefen Seufzer und in dem langsam aufkommenden Bewusstsein, was sie zu erwarten hatte, folgte Bernadette ihrer Mutter wie ein geschlagener Hund.

Sobald sie hereingekommen waren, schaute Cyriel seine Frau fragend an, die mit erstickter Stimme sagte: „Es ist so, wie Marie und Peetje gesagt haben.“

Das war für Cyriel das Signal, um erneut zu explodieren und all seiner aufgestauten Aggression und Wut auf seine Tochter freien Lauf zu lassen.

„Ich sähe dich lieber auf dem Friedhof, als dass du mit diesem Jungen von Quaak verheiratet wärest“, schrie er in die Richtung seiner Tochter.

Bebend hörte Magda dies mit großen Augen an. Sie betete inzwischen leise: 'Ach liebe Mutter Maria, bitte für uns in dieser Zeit der Prüfung!'

Cyriel schimpfte erneut los: „Wie kannst du so blöd sein. Niemals, hörst du, niemals werde ich es erlauben, dass dieser Hof in die Hände eines Quaak fällt. Hast du das gut verstanden?!“

Bernadette stand leichenblass und sprachlos dabei. Sie konnte es überhaupt nicht begreifen, wie Marie und Peetje von ihrem Verhältnis mit David Quaak Wind bekommen hatten. Sie hatten es nun schon so lange geheim halten können, etwas hatten sie doch übersehen. Sie hätten es schon irgendwann einmal beichten müssen und sie hatten es auch vor, aber jetzt noch nicht, die Zeit war dafür noch nicht reif.

Der Anblick einer schweigenden bleichen Bernadette und einer zitternden betenden Magda machten Cyriels ohnmächtige Wut nur noch größer. Er lief so blau an, dass Magda einen Augenblick fürchtete, dass es sein Tod werden würde. In seiner Hast, noch weitere Verwünschungen und Drohungen in Bernadettes Richtung zu schleudern, verschluckte er sich und ein Hustenanfall machte seinem Wortschwall ein Ende. Er lief auf Bernadette zu, packte sie grob am Arm, zerrte sie Richtung Keller, riss die Tür weit auf, stieß sie nach drinnen, schlug die Tür mit einem Schlag zu, verschloss diese und steckte den Schlüssel demonstrativ in seine Tasche.

Während er auf dem Weg zur Außentür war, sagte er im Vorbeigehen zu Magda: „Wir sprechen gleich weiter darüber“, und verschwand.

Cyriel stieg in sein Auto, raste mit voller Geschwindigkeit weg von 'De Stiershoek' in Richtung 'Het Kraaijennest', eine aufgelöste Bernadette und eine weinende Magda zurücklassend.

Gespannt wie eine Feder warteten diese seine Rückkehr ab.

I.6

Leendert hatte nicht die leiseste Ahnung, was Cyriel einen Grund geben konnte, um sich auf Feindesland zu wagen. Dieser Mann hatte in seinem ganzen Leben noch niemals auch nur einen Fuß über die Schwelle von 'Het Kraaijennest' gesetzt. Es musste sich also tatsächlich um etwas Außergewöhnliches handeln.

Er sah Cyriel, als dieser wie ein verrückter Stier auf die Haustür zulief. Da dies wenig Gutes versprach, beeilte sich Leendert und öffnete die Tür. Denn falls Cyriel warten müsste, würde ihn dies nur noch ärgerlicher machen. Zwar war für Leendert der Gedanke beruhigend, dass sich dieser Mensch jedes Mal mehr als notwendig aufregte, aber auf der anderen Seite ging es auch sicherlich nicht nur um eine Kleinigkeit, wenn er sich schon die Mühe machte ihn aufzusuchen.

Er hatte wenig Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Schlimmer noch, er bekam nicht einmal die Gelegenheit, seinen Nachbarn zu begrüßen, ganz zu schweigen davon, ihn zu fragen, was er wollte. Cyriel ignorierte Leendert, der in der Tür auftauchte, tat, als ob dieser da nicht stand, zwängte sich zornig an Leendert vorbei und stapfte schnurstracks nach drinnen. Obwohl immer noch überrascht blieb Leendert ein ruhiger Gastgeber und wies einladend auf einen Lehnstuhl. Diese freundliche Geste wurde ebenfalls ignoriert und Cyriel blieb mitten im Zimmer stehen, seinen Blick wüst auf Leendert gerichtet.

Sobald Leendert die Tür hinter sich geschlossen hatte und in Cyriels Blickfeld erschien, brüllte ihn dieser an: ,,Dachtet ihr auf diese Art und Weise 'De Stiershoek' in die Hände zu bekommen? Mit solch einem durchsichtigen Trick? Das wird euch nicht gelingen.“

Nachdem er Gift und Galle gespuckt hatte, schaute er ihn nur noch starr an. Leendert konnte nicht viel mehr herausbringen, als dass er keinen blassen Schimmer hatte, worauf Cyriel anspielte. Tannie, Leenderts Frau, war mittlerweile von den lauten Stimmen angelockt worden. Nach dem ersten Schock der Verwunderung, Cyriel Dhondt in ihrem Wohnzimmer anzutreffen, reagierte auch sie, dass sie nicht verstand, worauf Cyriel hinaus wollte.

Jedoch musste etwas in ihrer Haltung gewesen sein, was in Cyriel Zweifel aufkommen ließ und er gab die Nachricht weiter, mit der Marie und Peetje Verkeste ihn und seine Frau Magda überfallen hatten: „Wusstet ihr, dass euer Sohn David etwas mit meiner Tochter Bernadette hat? Dies wurde mir von Marie und Peetje Verkeste mitgeteilt und ihr könnt sicher sein, dass es auch so ist. Bernadette hat es bereits zugegeben.“

Cyriel sah, dass seine Mitteilung Leenderts Frau völlig unvermittelt traf. Sie wurde blass, verdrehte die Augen und drohte in Ohnmacht zu fallen. Aber auch Leendert reagierte geschockt. Letzteres verursachte bei Cyriel trotz seiner Wut und seines Ärgers ein Gefühl des Triumphs. Zum ersten Mal hatte er erreicht, Leendert Quaak sichtlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wie leidig der Fall auch sein mochte, dieses war ihm jedenfalls gelungen.

Es brachte ihm die Geistesgegenwart zurück, er setzte sich nun doch und sagte: „Von einer Verbindung zwischen beiden kann niemals die Rede sein. Ich weiß genau, was ich dagegen tun werde, aber was werdet ihr unternehmen?“

Sie waren sich schnell einig und schlossen ein Bündnis. Sie würden dafür sorgen, dass die Zwei endgültig getrennt blieben. Cyriel fuhr weg, weit weniger aufgebracht als er gekommen war. Sobald die Tür hinter Cyriel zugefallen war, fand Leendert seine gewohnte Ruhe wieder. Selbstverständlich würde er 'De Stiershoek' gerne noch zusätzlich haben, aber das wäre nur möglich, wenn Bernadette Dhondt von ihrem Glauben abfiel. Und einen Dhondt, der reformiert wurde, das würde es niemals geben, solange Cyriel und Magda das Sagen hatten, das wusste er sicher. Genauso undenkbar wie es war, dass David römisch-katholisch werden würde. Und das müsste doch geschehen, wollten Cyriel und Magda ihn als Schwiegersohn akzeptieren. Und ein Quaak, der römisch-katholisch wurde, das war wiederum für Leendert und Tannie undenkbar. Es war gut, dass Cyriel gekommen war und sie die beiden vor einem Unglück behüten konnten, welches nur Elend verursachen konnte.

Die Dhondts und die Quaaks waren sich das erste Mal vollständig einig: 'Diese Liebe konnte, durfte und würde nicht sein.' Bernadette und David waren dadurch zu einem Part als moderne 'Romeo und Julia' verurteilt, das Wasser war für sie nun einmal zu tief. Diskussion beendet.

I.7

William Shakespeare benötigte drei Jahre, um sein Schauspiel 'Romeo und Julia' zu schreiben. Cyriel Dhondt reichten drei hektische Tage für eine Version mit ihm in der Hauptrolle und seiner Frau Magda in einer lobenswerten Nebenrolle. Drei Tage, die genügten, um auch in diesem Fall einer unmöglichen Liebe ein Ende zu machen.

Nach seinem Besuch bei Leendert und Tannie Quaak war Cyriel mit der Nachricht zurückgekehrt: ‘Wir unternehmen jetzt alles, um Bernadette aus den Klauen dieses Quaak zu retten.’ Nach Magdas zustimmendem Nicken waren sie sich schnell einig, was sie dafür zu tun hatten. Die Aufgabenverteilung wurde in Nullkommanichts geregelt - Cyriel zog los und Magda blieb zu Hause.

Cyriel fuhr von Pontius nach Pilates, machte Besuche und führte Telefonate. Magda bewachte zwischenzeitlich 'De Stiershoek' und verlor Bernadette keine Sekunde aus den Augen, um zu verhindern, dass sie telefonierte, einen Brief schrieb oder einen Schritt vor die Tür setzte.

Nach jeder erfolgreichen Aktion erstattete Cyriel erleichtert Bericht und er war immer mehr davon überzeugt, dass es ihm gelingen werde, seinen Hof den Händen der Quaaks fern zu halten. Magda versuchte jedes Mal froh auszusehen, wenn Cyriel die soundsovielte erfolgreiche Absprache breittrat, aber sie hatte es schwer mit ihrer Aufgabe. Selbstverständlich war sie sich mit Cyriel darüber einig, dass sie, wie auch immer, verhindern mussten, dass Bernadette Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen konnte. Eine Außenwelt, die sie ja nicht anders als 'böse' ansehen konnten, solange Bernadette sich nicht mehr als einen Steinwurf entfernt von diesem Jungen von Quaak befand. Aber ihr eigen Fleisch und Blut bewachen, als ob es um eine Gefangene ging, das fiel ihr nicht leicht.

Es war der Pastor, der Magda davon überzeugte, dass sie ausgesprochen segensreiche Taten beging: „Alles was du tust ist doch im Interesse des Seelenheils deiner Tochter“, sagte er tröstend. Völlig überzeugend waren seine Worte: „Bernadette wird hier auf die Probe gestellt. Es ist der Teufel selbst, der versucht sie zur Abtrünnigkeit von der einzigen wahren Kirche zu verleiten. Sie davor zu behüten ist nun deine Aufgabe als Mutter und die musst du zu einem guten Ende bringen.“

Der Besuch des Pastors ließ Magda ihren Part ganz anders betrachten, sodass sie diesen danach mit doppelter Energie erfüllte.

Cyriel Dhondts Fassung von Romeo und Julia war wohl fertig was das Drehbuch anbelangte, es kam nun noch auf die Ausführung an.

Damit wurde bereits am vierten Tag begonnen. Am frühen Morgen dieses Tages fuhr ein dunkelblauer Mercedes von 'De Stiershoek' weg mit Cyriel Dhondt am Steuer, auf der Rückbank seine Frau Magda und seine Tochter Bernadette. Wer es nicht besser wusste, dem schien es, dass sie einen gemütlichen Tagesausflug machten. Aber die Wirklichkeit war anders. Bernadette war zermürbt und betrübt und wiederholte ständig nur, dass sie auf der Reise waren an 'ihren Verbannungsort'. Cyriel, der seine ganze Aufmerksamkeit für den Weg benötigte, war eh schon angespannt, wurde zusätzlich von Bernadettes unaufhörlichem Gemecker irritiert. Er hatte sie jedes Mal korrigiert, indem er sagte, dass es ihre vorübergehende Besuchsadresse war, aber hatte später damit aufgehört. Magda kümmerte sich nicht darum und starrte fortwährend mit Schmerz in ihrem Herzen vor sich hin, weil sie ihre Tochter eine Zeitlang entbehren musste.

Alle drei waren sich der Tatsache bewusst, dass je länger sie von 'De Stiershoek' wegfuhren und je entfernter Zeeuws-Vlaanderen hinter ihnen lag, desto weiter Bernadette aus den Augen dieses Jungen von Quaak entschwand. 'Aus den Augen, aus dem Sinn', war die Mission und mit jedem Kilometer näher am Bestimmungsort fühlte sich Cyriel in der Richtigkeit des Mittels bestätigt, was durch das Ziel geheiligt war.

Auf Bernadette hatte die Annäherung an 'ihren Verbannungsort' einen vollkommen gegenteiligen Effekt. Je weiter weg von zu Hause, umso ohnmächtiger und verlorener fühlte sie sich.

An Magda hingegen nagte der Zweifel, ob sie ihre Tochter nicht zu hart anpackten, aber sie klammerte sich an die Worte des Pastors, der es ja am besten wissen sollte.

Drei Personen waren an diesem Morgen von 'De Stiershoek' abgereist, nur zwei kehrten dorthin zurück. Ihre Mission war zunächst erfolgreich. Bernadette war sicher abgeliefert.

Unterwegs nach Hause hatte Cyriel seine Frau getröstet indem er sagte, dass es nicht für längere Zeit sein sollte: „Sie ist noch jung und nun, da dieser Quaak außer Sichtweite ist, wird sie diese Anwandlung bald vergessen haben. Dann fangen wir aufs Neue an und mit 'De Stiershoek' als Belohnung finden wir gleich einen geeigneten katholischen Bauernsohn.“

Seine Worte hatten Magda beruhigt und sie sah alles wieder etwas rosiger.

Erst recht als sie auf dem Feldweg zu ihrem Hof fuhren und Cyriel noch hinzufügte: „Und du wirst sehen, sie wird klein beigeben und ist bald wieder zu Hause, und ob.“

Magda glaubte es nur allzu gerne, obwohl sie sich vornahm zur Sicherheit doch einmal eine extra Kerze anzuzünden.

Auch das half ihr nicht, Bernadette würde niemals mehr einen Fuß über die Schwelle von 'De Stiershoek' setzen.

I.8

Leendert Quaak übertraf nicht nur die Leistung von William Shakespeare sondern auch die von Cyriel Dhondt. Leendert benötigte keine drei Jahre und auch keine drei Tage, es genügten drei Minuten für die Quaak-Variante von Romeo und Julia. Nicht nur im Ausdenken seines Szenarios, auch in der Ausführung war der Unterschied im Charakter der Streithähne Leendert und Cyriel sichtbar. Nun muss allerdings gesagt werden, dass die Umstände dabei ein wenig nachhalfen.

Im Gegensatz zu 'De Stiershoek', wo die Tochter Bernadette zu Hause war und Cyriel direkt zum Angriff übergehen konnte, war in 'Het Kraaijennest' Sohn David nirgendwo zu sehen. Er war an diesem Morgen schon früh weggefahren, um die Kartoffeln zu spritzen. Unwissend was sich bei Bernadette und bei ihm zu Hause abspielte, saß er pfeifend und sich keiner Schuld bewusst auf dem Traktor.

Es war nichts für Leendert seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, aber wenn er das auch hätte tun wollen, dann war dies sinnlos solange das Zielobjekt nicht in der Nähe war. Und ein unbeherrschbarer Tatendrang passte genauso wenig zu Leendert und war überflüssig, denn er hätte ohnehin jede Aktion verschieben müssen, bis sein Sohn zu Hause war. Für Leendert kein unnatürliches Verhalten, gab ihm dies doch Zeit für sein bewährtes Rezept. Zuerst denken und dann handeln.

Leenderts Frau Tannie wollte schon direkt in die Offensive und machte Anstalten, um auf der Stelle zu ihrem Sohn zu radeln. Sie wollte ihn so schnell wie möglich mit der schockierenden Nachricht von Cyriel Dhondt konfrontieren. Damit konnte sie zugleich dem Gegenwind etwas seiner Kälte nehmen, wenn der Junge gleich seinem Vater unter die Augen trat. So war ihr normales Vorgehen noch immer gewesen. Eine Möglichkeit zu finden, um David vorzubereiten, wenn zu Hause heftiges Donnerwetter drohte.

Leendert durchschaute dies und sagte beherrscht: „Es scheint mir nicht klug schon jetzt zu ihm zu gehen. So wie ich ihn kenne, würde er danach Hals über Kopf zu 'Het Kraaijennest' gehen und dann ist das Elend nicht abzusehen.“ Er brummte dann noch gelassen hinterher: „Es ist besser, nichts zu überstürzen und zu warten bis der Junge nach Hause kommt, um Kaffee zu trinken“, und ließ noch irgendwie drohend darauf folgen, „und dann ist die Zeit gekommen, um ihn ins Gebet zu nehmen.“

Auf Grund dieser letzten Worte musste Tannie sich noch mehr dem Drang widersetzen, heimlich zu David zu radeln.

Sie fügte sich, es war schließlich so schon genug Theater im Haus.

‘Aus den Augen, aus dem Sinn’, hatte Cyriel philosophisch gesagt und grimmig versprochen dem eine praktische Ausgestaltung zu geben. Zu diesem Punkt brauchte Leendert somit keine Energie zu verschwenden. Es war ausreichend, wenn Cyriel seine Tochter aus dem Blickfeld holte. Leendert beschloss darum es andersherum zu versuchen und es zuerst mit einem kurzen, aber nicht weniger harten Gespräch zu probieren. David musste doch verständlich zu machen sein, dass es für ihn keine Zukunft gab, falls seine Eltern sich von ihm abwandten.

Was übrigens auch für diese Bernadette galt, auch daran hatte Cyriel nicht den kleinsten Zweifel aufkommen lassen. 'De Stiershoek' sollte ihr niemals gehören, sollte sie mit David nach Hause kommen, folglich war diese Chance für den Jungen auch verpasst.

Kurzum, es blieb nur eine Möglichkeit und zwar pfeilschnell dieser jugendlichen Schwärmerei ein Ende zu machen. Halbe Sachen verschlimmern die Angelegenheit nur, ging es Leendert durch den Kopf. Daher war es vernünftig, jetzt hart durchzugreifen. Das war das Beste, was er für alle beide tun konnte, bevor sie ihrem Unglück entgegengingen.

Dass sein Vater so gut wie nie etwas von seinen Gefühlen durchblicken ließ, daran war David mittlerweile schon gewöhnt. Auch dieses Mal konnte er nichts aus dem Gesichtsausdruck oder der Haltung seines Vaters schließen. Und unergründlich wie immer und daher unmöglich vorherzusagen, was er ihm mitzuteilen hatte. Auch seine Mutter hatte ihn zuvor nicht gewarnt. Ziemlich arglos kam er daher der Bitte seines Vater nach ein kleines Gespräch bei einem Spaziergang zu führen.

Zeit zum Nachdenken bekam er nicht, denn sein Vater konfrontierte ihn kurz und bündig mit der Mitteilung von Cyriel Dhondt. Er wurde davon so überrumpelt, dass es sich anfühlte, als ob sein klopfendes Herz nach draußen springen wollte. Es wurde ihm warm und kalt zugleich, er begann zu schwitzen und es wurde ihm schwarz vor Augen. Sein Vater starrte ihn an und sagte nichts, sah ihn an wie eine Sphinx und wartete auf eine Reaktion. Aber er war nicht in der Lage etwas zu sagen. Was konnte er sagen, was sollte er sagen? Die Gedanken drehten sich im Kopf. Wie konnte Cyriel dies wissen, wer hatte es ihm erzählt, wer hatte ihr Geheimnis ausgeplaudert? Hatte Bernadette dies getan, nein das würde sie niemals tun, aber wer dann?

Schließlich hörte er, wie sein Vater fragte: „Ist es wahr?“ Er blieb die Antwort schuldig, er konnte einfach noch nicht antworten. Es gab eigentlich nur eine einzige Möglichkeit und die war es zuzugeben, aber dann gab es da auch kein Entkommen mehr.

Sein Vater schaute ihn fortwährend ruhig an und wiederholte seine Frage: „Ich fragte, ob es wahr ist?“

Erst nach dem dritten Mal kam er zu sich und sah ein, dass Leugnen keinen Sinn hatte.

Auf seine zustimmende Antwort teilte ihm sein Vater mit eisiger Ruhe, aber nicht weniger entschlossen, mit: „Das begreifst doch auch du, dass da keine Rede von irgendeiner Verbindung mit diesem Mädchen von Dhondt sein kann. Ein Verhältnis ohne Zukunft, das euch beiden nur Elend bringen kann, und nicht nur euch allein, denn Cyriel Dhondt und seine Frau sind dagegen, ich und deine Mutter sind dagegen. Wenn du vernünftig bist und dein Leben nicht verschleudern willst, dann beendige jetzt diese unmögliche Jugendliebe und suche dir ein Mädchen aus deinen eigenen Kreisen. Das ist das, was ich dir zu sagen habe, deutlicher kann ich nicht sein.“

David hatte seine klare Botschaft schweigend angehört. Bernadette aufgeben, wie konnte er das von ihm verlangen.

David sah den scharfen Blick seines Vaters auf sich gerichtet. Da er seinen Vater kannte, schien es ihm nicht klug zu sein nun darauf einzugehen.

„Wir haben uns doch deutlich verstanden, oder etwa nicht?“ hörte er seinen Vater sagen.

Er beschloss nichts zu sagen, um später nicht mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, dass er dem, was er versprochen hatte, nicht nachgekommen war oder gar, dass er gelogen hatte. Letzteres wäre eine ernsthafte Verfehlung gegen das neunte Gebot, was ihm sein Vater direkt vor die Füße werfen würde. Also nickte er zum Zeichen, dass er es begriffen hatte. Das konnte er schließlich tun, denn die Botschaft seines Vaters hatte er wohl verstanden.

Aber ob er damit einverstanden war, das war etwas völlig anderes.

I.9

David war nicht in der Lage klar nachzudenken, nachdem ihm so die Leviten gelesen worden waren. Direkt danach war er wie mechanisch auf den Traktor geklettert und wieder in Richtung des Kartoffelackers gefahren, um seine Arbeit fertig zu stellen. Sein Gehirn arbeitete nicht und er musste etwas mit seinen Händen tun, um seine negative Energie los zu werden. Den Wind in seinen Haaren und vor dem beruhigenden Hintergrund der Polder kam er allmählich wieder zu sich selbst und es gelang ihm besser, alles gedanklich zu ordnen.

Er überlegte, was ihn eigentlich trieb auf den Acker zu gehen. Denn es war ja keine Sekunde zu verlieren. Er täte besser daran, nun so schnell wie möglich zu Bernadette zu gehen. Die hatte ihre Predigt schon etwas länger hinter sich. Das Verhältnis beenden, das wollte er in keinem Fall. Er konnte nicht ohne sie leben und sie nicht ohne ihn, so viel wusste er. Sie mussten sich absprechen, wie es nun weiterging, und dann planen, wie sie dies mitteilen wollten.

Nun da er wusste, was zu tun war, nutzte er die Gelegenheit. Er war allein in den Poldern - kein Vater, der sich ihm entgegenstellte. Also drehte er den Traktor um und fuhr in die Richtung von 'De Stiershoek'. Er würde schon sehen, wen er dort antraf. Er hatte keine Idee, was er sagen würde, aber so einfach bekamen sie ihn und Bernadette nicht auseinander.

Sie hätten ihr Verhältnis viel früher beichten sollen, das sah er nun schon ein. Natürlich waren ihre Eltern böse. Aber warum sollten sie nicht heiraten können? Sie liebten sich, das war doch genug? Sein Vater hatte es Schwärmerei genannt, aber das was er und Bernadette miteinander hatten, war viel mehr als das. Er mochte nicht daran denken ohne Bernadette weiterleben zu müssen. Und dies galt sicher auch für Bernadette, sie wollte nur ihn und keinen anderen.

In der Nähe von 'De Stiershoek' parkte David den Traktor am Rand des Weges, um das letzte Stück zu Fuß zurückzulegen. Bis hierher war es ihm gelungen sich ungesehen zu nähern, nur noch ein kleines Stück, dann kam es darauf an. Konzentriert legte er die letzten Meter zurück.

Er war zu spät! Er stieß auf einige Barrieren, die ganz deutlich die Tat von Bernadettes Vater Cyriel waren, der Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. Das Gatter vor dem Hof, das normalerweise immer offenstand, war jetzt hermetisch abgeschlossen. Dann musste er eben darüber klettern, nicht einfach, aber das würde ihm schon gelingen. Kurz bevor er den Absprung wagen konnte, stürzten sich die beiden Bouviers15, die sonst an der Kette lagen, in Richtung des Zauns. Sie liefen sofort los, er dachte keinen Augenblick nach und sprang zurück auf sicheren Grund. Unmöglich, dies ging so nicht. Bevor die bellenden, knurrenden Hunde ihn verraten konnten, fuhr er schnell zum Kartoffelacker zurück. Böse, enttäuscht und mit der beklemmenden Frage, wie es Bernadette in diesem Moment erging.

Sobald sich in den Tagen danach die kleinste Gelegenheit ergab, streifte David in der Nachbarschaft von 'De Stiershoek' in der Hoffnung umher, einen Blick auf Bernadette zu erhaschen. Dies war jedoch vergeblich.

Er wusste sich keinen Rat mehr, ließ alle Vorsicht fallen und rief an. Er bekam Bernadettes Mutter Magda an die Strippe, die die Verbindung sofort unterbrach, sobald er seinen Namen nannte.

Er schrieb Briefe, die niemals beantwortet wurden und von denen er somit auch nicht wusste, ob sie Bernadette überhaupt erreichten. Der dritte Brief kam über seinen Vater zurück mit einem erbaulichen Wort über 'zwei Glauben auf einem Kissen, da schläft der Teufel dazwischen' und einer Mitteilung, die ihn knallhart traf. Sein Vater hatte aus dem Mund von Cyriel selbst vernommen, dass ihre Eltern für Bernadette einen Heiratskandidaten ins Auge gefasst hatten und dass Bernadette im Augenblick sogar schon bei ihrem Verlobten logierte.

Das brachte David vollständig aus der Fassung und veranlasste ihn zu denken: War dies vielleicht der Grund, dass er sie nicht sah und auch nichts von ihr hörte? Er konnte es kaum glauben, das hätte sie ihn doch wissen lassen können. Dies stand nicht im Einklang damit, wie er Bernadette kannte. Aber je länger es dauerte und je länger er nichts von ihr hörte, umso stärker wurden seine Zweifel. Er wusste nicht mehr woran er war.

Die Situation drohte ihn zu ersticken, daher passte er Cyriel am Gatter vor dessen Hof ab. Er setzte sich durch und fragte ihn auf den Kopf zu, wo er Bernadette erreichen könne. Die Antwort war genau die gleiche wie das, was sein Vater erzählt hatte. Sie war bei ihrem zukünftigen Mann zu Hause. Sollte er an der Mitteilung seines Vaters noch gezweifelt haben, dann wusste er es nun sicher. Es brachte ihn aufs Neue völlig außer Fassung. Erschüttert schaute er den Mann an und wusste weder etwas zu sagen noch zu tun. Cyriel drehte die Fensterscheibe hoch und fuhr mit Vollgas weg.

Kurz nach diesem Treffen rief ihn sein Vater herbei und machte eisig einige Mitteilungen. Die erste war, dass es Zeit wurde sich erwachsen zu benehmen und die zweite, dass er sich Bernadette aus dem Kopf schlagen musste und ihre Familie nicht mehr belästigen sollte.

Er machte auch noch einen Vorschlag, der David völlig unerwartet überfiel: „Es wäre vielleicht doch das Beste, wenn du hier ein Weilchen verschwindest. Dann kannst du dich an den Gedanken gewöhnen, dass Bernadette verlobt ist und dass sie schon längst verheiratet sein wird, sobald du zurückkommst. Du kannst auf einem Bauernhof von Bekannten von uns, die vor Jahren ausgewandert sind, unterkommen. Sie haben drei Töchter in deinem Alter. Vielleicht ist da eine dabei, die dir gefällt.“

Davids erste Reaktion war, dies zu verweigern. Wenn er wegfuhr, gab es keine einzige Chance mehr Bernadette noch zu sprechen, aus ihrem Mund zu hören, dass sie einen anderen hatte, dass er ausgedient hatte. Dennoch konnte er das nicht glauben, das würde sie doch niemals tun. Es war doch noch nicht so lange her, dass sie sich geküsst hatten, die Wärme des anderen gefühlt hatten, sich gesagt hatten, dass sie sich liebten? Aber alles wies darauf hin, dass dies vorbei war. Und die Botschaft beider Elternpaare war deutlich, vorläufig würden diese wie Wachhunde aufpassen, dass sie sich nicht gegenseitig in die Nähe kamen.

Die ganze Grübelei machte ihn völlig mürbe. Er begann sogar zu schwanken, ob er den Vorschlag seines Vaters vielleicht doch annehmen sollte. Wenn er zurückkehrte, war die Situation vielleicht ganz anders, hatte die Heirat hoffentlich nicht stattgefunden und er konnte Bernadette doch erreichen und mit ihr sprechen.

Als allerletzten Versuch in dieser Situation Klarheit zu bekommen, schrieb er Bernadette einen Brief. Er schüttete ihr darin sein Herz aus und das Einzige, worum er sie bat, war ihm klipp und klar zu schreiben, dass er sie vergessen musste, dass sie einen anderen hatte. Aber dieser Brief kam nie an. Er bekam diesen schon zwei Tage später von seinem Vater zurück.

Dieser hatte nun wirklich die Geduld verloren und teilte ihm kurz mit, dass er ihm keine andere Wahl mehr ließ.

„Es ist für alles und jeden zum Besten, dass du Bernadette in Ruhe lässt und ein Weilchen von der Bildfläche verschwindest“, sagte er barsch.

David kam nach nächtelangem Grübeln zu dem Ergebnis, dass er nicht anders handeln konnte als sich zu fügen. Sich dem Willen seines Vaters entgegen zu stellen würde ihm nicht gut bekommen. Außerdem riskierte er dann noch mehr zu verlieren. Und wo könnte er hin, falls er sich heimlich verdrückte. Ein Leben als Bauernknecht bei einem anderen Bauern war absolut keine Möglichkeit. Und falls er bliebe, was konnte er ausrichten? Vorläufig nichts. Dann konnte er tatsächlich wohl besser verschwinden, um zurückzukehren, sobald sich die Gemüter etwas beruhigt hatten. Folglich stimmte er letztendlich zu.

Der Kontakt mit den ausgewanderten Bekannten war durch seine Eltern bereits geknüpft. Die Vorbereitungen für seine Abreise konnten dadurch sehr kurz sein. Er packte seine Siebensachen zusammen und stopfte damit einen alten Koffer voll. Drei Tage später konnte er schon abreisen. Drei Tage, in denen er schweren Herzens herumlief, immer noch zerrissen von dem quälenden Gedanken, dass Bernadette ihn wegen eines anderen verlassen haben könnte, was ihm nicht einleuchtete. Er konnte und wollte es nicht glauben, dafür waren sie sich doch zu nahe gewesen, dafür waren sie doch bis zum letzten Tag zu vernarrt ineinander gewesen. Aber warum ließ sie dann nichts von sich hören? Er wurde fast verrückt davon.

Am Abreisetag flog er weg, weg aus den Niederlanden. Meilenweit weg aus der Nähe von Bernadette.

Weg von den Poldern und weg von 'Het Kraaijennest', wo ihn niemand jemals wiedergesehen hat.

ROOTS - Ein Mann auf der Suche nach seinen Wurzeln

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